Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 8

Eck an Erhard Truchseß von Wetzhausen

Ingolstadt
02-03-1513


Handexemplar Ecks von ECK, Chrysopassus praedestinationis. Augsburg, Miller, November 1514, fol Lrv (Freiburg Bibl CCath); München UB Dupl 9286 mit Monogramm
Vgl. Walter L. MOORE, Augustine 45

Eck bewundert an Truchseß von Wetzhausen, wie er sich neben seinen Verpflichtungen als Eichstätter Domherr und Dekan der Ingolstadter Theologischen Fakultät unermüdlich humanistischen und historischen Studien sowie Rechtsfragen widmen kann, die sein Amt mit sich bringt. Auch seine Erfahrung in Philosophie und Theologie besitzt Ecks höchste Bewunderung, sodaß er es wagt, ihm die beiden ersten Teile seines »Chrysopassus« zur Begutachtung zuzusenden, Vorlesungstexte über die Prädestination, die er im Wintersemester 1512/13 seinen Hörern vorgetragen hat. Er möchte dabei keiner der vorgetragenen Positionen den Vorzug geben, sondern mit Cicero als Vortragender einer bloßen Meinung (opinator), nicht als Verkünder eines unumstößlichen Dogmas (dogmatistes) auftreten. Der dritte Teil seines Werkes wird Truchseß gegebenenfalls später zugehen.


Nobili et clarissimo viro Erhardo Truchsess (1) Artium et Philosophiae ac Utriusque Censurae Doctori non poenitendo decano et canonico Drysopolitano (2) Mecenati (3) suo Ioannes Maioris Eckius S.D.

Admirari soleo vehementer Decane (4) dignissime tuam in literis et eruditionem et studium perpetuum, qui etsi natalium splendore et persona quam in ecclesia geris sis ornatissimus, tantum tamen litterarum et bonarum artium vales peritia, ut iam dudum in doctiorum albo totius Germanie poni merueris (5).

Mirum enim dictu, qua vigilantia et indefesso studio, inter forensium disceptationum strepitus et fastidiosas officii tui occupationes, non modo humanitatis studia (6), Historiarum cognitionem (7), ac Leguleius (8) tuos legendo percurris et tractas. Sed et Philosophiae et Theologiae dyatribis versaris haud indiligenter, ut satis demirari non possim (9), cum de altissimis decertemus illarum locis (quod semper facis cumm te accedo) quomodo tam accurate adferas ea quae ante viginti quatuor annos ex artibus hausisti.

Ea propter ingenii mei partum, duos materiae praedestinationis articulos (10), hac hyeme (11) studiosis auditoribus communicatos tibi mitto (12), quos sitienter (ut spero) lecturus es, et magna animi alacritate acutissimum pro tua eruditione adhibiturus iudicium (13).

Videbis autem omnino me in achademiam concessisse, et non iam Aristotelis aut Zenonis, sed Socratis discipulum animo haerere et nihil affirmare. Cum autem nodosior esset materia et anceps, malui suspensum tenere iudicium (14), quam temere quicquam definire, quod tantis patribus esset adversum (15), conlegi tamen in utramque sententiam robustiora doctorum dicta, illud Lucretii imitatus:

»Floriferis ut apes in saltibus omnia libant.
Omnia nos itidem decerpsimus aurea dicta.
« (16)

Quod si omnino quid sentiam exigas non tibi repugno, nam etsi nihil decernam ut »dogmatistes« tamen ut opinator (sic se appellat Cicero (17)) id opinor et probo quod ultimo positum leges, Varonis (18) secutus morem et veterum, quem et glossemata iuris frequenter observant. Id scilicet extremo collocantes quod maxime probant.

Si istos tibi placere rescivero, tertii articuli (quem iam simul concipio, et conceptum auditoribus pronuncio (19)) tibi copiam facturus sum.

Vale, et me in rationario tui studiosorum (quod dudum arbitror te secisse) referas velim.

Vale ex Auripoli,
VI. Nonas Martias. Anno a natali Christiano M.D.XIII.


Dem edlen und sehr berühmten Herrn Erhard Truchseß, keineswegs verwerflichem Doktor der Artes, der Philosophie und beider Rechte, Dekan und Domherr von Eichstätt, seinem Mäzen, sagt Johannes Maier aus Eck seinen Gruß!

Würdigster Dekan!
Ich pflege sehr Eure wissenschaftliche Bildung und Euer beständiges Studium zu bewundern, der Ihr, obgleich Ihr sowohl mit edler Herkunft wie auch als herausragende Persönlichkeit geschmückt seid und in der Kirche hohe Ämter bekleidet, dennoch in den Wissenschaften und den bonae artes über solche Erfahrung verfügt, daß Ihr schon längst verdient hättet, in das Register der bedeutendsten Gelehrten ganz Deutschlands aufgenommen zu werden.

Nur mit Bewunderung nämlich kann man darstellen, mit welcher Sorgfalt und unermüdlichem Eifer Ihr zwischen dem Getöse der Gerichtsverhandlungen und der lästigen Tätigkeiten in Eurem Amt nicht nur humanistische Studien, geschichtliche Nachforschungen beteibt und Eure Gesetzeskrämer durch eifriges Lesen durcheilt. Doch auch philosophischen und theologischen Studien gebt Ihr Euch hin und das durchaus mit Sorgfalt, so daß ich nicht genug bewundern kann, wenn wir über die höchsten Gegenstände (was Ihr immer tut, wenn ich Euch begegne) die Klingen kreuzen, wie Ihr so exakt die Dinge vortragt, die Ihr vor vierundzwanzig Jahren aus den Studien der Artes geschöpft habt.

Deshalb sende ich Euch als Ausgeburt meines Geistes zwei Artikel aus dem Problemkreis der Prädestinationslehre, die ich in diesem Winter meinen Hörern vermittelt habe und die Ihr, so hoffe ich, voller Wissensdurst lesen und mit großem Interesse mit Hilfe Eurer Gelehrsamkeit beurteilen werdet.

Ihr werdet auch sehen, daß ich mich gänzlich in den Bereich der Hochschule zurückgezogen habe und mich nicht so sehr als Schüler des ARISTOTELES und ZENON als vielmehr als ein solcher des SOKRATES verstehe und somit keinerlei Behauptungen aufstelle. Da nämlich das Thema der Prädestination voller Probleme und Doppeldeutigkeiten steckt, wollte ich mein Urteil darüber lieber in der Schwebe lassen als überstürzt etwas zu definieren, was im Gegensatz zur Auffassung so vieler Kirchenväter stünde. Dennoch habe ich zur Stützung widersprüchlicher Meinungen durchschlagende Argumente der Gelehrten gesammelt, indem ich das Wort des LUKREZ nachahmte: »Wie auf blumiger Trift die Bienen alles benaschen, /weiden genauso wir uns ab alle goldenen Worte.«

Solltet Ihr überhaupt zu wissen fordern, was ich persönlich denke, werde ich Euch das nicht abschlagen, denn, wenn ich auch nichts wie ein Dogmatiker definiere, so meine und beweise ich doch als Vertreter einer Meinung (so nennt sich CICERO selbst) die Thesen, die Ihr jeweils am Ende lesen könnt. Dabei befolge ich VARROS und der Alten Vorgehensweise, die auch die Rechtsglossatoren meist befolgen, indem sie ans Ende stellen, was sie selbst am meisten für wahrscheinlich halten.

Wenn ich merke, daß Euch die beiden Artikel gefallen, werde ich für Euch eine Abschrift des dritten Artikels anfertigen (den ich gerade gleichzeitig entwerfe und den Entwurf meinen Hörern vortrage).

Lebt wohl und nehmt mich bitte in Euer Verzeichnis Eurer Studenten auf (was Ihr, so meine ich, längst entschieden habt).

Lebt wohl!
Aus Ingolstadt, am 2. März im Jahr nach der Geburt des Herrn 1513.




1. ERHARD TRUCHSESS VON WETZHAUSEN (1467-1519), aus fränkischem Uradel, studierte in Leipzig, Ingolstadt und Bologna (1499 Dr. decretorum), war seit 1489 Domherr in Eichstätt und wurde 1500 zum Dekan gewählt: vgl. FINK-LANG, Humanismus 304 (Lit.); NEUHOFER, Eyb 50f.

2. Eichstadt = Eichstätt, griech. Kompositum.

3. Vgl. auch ECK, Orationes tres fol B3v, wo im Zusammenhang mit Truchseß von »Mecoenatis mei opera« die Rede ist;für ECK, Areopagita (1519) besorgte er Schriften des Albertus Magnus: EPINEY-BURGARD, Pseudo-Dionys 8 Anm. 7.

4. Truchseß hatte als Dekan Eck in seine Kanonikatswürde eingeführt: SCHLECHT, Anfänge 15. Die Gunst des Dekans war um so wichtiger, da Eck zu diesem Zeitpunkt noch im Streit um das Präsenzgeld für das Kanonikat lag. Seine Beschwerde wurde allerdings am 17-11-1513 vom Kapitel (Brief an Hg. Wolfgang) zurückgewiesen: SEIFERT, Statuten 495; DERS., Universität 74f. Zum Kanonikat vgl. auch Brief 18-04-1514. Zum Eichstätter Domkapitel und zum Professorenkanonikat Ecks vgl. auch BRAUN, Domkapitel (Register).

5. Vgl. ECK, Orationes tres fol Brv, wo er in seiner am 24-09-1515 gehaltenen Lizentiatsrede (Johannes von Fuchsstein) »In laudem eruditae nobilitatis et marchionum Brandenburgensium« schreibt: »Sic innumeros ex nobilissimis Germanorum familijs recensere possem ecclesiasticos de literis et literatis optime meritos...Sic nostro saeculo meminimus...Christopherum de Schrovenstein...Henricum de Liechtenau Augustensem episcopos...Christopherum de Stadion Augustensem decanum...ac delicias numeras Erhardum Truchses de Vuetzhausen Eistettensem decanum meum, virum enomvero eruditissimorum albo cum fratre suo abbate in Neuhausen optimo iure connumerandum.« Im Katalog der "wahren, echten" Theologen, den Willibald Pirckheimer 1517 in der »Apologia Capnionis« erstellte, ist Truchseß ebenfalls vertreten: vgl. NEUHOFER, Eyb 51. Truchseß betreute auch einen Appendix zu der oben aufgeführten Rede (vervollständigter Katalog der gebildeten Adligen): vgl. ECK, Orationes tres fol B3r.

6. Truchseß gehörte zum Eichstätter Humanistenkreis unter Gabriel von Eyb, dem unter anderem Kilian Leib und die Brüder Adelmann angehörten: vgl. FINK-LANG, Humanismus 50f. Er stand in brieflichem und persönlichem Kontakt mit den Humanisten Jakob Locher und Christoph Scheurl: NEUHOFER, Eyb 51. Scheurl schickte ihm, Leib und Eck 1517 Luthers Thesen »Contra scholasticam theologiam« zu: GRAF, Scheurl 76 und Brief 05-11-1517.

7. Zur Beschäftigung des Eichstätter Humanistenkreises mit der Geschichte vgl. Brief 10-10-1514.

8. Am Rand des Textes Marginalie: »Leguleij Ciceronianum verbum quo etiam Zasius in bonum utitur praeceptor noster in iure«: LEGULEIUS: CICERO, De oratore 1, 236. - Ein weiterer Ausspruch von ZASIUS ist zitiert in ECK, Chrysopassus fol [Ydr]. - ULRICH ZASIUS (1461-1535), humanistisch gesinnter Jurist, Lehrer Ecks in der Jurisprudenz in dessen Freiburger Studienzeit (1502-10). Zur Biographie vgl. ROWAN, Zasius. Durch die Zinsfrage und vor allem die Frage nach der Verbindlichkeit von Verträgen mit Feinden entfremdeten sich Eck und Zasius bis zum offenen Konflikt: vgl. die Briefe 28-02-1515 und 18-03-1517. Eck nennt Zasius im »Chrysopassus« zwar ehrenvoll »praeceptor«, doch zeigen sich hier bereits klare Konfliktlinien, vgl. z.B. ECK, Chrysopassus fol [T5v-T6r]: »Nam quidam sunt iura naturae servanda teste beato Ambrosio in libro 'De offitijs`, ut sunt treugae, induciae, pacta et similia. Notabiliter tamen hoc Brocardum Vidaricus Zasius iureconsultus noster olim in Legali studio praeceptor in tractatu 'De iudaeorum parvulis baptisandis' quaestione tertia mirifice absolvit quando hosti sit servanda fides. Non est instituti nostri haec prosequi. Alio modo...Et ita iure permittitur dolus bonus et insidiae in bello, sed non falsitas, ut hoc canunt nobis etiam decreta canonica.« Vgl. hierzu GREVING, Gelehrter 60 Anm. 4 und Brief 28-02-1515.

9. Vgl. auch sein späteres Urteil in ECK, Areopagita (1517) fol A4r: »venerandus pater et multiiugae eriditionis«; EPINEY-BURGARD, Pseudo-Dionys 8 Anm. 7 und ECK, Oratio Wirsberg (1537) fol [A6r]: »...D. Erhardo Dapifero Doctore huius ecclesiae Decano vigilantissimo, viro in omni philosophia ac iurisperitia scientissimo...«.

10. Die später im Druck »Chrysopassus« betitelte Schrift behandelt die Prädestination (GREVING, Gelehrter 107ff) und Reprobation in drei Articuli: 1. Klärung der Begriffe; 2. Darstellung der beiden sich widersprechenden Hauptrichtungen; 3. Thesen und Bedenken: vgl. GREVING, Gelehrter 9; MOORE, Protean 253f. Zum Inhalt der einzelnen Artikel auch Brief 20-03-1514.

11. Die »Praedestinationis materia per Jo. Eckium in studio Auripolitano collecta ac solemniter repetita Nonas Novembres G.D.Xij« (Ecks Vorlesungsnachschrift vorh.: München BSB Cod 5908 fol 1v) war vor dem 05-11-1512 vorgetragen worden: vgl. das Titelblattt zu ECK, Chrysopassus: »...lecta est subtilis illa praedestinationis materia...Anno Gratiae G.D.XII.«. Das »communicatos« kann sich also entweder auf den allenfalls klimatischen, aber nicht kalendarischen Winter beziehen, oder auf das Überlassen der Vorlesungsnachschrift an die Studenten, wie GREVING, Gelehrter 18 Anm. 2 meint.

12. Eck schickte nicht den Druck, sondern eine Reinschrift (»copiam facturus sum«): vorh. München BSB cod lat 5908 fol 1r-63v. Gegenüber dem Druck gibt es nur »insignificant differences«: MOORE, Mani 160; vgl. auch GREVING, Gelehrter 14ff.

13. Neben Truchseß hatte Eck die Prädestinationsschriftt auch seinem Onkel Martin Maier aus Rottenburg (vgl. Brief 23-10-1513), Kaspar Schatzgeyer OFM (vgl. Brief 20-03-1514) und Hieronymus de Croaria (Brief Anfang 1514) zur Begutachtung gegeben. Aus dem Domkapitel begutachtete später Johannes von Wirsberg als »optimus studiorum meorum iudex« gelegentlich Ecks Werke: ECK, Oratio Wirsberg fol A2r.

14. Von den drei dargestellten Meinungen - 1. Rechtfertigung und Verwerfung des Menschen liegen allein bei Gott; 2. Rechtfertigung und Verwerfung sind vom Geschöpf mitveranlaßt; 3. Die Verwerfung liegt im Menschen begründet, nicht aber die Rechtfertigung - hängt Eck trotz der hier proklamierten Neutralität der 2. These an. Vgl. GREVING, Gelehrter 113-116; MOORE, Protean 254. Er läßt dem Leser aber die Wahl; vgl. ECK, Chrysopassus fol [K6v], Lr.

15. Die Kirchenväter bieten nach Eck zwar weitreichende Orientierung, jedoch rezipiert er sie kritisch im Hinblick auf die Prärogative der Hl. Schrift und der Entscheidungen der ecclesia universalis: Nachweise bei GREVING, Gelehrter 89f.

16. LUCRETIUS, De rerum natura 3, 11f.

17. CICERO, Academica 2, 66.

18. CICERO, Academica 1, 8-12; AUGUSTINUS, De civitate Dei 6, 2. Zur Person Varros vgl. auch Brief 13-10-1516.

19. Es war eine außerordentliche Vorlesung, in der er 1513 den dritten Teil des »Chrysopassus« las und abschloß: vgl. Brief 18-04-1514: »...Chrysopassum Praedestinationis divinae proxima foetura apud me natum et anno superiori in Gymnasio vestro extraria lectione finitum...«