Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 2
Eck an Matthias Ackermann, Abt zu Ottobeuren
Freiburg
03-06-1506:



München BSB 4 Ph. sp. 56, fol A2rv
Widmung Ecks zu METZLER Nr 1: Bursa Pavonis (1). Straßburg, Mathias Hupfuff, 1507: vorh. München UB, 1 Phil 111; 2. Fassung an Abt Leonhard Wiedemann: METZLER Nr 7: In summulas Petri Hispani. Augsburg, Miller, Mai 1516
 

Eck schildert seine Studien in Freiburg, wohin er auf Veranlassung seines Rottenburger Onkels und Förderers Martin Maier aus Köln, wo er vorher studierte, übergewechselt ist. Eine allseitige und umfassende Bildung des Menschen ist erstrebenswert, besonders das Studium der >Parva Logicalia<, dialektischer Vorspiele zu den höheren Studien, da jene die analytische Denkfähigkeit der Jugend fördern. Ecks Erstlingswerk, die >Bursa Pavonis<, deren Widmung der Brief darstellt, ist auf der Grundlage seiner Freiburger Vorlesung entstanden und soll der Schullektüre dienen.
Io. Eccius Amplissimo pientissimoque patri Mathie Nobilissimo abbati Ottenbirensi (2) vigilantissimo domino suo semper observando S.D.

Posteaquam ab Agrippinensi achademia (3) solueram (4), Abbas celeberrime, Avunculi mei Martini Maier Rotenburgiorum (5) olim plebeiani viri oppido venerandi ope adiutus et opera (6) ad florentissimum Friburgense gymnasium (7) adipiscende scientie gratia me contuli, in quo dum vitam agerem veluti in Scoa aut Lytio id semper studii animo insedit meo, ut et docendo agilitatem et discendo doctrinam (8) consequerer omnifariam (9). Plusculis itaque diebus cum multa alia etiam dialectica (10) quedam studiorum graviorum preludia, que >Parva Logicalia< (11) appellantur, diutile affatim tradidissemus, quibus vegeta adulescentum ingenia quasi gymnastico corporis exercitio ad sophistarum argutiolas (quibus minus cavillus deest quam Ciceroni oratio) plerasque captiunculas diluendas promptiora redderentur. Et reddentur indubie si Aulo Gellio luculentissimo scriptori credimus capite XIII. sexti (12) et capite VIII. decimi sexti (13) id profitenti. Tandem scholasticorum nostrorum efflagitationibus repetitis fatigati sepicule, ut ea, que in publico docueramus auditorio (14), typis et characteribus litterariis excussa atque edolata publicitius invulgarentur. Que res diutule visa est amarior isto tempore presertim, quo tam laxis invidentia dominatur habenis, quo Marrani (15) liventes omnia licentius quam par est >dente Theonino< (ut Oratianis utar verbis (16)) corrodunt atque carpunt. Dum itaque >inter sacra et saxum< (ut belle in proverbio dicitur) (17) essemus et quasi in trivio positi sinu satis superque pithagorissassemus (18), vicerunt postremo adulescentum nostrorum instantium preces. Illud que Senece moralissimi nobis obiectum est: >Miserrimum esse omnium, cui nemo invideret< (19), venit in mentem hec nostra exercitamenta (20), tue humanitati dedicata (21), in publicas emittere diatribas. Hanc igitur nostram opellam litterariam, hoc chartarium nostrum munusculum placido suscipe tuenda vultu; et si minitula sint veluti >Apine trice< ut Epigrammatarius ait (22), diis tamen dantibus postquam adulescentiam excesserimus, maiora haud dubie daturi sumus. Hec modo inpresentiarum nominatim tibi dedicata contra Momum (23) etiam tuta sint, ut enim in Grecorum lepide est adagio: >Aut bibat aut abeat< (24)

Vale Abbas optime et Eccium tuum semper futurum affirmatissime persuasum habeas.
Iterum vale et salve
ex augustissimo studio litterario Friburgensi
III. Nonas Junias Anno huius seculi sexto.

Johannes Eck grüßt den hoch angesehenen und frommen Pater Matthias Ackermann, Abt von Ottobeuren, seinen fürsorglichen und steten Gehorsam verdienenden Herrn.

Nachdem ich die Kölner Hochschule verlassen hatte, hochwürdiger Abt, begab ich mich mit der Unterstützung meines Onkels Martin Maier, der als einstiger Bürger Rottenburgs in dieser Stadt in Ansehen stand, zum Studium an die Hochschule zu Freiburg. Dort oblag ich mit solcher Hingabe meinen Studien, als weilte ich an einer der antiken Akademien Athens, sodaß ich im Lehren und Lernen vielerlei Schulrichtungen folgte. Viele Tage lang beschäftigten wir uns lange und intensiv mit den Grundlagen für die gehobenen Studien, der sogenannten >Kleinen Logik<, durch die der aufnahmefähige junge Intellekt der Knaben ähnlich wie durch körperliche Übungen fähiger wird, Scheinargumente der Sophisten (denen so wenig an neckischen Scherz mangelt wie Cicero an Beredsamkeit) und zahlreiche Fangfragen aufzulösen. Das wird auch zweifellos geschehen, wenn wir AULUS GELLIUS, dem erleuchteten Autor, glauben, was er in Buch 6, Kapitel 13 [seiner >Noctes Atticae<] geschrieben hat. Endlich wollen wir, oft ermüdet von den stets wiederholten dringlichen Bitten unserer Studenten, doch das, was wir in öffentlichen Vorlesungen vorgetragen haben, auch im Druck erscheinen zu lassen, entsprechen. Das ist oft eine unangenehme Sache, zumal gegenwärtig, wo der Neid mit so laxen Zügeln beherrscht wird, wo neidische Marranen freizügiger als zulässig >mit schmähsüchtiger Zunge< (um mit HORAZ zu sprechen) nagen und zerren. Als wir daher in dieser Zwickmühle über die Sache immer mehr ergebnislos nachdachten, haben endlich die ständigen Bitten der jungen Leute gesiegt. Bei dem uns vorgehaltenen Wort des Moralisten SENECA: >Der Bedauernswerteste von allen ist der, den niemand beneidet<, kam mir in den Sinn, diese unsere >Logischen Übungen<, die Euch gewidmet sind, zu veröffentlichen. So nehmt denn unser literarisches Schriftchen, unsere bedruckten Blättchen, gnädig und nachsichtig entgegen; und wenn wir auch etwas Geringes geschaffen haben, >Possen und Dummheiten<, wie MARTIAL es nennt, so werden wir, wenn die Jugend vorbei ist, ohne Zweifel einst etwas Bedeutenderes schaffen. Das Gegenwärtige, das wir Euch namentlich gewidmet haben, möge aber gegen jeden Tadel sicher sein, wie es drollig das griechische Sprichwort ausdrückt: >Trink oder geh fort!<

Lebt wohl, bester Abt, und seid der Anhänglichkeit Eures Eck in Zukunft versichert.
Nochmals Gruß
aus Freiburg, der Hochburg der gelehrten Studien.
3. Juni 1506.

1. Vgl. SCHWINGES, Studentenbursen 539f; Eck war in Freiburg Mitglied der nominalistischen Pfauenburse (>Collegium beatae Mariae virginis<: BAUER, Frühgeschichte 41). Er wurde am 18-05-1505 Superintendens (Aufseher) und 1505-1508 und 1509 Rektor: MAYER, freiburg 8.

2. Matthäus ACKERMANN, Abt (1492-1508) des reichsunmittelbaren Klosters Ottobeuren (OSB) [Näheres und Lit. zur Abtei Ottobeuren bei U. FAUST: LTHK 7 (3.A.). 1226] in der Nähe von Memmingen, wurde 1508 wegen unwürdiger Amtsführung zur Resignation gezwungen und von den reformfreudigen und dem Humanismus aufgeschlossenen Abt Leonhard Wiedemann (bis 1546)abgelöst: vgl. BAUERREISS, Ottobeuren 105f. Johannes Ecks Heimatort Egg war weitgehend der Grundherrschaft des Klosters durch die Person des Abtes unterstellt, der Ortsherr mit niedergerichtlichen Befugnissen war: vgl. BLICKLE, Egg bes. 13-16. Das rechtliche Beziehungs- und Abhängigkeitsgeflecht von Johannes Eck und seinen Verwandten zum und vom Kloster führte zu nahen Kontakten (vgl. den Briefwechsel Eck-Nikolaus Ellenbog: Briefe 22-10-1515, 17-04-1516, 09-12-1517, 11-02-1518), aber auch zu Konflikten (vgl. die Briefe 09-12-1517, 11-02-1518).

3. Die von Eck benutzten Umschreibungen für den Begriff Universität, die an antike Vorbilder anknüpfen, waren durch die von ihm rezipierte Brieftheorie Bebels vorgegeben: vgl. BEBEL, Commentaria fol (d5r): »Docti dicunt studio Tibengensi, Patavino, vel gymnasio, vel academia, vel palestra, raro universitate

4. Eck ging im Oktober 1501 nach Köln, war dort Mitglied der Laurentianerburse und verließ die Universität nach 7 Monaten: vgl. ECK, Ratione studiorum: METZLER Nr 98 = CCath 2, 41ff. Vgl. auch Ecks Notizen (meist interlinear) in seinem Handexemplar von Sebastian BRANT, Varia carmina, Basel 1498, Ingolstadt StA Ia 617 fol B8r :»Interpretatus sum hanc Invectivam Ego Ioan. Eckius in studio Coloniensi anno aetatis meae ferme decimoquinto Anno gratiae 1501.« Das Werk von Sebastian BRANT, den Eck »amicus noster« nennt (ECK, Physica fol 38r), wird auch zitiert ECK, De coelo fol 6r.Vgl. TEWES,  Bursen 87. 772-786 (Laurentianerburse)

5. Martin MAIER war der Onkel (väterlicherseits) von J. Eck und nach Studien in Heidelberg und Köln Pfarrer zu St. Martin in Rottenburg bei Tübingen (1486-1499, 1508-1517); vgl. ECK, Ratione studiorum: CCath 2, 40 Anm. 4. Zu seinem Einfluß auf Ecks Ausbildung vgl. Brief 23-10-1513 und zum späteren Verhältnis Brief 08-02-1515.

6. Die Formel »ope et opera« nimmt Eck in Brief 23-10-1513 (Exordium) wieder auf.

7. Eck wurde am 02-07-1502 in Freiburg inskribiert: ECK, Ratione studiorum: CCath 2, 42 Anm. 1.

8. Wortspiele mit discere-docere benutzt Eck sehr gern; vgl. ECK, Ratione studiorum: CCath 2, 46: »Sic simul docendo et discendo profeci.« Vgl. auch Brief 18-05-1514: »discendi quam docendi muneri magis idoneus«. Vorbilder im klassischen Latein: SENECA, Ad Lucil. 7, 8: »homines dum docent discunt.« Das in Eck-Darstellungen häufiger rezipierte »Discendo docui et docendo didici«, meist entnommen aus J. SCHLECHT, Anfänge 5, ist kein Eck-Zitat, sondern von diesem in Anlehnung an ECK, Ratione studiorum 46 gebildet.

9. Vgl. GREVING, Gelehrter 100 Anm. 2, der die Stelle »doctrinam...omnifariam« als Hinweis auf das Überschreiten der Schulrichtungen antiqui-moderni nimmt und weiter erwägt, daß Eck den Begriff hier auf andere Wissenschaften als Philosophie und Theologie bezogen haben könnte.

10. Eck verwendet den Begriff Dialektik in dreifachem Sinn:für die aristotelische Topik, als Synonym für Logica und als Entsprechung von ars vetus; vgl. SEIFERT, Logik 113 Anm. 22a. Hier wohl im Sinn von Logica.

11. Vgl. die Definition in ECK, Summula fol 84r: »Dicta autem sunt parva logicalia ea de causa: nam tres sunt logicae partes..:terminus, propositio et argumentatio. Modo elementa logicae sunt termini, sicut elementa grammatices sunt litterae. Quare cum illi tractatus passiones termini considerent, non iniuria parva logicalia appellati sunt, caeterum non ignoro quosdamopinari, parva dici respective ad magnam logicam Aristotelis quibus non omnino refragor.« S. auch SEIFERT, Logik 14f.

12. AULUS GELLIUS, Noctes Atticae 6, 13, 4.

13. AULUS GELLIUS ebd. 16, 2, 8.

14. Bei den Repetitionen in der Pfauenburse (vgl. ECK, Ratione studiorum: CCath 2, 43 Anm.2), zu denen neben den schon in Brief 1505 erwähnten Ethik- und Kosmographievorlesungen auch die Parva logicalia gehörten.

15. Ex 15, 23: das israelitische Volk, das bei seinem Wüstenzug unter Mose bei Mara (=bitterer Brunnen) auf eine bittere Quelle stößt und deshalb murrt, worauf Gott durch Mose das Wasser süß werden läßt.

16. Sprichwörtliche Redensart: vgl. HORAZ, ep. 1, 18, 82. - THEON: ein Freigelassener, berüchtigt durch seine schmähsüchtige, verleumderische Zunge. Eck verwendet diese Redensart häufig: ECK, Adversum Philosophiam fol c4r; SCHLECHT, Anfänge 34 (Ecks Anschlag am schwarzen Brett der ingolstädter Universität nach seiner Rückkehr aus Bologna 1515); ECK, Chrysopassus fol N4; ECK, Replica fol 38r.

17. Sprichw. Redensart: vgl. PLAUTUS, Captivus 3, 4, 84; auch verwendet in ZASIUS, Defensio fol 56 in Bezug auf Eck.

18. Wohl hinsichtlich einer vollkommenen Lebensführung und des Strebens nach Erkenntnis; ähnlich ERASMUS, Adagia Nr 1671: »Aut Plato philonissat aut Philo platonissat.« Zu Ecks Kenntnis der Adagia vgl. Brief 02-02-1518.

19. SENECA, Ad Lucil. 84, 11, 11.

20. Auch in späteren Werken (z.B. ECK, Chrysopassus fol L6r; Großer Zinstraktat fol 184r) verweist Eck gern auf seine »ludicra logicae parvorum logicalium exercitamenta«.

21. Während die Fassung an Ackermann eindeutig eine Dedikation ist, erfüllt die Fassung an Wiedemann dies nur der Form nach, da letztere als öffentlicher Brief ohne die wichtige Namensnennung des Adressaten der Widmung mitten in Ecks Schrift steht. Da Widemann damals Abt in Ottobeuren war, kommt nur er als Adressat in Frage.

22. MARTIAL, Epigrammata 14, 1, 7: »Sunt apinae tricaeque et si quid vilius istis« = »Das sind doch Possen und Dummheiten und noch Simpleres als das!«

23. Momos als personifizierte Tadelsucht. Nach der griechischen Mythologie platzte er, der alle Götter tadelte, vor Ärger, als er Aphrodite für untadelig beurteilen mußte. Bei Eck, wohl im Gefolge Lukans, häufiger, z. B. ECK, Orationes quatuor fol a3r; SCHLECHT, Anfänge 34 (Anschlag am schwarzen Brett der Universität Ingolstadt nach Ecks Rückkehr aus Bologna 1515); Brief 02-02-1518; ECK, Replica fol 38r.

24. CICERO, Tusc. 5, 118: »Mihi quidem in vita servanda videtur illa lex quae in Graecorum conviviis obtinetur: 'aut bibat', inquit,'aut abeat', et recte, aut enim fruatur aliquis pariter cum aliis voluptate vinolentorum incidat, ante discedat