Übersicht Reformationsgeschichte
- Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 60
Joh. Gottfried OLEARIUS, Scrinium antiquarium 29ff; LÖSCHER 2, 64f
Übersetzung: WALCH 15, 957ff, Nr 352
Eck hat von der Aufregung erfahren, die seine gegen ihren gemeinsamen Freund Martin Luther gerichteten »Obelisci«, die er jedoch in Gestalt eines Privatschreibens an seinen Bischof Gabriel von Eichstätt abgefaßt habe, bei Karlstadt und den übrigen Wittenberger Theologen ausgelöst hätten. Er kann sich nicht erklären, wie die »Obelisci« aus der Hand des Bischofs nach Wittenberg gelangt seien. Hätte er das gewußt, so hätte er diese nicht so unvorbereitet, wie es ihm in den Kopf kam, ohne Bücher nachzuschlagen, abgefaßt und sie nicht so überstürzt formuliert. Da es sich um private Bemerkungen handelt, versteht Eck den Zorn nicht, den er auf sich gezogen habe. Auch sei er kein "Schmeichler", wie man ihm vorwerfe. Das könnten diejenigen bezeugen, die ihn wirklich kennen. Auch wäre "Schmeichelei" gegenüber diesem Bischof unangebracht. Eck hat gehört und kann es nicht glauben, daß Karlstadt bereits eine Gegenschrift zur Verteidigung Luthers gegen Eck vorbereitet habe. Er wundert sich, daß Karlstadt nicht vorziehe, gegen die Frankfurter Thesen Tetzels und Wimpinas zu schreiben, die Luthers Irrtümer in die Öffentlichkeit gebracht hätten. Eck will jedenfalls die soeben begonnene Freundschaft nicht gefährden und Luther nicht verletzen. Erst wenn er eines Irrtums überführt werde, will er selbst antworten und sich dabei, wenn nötig, des Rates von Gelehrten und Freunden bedienen. Er will aber seinerseits nicht den ersten Schritt dazu tun. Da der Bote warte, habe er sehr überstürzt geschrieben.
Venerando viro Andreae Carlostatino, Artium et Theologiae
Doctori
non poenitendo, Archidiacono Wittenbergensi, Amico suo
(1), si ita patiatur, non vulgari. Tuissimus Eckius. S.P.D.
Accepi, Andrea Celeberrime, te tuosque Wittenbergios in
Eckium
esse commotiores, quod contra Martini Lutheri communis amici sententiam
Episcopo meo privatim aliqua conscripsi (2),
arbitratus, doctorum hominum iudicium nenias illas nunquam subituras.
At quomodo elapsae
sint e manibus Episcopi mei et ad vos delatae suspicor quidem, at non
certe
scio (3). Iam si hoc futurum scivissem,
non extemporarie sine omni librorum opitulatione, utut ingenium
suppetebat, confestim
et tumultuarie illas effudissem (4). Et
ut nosti, liberiores sumus omnes in scribendis privatim, quam cum quid
edimus
in publicum (5). Ideo miror plurimum,
cur tantopere
Eckio vestro deditissimo succenseatis. Adulationis aiunt te Eckium
insimulare.
At ignoras, quam Eckius homo sit inadulabilis. Percontare omnes, qui
Eckium
noverunt, quam ingenue fateantur, Eckium nescire verba dare. Neque
darem,
si scirem maxime coram eo Episcopo, apud quem indulgentiae aliquae
(quantum
ego opinor) parum efficaces ex causa videbantur accidenti. Caeterum aiunt, re monomachiam contra Eckium instruere.(6) Ego id vix credam. Quod si facere
proponis,
miror cur non contra vicinos Franckfordianos et haereticae pravitatis
inquisitorem
te succingas, qui centies Martinum errasse, interdum desipere, furere
ac
insanire innuunt schedis editis et publicatis. (7)
Verum amicitia nuper inita (8)
si frui liceat, amice quidem actum putabo, et quae contra insontem
Eckium
meditamini, in spongiam cadere permittatis. non enim fuit animus meus
Martinum
laedere. (9) At ubi amicitiam Eckii
parvi facitis
et eum excessisse arbitramini, legem vobis imponere nec possum nec
volo;
sed tamen vestri fuit officii Eckio quam primum intimare, si vultis
quid edero.
Ego ubi sensero me errasse,libere erratum fatebor postposito rubore. (10) Ubi contra vos concitatiores videro
aut
anculeatos, bonorum praeceptorum et amicorum auxilio, quantum veritas
suaserit,
in studiis Christiano orbe famosioribus me tueri conabor. At malo
carere
hoc negotio. Tuum vero fuerit, quid opus facto sit perpendere et
omnibus perpensis
negotium adgredi. Vale, quem vere salvere opto. Ex Ingolstat, plusquam raptim, Parce veloci stilo et barbaro ob subitam tabellionis abitionem. |
Dem verehrten Herrn Andreas Karlstadt, dem keineswegs zu verachtenden Doktor der Artes und der Theologie, Archidiakon in Wittenberg, seinem, falls er es zuläßt, besonderen Freund, sagt Eck als der Seinige seinen Gruß! Ich habe, hochgeehrter Andreas, vernommen, daß Du und Deine Wittenberger über Eck leidenschaftlich erregt sind, weil ich gegen die Ansicht unseres gemeinsamen Freundes MARTIN LUTHER meinem Bischof etwas privat geschrieben habe in der Meinung, daß das Urteil gelehrter Männer niemals jene Possen zur Folge haben würde. Wie das den Händen meines Bischofs entgleiten und an Euch geraten konnte, kann ich nur vermuten, weiß es aber nicht mit Gewißheit. Hätte ich die Folgen vorausgesehen, würde ich die Aufzeichnungen nicht aus dem Stegreif und ohne Hilfe von Büchern, nur auf das Gedächtnis gestützt, niedergeschrieben haben. Wie Du weißt, sind wir alle freizügiger, wenn wir etwas privat schreiben, als wenn etwas für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Daher wundere ich mich sehr, wenn Ihr wegen Eures Euch so ergebenen Ecks so heftig entbrennt. So wird gesagt, Eck habe die Verehrung Deiner Person nur geheuchelt. Du verkennst aber, daß Eck ein Mensch ist, der für Schmeicheleien nichts übrig hat. Frage doch alle, die Eck kennen, wie freimütig sie dann bekennen, daß Eck es nicht versteht, jemanden zu hintergehen. Ich würde das auch nicht, wenn ich es genau wüßte, vor diesem Bischof tun, bei dem übrigens irgendwelche Gunsterweise (soweit ich weiß) aus solchem Anlaß wenig zu erwarten waren. Weiterhin heißt es, daß Du gegen Eck eine »Monomachia« vorbereitest. Ich kann das kaum glauben! Wenn Du das aber zu tun vorhast, wundere ich mich, warum Du Dich nicht über Deine Nachbarn in Frankfurt an der Oder oder den Ketzermeister TETZEL ereifest, die hundertfach in gedruckten und veröffentlichten Flugschriften darlegen, daß Martin irrt und zuweilen Törichtes sagt, wütet und sich wie toll gebärdet. Ich werde aber, wenn unsere neulich begonnene Freundschaft weiterbestehen soll, über das Geschehene in freundschaftlicher Gesinnung nachdenken, und, was Ihr auch gegen den unschuldigen Eck im Sinn habt, mit dem Schwamm abwischen. Keineswegs wollte ich Martin kränken. Solltet Ihr aber von Ecks Freundschaft gering denken und meinen, daß er sie aufgegeben habe, kann und will ich Euch keine Vorschriften machen; dennoch war es Eure Pflicht, Eck ins Vertrauen zu ziehen, wenn Ihr etwas gegen ihn veröffentlichen wollt. Sollte ich erkennen, daß Ihr gegen mich hetzt oder aufwiegelt, werde ich versuchen, mich mit Hilfe guter Gelehrter und Freunde an den angesehensten Universitäten der christlichen Welt zu verteidigen, soweit die Wahrheit es erfordert. Ich möchte aber lieber darauf verzichten. An Dir aber hätte es gelegen, das zu tun Notwendige zu prüfen und dann an die Sache heranzugehen. Lebe wohl; Dein Wohl wünsche ich nämlich aufrichtig! Aus Ingolstadt, in höchster Eile, Entschuldige den übereilten und barbarischen Stil: der Briefbote mußte überstürzt abreisen. |
1. Zum vorliegenden Brief s. WIEDEMANN, Eck 77. Vgl. zu Karlstadts Initiative gegen Eck dessen Brief an Spalatin vom 21-05-1518: GERDES, Scrinium Antiquarium sive Miscellanea Groningiana. Groningen - Bremen 7 (1762), 306ff. - Zu Andreas BODENSTEIN, gen. KARLSTADT (ca. 1480 - 24-12-1541): LThK (3.A.) 5, 1249f (H. SMOLINSKY); BBKL 3, 1167-1171; TRE 17, 649-657E. KÄHLER, Karlstadt u. Augustinus. Halle 1952; F. KRIECHBAUM, Grundzüge der Theologie Karlstadts. Hamburg-Bergstedt 1967; Ronald J. SIDER, The Life and Thought of Andreas Bodenstein von Karlstadt through 1524. Phil. Diss. Yale University 1960; ders., Andreas Bodenstein von Karlstadt: The Development of His Thought 1517 - 1525. Leiden 1974; H. BARGE, Andreas Bodenstein von Karlstadt. 2 Bde, Leipzig 1905 (grundlegend). In Einzelheiten überholt von U. BUBENHEIMER, Consonantia Theologiae et iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation. Tübingen 1977; Heiko A. OBERMAN, Luthers Zweifrontenkrieg gegen Prierias und Eck, in: ders., Die Reformation. Von Wittenberg nach Genf. Göttingen 1986, 130 - 143; Sigrid LOOSS/Udo STRAETER (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486 - 1541). Ein Theologe der frühen Reformation. Wittenberg 1997.
2. Zum Brief als Ganzem vgl. WIEDEMANN, Eck 77 und BARGE, Karlstadt 1, 125. Episcopo meo: Gabriel von Eyb. Privatim conscripsi: vgl o. Brief 19-05-1518 Anm.1.
3. Eck wußte also noch nicht, daß Bernhard Adelmann die Indiskretion begangen hatte. Später schrieb er ihm alle Schuld zu: »Adelmann (habe) ihm allen Unrat zugericht« und ihn »in die lutherisch sach bracht«: Eck an B. Christoph von Stadion 10-11-1520.
4. Obelisci, in: Dokumente zur Causa Lutheri 1, 404, 5f: »Solum subitaneo motu, sine librorum adminiculis, pauca adnotabimus et (ut dici solet) Obelisco signabimus.«
5. Vgl. o. Anm.1.
6. SELGE, Der Weg 175-204. KARLSTADT, Contra D. Joannem Eckium Ingolstadiensem Andreae Bodenstein...Apologeticae propositiones pro reverendo patre D. Martino Luther. Ex Wittenbergis VII die mensis Iulii anno domini 1518, 4, 7 Bll. Text: LÖSCHER 2, 66 - 77(Thesen 102 - 213 gegen Eck). Die vollständige Thesensammlung erschien unter dem Titel: »D. Andree Carolstatini, Doctoris et Archidiaconi Wittenburgensis CCCLXXX. et Apologeticae Conclusiones pro sacris literis et Wittenburgen. ita editae ut et lectoribus profuturae sint. Puerulo legittime docente palinodiam cano«. Text: LÖSCHER 2, 78 - 104. Dt. bei WALCH 18, 656 - 704(FREYS-BARGE Nr. 3). Teilweise ediert von Eck in seiner »Defensio contra amarulentas invectiones« in CCath 1, 38 - 45. 53 - 62. 73 - 75. Die »Apologeticae propositiones« wurden auf Veranlassung Karlstadts bereits am 03-05-1518 öffentlich disputiert; am 09-05-1518 verließ die 1. Abteilung, am 07-07-1518 die 2. die Presse. Am Freitag nach Himmelfahrt sandte K. ein Exemplar an Spalatin und bemerkte in dem Begleitschreiben: »Videbis Deo operaturo, quales Eckius excitaverit, nec putes me eum aut alios, quos suo nomine conficiam, timere. Suffragatur Wittemburgensis Biblia, occurrunt Ecclesiastici, F. Joannes Teczel in conclusionibus suis nedum nos, sed et Principem nostrum clementissimum pungit.« Vgl. WIEDEMANN, Eck 77f mit Anm.7f und Dokumente zur Causa Lutheri Bd 1, 381f. Zum "frühreformatorischen" Kirchenbegriff in Karlstadts Thesenreihen s. BUBENHEIMER 76 - 116.- Die Thesenreihen Karlstadts sind folgendermaßen gegliedert: Thesen 102 - 213: gegen Ecks »Obelisci«; Thesen 214 - 324: gegen Eck (Gnaden- und Bußlehre), bes. 308 u. 317; Thesen 325 - 343 gegen Wimpina-Tetzels 1. Thesenreihe über Ablaß und Buße vom Januar 1518; Thesen 344 - 379 gegen Tetzels 2. Thesenreihe zu Fragen des Ketzerrechts und der Exkommunikation. Als Nachtrag erschienen noch Thesen 381 - 406. Über die Thesen 1 - 101 (1. Thesenreihe Karlstadts) über Fragen der Ekklesiologie und kirchlichen Normen wurde am 14-05-1518 bei der Promotion des Nicasius Claius aus Hertzberg zum Bacc. bibl. disputiert: vgl. BUBENHEIMER 72 - 75 u. BARGE 1, 117 - 128.
7. Karlstadt soll gegen die 1. Thesenreihe Wimpina-Tetzels, die im Januar 1518 an der Universität Frankfurt a.d.Oder entstanden war, schreiben: Dokumente 1, 310-337.
8. Luther an Egranus, 24-03-1518 (WABr 1, 157f): »magna recenterque contracta amicitia coniunctus«; Vgl. ALBERT 399;; SELGE, Der Weg 172-175.
9. Ähnlich Eck an Karlstadt: ECK, Defensio contra amarulentas invectiones: »Nam quid proderit me diu clamare Ingolstadii contra te, et rursum te Wittenbergi defendere, nihil enim aliud gignet, quam scandala, otia, detractiones, dissensiones, contemptum sacrarum litterarum, utriusque nostrum ludibrium« (CCath 1, 82, 4-16).
10. Eck gibt sich konziliant, will zuerst des Irrtums beschuldigt werden, ehe er antwortet. Vgl. WIEDEMANN 77: »Allein Ecks Schreiben erreichte den beabsichtigten Zweck der Besänftigung nicht.«