Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 50

Eck an Nikolaus Ellenbog

Ingolstadt
09-12-1517

Paris BN, cod lat 8643, 1 fol 42v-43r Nr 42
GEIGER, Ellenbog Anhang II 176f; CCath 19/21 (Münster 1938), 155f Nr 42

Eck hätte seine Leichenrede auf den verstorbenen Augsburger Bischof Heinrich von Lichtenau gesandt, wenn Ellenbog sie nicht bereits besäße. So sendet er ihm stattdessen einen Disputationszettel mit theologischen Thesen Ecks. Der Augsburger Büchermarkt bietet einiges, das er Ellenbog gern geschickt hätte, wäre er nicht so beschäftigt. Falls er aber Ecks Hispanuskommentar und den zweiten Teil seiner »Dialektik« erwerben wolle, soll er es ihn wissen lassen. Am Festtag des hl. Thomas Becket (29-12-1517) will er bei seinem Vater in Egg an der Günz weilen oder dieser zu ihm in die Prämonstratenserreichsabtei Ursberg kommen. Ellenbog soll ihm seine Wünsche anvertrauen und sich trotz seiner neuen Verehelichung um ihn kümmern. Eck hat etwas über Abmachungen seines Vaters mit dem Bruder des Abtes, Simpert Wiedemann, gehört: sollte dabei etwas zu Ungunsten seines Vaters beschlossen werden, wird er dagegen einschreiten.



Ioannes Eckius theologus fratri Nicolao Ellenbog S.D.

Salvus sis, mi Nicolae.

Orationem funebrem Augustae habitam (1), nisi excussam prius habuisses, in praesentia mitterem. Ne nihil tamen in amoris iudicium tibi mittam, accipe et haustum aquae ut Artaxerxes Persa (2) bono animo, hoc est schedam disputationis theologicae (3).

»Polianthea« (4), Calepinus (5), Celius (6) habentur in bono foro Augustae (7). Itaque misissem tibi, ne vererer me praeoccupatum.

At si nostras »Sumulas« interpretationum Petri Hispani (8) ac »novae logicae« (9) editionem desyderas, fac, ut sciam (10).

Nam vel ego Thomae Cantuariensis festo (11) Ecki (12) ero apud parentem (13) aut ille apud me Urspergi (14) erit. Quare si quid desyderas, illi tuto committere possis.

Parentem tibi unicum commendo (15), qui etsi propensior sit in novum uxorculum (16), non fastidio, verum moderate fiat. Audivi his diebus nescio quam conventionem (17) futuram inter fratrem (18) domini mei abbatis Leonhardi (19) et patrem. Creditote, Eckius non pacietur, si ita est (quod non credo). Dehortamini dominum abbatem ex causis suo loco exponendis (20). Nihil enim formido homines Deo dicatos et perfectionis gradum anhelantes, immo profitentes. Quod hi quicquam contra comunia iuris placita statuant in sanguinis favorem, verum si id fecerint, fateor me coactum sequi. Sed »mus etiam pusillus adorientes mordet«, ait Bias (21).

Tuus sum, mi Nicolae, et si alicubi mea opera prodesse possum, sum paratissimus.

Ex Ingistadio
9. Decembris anno 1517 (22)

Johannes Eck, Theologe, entbietet Bruder Nikolaus Ellenbog seinen Gruß!

Sei gegrüßt, mein Nikolaus!

Ich würde Dir jetzt meine in Augsburg gehaltene Leichenrede senden, hättest Du sie nicht längst als Druck erhalten. Um Dir aber doch ein Zeugnis für meine Zuneigung zu senden, nimm wohlwollend, wie der Perser ARTAXERXES sagt, »einen Schluck Wassers entgegen«, das heißt, einen theologischen Disputationszettel.

POLYANTHEA, CALEPINUS, COELIUS sind auf dem guten Büchermarkt in Augsburg zu haben. Ich hätte sie Dir daher zugeschickt, um nicht in den Geruch zu kommen, sie vor Dir besitzen zu wollen.

Aber, solltest Du meine »Summulae« der Interpretation des PETRUS HISPANUS und die Ausgabe der »Logica nova« wünschen, laß es mich wissen.

Ich werde entweder am Festtag des heiligen THOMAS BECKET in Egg bei meinem Vater sein, oder er wird bei mir in Ursberg weilen. Solltest Du daher etwas wünschen, könntest Du es ihm sicher anvertrauen.

Meinen guten Vater hingegen vertraue ich Dir an; wenn er auch sich besonders zu seiner neuen Gattin hingezogen fühlt, möge das nicht im Übermaß, sondern in aller Zurückhaltung geschehen. Ich habe dieser Tage gehört, daß eine Vereinbarung zwischen SIMPERT, dem Bruder des Abtes LEONHARD, und meinem Vater getroffen werden soll. Glaube mir, ich werde das nicht dulden, wenn es so ist (was ich nicht glaube). Rate dem Abt aufgrund der hier darzulegenden Gründe ab. Menschen, die Gott geweiht sind und nach dem Stand der Vollkommenheit streben, sollen keine Menschenfurcht kennen, sondern offen sprechen. Was diese etwa gegen das gemeine Recht festsetzen mögen zum Wohl ihrer Verwandtschaft: sollten sie das tun, so werde ich - ich sage es ausdrücklich - mich zwar der Nötigung unterwerfen, jedoch, wie BIAS sagt: »auch eine kleine Maus beißt ihre Angreifer«.

Ich bin der Deine, mein Nikolaus, und wenn ich irgendwie durch meine Bemerkungen nützen kann, so bin ich ganz bereit dazu.

Aus Ingolstadt,
9. Dezember 1517.




1. Die in Augsburg gehaltene Leichenrede auf Bischof Heinrich von Lichtenau: ECK, Oratio funebris Henrici: vgl. Brief 26-10-1517. Ellenbog mußte die Schrift bereits in Händen haben, da der Herausgeber Michael Knab sie dem Ottobeurener Abt Leonhard Wiedemann mit Widmung vom 23-09-1517 zugeschrieben hatte: ECK, Oratio funebris fol av.

2. Vgl. PLUTARCH, Vit. par. Artax. 12. - ARTAXERXES I.(451/443 -363/357 v. Chr.): vgl. J. DUCHESNE-GUILLEMIN: KL. PAULY 1, 615f.

3. Inhalt und Hintergrund nicht bekannt; vgl. die Hinweise bei Brief 14-01-1517.

4. DOMINICUS NANNI, Polyanthea. Savona 1503 u.ö.: ELLENBOG, Briefwechsel 156 Anm. 2.

5. AMBROSIUS CALEPINUS (1436-1511), verfaßte ein häufig aufgelegtes (1502 u.ö.) Wörterbuch: ELLENBOG, Briefwechsel 156 Anm.4.

6. LUDOVICUS COELIUS RHODOGINUS (gest. 1520), Lectionum antiquarum libri XXX: ELLENBOG, Briefwechsel 156 Anm.5. Konkreter Hinweis in Brief 19-02-1516.

7. Ecks gute Beziehungen zum Augsburger Büchermarkt resultieren nicht nur aus der Tatsache, daß er in seiner Heimatdiözese zahlreiche Bekannte hatte (Peutinger, Küngsberger, Fugger, Kloster St. Ulrich und Afra: vgl. ECK, Areopagita fol (F6v); ECK, Physica fol 91r), sondern auch daraus, daß er häufig zur Drucklegung seiner Werke in Augsburg weilte. Besondere Beziehungen unterhielt Eck zu den Druckern Miller, Grimm und Wirsung.

8. Zu Ecks Kommentar zu Petrus Hispanus vgl. Briefe 19-02-1516 und 11-02-1518 mit der Bitte um Zusendung des Werkes.

9. »Logica nova« ist Ecks Bezeichnung für ECK, Dialectica II (fol 1r: »Secunda pars Logice, que nova vulgo dicitur a Boetio indicativa appellata«) wie auch in den Universitätsakten (SEIFERT, Universität 87) und philosophisch-terminologisch korrekt für die aristotelische Analytik, die Topik und die Elenchi: vgl. HEATH, Logic 42 und SEIFERT, Logik 99 Anm.3. ECK, Dialectica II war ab August mit ersten 568 Exemplaren in den Verkauf gegangen, nach der Weigerung der Herausgabe weiterer Exemplare durch den Drucker Miller aufgrund finanzieller Rückstände der Universität erfolgte erst Mitte Oktober 1517 eine nächste Lieferung an die Universität: op. cit. 12. Irrtümlich beziehen GEIGER, Ellenbog 176 Anm.2 und ELLENBOG, Briefwechsel 156 Anm.1 die »Nova Logica« auf den »Elementarius« Ecks: dieser wird jedoch » Logica minor« genannt: SEIFERT, Universität 87.

10. Ellenbog hatte im Kloster Ottobeuren, bedingt durch sein wissenschaftliches Interesse seit dem Amtsantritt des Abtes Leonhard Wiedemann 1508,  auf den Ausbau der Klosterbibliothek gehofft und kam, ohne ausdrückliche Ernennung, in die Stellung eines Stiftsbibliothekars von Ottobeuren: ZOEPFL, Humanismus 256.

11. HL.THOMAS BECKET (gest. 1170), Erzb. von Canterbury: sein Festtag am 29-12.

12. Egg an der Günz, Ecks Geburtsort und Wohnsitz seines Vaters, 15 km nordöstlich von Memmingen: vgl. Landkreis Unterallgäu 2, 969; BLICKLE, Egg (Beschreibung und Lit.).

13. Zu Ecks Vater vgl. Brief 17-04-1516.

14. Ursberg: Prämonstratenser-Reichsabtei in der Diözese Augsburg, durch die »Ursberger Chronik« bekannt: A. LOHMÜLLER: LThK 10 (2.A.) 569f. Eck kehrte bereits bei seiner Rückkehr aus Bologna, nachdem er Ottobeuren, Buchsheim, Memmingen und seine Familie in Egg besucht hatte, auf dem Weg nach Augsburg auch in Ursberg ein: vgl. Brief -09-1516 (Bologna-Itinerar): »...ad Ouspergensem Abbatem dignissimum descendi, erudito viro Martino Karher Dietenheimensi paretiano comitatus. Hunc etenim nobilis vir et multis egregiis facinoribus clarus Ioannes de Rechberg...de mea praesentia certiorem reddiderat«. Die Abtei lag unweit seines Heimatortes Egg.

15. Ähnlich in Brief 17-04-1517.

16. Ecks Vater, Michael Maier, hatte nach dem Tode seiner ersten Frau Anna (gest. 1504) ein zweites Mal geheiratet, nämlich Anna Maier geb. Wiedemann, die 1514 Ecks Halbbruder, Simon Thaddäus Eck, nachmalig bayerischer Kanzler, geboren hatte: CCath 16, 20 Anm. 4.

17. Zu den Hintergründen dieser Abmachung vgl. Brief 11-02-1518. Zum grundherrlichen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Egg, wo Ecks Vater Ammann war, und dem Kloster Ottobeuren vgl. Brief 03-05-1506.

18. Zu diesem Bruder Leonhard Wiedemanns vgl. Brief 22-10-1515.

19. Zur Person von Leonhard Wiedemann vgl. Brief 03-05-1506.

20. Zum Konflikt zwischen Eck und dem Abt aufgrund einer möglichen Benachteiligung seiner Verwandten vgl. Brief 11-02-1518.

21. DIOGENES LAERTIOS 1, 85. - Zur Person des Bias vgl. Brief 09-09-1517.

22. Dieser Brief erreichte Ellenbog am 15-01-1518: vgl. Brief 11-02-1518.