Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 10
HERDING-MERTENS (Hg.) Wimpfeling, Briefwechsel Bd 2, 742ff (Nr 305)
WIMPFELING (Hg.), Compendium Biblie totius. Auctore Petro Aureoli.
Straßburg,
Johannes Schott, 1514, fol Av
Liebhaber antiker Mythen und humanistische Versemacher meinen oft, diejenigen, die sich lieber den scholastischen Distinktionen der neueren (spätscholastischen) Theologie, der Heiligen Schrift und den Werken Augustins widmeten, vernachlässigten die elegante klassische Latinität. Ein Gegenbeispiel ist Petrus Aureoli, der scholastisch-theologische Gelehrsamkeit mit der Lektüre Ciceros und anderer Klassiker zu verbinden wußte. Aureoli hat durch seine zahlreichen Exzerpte aus der Heiligen Schrift und aus den Werken Augustins überzeugend belegt, daß diese nicht nur Gottesgelehrsamkeit enthalten, sondern auch göttlich offenbarte Informationen aus den Humanwissenschaften, die wissenswert sind. Eck als Professor der Heiligen Schrift soll es sich angelegen sein lassen, die Lehren, die Aureoli in seinem »Compendium« zusammengetragen hat, seinen Hörern bekanntzumachen. Er jedenfalls zieht diese Lektüre den Reichtümern des Croesus und den Dichtungen eines Horaz und anderer bei weitem vor.
Ioanni de Acie (vulgo Eck) Ingoltstadensis gymnasij Lectori in sacris ordinario ecclesiaeque cathedralis Eustentensis Canonico, Iacobus Wympfelingius Saletstadius Licentiatus, S.D. Existimant nonnulli qui fabulas legunt et versiculos
fingunt, eos qui subtilissimis theologorum neotericorum disputationibus
operam navant,
utrumque testamentum, et nostri principis Augustini opera,
latinitatemque
elegantiorem negligere. Quibus ego hunc Petri Aureoli obijcere possum,
qui
licet dialecticae, theologiaeque scholasticae doctissimus
(1) fuerit, Ciceronemque
et alios tersiores lectitaritm un utramque tamen legem et Augustini
quosdam
codices exactissima epitomata instar argumentorum decerpsit, fideliter
ostendens
in utroque nostrae fidei instrumento, nedum sublimiores doctrinas quae
ad
divinitatem attinent, sed etiam humanas scientias divinitus traditas ac
scitu
dignas exuberantissime contineri. Quippe poeticam (et eam quidem
triplicem)
in Psalmis, Threnis, et Canticis Canticorum, historias in libris Regum,
Iosue,
Iudicum, Ruth, Paralipomenon, Esdra, Tobia, Iudith, Hester,
Machabeorum,
dialecticam et disputativam in Iob et Ecclesiaste, ethicam in
Proverbiis,
in libro Sapientiae et Ecclesiastico, politicam in Pentatheuco,
declamationes
et homelias in duodecim minoribus et quattuor maioribus Prophetis. In
nova
vero lege testimonia notariorum
(2) et epistolia
(3) brevi itidem dilucidoque Compendio perstrinxit. Tu bene vale. |
Gruß an Johannes de Acie, genannt "Eck", Theologieprofessor in Ingolstadt und Domherr in Eichstätt, von Jakob Wimpfeling, Lizentiat aus Schlettstadt! Einige, die Dichtung lesen und Verse schreiben, glauben, daß diejenigen, die sich um die komplizierten Disputationen der neueren Theologie kümmern, die beiden Testamente und die Werke AUGUSTINS und die feinere Latinität vernachlässigen. Denen kann ich PETRUS AUREOLI entgegenhalten, der, obwohl gelernter Dialektiker und scholastischer Theologe, Leser Ciceros und anderer gelehrter Autoren, dennoch sowohl zu den Testamenten wie einigen Schriften AUGUSTINS exakte Zusammenfassungen verfaßt und daraus seine Argumente genommen hat. Er hat dabei sorgfältig aufgezeigt, daß in beiden Testamenten unseres Glaubens nicht nur erhabene Lehren über Gott, sondern auch göttlich überlieferte menschliche Wissenschaften, die zu kennen wertvoll sind, in überreicher Fülle enthalten sind: solche über die Dichtkunst in dreifacher Weise in den Psalmen, Klageliedern und im Hohelied; über Geschichte in den Büchern Könige, Josua, Richter, Ruth, Chroniken, Esdras, Tobit, Judith, Esther, Makkabäer; über Dialektik und Disputierkunst in den Büchern Job und Prediger; über Ethik in den Sprichwörtern, Weisheit und Jesus Sirach; über Politik im Pentateuch; über Deklamierkunst und Homiletik in den zwölf kleinen und den vier großen Propheten; im Neuen Testament Zeugnisse der Notare und Briefe in kurzer und klarer Form. Eure Aufgabe wird es als scharfsinniger Professor der Heiligen Schrift sein, vor Euren Hörern das verdiente Lob dieses PETRUS AUREOLI zu singen, in seine Lektüre einzuführen, damit Eure Hörer zwischen all den philosophischen Spekulationen und scharfsinnigen Quästionen durch die Beschäftigung mit PETRUS AUREOLI in geraffter Form erfahren, was, in welcher Reihenfolge und Gliederung und mit welchen Belegen in beiden Testamenten geschrieben steht. Was nämlich kann angenehmer zu lesen und nützlicher zu wissen sein als in Kurzform zu erfahren, was Moses und die übrigen Propheten, was uns Christus lehrt, was zu glauben, zu hoffen, zu tun ist, um dadurch das ewige Leben zu erlangen? Diese Schriften ziehe ich für meine Person den Schätzen des Krösus vor, den Gedichten und Liedern eines OVID und anderer Dichter, von denen die jungen Menschen manchmal angesteckt sind und doch nicht von den Huren ferngehalten werden, und die »ihren Liebhabern«, wie ANTISTHENES bezeugt, »alles andere wünschen außer Besonnenheit und Schamhaftigkeit.« Lebt wohl! |
1. PETRUS AUREOLI (ca. 1280-1322): LTHK 8 (2.A.), 350. Es geht um folgendes Werk des Aureoli: »Compendium Bibliae totius, hoc est Epitoma Sacrae Scripturae utriusque s. testamenti iuxta litteralem sensum«. Straßburg, Johannes Schott, 1514 fol Av.
2. Vgl. AUREOLI fol XLVIIr: »sunt enim quattuor evangelistae quasi quattuor testes...« Fol LVIIv: »...ipsius (Christi) conditionem introducit, ut ex hoc sua probatio et testificatio sit autentica eo modo, quo tabelliones in instrumentis publicis faciunt seipsos introducere assueti in finem instrumenti.«
3. Vgl. ebd. fol LXIr: »Divisio epistolarum Pauli primo ad Romanos«: der Römerbrief als Briefmodell.
4. ANTISTHENES (ca. 455-360). Das Diktum hat E. wohl aus dem Sammelband des IOHANNES FRANCISCUS MIRANDULA »De expellendo Venere et Cupidine carmen heroicum« entnommen, das wie Aureolis Bibelwerk 1513 bei Johannes Schott in Straßburg erschienen war: vgl. HERDING (Hg.), Wimpfeling Briefwechsel 2, 744 Anm.7.