Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 29

Eck an Nikolaus Ellenbog

Ingolstadt
17-04-1516

Paris BN, cod lat 8643, 1 fol 17v-18r Nr 11
GEIGER, Ellenbog Anhang II 275f; CCath 19/21 (Münster 1938), 145f.

Eck hat den Brief nicht erhalten, den Ellenbog durch Peutinger an ihn gesandt haben will. Zudem ist er mit der Vorbereitung seiner Vorlesungen im Rahmen seines philosophischen Kursus sowie mit der Drucklegung seines Kommentars zu Petrus Hispanus so beschäftigt, daß er die versprochene Schrift über die neu entdeckten Inseln nicht abfassen kann. Den Text seiner drei Reden und den brieflichen Bericht über seine Italienreise hat er neulich bereits versandt; leider hat er nun keine Kopie mehr. Eck dankt Ellenbog, daß er seinen Vater aufgenommen hat und liebevoll behandelt.

 
Ioannes Eckius theologus Nicolao Ellenbog (1) S.D

Quod scribis literas unas a te Peutingero (2) missas, mi Nicolae,aerem verberas (3), frustra enim dedisti, cum ego nullas accoeperim. Quod vero reverendus pater abbas (4) et tu sinceriter expectare vos scribitis meam de incolis novarum insularum sententiam (5), arcturum cum Britanis expectatis, hactenus enim vestrae expectationi satisfacere nequivi ob multiiugas occupaciones, quibus plane non tam praepedior quam obruor, praesertim in novo cursu (6) totius philosophiae excudendo, quem laborem facultatis artium rogatu ego desumpsi, non tamen sine laboris mercedula:
absolvi iamdudum commentarios in Petrum Hispanensem (7), qui iam a calcographo Augustae Vindelicorum (8) excuduntur, speroque eos finem habituros in octavo (9). Cursus erit omnino ad theologiam paratissimus resectis sophismatum quisquilijs (10). Stilus erit paulo elatior, quam hactenus philosophi nostrae aetatis habuerunt (11). Argyropoli tralacionem (12) in textu Aristotelis adapto.

Emisi nuper »tris (13) orationes« (14) cum epistolio itinerarij Italici (15), an videris aut minus, me latet. Nulla est mihi iam harum copia, alioquin transmitterem. Miller (16) Augustae impressit.
Parentem meum (17) quod adeo humaniter tractas (18) (ut ipse de te praedicat), ago tibi gratias immortales, referre quoque paratus, »si occasio praebita fuerit« (19) (ut vetusta utar vocula), etiam atque etiam rogans, ut deinceps aeque humanus in eum sis futurus. 
Vale, mi docte Nicolae, et Reverendo patri abbati me commenda. 
Ex Ingoldstadio XVII. Aprilis anno gratiae D.D.D.XVI.

Der Theologe Johannes Eck sagt Nikolaus Ellenbog seinen Gruß! 

Daß Du schreibst, mein Nikolaus, ein Brief von Dir sei an PEUTINGER gegangen, war ein Schlag in die Luft. Du hast ihn vergeblich dem Boten mitgegeben, da ich keinen Brief empfangen habe. Daß Du aber schreibst, der ehrwürdige Vater Abt und Du erwarteten enstlich meine Auslassungen über die Bewohner der neu entdeckten Inseln, die wie die Briten auf den Stern Arcturus schauen, so konnte ich leider bis jetzt Eurer Erwartung nicht entsprechen wegen der vielfältigen Belastungen, in die ich wahrlich nicht so sehr »verwickelt« bin als von ihnen geradezu »überrollt« werde, besonders durch die Drucklegung des neuen Kurses der ganzen Philosophie; dieser Mühe habe ich mich auf die Bitte der Artistenfakultät hin unterzogen, jedoch nicht ohne ein kleines Entgelt für die Arbeit.
Ich habe gerade die Kommentare zu PETRUS HISPANUS abgeschlossen, die schon beim Drucker in Augsburg in Arbeit sind. Ich hoffe, daß sie am Ende der Drucklegung den achrfachen Ertrag bringen. Nach Streichung der sophistischen Quisquilien wird der Kurs für das Studium der Theologie gut geeignet sein. Der Stil wird ein wenig gehobener sein, als ihn bis jetzt unsere zeitgenössischen Philosophen verwendet haben. Dem Text des ARISTOTELES habe ich die Übersetzung des ARGYROPILUS beigefügt. 

Ich habe neulich drei Reden zusammen mit dem Tagebuch meiner Italienreise ausgehen lassen; ich weiß nicht, ob Du sie zu Gesicht bekommst oder nicht. Ich habe nämlich keine Kopie davon; sonst würde ich sie Dir schicken. Miller in Augsburg hat sie gedruckt. 

Daß Du meinen Vater so gut behandelst (was er selbst von Dir bezeugt), sage ich Dir ewigen Dank und bin bereit, mich zu revanchieren, wenn sich Gelegenheit bietet (um den alten Ausdruck zu verwenden). Ich bitte Dich herzlich, ihn ähnlich menschlich auch in Zukunft zu behandeln. 

Lebe wohl, mein kluger Nikolaus, und empfiehl mich dem hochwürdigsten Vater Abt. 

Aus Ingolstadt, 17. April 1516.

1. Zur Person vgl. Brief 22-10-1515.

2. Zur Person vgl. Brief 19-12-1514. An dieser Stelle erfahren wir zum ersten Mal explizit etwas über die praktische Seite des damaligen Briefverkehrs. Häufig waren es kulturelle oder wirtschaftliche Zentren wie Peutingers Augsburg, Staupitzens Nürnberg (vgl. Brief 17-04-1517) oder der Hof des Augsburger Bischofs in Dillingen (vgl. Brief Eck-Ellenbog 18-06-1539), von wo aus der Weitertransport der Briefe über Bekannte erfolgte. Der direkte Verkehr über kommerzielle Boten (vgl. Brief 26-10-1517) führte oft nicht nur zu Klagen Ecks über Unzuverlässigkeit bei der Zustellung (vgl. Brief Aleander-Eck 17-02-1521), sondern auch über die Unerschwinglichkeit der Kosten für den Transport über weite Entfernungen (vgl. Briefe Eck- Girolamo Ghinucci 18-02-1537; Eck-Aleander 08-10-1537). In unserem Fall war es anders: Briefboten wurden gern bei Rücksendungen in Anspruch genommen, wiewohl die dem Boten mitgegebene Rückantwort dann unter Zeitdruck erfolgen mußte (vgl. Briefe 22-09-1516 und 08-11-1519). Ansonsten fungierten Studenten als Boten (vgl. Brief 10-02-1520 an Cuspinian), Kaufleute (für Ecks Briefe nach Köln Süter oder Waler: Brief 24-07-1519), Verwandte (Ecks Vater: vgl. Brief 11-02-1518; ein Verwandter namens Ludwig: Brief 11-07-1531), subordinierte Personen (so der in Leipzig 1519 für Eck Sekretärsdienste versehende Michael Knab: Brief 26-08-1519), Bekannte (z.B. Paul Feltkirchen mit ausdrüchen weiteren mündlichen Informationen von Scheurl: Brief 05-04-1518) oder bei wichtigen Briefen auch hochstehende Persönlichkeiten als Protektoren (vgl. die Campegios für Brief 01-05-1515). Für den sozial niedriger stehenden Boten gab es vom Empfänger wohl zudem ein Trinkgeld (vgl. Ecks Eintrag von 2 Kreuzernn auf einem Brief der Universität Wien vom 24-05-1525). Indes auch die quasi-private Weitergabe schützte nicht vor Verlust, wie oben deutlich wird (vgl. auch Brief vom 19-09-1534, wo Ellenbog einen Brief wegen des befürchteten Verlustes komplett repetiert) und auch die Verzögerungen bei der Überbringung der Schriftstücke waren teilweise erheblich (vgl. Briefe 13-09-1516 und 11-02-1518, wo ein von Ingolstadt nach Ottobeuren gesandter Brief gut einen Monat benötigt).

3. Vgl. 1 Kor 9, 26.

4. Zu Abt Leonhard Wiedemann vgl. Brief 03-05-1506.

5. Diese Schrift hat Eck nie fertiggestellt: Briefe 22-10-1516 und 11-02-1518.

6. Die Eckschen Kommentarwerke firmierten bie zu ihrer Aussetzung im Lehrbetrieb 1525 unter dem Namen >Cursus Eckianus<: vgl. SEIFERT, Humanismus 142f.

7. Vgl. hierzu Brief 19-02-1516.

8. Augsburg, Miller.

9. Die Drucklegung wurde am 19-05-1516 beendet, am 04-05-1516 war der Preis von der Fakultät auf 20 Kreuzer festgelegt und Erhard Sampach aus Ingolstadt als Buchhändler bestimmt worden: SEIFERT, Logik 10.

10. Vgl. Brief 19-02-1516 mit Verweisen auf weitere Belegstellen zu diesem häufig ausgesprochenen Distanzierung von >scholastischen< Auswüchsen.

11. Den wenig gehobenen Stil rechtfertigt Eck auch in Brief 13-10-1516; vgl. SEIFERT, Logik 123 Anm. 37f.

12. Vgl. Brief 19-02-1516.

13. Archaismus, vielleicht im Anschluß an Trutvetter: SEIFERT, Logik 42.

14. METZLER Nr 6.

15. Brief 04-09-1515. Wie später im Fall des Berichts von seiner Disputation in Wien (Brief 09-1516; vgl. Brief 01-04-1517) hatte Eck wohl einen Teil seiner Werke im weiteren Bekanntenkreis kursieren lassen, um das von Cochlaeus entworfene Bild von Ecks Versagen in Bologna zu korrigieren; an die dortige (in seinen Augen erfolgreiche) Disputation erinnert er noch in Brief 12-07-1539 an Aleander. Das Exemplar Münster UB Coll. Erh. 480 der >Orationes tres< (METZLER Nr 6), die den Brief -09-1516 mit dem Wiener Reisebericht enthalten, hat Eck z.B. auf dem Titelblatt eigenhändig den Sohn des >Fürsten der Buchhändler< (ZORN, Stellung 44) Anton Koberger junior (14987-1532) in Nürnberg zugeeignet: >Antonio Koburgio Norinbergensi dono Eckij.< Mit diesem war Eck in Freundschaft verbunden: HASE, Koburger 35ff.

16. Der Augsburger Drucker hatte auch ECK, Chrysopassus, Eck, Pascha und ECK, Orationes tres gedruckt.

17. Ecks Vater MICHAEL MAIER (gest. 1524) war Ammann in dem zum Kloster Ottobeuren gehörigen Egg. Ein literarisches Denkmal setzte Eck ihm in ECK, Fünft Tail Predig fol 32v: »Mein Vater hat kain Predig versäumpt am Sontag, ich wils auch thun, Ehr hat nider kniet zu dem Ave Maria, ob tisch hatt er all weg gesagt O eviger Gott segne unns...Er ist nie vom tisch aufgestanden [sc. ohne zu beten]. Mein vatter ist über kain kirchhof gangen. Er hab den weichbrunnen geben oder etwas gebät. Er ist fur kain crucifix auff dem feld gangen oder gefarenn. Er hat ihm reverenz than und hatt ain pater noster oder gesagt: Herr JESV... An kainem boten tag, kainem fast tag hat er gessen, er habe dan vor ain almusen geben etc., sollich exempel sollenn die ältern ihren Kindern verlassen, so würdenn si von Gott den lohn und sägen enpfahen.«

18. Vgl. Brief 09-12-1517.

19. Vgl. PLINIUS, Naturalis historia 8, 149; QUINTILIAN, Institutio oratoria 1, 24; AUGUSTINUS, De civitate Dei 3, 15.