Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck


Nr. 61

Karlstadt an Eck

Wittenberg
11-06-1518

OLEARIUS, Scrinium antiquarium, Jena - Arnstadt 1698, 32ff; LÖSCHER 2, 648-650
Übersetzung: WALCH 15, 959f, Nr 353

K. hat Ecks Brief vom 28-05-1518 erhalten: ihm mißfallen die Kränkungen, die Eck in den »Obelisci« Luther zugefügt habe, so die Vorwürfe der Majestätsbeleidigung, der Häresie und des Schismas sowie seine Beschimpfung Luthers als "Böhmen". So habe sich Eck selbst entlarvt. Karlstadts Antwort war seine Apologie gegen einige der »Obelisci« Ecks, die er in Wittenberg in Druck gegeben hat und die jetzt auf dem Markt ist. Er bedauert, daß Eck die Wittenberger gezwungen hat, sich zu wehren. Er zöge es vor, auf die Kränkungen eher mit Geduld als mit Streit zu antworten. Auch hat er Eck als Gegner den Frankfurtern (Tetzel und Wimpina) nicht aus Neid oder Zorn vorgezogen, sondern wegen dessen "Vorzügen und Qualitäten". Er hofft, Eck werde sich wie ein Saulus zum Paulus zum Standpunkt der Wittenberger bekehren. Sollten die Beleidigungen fortgesetzt werden, möge sich Eck prüfen, ob er sich dabei bloß als "eines Menschen" Feind erweise oder der Heiligen Schrift selbst. Karlstadt jedenfalls will eher "Krieg und tyrannische Belagerung" auf sich nehmen als einen falschen Frieden zum Schaden der Heiligen Schrift. Er appelliert noch einmal an ihre Freundschaft.


Reverendo Egregioque D. Joanni Eckio, Sacrae Theologiae Doctori et Ordinario atque Procancellario Ingolstadiensi, Canonico Eistatensi et Amico et Patrono, si patitur dulcissimo.

Tuissimus, si sinis, Andr. Carolostadius.

S.P.

Redditae sunt mihi, doctissime mi Ecki, tuae elegantes literae.(1) Quibus et tibi ut paucis respondeam, nolo D.T. latere, mihi vehementer displicuisse iniurias, (2) quas meo omnium eruditissimo Martino Luthero irrogaveras. Confeceras equidem hominem criminibus maximis gravissimisque, scilicet crimine laesae Majestatis, quandoquidem haereseos, item schismatis. (3) Scripsisti Bohemum seditiosum, (4) et ea publice edidisti crimina (5). Quidni?

Scriptura certe iuxta Scoti tui sententiam ex sua natura publicat atque manifestat. Haec fecisti. Occasionem repugnandi non modo obtulisti, sed necessitatem impegisti. (6) Qua factum est, quod monomachiam seu potius Apologiam contra aliquos tuarum conclusionum ediderim (7), quam prelo Wittenburgio excusam circumcirca venalem vendunt. (8) Moereo profecto ob tuam humanitatem te necessitatem rebellandi nobis iniectasse.

Si facta infecta fieri possent, mallem nos iniurias paciencia quam certamine evicisse. Veruntamen quod te nominatim prae caeteris nostro certamini non indoctum illum inquisitorem aut alium quemvis illi similem consecraverim et adversarium constituerim, non invidentiae stimulis, non irae adversus te aestibus actus feci, sed ob tuam elegantiam, ob tuam industriam, ob tuam acrimoniam, sed et praecipue propter tuam et populi salutem.

Spero equidem te in nostram iturum sententiam, confido, te ex Saulo futurum Paulum. (9) Nolim etiam habere onagrum seu asinum colluctantem, sed nobilem Leonem, facundum Marcum. (10) Existimabam mihi non obfuturum, si tua elegantia, tuis schematis fierem elegantiae studiosior. Si laesi, ignosce, rogo.

Si me autem laesum laedere amplius prosequeris, vide si tibi liceat: vide si sis vel hominis, vel divinarum literarum inimicus exturbator. Institui mecum magis bellum et tyrannicam obsidionem sustinendam, quam perversam pacem in detrimentum divinorum documinum et perniciem habendam(11) : Susque deque habiturus, quod mihi eveniet. Velim tamen tua amicitia frui, si annueres. Te quidem ex pectore amo. (12) Dispeream, si te perire, si tibi quicquam mali accidere desidero. Studeo viritim, quo propediem Dei verbum nostro infelici seculo ebeate illatebratum, fiat dulcius, clarius, quin etiam clarissimum. Vivat Martinus noster, qui occasionem emedullandi legem Dei praestitit. (13)

Vivat suatim Eckius amicus. Sin vero inimicus? Fiat sincerus veritatis cultor.

Haec sunt quae succisivo temporis momento tibi et manifestare et quaeque optima precari volui.

Vive foeliciter.

Datum celerrime Wittenburgi,
die Veneris XI. Junii, Anno MDXVIII.


Parce si me prodegisse inania judicaveris.
Falsitati autem nec verbo cedere te velim. Imo cupio etiam expungi, aboleri et in nihilum redigi.

Dem hochwürdigen und berühmten Herrn Johannes Eck, Doktor der heiligen Theologie, Professor und Prokanzler in Ingolstadt, Domherr in Eichstätt, meinem, wenn er es erlaubt, liebsten Freund und Patron.

Wenn Du es zuläßt, ganz der Deinige. Andreas Karlstadt.

Sei gegrüßt!

Ich habe, mein sehr gelehrter Eck, Deinen gewandten Brief empfangen. Um auf diesen und Dir selbst kurz zu antworten: ich will Dir nicht verhehlen, daß mir die unwahren Behauptungen sehr mißfallen haben, die Du meinem MARTIN LUTHER, dem über alles Gelehrten, vorgeworfen hast. Du hast ihn größter und schwerwiegendster Verbrechen beschuldigt wie Majestätsbeleidigung, weil der Häresie und des Schismas. Du hast ihn einen aufsässigen Böhmen genannt und diese Vergehen auch noch öffentlich gemacht. Warum nicht?

Geschriebenes bezeugt und legt nach Meinung Deines SCOTUS die Dinge ihrem Wesen entsprechend dar. Das hast Du getan. Gelegenheit, Widerspruch anzumelden, hast Du nicht nur angeboten, sondern sogar ihre Notwendigkeit aufgedrängt. So kam es, daß ich die »Monomachia« oder besser »Apologia« gegen einige Deiner Schlußfolgerungen herausgegeben habe, die man jetzt nach Drucklegung in Wittenberg überall käuflich erwerben kann. Wegen Deiner sonstigen Menschlichkeit bin ich allerdings traurig darüber, daß Du uns zu der Notwendigkeit zu widersprechen veranlaßt hast.

Wenn Geschehenes ungeschehen gemacht werden könnte: ich wollte lieber, wir hätten die Anschuldigungen mit Geduld statt mit Streit überwunden. Daß ich jedoch Dich vor allen anderen unserem Streit zum Opfer gebracht habe und nicht jenen ungelehrten Inquisitor TETZEL oder irgendeinen anderen, diesem ähnlichen als Gegner auserkoren habe, so habe ich das nicht aus Mißgunst oder Zorn gegen Dich getan, sondern wegen Deiner Gewandtheit im Ausdruck, Deinem Eifer, Deiner Schärfe der Darstellung und besonders wegen Deines und des Volkes Seelenheil.

Ich hoffe nämlich, daß Du Dich unserer Ansicht anschließen wirst; ich vertraue darauf, daß Du aus einem Saulus ein Paulus werden wirst. Ich möchte nämlich nicht einen streitenden Wildesel oder sonstigen Esel, sondern einen edlen Löwen, einen beredten MARCUS TULLIUS CICERO zum Gegner. Ich meinte nämlich, es wäre für mich nur von Nutzen, wenn ich mich aufgrund der Eleganz Deines Stils und Deines Gedankenaufbaus mehr um eigene Eleganz bemühen würde.

Entschuldige bitte, wenn ich Dich gekränkt habe. Solltest Du aber fortfahren, mich weiterhin zu kränken: siehe, wenn es Dir beliebt, ob Du nicht sowohl einen Menschen als auch die Heilige Schrift selbst feindselig abweist. Ich habe mich entschieden, eher Krieg und tyrannische Bedrängnis auf mich zu nehmen als einen falschen Frieden zum Schaden und Verderben für die Heilige Schrift. Es ist mir dabei gleichgültig, was mit mir geschieht. Gern aber würde ich mit Dir in Freundschaft leben, wenn Du es nur zuließest. Ich liebe Dich nämlich von Herzen. Ich wäre verloren, wenn ich Dir den Tod oder etwas Übles wünschte. Was ich aber mit Nachdruck erreichen will, ist, daß sehr bald das Wort Gottes, das in unserem Jahrhundert so unglückselig im Verborgenen vegetiert, süßer, deutlicher, ja strahlend hervortrete. Es lebe unser MARTIN, der es unternommen hat, den innersten Kern des göttlichen Gesetzes freizulegen.

Es lebe aber auch Eck, wenn er unser Freund sein will. Wenn er aber doch unser Feind ist? Möge er ein ernster Kämpfer für die Wahrheit sein!

Diese Gedanken wollte ich Dir zu diesem Zeitpunkt unterbreiten und Dir alles Gute wünschen.

Lebe glücklich!

Gegeben in Eile in Wittenberg am 11. Juni 1518.

Schone mich, weil auch ich Dich habe schonen wollen.
Schone mich, wenn Du meinst, ich habe Nichtiges vorgetragen.
Ich wollte aber, Du würdest vor dem Irrtum, nicht aber vor dem Wort Gottes zurückweichen! Ja, auch ich begehre, revidiert zu werden, in Vergessenheit zu versinken und nichtig genannt zu werden.




1. Nämlich Brief 28-05-1518 (Eck an Karlstadt). - Zum vorliegenden Brief vgl. BARGE, Karlstadt 1, 126 u. WIEDEMANN, Eck 77f.

2. Die "Kränkungen" Luthers in den »Obelisci«: s. WIEDEMANN 77f und Luthers Brief an Egranus, 24-03-1518: o.Brief 19-05-1518 Anm.1.

3. Dokumente zur Causa Lutheri 1, 431, 435f.

4. Ebd.

5. Ebd.

6. Vgl. Brief 28-05-1518.

7. KARLSTADT, D. Andreae Carolstatini Doctoris et Archidiaconi Wittenburgensis CCCLXX Apologeticae Conclusiones pro sacris litteris et Wittenburgen. ita editae, ut et lectoribus profuturae sint. Puerulo legittime docente palinodiam cano. (FREYS-BARGE Nr. 3; LÖSCHER 2, 78-104). Vgl. o. Brief Eck an Karlstadt 28-05-1518, Anm. 6.

8. Der Drucker war Johann Grunenberg 1518.

9. Apg 9, 1-19.

10. Marcus: MARCUS TULLIUS CICERO als Redner.

11. Jer 6, 14; 8, 11; Ez 13, 10.16.

12. Letzter Appell an die gegenseitige Freundschaft.

13. D.h. Luther habe die Gelegenheit geschaffen, damit der Kern, das Mark des göttlichen Gesetzes, wieder zum Leuchten gebracht wurde.