Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 11

Kaspar Schatzgeyer OFM an Eck

Ingolstadt
20-03-1514


ECK, Chrysopassus praedestinationis. Augsburg, Miller, 1514, fol Z4rv = METZLER Nr 4

Sch.lobt die ihm von Eck zur Begutachtung überlassene Reinschrift des »Chrysopassus«. Zur Beschreibung der drei Teile des Werkes bedient er sich des von Eck benutzten Bildes des Edelsteins gleichen Namens, in dem er jedoch im Unterschied zu Eck als 10. Stein in der Mauer des Neuen Jerusalem nach der Johannesapokalypse ein Symbol für die Zehn Gebote sieht. Für sein Urteil benutzt Sch. wie damals üblich eine Szenerie aus dem militärisch-nautischen Bereich, in diesem Fall eine Seeschlacht.



Suo Ioanni Eckio Theologo
F. Gaspar Schatzger (1).

Salutem in eo qui est nostra salus et redemptio.

»Chrysopassum« tuae praestantiae vir spectate meo delatum iudicio (2), ut primis conspexi obtutibus, gemmae miratus molem, mox orientalem indicumque (3) conieci. Cuius substantiam, virtutem, operationem caeterasque qualitates acuratiori scrutatus indagine, phoebiis obiectum radiis substantia quidem non unicum, sed unitum deprehendi.

Ternis quippe partibus ingenioso conpactus glutino, trinitatis prae se fert typum, cui et denarii accedit perfectio. Aquila auspice (4), Chrysopassum in fundamento coelestis Hierusalem decimo situari loco (5), nec ab re forte. Quis nempe abnuet fidelium decalogi (6) observantia inconcussum solidumque spiritualis fabricae praelocari fundamentum, quo praeiecto ad summum usque trinitatis deificae aedificium consurgere, non utique sine praedestinatione. Itaque Chrysopassus noster etsi substantia trinus homogenius tamen unius materiae rimatur secreta.

Porro virtus multivaria substantiam comitans, nedum nobilem ipsum commendat, verum aestimatione quoque efficit pretiosum. Hanc operatio consequens patulam experimento reddit.
Operatio inquam non simpla, sed multimoda, differentibus correspondens sectionibus, ipsas quoque portiunculas non eisdem praeditas viribus clarius commonstrat.

Prima siquidem sectionis portio orientalibus solis radiis decocta, originalem et materia et terminorum prodit virtutem (7).

Secunda mira pollens virtute calamitae praetendit imaginem, oppositis olympi verticibus, oppositas suscipientis vires, ut uno quidem latere martem conplectatur affectuque stringat, altero vero reijciat ac persequatur odio (8). Nec difformi virtute gemma haec nostra medio floriatur in loco, dum martialibus in ludis uno latere hunc quidem subvehat illum vero deijciat (9). Rursumque altera sui parte subvectum detrahat, deiectum autem ad sydera usque sustollat (10).

Tertia deinque portio aethiopico progenita solo, nocturno quidem temporis cursu igneas evomens scintillas, diurno vero clariori perfusa radio aureas, visuali radio aeternitatis statum effigiando (11). Quosdam miserabili clade incendiis deputat nunquam desituris, alios aureo saeculo foelices inter florentia rutilantiaque coelestis patriae situat spectacula, praescientia necnon praedestinatione (illo videlicet chaos ingenti inter utriusque civitatis incolas firmato) civibus seiunctis, quorum nihilominus iura ac leges sub quamplurimis inquisitionum edisserit titulis (12).

Hanc praeciosam gemmam indicis Aethiopicisque prognatam sinibus non sine sudorio conatu nostris tua invexit sollertia regionibus. Pro hac nempe capessenda non minus animosum quam providum classicum instruxi congressum (13). Quippe qui ab unguiculis in litteratoria palestra exercitatus bellator nedum armatum te militem, verum quoque legionum primicerium non temerario ausu, sed fausto exhibuisti auspitio. Cui nimirum congressui, cum et ego (te agente) scapha vectus spectator assisterem, claris perspexi obtutibus, tuo sub ducatu quamplurimos eminus cominusque agi congressus, militibus hincinde armatis, excubiis suis sollertius incumbantibus, et quosdam quidem triremibus conari, autoritate videlicet canonica, doctoralique, necnon naturali intelligentiae lumine et hos utique vehementius acv molestissime adversam fatigare partem. Quosdam vero debilii lignorum iunctura naviculis conpactis suffultos facili demergi impulsu. Nonnullos autem (mergulorum more) et aquis immergi, et rursus sumptis viribus emergere, consurgereque validiores. Inter omnes hos et te campiductoris officio nonnumquam arcum tendere, iaculo (14) incautos ferire, ignavos obiurgare, inertes reijcere, deiectos erigere, feroces comprimere, ac devictos armis nudare conspexi.
Deinque eousque certando praevaluisti, ut profligatis hostibus, tuo hanc margaritam nomini vendicares, tuique ingenii posteris monimentum transmitteres.

Tu itaque vigila, in similibus exercitiis labora, opus fac Theologici palestritae et in Domino vale.
Me quoque inter orandum in memoriae sinu reconde.

Ex Aedibus divi Francisci (15)
Auripoli. XX. Martij. Anno Domini etc. XIIII.


Seinem Freund, dem Theologen Johannes Eck,
Frater Kaspar Schatzgeyer.

Ich grüße Dich in Dem, der unser Heil und unsere Erlösung ist!

Deinen »Chrysopassus«, den Du mir zur Beurteilung überlassen hast, habe ich nach erstem Anschauen, erstaunt über die Größe des Edelsteins, bald für einen solchen aus dem Orient oder Indien gehalten. Bei der sorgfältigen Analyse seiner Substanz, Kraft, Wirkung und anderer Qualitäten erkannte ich beim Halten gegen das Sonnenlicht, daß er nicht nur einzigartig, sondern auch eine zusammengesetzte Einheit ist:

Aus drei Teilen kunstvoll zusammengesetzt, verkörpert er den Typus der Trinität, wozu noch die Vollkommenheit der Zehnerzahl tritt, denn nach dem Zeugnis des Heiligen Johannes befindet sich der Chrysopas an zehnter Stelle in der Ummauerung des himmlischen Jerusalems. Wer wird schon leugnen, daß durch die Beobachtung der zehn Gebote ein unerschütterliches und festes Fundament für den geistlichen Bau gelegt wird, auf dessen Basis sich das Gebäude bis zum Gipfel der göttlichen Trinität emporhebt, und das nicht ohne die göttliche Vorsehung. Daher ist unser Chrysopas zwar in der Substanz dreifach und homogen, jedoch trotzdem von der einen Materie getrennt.

Weiterhin begleitet die Substanz eine vielfältige Kraft, ja diese veredelt jene vielmehr, macht sie gar bei Abschätzung kostbar. Bei Prüfung tritt seine daraus folgende Wirkung offen zutage:

Ich spreche nicht von einer einfachen, sondern von einer mehrfachen Wirkung, die den verschiedenen Teilen entspricht. Sie zeigt ihre Teilchen auch nicht denselben Kräften in gleicher Weise deutlich.

Der erste Teil des Abschnittes, der von den Strahlen der Sonne des Orients hervorgebracht wurde, zeigt seine ursprüngliche Kraft des Stoffes und seiner Begrenzungen.

Der zweite stellt mit wunderbarer Kraft das Bild eines Laubfrosches vor, mit entgegengesetzten Spitzen des Olymp, der entgegengesetzte Kräfte aufnimmt, um auf der einen Seite Mut und Tapferkeit auszudrücken und mit Leidenschaft an sich zu binden und andererseits von sich zu schleudern und mit Grimm zu verfolgen. Auch gibt sich dieser unser Edelstein nicht mit gespaltener Kraft in seiner Mitte zufrieden, indem er auf der einen Seite in kriegerischen Auseinandersetzungen den einen zum Siege emporführt, den anderen aber niederwirft. Im Gegenteil: er reißt andererseits den Sieger zu Boden, erhebt aber den Besiegten bis zu den Sternen.

Der dritte Teil schließlich ist auf äthiopischer Erde entstanden und stößt in nächtlichem Umlauf feurige Funken hervor; bei Tageslicht jedoch verbreitet er mit hellem Strahl goldenes Licht und stellt somit den Zustand der Ewigkeit in sichtbarem Licht dar. Die einen bestimmt er in schrecklicher Niederlage zu ewigem Feuer, die anderen versetzt er glücklich in ein goldenes Zeitalter, mitten in die blühenden und goldglänzenden Wunder des ewigen Vaterlandes, wobei die Bürger beider Bereiche eher durch Vorwissen Gottes als durch Vorherbestimmung voneinander getrennt sind (nämlich durch einen ungeheuren leeren Raum), deren Rechte und Gesetze er nichtsdestoweniger genau bestimmt hat.

Diesen wertvollen Edelstein von den Küsten Indiens und Äthiopiens hat Deine Erfindungsgabe nicht ohne schweißtreibende Anstrengung in unsere Gegenden versetzt. Um das besser begreiflich zu machen, habe ich eine nicht weniger hitzige als sorgfältig vorbereitete Seeschlacht vorbereitet. Denn Du, der von Jugend an ein auf dem wissenschaftlichen Schlachtfeld erprobter Krieger bist, hast Dich nicht nur als bewaffneter Soldat, sondern auch als Oberster der Legionen nicht mit unüberlegter Tollkühnheit, sondern unter glücklichen Vorzeichen präsentiert. Bei diesem Treffen, dem freilich auch ich im Beiboot als Beobachter beiwohnte, habe ich mit klarem Blick erkannt, daß unter Deinem Befehl soviele Schlachten im Nahkampf und aus der Ferne ausgetragen wurden, und zwar von beiden Seiten mit bewaffneten Soldaten und fleißig unterstützt von den Spähern; einige wurden mit Hilfe von Dreiruderern herausgelockt, freilich mit der Autorität der Heiligen Schrift und der Würde eines Doktors, jedoch auch mit dem natürlichen Licht der Vernunft, um so heftig und bis zum Letzten den Gegner zu zermürben. Einige aber, bei denen die Schiffchen nur mitttels weicher Holzspanten zusammengehalten wurden, wurden schon bei leichtem Rammen zum Sinken gebracht; einige aber versanken nach Art der Tauchervögel im Wasser und tauchten mit vereinten Kräften wieder auf, um sich auf festere Boote zu schwingen. Unter allen diesen sah ich Dich als Feldherrn bisweilen den Hafen ansteuern, mit dem Wurfspieß die Unvorsichtigen töten, die Feigen tadeln, die Einfältigen zurückstoßen, die Gefallenen aufrichten, die Ungestümen niederwerfen und den Besiegten die Waffen entreißen.
Du wirst dann im Kampf bis zu dem Grade die Oberhand behalten, wie Du nach Niederschlagung der Feinde diese Perle unter Deinem Namen zum Verkauf anbieten und der Nachwelt ein Denkmal Deines Geistes hinterlassen wirst.

Sei daher wachsam, arbeite weiter an ähnlichen Werken, verrichte die Arbeit eines theologischen Ringkämpfers und lebe wohl im Herrn! Mich aber behalte im Gebet in Erinnerung!

Aus dem Franziskanerkloster zu Ingolstadt. 20. März 1514


1. KASPAR SCHATZGEYER (SCHATZGER) OFM (1463-1527), Kontroverstheologe, seit 1508 in Ingolstadt Lektor und Prediger. Zur Biographie vgl. P. FABISCH-E. ISERLOH, K. Schatzgeyer OFM, Schriften zur Verteidigung der Messe: CCath 34 (Münster 1984, 1ff (Lit.); ISERLOH, Schatzgeyer: KLK 44, 55-63. Sch. war 1512 Mitglied der ersten Delegation für die Universitätsreform in Ingolstadt: SEIFERT, Statuten 87 und Brief 18-11-1512. ECK, Chrysopassus fol o2r lobt Schatzgeyers Fastenpredigten: »Nam ita moraliter Lazarus gerit typum peccatoris, uti iam devotus pater Gaspar Schatzger Minoritanae familiae sacerdos per istam quadragesimam sermonibus suis ad plebem, per quam decenter et fructuose induxit.« Schatzgeyer stellte Eck für das Gutachten zur Kalenderreform ein lateinisches und hebräisches Kalendarium zur Verfügung; vgl. Brief 21-11-1514. Nach zeitweiser Beziehungskrise wegen angeblich lutherfreundlicher Haltung Schatzgeyers (1522) kam es bald wieder zur alten Hochschätzung des Franziskaners durch Eck: KAUSCH, Fakultät 1522; DRUFFEL, Politik 102ff; ISERLOH-PFNÜR-FABISCH (Hg.), ECK, De sacrificio missae: CCath 36 (Münster 1982) Register; ECK, Aggeo Propheta fol N2r.

2. Eck wird noch im Brief 02-09-1519 Schatzgeyer »studij nostri patronus« nennen.

3. Irrtum Ecks (vgl. o. Anm. Brief 13-10-1513). Der Chrysopras ist auch in Europa zu finden: vgl. GREVING, Gelehrter 4 Anm. 1.

4. Der Evangelist Johannes hat nach Offb 4, 7 das Symbol des Adlers; ihm wird hier traditionell die Verfasserschaft der Apokalypse zugeschrieben: vgl. H. THYEN, Johannesevangelium: TRE 17, 200ff.

5. Offb 21, 20.

6. Während Schatzgeyer die Position des Chrysopras (10. Stelle in der Mauer des Neuen Jerusalem) mit dem Dekalog identifiziert, hatte Eck den Chrysopras zuerst auf den 10. Artikel des Glaubensbekenntnisses, die Gemeinschaft der Heiligen (BONAVENTURA) bezogen; vgl. GREVING, Gelehrter 2f; zu Ecks Verständnis der Gemeinschaft der Heiligen PFNÜR, Communio, bes. 151.

7. ECK, Chrysopassus fol A3r: »Primus [articulus] erit brevis terminorum.«

8. ECK, Chrysopassus fol A3r: »Secundus prolixior duarum opinionum principalium contradicentium recitativus, cum declarationibus, evidentalibus et corollarijs ad hanc rem diservientibus, et per istum cuique erit manifesta quaestionis discussio, in quam partem declinare voluerit...«

9. Ecks Fähigkeit, Probleme dialektisch darzustellen (vgl. GREVING, Gelehrter 72) geht in den kurze Zeit später erscheinenden Aristoteleskommentaren soweit, daß Ecks Position kaum mehr zu identifizieren ist: Vgl. SEIFERT, Logik 73.

10. Vgl. z.B. ECK, Chrysopassus fol X2r: »Nullus ergo deterreatur verbis magnificis et grandiloquis domini Cardinalis [Pierre d'Ailly]...non tamen...volumus eruditioni domini Cardinalis quicquam derogasse, cuius doctrinam et scriptiones a dcimo quinto aetatis meae semper in summa veneratione habui...Dicendum est ergo cum apostolo: 'In alijs laudo, in hoc non laudo.'«

11. ECK, Chrysopassus fol A3r: »Tertius articulus gygantea proceritate adauctus, erit dubiorumm resolutus, non solum remotiorum et subtiliorum, sed vulgarium quoque et indoctorum, quorum quisque quanto minus sapit, eo magis de hac altissima praedestinationis materia disputat et opponit.«

12. Eck vertrat eine praedestinatio post praevisa merita, d.h. »Gott bestimmt diejenigen zum Heil, von denen er voraussieht, daß sie mit der Gnade mitwirken und in ihr bis zum Lebensende verharren«: ISERLOH, Eck: KLK 41, 16f. Näheres zu Ecks Auffassung von Prädestination und Reprobation bei GREVING, Gelehrter 105ff.

13. Eck selbst benutzte für die Gegenüberstellung verschiedener Grundpositionen ebenfalls Bilder aus dem nautischen und militärischen Bereich: für den »Chrysopassus« vgl. GREVING, Gelehrter 103 Anm. 5 und ECK, Großer Zinstraktat fol 94r: »Constitueram apud me initio, haec omnia in ordine velle disponere, ac in morem cunej militaris instruere. Verum diversitate materiarum perpensa, et quod indies militum illorum fieret in castris accessio, qui disturbium et ordinationem proculdubio confeciscent; mutato ergo consilio omnes dimisimus, hijs demptis qui sub vexillo quinque de centum militabant, hos solos stipendia mereri passi sumus, quantumcumque valitudinarios, saucios et imbecilles. Verum dum hij quoque discordes forent, ex eis duas acies instruximus, quas modo producemus, breviore nexu quo poterimus et arduitas rei permittit.«

14. iaculo: vgl. Brief 19-03-1517.

15. Eck bewunderte Franz von Assisi wegen seiner humilitas: ECK, Chrysopassus fol 14v und fühlte sich in Ingolstadt (Patron: »Bonaventura noster«) besonders der Theologie der Franziskanerschule (Bonaventura, Scotus) verbunden: vgl. GREVING, Gelehrter 70 und 101.