Ökumenische Bistumskommission Münster, 19. Juni 1974:
»Die Deutsche Bischofskonferenz möge die Möglichkeit einer Anerkennung der Confessio Augustana von seiten der katholischen Kirche prüfen. Mit einer derartigen Anerkennung soll erstens die Augsburger Konfession in ihrer historischen und gegenwärtigen Bedeutung als Ausdruck evangelisch-lutherischen Glaubens ernst genommen und gleichzeitig ein katholisches Bild des Luthertums abgebaut werden, das vor allem durch polemisch überspitzte Äußerungen aus der bewegten Umbruchszeit von 1520/21 bestimmt ist, die in Sammlungen ketzerischer reformatorischer Sätze konserviert wurden, auch wenn sie in der Zwischenzeit in der Confessio Augustana bereits korrigiert waren. Zweitens soll damit zum Ausdruck gebracht werden, daß die Augsburgische Konfession keine kirchentrennenden Lehren vertritt und als Zeugnis gemeinkirchlichen Glaubens von katholischer Seite bejaht werden kann.«
 

Joseph Ratzinger, Prognosen für die Zukunft des Ökumenismus (1977)

Die Suche nach Kircheneinheit muß von der Logik der Sache her an die gemeinschaftlich-kirchliche Gestalt anknüpfen, so sehr sie gerade das achten und schätzen wird, was an Quellen einer ganz persönlichen Frömmigkeit, an seelischer Kraft und Tiefe für den Einzelnen vorgegeben ist. Aber wenn nicht von einer Vereinigung zwischen Einzelnen und mit Einzelnen die Rede ist, sondern Kirchengemeinschaft gesucht wird, dann sind Bekenntnis und Glaube der Kirche angefordert, in der der Einzelne mitlebt und zu seiner persönlichen Begegnung mit Gott geöffnet wird. Das heißt: der Bezugspunkt solchen Mühens müssen die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche sein und Privattheologien unmittelbar nur in dem Maß, in dem sie auf solch Gemeinschaftliches hinführen. Die Forschungen der letzten Jahre konvergieren dahin, daß die Confessio Augustana als grundlegende lutherische Bekenntnisschrift nicht nur aus diplomatischen Gründen so abgefaßt wurde, daß sie reichsrechtlich als katholisches Bekenntnis auslegbar sein sollte; sie wurde auch mit innerer Überzeugung als Suche nach evangelischer Katholizität konzipiert - als ein Mühen darum, das brodelnde Gebilde der frühen reformatorischen Bewegung in einer Weise zu filtern, die es zu katholischer Reform gestalten konnte. Demgemäß sind Bemühungen in Gang, eine katholische Anerkennung der Confessio Augustana, oder richtiger: eine Anerkennung der CA als katholisch zu erreichen und damit die Katholizität der Kirchen Augsburgischen Bekenntnisses festzustellen, die eine korporative Vereinigung in der Unterschiedenheit möglich macht. Freilich wäre eine solche Anerkennung der CA durch die katholische Kirche wieder weit mehr als ein bloß theore- /40/ tisch-theologischer Akt, der unter Historikern und Kirchenpolitikern ausgehandelt wird. Er würde vielmehr eine konkrete geistliche Entscheidung und insofern ein wirklich neuer geschichtlicher Schritt auf beiden Seiten sein. Er würde bedeuten, daß die katholische Kirche in den hier gegebenen Ansätzen eine eigene Form der Verwirklichung des gemeinsamen Glaubens mit der ihr zukommenden Eigenständigkeit annähme. Er würde umgekehrt von reformatorischer Seite her bedeuten, diesen vielfältiger Auslegung fähigen Text in der Richtung zu leben und zu verstehen, die zuerst ja auch gemeint war: in der Einheit mit dem altkirchlichen Dogma und mit seiner kirchlichen Grundform. Er würde also insgesamt bedeuten, daß die offene Frage nach der Mitte der Reformation in einem geistlichen Entscheid in Richtung einer katholisch gelebten CA gelöst und das Erbe von damals unter dieser Hermeneutik gelebt und angenommen würde. 

Die Frage nach den praktischen Möglichkeiten einer solchen Entwicklung, also die Prognose aus der Diagnose, ist hier noch viel schwieriger als vorhin im Zueinander von katholischer Kirche und Orthodoxie. Auch dies ist eine Frage, der man besser durch Tun als durch Spekulieren entspricht. Welches Tun? Nun, ganz allgemein wiederum durch eine Richtung des Denkens und des Handelns, die den anderen in seiner Suche nach dem wesentlich Christlichen achtet; eine Einstellung, für die Einheit ein vordringliches Gut ist, das Opfer verlangt, während Trennung gerechtfertigt werden muß in jedem einzelnen Fall. Aber entsprechend der vorigen Diagnose können wir das geforderte Tun noch deutlicher definieren. Es bedeutet, daß der Katholik nicht auf die Auflösung der Bekenntnisse und auf die Zersetzung des Kirchlichen im evangelischen Raum setzt, sondern ganz umgekehrt auf die Stärkung des Bekenntnisses und der ekklesialen Wirklichkeit hofft. Natürlich gibt es auch einen Konfessionalismus, der trennt und der überwunden werden muß: Überall da, wo das Nicht-Gemeinsame, das Anti, als das eigentliche Konstitutive gelebt und so auf das Gegeneinander gepocht wird, müssen wir von Konfessionalismus im abträglichen Sinn sprechen, auf welcher Seite solches auch geschehe. Diesem Konfessionalismus der Trennung werden wir eine Hermeneutik der Einung entgegenstellen, die das Bekenntnis auf das Einende hin liest. Unser Interesse, das heißt das Interesse der Ökumene, kann unter dieser Voraussetzung gerade nicht sein, daß das Bekenntnis verschwindet, sondern daß es aus der Abdrängung ins Unverbindliche herausrückt zur vollen Bedeutung verbindlichen gemeinschaftlichen Glaubens in der Kirche. Denn nur wo dies geschieht, ist verbindliche Gemeinschaft auch untereinander möglich, nur so erhält eine Ökumene des Glaubens den nötigen Halt. 

Die Frage nach den Prognosen des Ökumenismus ist letztlich eine Frage nach den Kräften, die heute in der Christenheit wirksam sind und als zukunftsprägend angesehen werden dürfen. Zweierlei steht der Verwirklichung kirchlicher Einheit /41/ entgegen: auf der einen Seite ein konfessioneller Chauvinismus, der sich letztlich nicht an der Wahrheit, sondern an der Gewohnheit orientiert und in der Fixierung auf das Eigene vor allem gerade auch auf dem besteht, was gegen die anderen gerichtet ist. Auf der anderen Seite eine glaubensmäßige Gleichgültigkeit, die in der Wahrheitsfrage ein Hindernis sieht, Einheit an der Zweckmäßigkeit mißt und sie so zu einem Bündnis im Äußerlichen macht, das fortwährend den Keim neuer Spaltungen in sich trägt. Für die Einheit steht ein Christentum des Glaubens und der Treue, das den Glauben als einen gültigen inhaltlichen Entscheid lebt, aber gerade darum auf der Suche nach der Einheit ist, sich selbst auf sie hin fortwährend reinigen und vertiefen läßt und damit auch dem anderen hilft, in einem gleichen Weg der Reinigung und Vertiefung die gemeinsame Mitte zu erkennen und sich in ihr finden. Es ist klar, daß die beiden ersten Haltungen dem Menschen unmittelbar viel näher liegen als die dritte, die ihn zugleich aufs höchste fordert und aufs äußerste entmächtigt, von ihm unerschöpfliche Geduld und die Bereitschaft zu immer neuer Reinigung und Vertiefung verlangt. Aber Christentum beruht ja insgesamt auf dem Sieg des Unwahrscheinlichen, auf dem Abenteuer des Heiligen Geistes, der den Menschen über sich hinausführt und ihn gerade so zu sich selber bringt. Weil wir auf diese Kraft des Heiligen Geistes vertrauen, darum hoffen wir auf die Einheit der Kirche und stellen uns dem Ökumenismus des Glaubens zur Verfügung.
Joseph Kardinal Ratzinger, Vom Wiederauffinden der Mitte, Freiburg 1997, 191-194
 


Papst Johannes Paul II, Ansprache in Mainz am 17. November 1980

Jesus Christus ist unser aller Heil... Daß wir dieses miteinander glauben und bekennen, ist bei der Besinnung auf die Confessio Augustana in zahlreichen Kontakten neu bewußt geworden. Die deutschen Bischöfe haben in ihrem Hirtenwort „Dein Reich komme" (20.1.1980) davon Zeugnis gegeben. Sie haben den katholischen Gläubigen gesagt: »Freuen wir uns, daß wir nicht nur einen Teilkonsens in einigen Wahrheiten entdecken können, sondern eine Übereinstimmung in zentralen Glaubenswahrheiten. Dies läßt uns die Einheit auch in den Bereichen unserer Glaubens und Lebens erhoffen, in denen wir bis zur Stunde noch getrennt sind«. 
(Das katholisch/lutherische Gespräch über das Augsburger Bekenntnis. Dokumente 1977-1981. Hg. von Harding Meyer,
Genf 1982 (LWB-Report 10), S.60)

 

Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur Studie »Lehrverurteilungen - kirchentrennend«:

Die Studie »Lehrverurteilungen - kirchentrennend« (im folgenden LV) bringt uns dem vom II. Vaticanum herausgestellten Ziel der vollen Einheit ein bedeutsames Stück näher...
Die gegenseitigen Lehrverurteilungen des 16. Jahrhundert zwischen der katholischen Kirche und den aus der Reformation hervorgegangenen evangelischen Kirchen sind hier methodisch und systematisch von ihrer Wurzel her einer neuen Untersuchung unterzogen worden. Im größeren Kontext einer die Geschichte ernstnehmenden Hermeneutik, vertiefter Einsichten der Exegese und der historischen Forschung im Bereich der Kirchen- Liturgie- und Dogmengeschichte wurden die die katholische Seite anzielenden Verurteilungen in den reformatorischen Bekenntnisschriften und die Zurückweisung reformatorischer Äußerungen durch das Konzil von Trient eine neuen Würdigung und Wertung unterzogen. Leitender Gesichtspunkt der Untersuchung war zunächst die historische Frage, ob die Verwerfungen damals die kirchlich verantwortete Lehre der anderen Seite getroffen haben, oder ob sie nur Positionen von Randgruppen, zeitweilig vertretene Extrempositionen, überspitzte mißverständliche Äußerungen, theologische Schulmeinungen, von der eigenen Fragestellung her gelesene Aussagen einer anderen theologischen Sprachgestalt, Verzerrungen und unterstellte Implikationen wiedergegeben haben, die in dieser Weise nicht von der betreffenden Kirche vertreten worden sind. Ebenso wichtig ist din dieser Studie die aktuelle Frage, ob die Lehrverurteilungen heute noch den Partner des ökumenischen Dialogs ganz oder teilweise treffen.
...Den beteiligten evangelischen und katholischen Theologen ist es gelungen, neue historische, hermeneutische und systematische Einsichten über die Ereignisse in der Reformationszeit zu vermitteln... insbesondere haben sie sich bemüht, die „Vielschichtigkeit des von Luther ausgegangenen Konfliktprozesses" (LV 22) und die damit verbundenen vielfältigen gegenseitigen Verstehensschwierigkeiten aufzuweisen.
Überzeugend wird herausgestellt, daß die unüberbrückbar scheinenden Gegensätze zwischen bestimmten aussagen der reformatorischen Bekenntnisschriften und des Tridentinums nicht in jedem Fall Gegensätze in der Sache selbst sind, sondern sich bei einer tieferen hermeneutischen Reflexion teilweise auch als Unterschiede in der theologischen Sprache und Denkform erschließen, und daß generell zu beachten ist, „daß weder die reformatorischen Bekenntnisschriften noch auch die Dekrete und Canones des Trienter Konzils primär als Texte gelesen werden dürfen, die sich gegen die genuine und kirchlich verantwortete Lehre der anderen Seite richten" (LV 26).
Hinsichtlich der Rechtfertigungslehre hat sich gezeigt, daß die kirchlich rezipierte lutherische Bekenntnisposition nicht von den Verwerfungssätzen des Konzils von Trient betroffen ist, und daß umgekehrt die Verwerfungssätze der lutherischen Bekenntnisschriften nicht die kirchlich rezipierte römisch-katholische Lehrposition treffen, wie sie im Konzil von Trient zum Ausdruck kommt. Die beiderseits ausgesprochenen Verwerfungen behalten dabei „die Bedeutung von heilsamen Warnungen" (LV 32), die gemeinsame christliche Bekenntnisbasis nicht zu verlassen.
In der Sakramentenlehre wie in der Amtsfrage konnten mehrere traditionelle Verständnisschwierigkeiten ausgeräumt und gemeinsame Grundpositionen aufgezeigt werden.
Wir würden es daher begrüßen, wenn die die 16. Jahrhundert ausgesprochenen Lehrverurteilungen das heutige Verhältnis der Kirchen nicht mehr belasteten und wenn die mit der geschichtlichen Erinnerung daran verbundenen Hindernisse einer engeren Gemeinschaft der Kirchen der Vergessenheit anheimgegeben würden.
.... Die Überwindung von historischen Gegensätzen, Mißverständnissen und negierenden Abgrenzungen voneinander ist eine Etappe auf dem Weg zu einem weitergespannten Ziel. Dieses Ziel ist verbunden mit der Wiederherstellung der Gemeinschaft in der Ausübung des kirchlichen Amtes. Wir bitten die evangelische Seite, mit uns weitere konkrete Schritte zu diesem Ziel, wie sie etwa in der Erklärung „Einheit vor uns" von der internationalen „Gemeinsamen römisch-katholischen/evangelisch-lutherischen Kommission" aufgezeigt wurden, zu prüfen.
... Wir sind überzeugt, daß die Studie „Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" ein entscheidenden Beitrag zu der vom II. Vaticanum geforderten Umkehr ist. Sie dient der Läuterung unserer Erinnerungen, die durch die Jahrhunderte hindurch von Polemik bestimmt waren. Vor uns liegt als neue Aufgabe, im ökumenischen Dialog eine positive Formulierung des gemeinsamen Glaubens anzustreben, in dem die verschiedenen christlichen Gemeinschaften ihre eigene Tradition erkennen können und die doch ein Zeugnis des christlichen Glaubens in der Sprache der Gegenwart darstellt.