Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 3
Eck an Simprecht von Burgau
Freiburg
1506



München BSB 4 Ph. sp. 56, fol I3rv
ECK, Bursa pavonis 1507, fol 13rv = METZLER Nr 1(1); 2. Fassung: METZLER Nr 1(2); ECK, In summulas Petri Hispani 1516 = METZLER Nr 7
 

Simprecht soll sich von bewährten antiken Leitbildern wie Apuleius und Pythagoras, aber auch von Sokrates und Plato ermutigen und begeistern lassen, mit seinen Studien der bonae litterae unentwegt fortzufahren, dabei aber auch aus der Heiligen Schrift schöpfen und nicht vergessen, den Lastern des Fleisches zu entsagen. Logik kann man sinnvoll nur mit stetigem Üben betreiben. Das heißt aber nicht, darin so maßlos zu sein, daß nützlichere Dinge vernachlässigt werden.
Joan. Eccius
Simprechto de Burgan (1) Salutem D. P.

Magnum esse ludi litterarii laborem Apuleio teste (2) nemo inficias eat mi Simprechte. Eum tamen fore facillimum nullus dubitat, si eorum meminerit bonorum que studio indipiscuntur. Tu itaque Simprechte studiosissime hanc provinciam facilem tibi facito, sepius illud Zenonis (3) ruminans, studiosum litterarum ac bonis litteris deditum in felicitatem collocatum iri. Cum enim >homo< olim >rerum mensura< esse debeat (4) ut Pythagoras italice sapientie ac omnis secretioris philosophie princeps (5) asseruit, quomodo id effitiet, si bonarum artium inscius et expers repertus fuerit. Notissimi sunt Platonis, Socratis, Appollonii, Pithagorae et aliorum labores (6). Cantatissima est illa Euclidis Socratici diligentia qui muliebri indutus tunica ad Socratem commeabat nuctu atque sub luce milia passuum megaris redibat (7). Perge igitur >bonis avibus< (8) optime adulescens nos te carnis capiant illecebre. >Scientiam Scripturarum ama (ut ait divus Hieronimus) et vitia carnis non amabis<(9)

Hec autem ludicra logice tibi dedicamus, quibus Gordios etiam nodos (10) vincere possis. Cum enim logice studium exercitii gratia perdiscatur, non erit pretereunda maxima logice exercitatio. In hiis tamen moderamine utere, ut par est iuxta delphicum preceptum >ne quid nimis< (11), alia enim utiliora negligeres, cum iuxta Plautinam sententiam: >Non omnis etas ad prediscendum sat est.< (12)

Vale
ex edibus nostris Friburgi. Anno gracie sexto

 

Johannes Eck
grüßt Simprecht von Burgan

Niemand würde leugnen, daß APULEIUS recht hat, wenn er sagt, daß wissenschaftliche Studien große Mühe machen. Dennoch zweifelt keiner, daß diese sehr leicht wird, wenn man bedenkt, welche Reichtümer durch dieses Studium erlangt werden. Erobere Dir daher, lernbeflissener Simprecht, dieses leicht zu beackernde Feld und wiederhole öfters jenes Wort des ZENON, der den wissenschaftlichen Studien und den bonae artes Hingegebene werde Glückseligkeit erlangen. Da nämlich der Mensch einstmals Maß aller Dinge sein sollte, wie PYTHAGORAS, der Fürst italischer Weisheit und aller Geheimphilosophie, behauptet hat, wie sollte das geschehen, wenn er als in den bonae artes unwissend und unerfahren gilt? Sehr bekannt sind die Werke Platons, des Sokrates, des Apollonius, des Pythagoras und anderer. Hochgepriesen wird jener Eifer des Sokratikers EUKLID, der in Frauenkleidern nachts sich zu Sokrates begab und dann bei Anbruch des Tages die tausend Meilen von Megara wieder zurückkehrte. Mache also so weiter, bester Jüngling, wie Du begonnen hast, damit Dich nicht die Verlockungen des Fleisches bei den Studien der bonae artes ergreifen. Liebe die Bibelwissenschaft, wie HIERONYMUS sagt, und Du wirst die Laster des Fleisches nicht lieben! 

Wir widmen Dir diese kurzweiligen logischen Untersuchungen, mit deren Hilfe Du den gordischen Knoten lösen kannst. Da nämlich das Studium der Logik um der Übung willen betrieben wird, darf fleißiges Training darin nicht vernachlässigt werden. Dennoch befleißige Dich dabei eines gesunden Maßhaltens, was dem Ausspruch des delphischen Orakel entspräche, nichts in übertriebenem Maß zu tun. Du würdest anderes Nützlicheres vernachlässigen, wie PLAUTUS es ausdrückt. Nicht jedes Lebensalter ist so sehr zur Aneignung von Wissen geeignet.

Lebe wohl!
Aus unserem Freiburger Haus. Im Jahr der Gnade 1506.


 

1. Burgau: Landschaft nordwestlich von Augsburg und Sitz eines schwäbischen Uradelsgeschlechts (Stammsitz Unterknöringen bei Burgau, Ministerialen beim Bischof von Augsburg, seit 1197 urkundl. bekannt; vgl. Genealogisches Handbuch 58, 183). Ein Sinbertus de Burga war am 22-01-1509 in Tübingen inskribiert: Urkunden Tübingen 574 Nr. 79.

2. Vgl. APULEIUS, Asinus aureus 1, 4: >Mox in urbe Latia advena studiorum Quiritium indigenam sermonem aerumnabili labore nullo magistro praeeunte aggressus excolui.<

3. ZENON VON KITION, Begründer der Stoa (333-263). Zur Bedeutung der Studien im Leben des Weisen nach Zenons Lehre vgl. L. EDELSTEIN, The Meaning of Stoicism (1966), 1ff.

4. Eck hat dieses geflügelte Wort wahrscheinlich nach NICOLAUS CUSANUS, De Beryllo rezipiert, denn in Ecks Exzerpt dieses Werkes (fol 65v: Datum 1505) findet sich (München UB, Cod ms 800, fol 60v): >Pythagore dictum: Homo est rerum mensura< (Passus von Eck unterstrichen).

5. PYTHAGORAS, griech. Philosoph, lebte in Unteritalien (Kroton, Metapont), gest. 497/96: KL. PAULY 4, 1264-69. Der Ehrentitel >princeps< ist von Eck sonst vorrangig dem Aristoteles vorbehalten: vgl. ECK, Elementarius fol A2v; ECK, Dialectica fol 62r; Brief 19-02-1516.

6. Aufzählung als locus communis. - APPOLLONIUS (2. Jhdt v. Chr.), Argonautendichter.

7. AULUS GELLIUS, Noctes Atticae 7, 10, 4.

8. Sprichw. Redensart.

9. HIERONYMUS ...

10. Ähnliche sprichw. Redensarten im Zusammenhang mit der Logik z. B. im Brief 13-10-1516;02-03-1513 (>nodosior materia< in Bezug auf die Prädestination);18-04-1518; ECK, Chrysopassus fol L3v (>nodosa dubitatio<) und Hubmaiers Gedicht in ECK, Orationes tres fol Av-A2r.

11. Dieser delphische Spruch ist mehrfach überliefert: z.B. TERENZ, Andria 1, 1. 34.

12. PLAUTUS, Truculentus 1, 1.