Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 38

Eck an Joachim Vadian, Victor Gamp und Georg Tannstetter

Ingolstadt
09-11-1516

München BSB 4 Ph. U. 49 (mit zwei Seiten hs. Text von Ecks Hand, die im Druck nicht berücksichtigt wurden: »Haec sunt obmissa...«. Nach WIEDEMANN, Eck 483 soll sich in München BSB Cml 7242, 78-116 ein hs. Exemplar der Schrift befinden); Berlin SB, Dc 375: METZLER Nr 12 fol av-a2r
BONORAND, Dedikationsepisteln 104f
ECK, Oratio adversus priscam et ethnicam Philosophiam Friburgii habita. Anno gratiae 1509. (Wien 1517)= METZLER Nr 12
Vgl. NÄF, Vadian St. Gallen 1, 204f

Nicht immer haben die Philosophen Beweisbares gesagt oder getan. Diesen Mangel hat Eck bereits 1509 in einer Rede in Freiburg aufgelistet, was ja auch in früheren Zeiten Augustinus, Laktanz, Clemens, Iustin und Eusebius getan haben. Als "Philosophengeißel" möchte Eck indes nicht gesehen werden, und so schließt er eine Apologie zum Lob der Philosophen an, indem er sie mit Cicero als Lehrmeister des Lebens bezeichnet und mit Paulus hierin lobt, in ihren Irrtümern jedoch tadelt. Die heidnischen Philosophen haben die Wahrheit gesucht, die dann die christliche Theologie gefunden und in ihrem Besitz hat. Da die drei Wiener Gelehrten ihm während der Disputation mit Freundlichkeit und Wohlwollen trotz der üblen Nachrede so mancher Neider entgegengekommen sind, widmeter ihnen diese kleine Schrift. Er empfiehlt sich Cuspinian.


Ornatissimis viris Ioachimo Vadiano (1) Helvetio studii Viennensis Gymnasiarchae, Victori Gamp (2) Iureconsulto, Georgio Tannstetter Collimitio (3) medico et mathematico, amicis suis Ioannes Eckius Theologus S.D.

Vetus fertur proverbium, Rector magnifice et humanissimi viri, »Philosophi non semper philosophi« (4). Quod viri alioqui boni non probanda interdum vel dixerint vel fecerint, sicut »et bonus aliquando dormitasse« dicitur Homerus (5).

Cum autem de his Philosophorum mendis in magna doctorum hominum corona Friburgi Brisachgogiae annis ab hinc septem(6) extemporariam (7) habuissem orationem, etiam longiusculam, sedentaria dein opera protinus inn nitidiorem ordinem expolivi, et quae multa lectione philosophorum errata hauseram in unum compressi (8), uti et superiori aetate magni aedepol viri cum laude fecerunt, quod omnes eruditi noverunt, quam graphice ab Aurelio Augustino (9), Lactantio Firmiano(10), Clemente (11), Iustino (12), Eusebio (13), Francisco Pico (14) et aliis Christianae religionis doctoribus philosophi taxati sunt.

Verebar tamen anxius ne, si haec nostra meditata exciderent, me Philosophomastygen (15) quispiam iudicaret. »Palinodiam« idcirco addidi, philosophorum Apologiam ac defensionem complectentem. Philosophos enim magnos et praecellentes fuisse viros praedico (16), et »vitae« (ut Cicero ait) »magistros« (17), at quod divus Paulus ait: »In his laudo, in aliis ubi errarunt non laudo« (18), unde veritatem tanto studio ab ethnicis quaesitam, a Theologia christiana inventam et possessam arbitror. Hactenus autem apud me inter pulveres cum blattis et foricibus rixantes delituerunt. Verum cum superiori aestate Viennam et disputandi (19) et visendi (20) gratia accessissem, tanta fuit vestra in me humanitas, tanta benevolentia, tantaque animi alacritas (invidis licet frementibus (21)) et familiaritas, ut pro tantis vestris in me beneficiis obligatissimum me vestris praestantiis non ignorem, et cum parem gratiam referre nequirem, in mentem venit Chartaceum hoc munusculum (22), opellam studiorum nostrorum vobis transmittere, quod viderem vos litteratissimos, literarum commertio adprime delectari.

Haec ergo minutula, Rector magnifice et celeberrimi viri, nuncupatim vobis dedicata, benevolenti animo accipite, et Eckium vestrum vicissim amate.

Valete et salvete in Domino et me Cuspiniano (23) senatus Viennensis praefecto commendate.

Ex Ingoldstadio IX. Novembris Anno gratiae G.D.XVI


Den sehr verehrten Herren Joachim Vadian aus der Schweiz, Professor an der Universität Wien, Viktor Gamp, Rechtsberater, Georg Tannstetter, Arzt und Mathematiker, seinen Freunden, entbietet Johennes Eck, Theologe, seinen Gruß!

Eure Magnifizenz, Herr Rektor, edle Herren: ein altes Sprichwort sagt, daß »nicht alle Philosophen Philosophen sind«. Was haben doch allerlei gute Leute bisweilen an Unbeweisbarem geäußert oder getan, so daß es heißt, auch HOMER habe manchmal geschlafen!

Als ich aber über diese Schwächen der Philosophen vor einem großen Kreis von Gelehrten vor nunmehr sieben Jahren in Freiburg im Breisgau eine »außerplanmäßige« Rede hielt, die ziemlich lang geraten war und ich sie daher später am Schreibtisch in eine schönere Form gegossen habe und das, was ich in langer Lektüre an Irrtümern der Philosophen zusammengetragen hatte, in kurze Form zusammengefaßt habe, wie es auch früher schon - beim Pollux! - große Männer lobenswerterweise getan haben. Denn alle Gebildeten wissen, mit welcher Genauigkeit von AURELIUS AUGUSTINUS, LAKTANZ FIRMIANUS, CLEMENS VON ALEXANDRIEN, JUSTIN, EUSEBIUS, PICO DELLA MIRANDOLA und anderen christlichen Gelehrten die Philosophen aufgezählt und einer Beurteilung unterworfen worden sind.

Ich befürchte etwas, daß ich, wenn diese meine Überlegungen herausgekommen sind, man mich als »Philosophengeißel« beurteilen könnte. Deshalb habe ich einen Widerruf beigefügt mit einer Apologie und Verteidigung der Philosophen. Ich erkläre dort, daß die Philosophen einst große und ausgezeichnete Männer gewesen sind, wie CICERO sagt, »Lehrer des Lebens«; aber, wie der heilige PAULUS sagt: »In manchen Dingen lobe ich sie, in anderen, wo sie geirrt haben, lobe ich sie nicht«. Denn die Wahrheit, nach der die Heiden so eifrig gesucht haben, fand und besitzt, so glaube ich, die christliche Theologie. Meines Erachtens aber halten sich im Staub der Disputationsarenen »Philosophen« verborgen, die mit Schaben und Ungeziefer kämpfen. Als ich jedoch im vergangenen Sommer nach Wien gekommen war, um zu disputieren und mich umzuschauen, war Eure Freundlichkeit, Euer Wohlwollen, Eure Sympathie mir gegenüber so groß (trotz des Murrens meiner Neider), ja auch Euer vertrauter Umgang mit mir, daß ich nicht leugne, aufgrund dieser so großen Wohltaten Euch gegenüber in der Pflicht zu stehen. Da ich nun nicht Gleiches mit Gleichem vergelten kann, kam mir in den Sinn, dieses Schriftchen, das Ergebnis meiner Studien, Euch als kleine Gabe zu überreichen, weil ich erkannte, daß Ihr als äußerst gebildete Männer durch wissenschaftlichen Austausch sehr erfreut werden würdet.

Empfangt nun, Eure Magnifizenz, Herr Rektor, und Hochgeborene, mit Wohlwollen diese Kleinigkeit, die Euch namentlich gewidmet ist, und behaltet Euren Eck Eurerseits lieb!

Lebt wohl im Herrn und empfehlt mich CUSPINIAN, dem Präfekten des Wiener Senats!

Aus Ingolstadt, am 9. November im Jahr der Gnade 1516.



1. Zur Person s. Brief 22-09-1516.

2. VIKTOR GAMP (gest. 1535), Jurist, erstmals im Sommersemester 1516 Rektor der Wiener Universität, gehörte der Sodalitas Collimitiana an: vgl. BONORAND, Dedikationsepisteln 295-298. Er wohnte als rector magnificus der Wiener Disputation Ecks bei: u. Brief -09-1516 bzw. CCath 6, 16 u. 22: »supra quam aetas ferat doctus et prudens et in me officiosissimus votis meis semper placide annuebat.« Gamps positives Zeugnis für Eck: CCath 6, 43. Vgl. Brief 03-04-1517.

3. Zur Person vgl. Briefe 22-09-1517 u. 03-04-1517. Bei Ecks Leidenschaft für Mathematik lag es nahe, mit ihm in Wien Bekanntschaft zu schließen: vgl. u. Brief -09-1516 bzw. CCath 6, 22: »Georgius item Tanstetter Collimitius, mathematicorum nostrae tempestatis primipilus ac utriusque medicinae doctor celeberrimus«. Vgl. ECK, Dialectica II fol 169r: ...nostra tempestate Georgius Tanstetter ex Rhain, Ioannes Hassurt et Ioannes Stoffler, Bebelij nostri vicinus insignes ac peritiores habentur [mathematici]< u. ECK, De coelo fol 30.

4. Sprichw. Redensart.

5. Vgl. HORATIUS, Ars poetica 359. Vgl. ECK, Summula fol 108r: »...Vuilhelmus Ocham (hic semel bonus dormitavit Homerus)...«: SEIFERT, Logik 137.

6. Die Rede hielt Eck am 03-11-1509: ECK, Adversus Philosophiam fol d3v.

7. Außerplanmäßig deshalb, weil die Rede nicht eine Verleihung eines akademischen Grades oder einen Universitätsfeiertag zum Anlaß hatte: vgl. MÜLLER, Promotion 13 u. MAYER, Freiburg 16.

8. Gemeint ist die erste der beiden Reden »Oratio amariuscula Ioannis Eckij in Philosophos Friburgi habita M.D.VIIII«: ECK, Adversus Philosophiam fol a2r-c4v. Vgl. auch ECK, Physica fol 110r: »...varias fuisse philosophorum in tenebris caecae gentilitatis ambulantium super intelligentijs opiniones ut locuplete in prima parte orationis nostrae contra philosophos enarravimus.«

9. Vgl. ECK, Adversus Philosophiam fol a3r, br u. b4v. Wie stets führt Augustinus die Liste der Autoritäten an: vgl. Brief 02-02-1518.

10. LACTANTIUS FIRMIANUS (ge. um 250), heidnischer Rhetor, galt nach seiner Konversion zum Christentum als »christlicher Cicero«: vgl. ECK, Adversus Philosophiam fol a3v u. c2r.

11. CLEMENS ALEXANDRINUS (vgl. F.W.Bautz, in: BBKL Bd I (1990) Sp.1063-1066 ; Michael Hausin, in: BBKL Bd XXV (2006); Textauszüge: Clemens, Protreptikos  Paidagogos und Stromateis); vgl. ECK, Adversus Philosophiam fol a3r.

12. IUSTINUS (2. Jhdt), christl. Philosoph u. Märtyrer: vgl. ECK, Adversus Philosophiam fol a2v u. a3v.

13. EUSEBIUS VON CAESAREA (gest. 339), Verfasser der »Historia ecclesiastica« u.»Chronica«. Ecks Handexemplar der »Historia ecclesiastica« von 1483 befindet sich in München UB mit dem Eintrag: »Dono datus Eckio a domino Nicolao Fabri, praedicatore in Mosburg 1515. Legerat autem antea Eckius Friburgi ex integro in tribus diebus exemplari sibi a Vdalrico Zasio communicato 1509«: SCHLECHT, Anfänge 8 Anm. 5. Vgl. ECK, Adversus Philosophiam fol a2r u. c3r.

14. Vgl. zu PICO DELLA MIRANDOLA und Ecks Besuch bei ihm im Zusammenhang seiner Reise zur Disputation in Bologna Brief 04-09-1515. ECK, Adversus Philosophiam fol a3r u. b2r.

15. "Philosophengeißel". Ähnliche Wortbildungen bei ECK, Areopagita fol c2r u. ECK, De coelo fol 101r, wo Lorenzo Valla als »Aristotimastix« betitelt wird. Vgl. auch BONORAND, Dedikationsepisteln 105 Anm. g.

16. Die zweite Rede »Ioannis Eckij palinodia in laudem philosophiam«: ECK, Adversus Philosophiam fol [c4r]-d3v.

17. Vgl. CICERO, Tusc 5, 2.5.

18. 1 Kor 11, 22. Vgl. ECK, Chrysopassus fol X2r.

19. Vgl. Briefe 04-08-1516 u. -09-1516.

20. In Brief -09-1516 (Itinerar und Diarium der Wienreise) tritt Ecks für Besichtigungen an vielen Stellen zutage. Vgl. bereits Brief 04-09-1515 (ITinerar und Diarium der Bolognareise): »Varijs enim ducuntur rationibus, qui multas adeunt regiones, ac multorum hominum mores vident, me vero et studiorum et studiosorum amor impulit.«

21. Vgl. Brief 09-1516 über Personen, die Eck nach seiner Ansicht mit übler Nachrede verfolgten: »Verum,, ut est hominum in mundo viventium mos corruptissimus detrahendique studium apud omnes prorsus ut virus pestilentissimum irrepsit, non defuere, qui Eckium morderent, ei detraherent ac factum ipsum nimis temerarium esse affirmarent multaque commentarentur conficta, solius gloriolae studio moti et exacerbati, nullam gloriam Eckium Viennae consecutum vano rumore diffunderent, et quanto quisque indoctior ac magis in unum vel alium nimis haerenter affectus, tanto peiores et biliosas effundit invidiae aspergines.« Allgemein zu Ecks "Neidern" vgl. Brief 05-11-1517.

22. Vgl. Brief 22-09-1516 mit Verweisen.

23. JOHANNES CUSPINIAN (Spieshaimer; 1473 Schweinfurt - 19-04-1529 Wien), Dichter, Humanist und kaiserlicher Diplomat: vgl. zu seiner Person ANKWICZ, Cuspinian u. R. BÄUMER: LThK 2 (3.A.) 1362. Eck hatte nach seiner Ankunft in Wien mit C. über seine Disputationsabsicht gesprochen (Brief 04-08-1516) und war von ihm sehr zuvorkommend aufgenommen worden. Ecks Brief an C. vom 13-10-1518 enthält positive Reaktionen Ecks auf Luthers Kritik an der damaligen Ablaßpraxis (s.u.); Ecks Brief vom 10-02-1520 berichtet von der Überreichung der nicht überlieferten handschriftlichen Fassung von ECK, De primatu Petri an Papst Leo X. (s.u.).