Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 33

Christoph Scheurl (1) an Eck

Nürnberg
13-09-1516:


Fischbach Scheurl-Archiv, cod G fol 154v-155r
SODEN-KNAAKE, Briefbuch 1, 162f Nr 108

Eck soll nicht mit solcher Ungeduld auf Antwortbriefe des gemeinsamen Freundes Jodocus Trutfetter aus Erfurt warten; er ist ein hochgelehrter und vielbeschäftigter Mann. Wenn er Ecks Freundschaft nicht würdig wäre, hätte Scheurl ihn nicht empfohlen. Scheurl hat gleich auf das erste Drängen Ecks hin an Trutfetter geschrieben: wenn dieser nicht gleich antwortet, hat er vielleicht an Ecks Brief Anstoß genommen oder sich über dessen jugendlices Drängen gewundert. Das wäre doch ein ausreichender Grund. Auch hat Scheurl Eck bis vor kurzem noch in Wien vermutet. So schickt er ihm erst jetzt den erbetenen Brief und verspricht, den Freunden in Erfurt und Wittenberg die Wiener Disputationsthesen zu senden und über alle Unstimmigkeiten zwischen ihnen (in der Zinsfrage) aus freundschaft hinwegzusehen.

Ad doctorem Johannem Ecken.

Obsequia parata: Potes tu quidem, doctissime vir, desiderare litteras (2) Eysenacensis (3), at humanitatis desiderare non potes in homine qui eruditione equari consuevit, officio et bonitate quadam ingenuina superari nescit. Putas ne agnitum mihi ingenium, mores, vitam? Nisi Eckiana amicitia dignissimum iudicassem scivissemque (4), nunquam tantopere tibi commendassem Trutfetterum (5) meum, jmo tuum, imo communem amicum nostrum (6) quem non secus at me ipsum charum habeo, quamquam ut par est longe pluris faciam qui meae nunquam defuit voluntati. Quare ergo non referet in rationarium amicorum Eckium illum in quem summus rerum conditur tamen congessit eruditionis et quae hinc antecellit probitatis, ut inde plures celebres reddi potuissent?

Sed dices tu: »Admodum tardiuscule (7) michi respondet tuus Jodocus et qui tarde dat minus dat et qui cito solvit bis solvit«? (8) Ego vero a prandio rediens ad unicam tuam commendationem sine intermissione litteris hominem lacessivi, non video parem facilitatem, quam in ceteris quoque peculiarem michi nosti. Recte quidem: numquid hoc quoque verum, quod bene fit non fieri tarde? Forte obstupuit litterarum tuarum Eysenach, forte admirationem auxit etas tenera, qui iunior nostro speculatore tanta facis, quem tamen in celum ferimus quod nondum 344 annos natus speculum conscripsit (9).
Haec quidem iusta foret excusatio, si qua opuss esset. Sed certe littere Eysenacenses multis diebus apud me habitarunt, quos ideo non curavi reddendas quod sciebam Viennam te abiisse disputationis gratia (10); nunc autem quia scribis (11) redijsse (12) te incolumem et laudabiliter disputasse (13), epistolam desideratam mitto, disputationem vero ut iussisti, amicis nostratibus et preterea Erpfurdensibus (14) et Wittenburgensibus (15) communico, quippe eo me redegit humanitas tua, ut nedum nichil tibi adversum moliar (16) verum etiam profitear pollicearque me laudum tuarum et praeconem et buccinatorem fidelem.

Vale igitur, praestantissime vir, et me ama, id quod mutuo facies.

Ex Nurmbergo Idibus Septembris anno a reconciliata divinitate decimo sexto supra sesquimillesimum.

Tuus Christofferus Scheurll, Iuris Utriusque Doctor, patrie advocatus.


An Doktor Johannes Eck.

Meine Ergebenheit zuvor! Mein kluger Freund, Du kannst gewiß auf Briefe von JODOKUS TRUTVETTER warten, aber nicht auf Menschlichkeit bei einem Menschen hoffen, der es gewohnt ist, im Hinblick auf seine Gelehrsamkeit auf gleiche Stufe gestellt zu werden, es aber nicht gelernt hat, durch Pflichtgefühl und offenherzige Güte zu glänzen. Denkst Du, ich lasse Geist, Sitten und Lebenswandel nicht gelten? Wenn ich ihn nicht der Freundschaft mit Eck für äußerst würdig gehalten und ich diese nicht selbst gekannt hätte, hätte ich Dir meinen Trutvetter niemals so sehr empfohlen, ja als Deinen, unseren gemeinsamen Freund, der mir nicht weniger teuer ist als ich selbst, obgleich ich, was dem gleich kommt, weitaus mehr tun müßte, da er niemals meine Wünsche unerfüllt gelassen hat. Warum sollte er nicht jenen Eck wieder in die Liste seiner Freunde aufnehmen, hat doch der Schöpfer aller Dinge in Eck soviel an Gelehrsamkeit und Rechtschaffenheit zusammengetragen, daß man daraus mehrere berühmte Männer hätte schaffen können?

Du wirst aber sagen: »Allzu zögerlich antwortet mir Dein Jodokus, und: wer zögernd gibt, gibt wenig, und: wer schnell gibt, gibt doppelt
Ich aber habe nach meiner Rückkehr vom Frühstück Trutvetter ununterbrochen mit Briefen bestürmt, nur um Dich ihm zu empfehlen. Ich erkenne aber kein Entgegenkommen seinerseits, wie es mir, wie Du weißt, andern gegenüber leicht fällt. Trotzdem ist auch das Folgende zutreffend: ist nicht auch das wahr, daß das, was sich zum Guten entwickelt, sehr langsam geschieht? Vielleicht war Trutvetter über Deine Briefe erstaunt, vielleicht hat Dein zartes Alter seine Verwunderung noch vermehrt, vollbringst Du doch in einem jüngeren Alter als einst unser "Späher" solche Dinge, und trotzdem preisen wir ihn hoch, weil er mit noch nicht vierunddreißig Jahren sein »Speculum« verfaßt hat?

Das mag eine gerechte Entschuldigung sein, wenn eine erforderlich wäre. Aber gewiß haben die Briefe Trutvetters viele Tage bei mir gelegen. Ich habe für ihre Weiterleitung nicht gesorgt, weil ich wußte, daß Du wegen der Disputation nach Wien abgereist warst. Da Du nun aber, wie Du schreibst, unversehrt nach erfolgreicher Disputation zurückgekehrt bist, sende ich Dir die erbetenen Briefe. Außerdem gebe ich Deinem Wunsch entsprechend den Bericht über die Disputation an die Erfurter und Wittenberger weiter, denn Deine Menschlichkeit hat mich so sehr verwandelt, daß ich nichts gegen Deinen Willen tun kann, sondern bekennen und geloben muß, hinfort ein treuer Herold und Verkünder Deines Lobes zu sein.

Leb wohl, vortrefflicher Freund, und sei mir geneigt, was Du auf Gegenseitigkeit hin tun wirst.

Aus Nürnberg, am 13. September 1516.

Dein Christoph Scheurl, Doktor beider Rechte, städtischer Rechtssachverständiger.


1. CHRISTOPH SCHEURL (11-11-1481 Nürnberg - 14-06-1542 ebd.), Nürnberger Jurist und Humanist, studierte 1497 in Heidelberg und 1498 in Bologna (1506 Dr iur utr); 1507-12 Prof. der Rechte in Wittenberg und Rektor der Universität. 1512 Rechtskonsulent in Nürnberg; zahlreiche diplomatische Missionen im Auftrag des Nürnberger Rates. Reformationsgeschichtliche Bedeutung erlangte er durch die Vermittlung einer humanistischen amicitia zwischen Eck und Luther (Brief 01-04-1517) sowie die Versendung von Thesen Luthers (Briefe 05-11-1517; 11-02-1518 Anm.). Zur Person s. R. DECOT: LThK 9 (3.A.), 133. Eck und Scheurl hatten zwar zeitgleich in Heidelberg studiert, begegneten sich jedoch erst 1516: GRAF, Scheurl 119 Anm. 41. Vgl. M. WRIEDT: BBKL 9, 178-185 (Lit.)

 2. Der Brief Ecks, auf den Scheurl hier Bezug nimmt, ist nicht überliefert, da Scheurl nur die eigenen Briefe in sein Briefbuch aufgenommen und nur wenige Briefe an ihn selbst aufbewahrt hat (z.B. Brief Eck an Scheurl 05-12-1537).

3. JODOCUS TRUTFETTER (gest. 1519) aus Eisenach: daher oft »Eisenacher Doktor« oder »Eisenacher«, später auch »Doctor Erfordensis« genannt (PLITT, Trutfetter 3 u. 6); spätmittelalterlicher Logiker und Universitätslehrer, war in Erfurt und Wittenberg kurzfristig Luthers Lehrer: PLITT, Trutfetter 55f. Ab 1516 entfremdeten sich indes Luther und Trutfetter, der wie Eck der Selbsterneuerungsbewegung der Spätscholastik zuzuordnen ist: PLITT 56. Zu seinem Tod schreibt ECK, De sensu fol 59v: »...D. Isenachio, viro incomparabili, qui superiori anno gratiae M.D.XIX. Die 9. Maij e vivis excessit, quia ex sicco generatur.«

4. Scheurl selbst hatte Eck erst im Rahmen einer Geschäftsreise persönlich kennengelernt, die ihn im Februar und März 1516 zur Universität Ingolstadt führte, wo er die Logik- und Physikkommentare Jodocus Trutfetters vermitteln sollte: SEIFERT, Logik 18. In dem kurz darauf am 13-03-1516 verfaßten Brief an Trutfetter zeigt Scheurl sich von der Persönlichkeit Ecks, dem er in der Zinsfrage ablehnend gegenübergestanden hatte, eingenommen: »Eckius homo est hilaris, iucundus, familiaris, acris, pransus est mecum et me plurimum humaniter complexus. Non poenitebit te eius amicitiae«: SCHEURL, Briefbuch 1, 153.

5. Zur Person vgl. auch E. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis 2 (1969), 143ff u. 292ff.

6. Das Handexemplar Ecks des von ihm seit seiner Erstlingsschrift »Bursa pavonis« (Straßburg 1506 = METZLER Nr 1) häufig zitierten Hauptwerks Trutfetters: JODOCUS TRUTFETTER, Summule totius logice. Erfurt 1501 befindet sich in München UB 4 Philos. 249 mit Ecks autographischem Vermerk: »Emptus est codex operis cum exercitiis pro 1 fl XXXXVJ cr. 1514.«: vgl. CCath 13, XLVIII; SEIFERT, Logik 108 Anm. 8 ist hinsichtlich der Textbasis Ecks zu korrigieren. SEIFERT, Logik 17 charakterisiert Ecks Verhältnis zu Trutfetter: »Für Johann Eck war der doctor Isennachensis der wohl meist zitierte Autor und darüber hinaus die große Autorität, an der er sich maß und kritisch übte...Daß er daneben kaum eine Gelegenheit ausließ, ihm Fehler oder Ungeschicklichkeiten nachzuweisen, versteht sich bei Ecks Charakter von selbst.« In seinen Aristoteleskommentaren nennt Eck Trutfetter verschiedenlich »amicus noster«: ECK, Physica fol 32v. 42v. 45v. 60r; ders., Meteorum fol 109r; ders., De anima fol 20r. 23r.

7. Scheurl hatte Trutfetter am 13-03-1516 die Bitte Ecks um Freundschaft angetragen. Die Zurückhaltung Trutfetters mag auch darin begründet sein, daß in der Zinsfrage Scheurl im Jahre 1514 Eck negativ beurteilt hatte: vgl. Scheurl an Trutfetter 15-11-1514: »Iste Eckius, iuvenis et intimidus theologus et iuris indagator, nullo bono zelo, sed a mercatoribus Augustanis corruptus pollicitationibus et pecunia.«: SCHEURL, Briefbuch 1, 136f. Zu Trutfetters Reaktion vgl. BAUCH, Briefbuch 447.

8. Vgl. BEBEL, Proverbia Germanica: »Qui cito dat, bis dat«; SENECA, De beneficiis 5,3: »...quid tarde et diem de die extrahens profuit, non nex animo fecit.«

9. Die Datierung ist unklar: PLITT, Trutfetter 4 Anm.1.

10. Zu Ecks Wiendisputation vgl. die Briefe 04-08-1516; (nach) 04-08-1516; -09-1516.

11. Der Brief ist nicht überliefert.

12. Eck war am 28-08-1516 aus Wien in Ingolstadt eingetroffen.

13. Am 25-09-1515 urteilte Scheurl noch anders: »Doctor Eck conclusiones suas disputavit Bononiae, ferunt tamen parum reportasse gloriae, ne dicam ridiculo habitum«: SCHEURL, Briefbuch 1, 144.

14. Gemeint ist neben Trutfetter Bartholomäus Arnoldi von Usingen, mit dem Eck später in wissenschaftlichem Briefkontakt stand: vgl. SEIFERT, Logik 17f und Brief 17-04-1517 Anm.

15. Zu Scheurls Beziehungen nach Wittenberg vgl. Brief 14-01-1517.

16. In der Zinsfrage. Der Eichstätter Bischof Gabriel von Eyb hatte Scheurl, der wie andere Nürnberger gegen die Veränderung der Zinsgesetzgebung und -praxis votierte, nach dem Verbot der Zinsdisputation Ecks an der Universität Ingolstadt als Hauptgutachter in dieser Frage konsultiert: vgl. Brief 10-10-1514 und OBERMAN, Werden 178f.