Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck

Nr. 54

Christoph Scheurl an Eck (1)

Nürnberg
05-04-1518


Scheurl-Archiv Fischbach, cod G, f 140(201)b
SODEN/KNAAKE, Briefbuch 2, 45, Nr 162

Scheurl hat von der Frankfurter Buchmesse eine Reihe von Streitschriften zur Reuchlinaffäre erhalten; er will sie gern Eck zur Verfügung stellen. - Einmütig haben ihm die Wittenberger Freunde geschrieben, Eck möge doch schonender und bescheidener mit Luther umgehen, da er doch selbst in Wien eher die Wahrheit suchend als um seinen Ruhm besorgt disputiert hat. Das wäre um so angemessener, als er ja die "Martinianischen Grundsätze" noch gar nicht kennt, den Mann noch nicht gehört hat und ihn doch verurteilt. Scheurl fleht Eck an, er möge die mit den Wittenbergern angeknüpfte Freundschaft nicht verleugnen, sondern sie noch enger knüpfen. Er will sich seinerseits bei den Wittenbergern für Eck einsetzen. Scheurl zweifelt nicht daran, daß Eck für alles gehörig sorgen werde, da Kurfürst Friedrich von Sachsen und die Wittenberger Hochschule die gleiche Gesinnung mit Luther und vielleicht auch mit Reuchlin hegen. - Paulus Feltkirchen wird Nachrichten aus Wittenberg bringen. - Grüße an Franz Burkhard in Ingolstadt


(201v) Ad doctorem Johannem Ecken.

Cum Christo resurgere in vitam aeternam.

Egregie vir, frater honorande:
Quod interdum opera amanuensis ad te scribo, puto te magis imputare occupationibus quam desidiae nostrae, qui tui causa ad omnia paratus sum.

Quod frequenter ad te scribens tua abutor humanitate, facit meus in te amor, quippe bonitatem tuam et sinceram benevolentiam vellem mutuis officiis compensare et in amore nequaquam cedere.

Ceterum hesterno vesperi Franckfordio ad me allata sunt acta inter dominum Capnionem [et] Hochstraten, (2) eiusdem »Apologia« (3) et »Obscurorum lamentationes«: (4)

quae omnia etsi desideranter desiderem legere, statui me tamen tui amore ea voluptate suspendendum et tibi potius imprimisque communicanda, haud ignarus ita me gratificaturum Eckio quemadmodum maximo opere cupio. Non tamen mitto ea lege, ut singula approbem quippe quae nondum legi, sed ut nobis missa sunt: ipsi viderint. Apologiam Erasmicam et nostram excusationem si misero omnino remittas (5).

Unanimiter ad me scribunt et frequenter amici Wittenburgenses: (6) Tuus Eckius, tuus Eckius parcius, modestius cum bono Martino agere debebat, qui et ipse pleraque Viennae disputavit (7) magis indagandae veritatis gratia quam ita statuendi. Quid quod Martiniana fundamenta nondum vidit, hominem non audivit et condemnat?

Rogo igitur te pro iure fraterni amoris atque etiam obsecro, ut amicitiam cum meissimis Wittenbergensibus initam non manu tegas tantum, sed etiam augeas. (8) Ego qui apud ipsos multum possum interim curo diligenter, ut tua amicitia dignos se praestent, ut te amare non intermittant, ut boni consulant Eckiana omnia, et quando meae voluntati nunquam defuisti, non dubito officiose et nostri causa curaturum singula recte, quippe princeps et academici omnes cum Martino sentiunt et forte etiam cum Capnione. (9) Multa de Wittenburgensium //(2o2r) conditione accipies ex Paulo licentiati Feltkirchensis servulo quantulocunque: (10) etiam is Monacum proficiscitur reversurus cum tuis litteris, quem sua dextera gnava commendatum tibi reddet.

Interea vale, frater amicissime, et nos mutuo ama et d. F. Burckhart (11) non vulgariter commenda.

Nurnbergae nonis Aprilis anno 1518.

C.S.d.]

An Doktor Johannes Eck.

Mit Christus auferstehen zum ewigen Leben!

Vortrefflicher Mann, ehrwürdiger Bruder,
daß ich inzwischen mit Hilfe eines Sekretärs an Dich schreibe, denke ich, wirst Du mehr meinen Belastungen mit Arbeit zuschreiben als meiner Trägheit, denn für Dich bin ich zu allem bereit!

Daß ich Dir häufiger schreibe und damit Deine Freundlichkeit mißbrauche, liegt an meiner Liebe zu Dir, denn ich möchte Deine Güte und Dein ernstgemeintes Wohlwollen mit Gegenleistungen wieder gut machen und keineswegs in den Liebesbeweisen zurückstehen.

Übrigens sind gestern abend aus Frankfurt die »Verhandlungen zwischen REUCHLIN und HOCHSTRATEN«, seine »Apologie« und die »Klagen der Dunkelmänner« an mich gelangt; ich habe aber, wenn ich das alles auch leidenschaftlich gern selbst lesen würde, trotzdem beschlossen, aus Liebe zu Dir dieses Vergnügen aufzuschieben, da es zunächst Dir in besonderer Weise zukommt, es zu erhalten, wohl wissend, daß ich mich Eck gern in irgendeiner Weise mit einer größeren Arbeit dankbar erweisen wollte. Ich sende Dir das alles nicht, als ob ich irgendeiner Sache zustimmte, ohne sie gelesen zu haben, sondern wie sie uns zugesandt wurde: sie sollen selbst sehen. Wenn ich Dir die »Apologie« des ERASMUS und unsere »Entschuldigung« zugesandt habe, sende beides bitte vollständig zurück.

In gleicher Gesinnung und öfters schreiben mir die Freunde aus Wittenberg: »Dein Eck, Dein Eck sollte doch schonender und maßvoller mit dem guten Martin umgehen, da dieser doch selbst in Wien über vielerlei Gegenstände disputiert hat, und zwar mehr um die Wahrheit zu erforschen als sich selbst zu behaupten. Wie kann der, der die Grundlagen von Martins Lehre noch nicht gesehen, den Mann noch nicht gehört hat, ihn verdammen?«

Ich bitte Dich also um unserer Freundschaft willen und flehe Dich an, daß Du die gerade geknüpfte Freundschaft zu meinen lieben Wittenbergern nicht nur bewahrst, sondern sie noch intensivierst. Ich vermag viel bei ihnen und sorge inzwischen dafür, daß sie sich Deiner Freundschaft würdig erweisen, nicht aufhören, Dich zu lieben, sich aller Schriften Ecks wohlgesonnen annehmen, und da es Dir niemals an meinem guten Willen gefehlt hat, zweifle ich nicht, daß um unseretwillen in guter Gesinnung alle Einzelfragen in rechter Weise behandelt werden, zumal ja der Fürst und alle Gelehrten mit MARTIN [LUTHER] eines Sinnes sind und vielleicht auch mit REUCHLIN. Vieles über die Situation der Wittenberger wirst Du vom Lizentiaten PAULUS aus Feldkirch erfahren, unser Helfer, wie klein auch immer er sei. Dieser reist nach München und wird mit Deinen Briefen zurückkehren. Seine fleißige rechte Hand wird ihn Dir empfehlenswert machen.

Lebe inzwischen wohl, geliebter Bruder, in gegenseitiger Liebe; und empfehle mich nachdrücklich dem Herrn FRANZ BURCKHARD.

Nürnberg, an den Nonen des April 1518.

Christoph Scheurl Doktor.


1. Zum Brief s. WIEDEMANN, Eck 408f u. o. Brief N. Ellenbog an Eck, 11-02-1518, Anm. 13. - Christoph SCHEURL (1481-1542): über ihn o. Brief Eck an Scheurl, 13-09-1516, Anm.1.

2. Franckfordio: von der Frankfurter Frühjahrsbuchmesse (»nundinae Apriles«). Vgl. zu dieser o. Brief Eck an Vadian, 18-03-1517, Anm. 13. - Acta: Acta Iudiciorum inter F. Iacobum Hochstraten et Iohannem Reuchlin. Hagenoae 1518. - Zu JACOB HOCHSTRATEN vgl. u. Brief 24-07-1519. CAPNIO = JOHANNES REUCHLIN.

3. Im Frühjahr 1518 veröffentlichte Hochstraten eine längere Apologie: Ad sanctissimum dominum nostrum Leonem papam decimum. Ac divum Maximilianum Imperatorem semper augustum. Apologia Reverendi patris Jacobi Hochstraten, Artium et sacre theologiae professoris eximij, Hereticae pravitatis per Coloniensem Moguntinensem Treverensem provincias Inquisitoris vigilantissimi. Contra dialogum Georgio Benigno Archiepiscopo Nazareno in causa Joannis Reuchlin ascriptum, pluribusque erroribus scatentem et hic de verbo ad verbum feliciter impressum. In qua quidem Apologia Inquisitor ipse multis occasionibus eam demum coactus, tum catholicam veritatem tum Theologorum honorem per solidas scripturas verissime tuetur. Impressum Coloniae Anno M.CCCCC.XVIII. in Februario. In Quart, 72 Bl. Vgl. L. GEIGER, Reuchlin 404-412; N. PAULUS, Dominikaner 98 Anm.1.

4. Lamentationes obscurorum virorum non prohibite per sedem apostolicam. Coloniae 1518, quinto Idus Martias. 2o Bl. in Quart. Mit Epistola apologetica Ortwini Gratii...ad obscuram Reuchlinistarum cohortem, citra bonorum indignationem missa. Sexti Idus Martias 1518. Vgl. L. GEIGER, Reuchlin 387ff.

5. Vgl. die »Epistola apologetica« für Reuchlin (W. Pirckheimer): PIRCKHEIMER-BRIEFWECHSEL 3, 146 - 172 (Nr. 464).

6. Gemeint sind Luther, Spalatin, Trutfetter, Karlstadt, Martin Pollich von Mellerstadt, Nikolaus von Amsdorff, Ulrich von Dinstadt und Otto Beckmann: vgl. WIEDEMANN, Eck 4o8 u. GRAF, Scheurl 42, 46, 49, 68.

7. Zur Wiener Disputation Ecks 1516 s. o. Brief 04-08-1516 an Martin Huper; ECK, Disputatio...Viennae habita..., Augsburg, Miller 1517, hg. VIRNICH (CCath 6, Münster 1923) = s.u. Brief -09-1516 (Ecks Diarium); WIEDEMANN, Eck 63-75; VOLTELINI, Eine Disputation an der Universität Wien: Monatsblatt für Geschichte der Stadt Wien 16 (1937), 127-131; KOCH, Doktor Johannes Eck im humanistischen Wien: GuL 1939, 5-15.

8. Vgl. hierzu WIEDEMANN, Eck 408f; GRAF, Scheurl 77:»Als Eck Luthers Thesen mit seiner Streitschrift 'Obelisci' beantwortet hatte und die Wittenberger Scheurl wegen seiner Freundschaft zu ihm immer wieder Vorwürfe machten, versuchte Scheurl in einem Briefe vom 05-04-1518 Eck zu beschwichtigen.« - Vgl. Dokumente zur Causa Lutheri (FABISCH/ISERLOH = CCath 40) 1, 376-447. - Zu Scheurls Vermittlungsversuch zwischen den Wittenbergern und Eck s. GRAF, Scheurl 68, 70, 74, 79, 85 91.

9. Zu Scheurls Einstellung gegenüber Reuchlin s. GRAF, Scheurl 62 und 85. - Vgl. Hochstratens Prolog zu seiner Schrift »Destructio Cabalae« (1519), in dem er Luther als »Capnionis fautor« bezeichnet (Dokumente zur Causa Lutheri 2, 258 Anm.3). Zu Ecks Position s. o. Brief Scheurl an Eck, 05-11-1517.

10. Paulus Feltkirchen: Intimus Scheurls, fungierte als Briefbote: s.o. Brief Eck an Nikolaus Ellenbog, 17-04-1516.

11. Professor des kanon. Rechts in Ingolstadt, gest. 1539: über ihn und sein Verhältnis zu Eck s. o. Brief Scheurl an Eck, 12-(?)10-1516 und unten Brief 01-07-1519.