Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 9

Eck an seinen Onkel Martin Maier

Ingolstadt
23-10-1513

ECK, Chrysopassus. Augsburg, Miller 1514, fol 23v

Eck ist sich wohl bewußt, daß er seinem Onkel von Kindheit an Anregung und materielle Unterstützung seiner Studien verdankt. Für soviel Wohlwollen will ihm Eck angemessen Dank sagen, und wenn der Onkel auch nicht unmittelbarer Unterstützung bedarf, so hat er ihm doch während der Studienjahre zeitweise familiäre Ungelegenheiten bereitet und ist "nicht das geworden", was ursprünglich erwünscht war. Jedoch waren seine Studien nicht ganz vergeblich, wie am »Chrysopassus« zu sehen ist, den Eck seinem Onkel hiermit als Manuskript zur Begutachtung zusendet. Seine Maxime bei der Abfassung war im sokratischen Sinne die methodische Suche nach der "Wahrheit", wie sie Hieronymus beschrieben hat.




Ioannes Eckius Theologorum minimus Martino Maioris Eckio (1) Rotenburgi paretiano patruo suo S.D.P.

Non sum nescius amicissime patrue quantum tibi debeam (2), quod ope et opera (3) tua a teneris annis (4) bonarum artium sequutus sim studia, consecutus forte parum (5). Cuperem ego te vehementer (ita me dii ament) pro tanta tua in me benevolentia condignam tibi referre gratiam, et ut Graeci in proverbio aiunt »antipelorgein« (6).
Verum cum Deo Optimo Maximo gratia ea vivas dignitate et affluas rerum omnium copia, ut meo nil tibi sit opus auxilio, velim tamen intelligas in me educando te non austrum perculisse, neque »operam et oleum« (ut aiunt)»perdidisse« (7), qui etsi non sim talis factus qualem maxime desideraveris, taliter tamen sim institutus, quem odiisse (8) non possis, ut si eruditionem nactus sim nullam, studium tamen meum non possis non probare.
In cuius quidem diligentiae testimonium mitto tibi »Praedestinationis Chrysopassum« (9) revidendum, meo marte litteratorio nuper excusum (10). In quo quidem opere (ut vides) laborioso Socraticorum secutus sum consuetudinem, qui divo Hieronymo teste, quid ex utraque parte dici posset, exposuerunt, ut sic veritas (11) fieret magis perspicua (12). Quod vero ad me attinet, et hic et in aliis scriptis testatum volo nihil mihi prius esse veri studio et recti. Quod si hoc assequor, bene me cum agitur, »salva res est« (13). Sin minus ab aliis cum divo Aurelio Augustino et placide admoneri gaudeo, et aspere castigari non recuso (14). Tu vero, mi Martine, tibi persuadeas velim, me olim (velut alterum Pyrrhiam (15)) fore gratissimum (16).

Vale, et me ut facis ama.

Ex Auripoli,
X. Kal. Novembres. Anno a natali Christiano G.D.XIII.


Johannes Eck, der Geringste unter den Theologen, entbietet Martin Maier, Pfarrherr zu Rottenburg, seinem Onkel, beste Grüße.


Ich weiß wohl, liebster Onkel, was ich Dir verdanke, daß ich durch Deine tatkräftige Unterstützung schon im zarten Knabenalter die Wissenschaften studieren durfte, vielleicht nicht genug; ich wollte Dir, so Gott will, in deutlicherer Weise für Dein großes Wohlwollen würdigen Dank abstatten, und, wie das griechische Sprichwort sagt, [»...«].

Da Du aber mit Gottes Hilfe unter würdigen Umständen lebst und alles Nötige in ausreichendem Maße besitzt, so daß Du meiner Unterstützung nicht bedarfst, so sollst Du dennoch wissen, daß Deine Erziehung nicht vergebens, Deine Mühen nicht umsonst waren, denn wenn ich auch nicht das geworden bin, was Du am meisten gewünscht hast, so bin ich doch in einer Position, die Du nicht verachten kannst, so daß Du, wenn ich es auch nicht zu Gelehrsamkeit gebracht habe, mir nicht bestreiten kannst, mich darum bemüht zu haben.
Als Zeugnis meiner Bemühungen sende ich Dir den »Chrysopassus praedestinationis« zur Durchsicht, den ich neulich mit wissenschaftlicher Bemühung fertiggestellt habe. In diesem, wie Du siehst, arbeitsaufwendigen Werk bin ich der Gewohnheit der Sokratiker gefolgt, die nach dem Zeugnis des HIERONYMUS sämtliche Meinungen über einen Gegenstand zusammenstellen, damit die Wahrheit dadurch umso deutlicher erkennbar wird.
Was aber mich angeht, so möchte ich hier und in anderen Schriften Bestätigung dafür finden, daß ich nichts eher als wahr und richtig erkennen möchte, bevor diese Erkenntnis, was mich betrifft, wirklich dem Gegenstand gerecht wird. Um so mehr freue ich mich, um mit dem Heiligen AURELIUS AUGUSTINUS zu sprechen, von anderen in behutsamer Weise ermahnt zu werden; auch harten Tadel weise ich nicht zurück.

Du aber, lieber Martin, sollst gewiß sein, daß ich Dir dereinst wie ein zweiter Pyrrhias meine Dankbarkeit bezeugen werde.

Lebe wohl, und sei mir wie stets gewogen.

Aus Ingolstadt, 23. Oktober 1512.




1. Zu seiner Person vgl. Brief 03-06-1516.

2. Ähnlich in ECK, Chrysopassus fol L4v: »...neminem in terris cui plus debeam...« und ECK, Replica fol 52v: »Huius viri libenter nemini, cui omnia post Deum me debere fateor...«

3. So bereits in Brief 03-06-1506 in Bezug auf das Verhalten des Onkels gegenüber J. Eck.

4. Der junge Eck war im März 1495, also im Alter von achteinhalb Jahren, aus seinem heimatlichen Dorf Egg zu seinem Onkel nach Rottenburg gekommen: vgl. ECK, Ratione studiorum: CCath 2, 40. In Rottenburg besuchte er die Elementarschule (ECK, Replica fol 52vf; ECK, Chrysopassus fol L4v), aus der auch andere hervorragende Köpfe hervorgingen: vgl. BOSSERT, Kindheitsjahre 532f. Im Haus des Onkels kam der junge Eck in den Genuß eines umfangreichen Bildungsprogramms: vgl. ECK, Ratione studiorum: CCath 2, 40. Den späteren Einfluß des Onkels auf seine folgende Universitätslaufbahn beschreibt ECK, Replica fol 53rv: »Transacto triennio ratus patruus iacta esse fundamenta, me ad Heidelbergense studium (cuius ipse erat alumnus et magister) destinavit [In Marg.: >1498 in Aprili«] ... ut cominus aspiceret studia mea, vocavit me Tibingam [In Marg.: »1499 In Febr.] ... Peste in Suevis grassante misit me patruus ad Coloniam [In Marg.: >1501 in Oct.«] ... et patruus me ad Friburgum destinavit Brisachgoiae...< Ähnlich auch ECK, Chrysopassus fol L4v. Zu parallelen Nachweisen aus Matrikeln vgl. ECK, Ratione studiorum: CCath 2, 40-43.

5. Ecks Karriere war beispielhaft: 1498 mit zwölf Jahren Studienbeginn in Heidelberg (bei Patriziern und Adel nicht unüblich: KUHN, Tübingen 33); 1501 Magister in Tübingen; in Freiburg Oktober 1505 Bakkalaureus Biblicus, 13-10-1506 Bakkalaureus Sententiarius, 19-06-1510 Lizentiat, 22-10-1510 mit vierundzwanzig Jahren Dr. theol. und ordentlicher Professor. Vergleichsdaten bei KUHN, Tübingen 29f. Zur Lit. vgl. Brief 18-03-1512; BÄUMER, Freiburg 31 u. 37; BAUER, Freiburg 75; MÜLLER, Promotion 58.

6. Sprichw. Redensart:

7. Sprichw. Redensart: vgl. PLAUTUS, Poenulus 1, 2, 119; CICERO 7. Ad familiares 1; DERS., 2 Ad Atticum 17; ERASMUS, Adagia 362; DERS., Ep. 622, 19.

8. 1502 war es durch den Einfluß von Verwandten zu Verstimmungen gekommen: vgl. ECK, Replica fol 53v: »Hic primum aegestate maxime praemebar, patruus a cognatis male persuasus, minus benevolus patri meo, nolebat sumptus studiorum conferre, sed remisit ad parentes, illi non habeant. Itaque coactus fui laboribus literarijs me nutrire ab eo tempore.«

9. Vgl. ECK, Chrysopassus fol br: »Librum ipsum ut huc redeam, Chrysopassum appellavi, quod ille Evangelij sol Ioannes in Apocalipsi [Offb 21, 20] pro decimo lapide supernae civitatis Hierusalem illum profuerit, communi doctorum interpretamento decimum articulum fidei ... Est autem Chrysopassus lapis Indicus purpureus, aurea habens guttas, unde et nomen accepit. Nam 'chrysos' aurum significat et 'pas' tinctumm vel sparsum.« Der Name ist allerdings von Eck durch die unrichtige Etymologie (`pasion' statt 'prasios') falsch latinisiert: vgl. GREVING, Gelehrter 2.

10. Hier im Sinne der Fertigstellung des Manuskrips, nicht der Drucklegung, die erst im November 1514 erfolgte. Vgl. GREVING, Gelehrter 18 Anm. 6.

11. Vgl. auch ECK, Chrysopassus fol [E6r] bzw. C3r und Y4r; vgl. auch GREVING, Gelehrter 86.

12. HIERONYMUS, Dial. adversus Pelagianos prol.. Ähnlich Brief 02-03-1513. Zur Methode vgl. GREVING, Gelehrter 72f.

13. TERENTIUS, Adelphoi 643.

14. Vgl. dazu GREVING, Gelehrter 86 Anm. 5.

15. Vgl. PLUTARCH,qu. Graec. 34p. 298c. Anspielung auf Pyrrhias von Ithaka, der einen Greis aus der Gefangenschaft von Seeräubern befreite. Aus Dankbarkeit überreicht der Alte seinem Wohltäter Tongefäße mit Pech, unter denen Gold und Silber verborgen sind. Zum Dank nahm sich Pyrrhias der Versorgung des Greises an: vgl. RE Halbbd. 47, 1963.

16. Vgl. auch die Meßstiftung Ecks (Entwurf vom 01-04-1517), die er für seinen Onkel, seine Eltern und sich aufgab: vgl. GREVING, Pfarrbuch 234.