Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 64

Eck an Luther

Ingolstadt
20-09-1518

Nürnberg StB, Pirckheimerpapiere 406, p 12, Nr 7
WA Br 1, Nr 94, 204f;  ENDERS 5,3
[F 213.f]

Eck bestätigt den Eingang eines (verlorenen) Briefes Luthers und weist den dort enthaltenen Vorwurf zurück, er sei als Richter in eigener Sache "blind". Er rühmt seine eigene "Bescheidenheit" ("modestia Eckiana"). Er vermißt einiges im Urteil Luthers über seine Kontroverse mit Karlstadt, auf das er jedoch in einem späteren Brief eingehen will. Er bestätigt, Luthers » Responsio« auf den »Dialogus« des Prierias gelesen zu haben. Sein Urteil darüber werde Luther wohl nicht wirklich interessieren. Er erschrecke auch nicht vor dem neuen Angriff Karlstadts in Gestalt seiner »Defensio adversus eximii D. Ioannis Eckii monomachiam«: dieser möge prüfen, ob er, Eck, die Scholastiker, Kanonisten und Kirchenväter gelesen habe oder nicht. Er hofft im übrigen mit Gottes Hilfe auf ein baldiges Ende des unrühmlichen literarischen Streites zwischen ihnen, zum Nutzen der theologischen Studien und der Frömmigkeit.

Luthers >Responsio< auf den >Dialogus< des Prierias gelesen zu haben<

Eccius fratri Martino Luther Augustiniano et in Domino Hiesu bene agere.

Accepi literas tuas, (1) humanissime Martine, in quibus ab initio id causae in me torques, quo omnis homo caecutire dicitur, cum iudicium in re propria suscipiat. Itaque ipse, qui modestiam servasse me iudicem, tuis terminos excesserim.

Vide autem, mi Martine, quam velle illud in te retorquere, cum tu (quem negotium non mediocriter ob collegam (2) tangit) iudicium feras immodestiae Eccianae in re ferme propria, cum Eccius contra ab aliis et gravissimis viris modestiae iudicium sit assequutus, imo, ut verum tibi dicam, plures doctissimi viri partim causantur hanc meam modestiam,(3) quod in lenitudinem vergat, partim vero admirantur, quod calorem meum iuvenilem non ignorent. Iudicium vero tuum inter nos ambos repetitis vicibus legi, et quid in eo desiderem, proximis literis plane ex me audies, nam tabellarii festina abitio et plurimarum literarum scriptio iam me impedit.

Legi quoque responsionem tuam ad dialogum Silvestri, (4) de quo ut verum tibi dicam, sicut eum non utique reprobo, ita nec ubique approbo, quamvis non nesciam, quam parum referat apud te Eccium sic aut aliter iudicasse. (5)

Quod Carolstadius iterum stomachatur et novum instruit mecum bellum (6), non sum Torsites (7); nihil est, quod formidem, qui diu congressum bellicum expetii; in harenam descendat, congrediatur, experiatur, an Eccius scolasticos forenses aut ecclesiasticos legerit. (8) Quodsi ingredi noluerit, sed more vetularum nova convicia meditabitur, apud indoctos et improbos posset quidem sententiam ad vota consequi, at melius de eo spero, quod facturus sit, velut vir bonus. Tunc indubie res felicem sortiretur eventum, quod si bonus esse velit, nihil est, quod eum curem, uti »nec elephas murem«. (9)

At Deus optimus faxit, ut istud incendium literarum inter nos iam conflatum cum honore nominis sui et veritatis aliquando finem sumat, ut sic theologiae studium (contemptabiliter hactenus habitum) vigeat et floreat, revirescat religio ac populi devotio, (10)
pro quo simul devote oremus, mi Martine,
qui bene valeas in Christo.

Ex Ingelstadt 20. Septembris anno gratie 1518.

Eck an Bruder Martin Luther, Augustiner, und alles Gute im Herrn Jesus!

Bester Martin: Ich habe Deinen Brief empfangen, in dem Du von Anfang an den Teil unseres Streitfalls gegen mich verdrehst, wodurch, wie es heißt, jeder Mensch geblendet wird, wenn er ein Urteil in eigener Sache fällt. Daher habe ich selbst im Glauben, meine Bescheidenheit bewahrt zu haben, in Deiner Sache die Grenzen überschritten.

Sieh aber, mein Martin, wie ich die Absicht verfolge, Dir Deine Vorwürfe zurückzugeben, da Du (den die Sache Deines Kollegen Karlstadt nicht wenig berührt) in wahrhaft eigener Sache mich der Unbescheidenheit zeihst, während ich dagegen von anderen, sehr bedeutenden Männern das Urteil von meiner Bescheidenheit erlangt habe. Ja, um Dir die Wahrheit zu sagen, viele sehr gelehrte Männer geben teils als Grund meiner Bescheidenheit an, daß diese geradezu zur Sanftmut neigt, teils wundern sie sich, weil sie mein jugendliches Feuer wohl kennen. Dein Urteil aber habe ich in unserem Briefwechsel wiederholt gelesen, und was ich diesbezüglich wünschen würde, wirst Du in meinem nächsten Brief offen von mir hören, denn die überstürzte Abreise des Boten und die Abfassung zahlreicher Briefe haben mich bisher daran gehindert.

Ich habe auch Deine »Antwort auf den Dialog des SILVESTER PRIERIAS« gelesen. Um Dir darüber die Wahrheit zu sagen:  Wie ich ihn nicht durchaus verwerfe, so billige ich ihn auch nicht in allem. Doch weiß ich wohl, wie wenig es Dir bedeutet, ob Eck so oder anders geurteilt hat.

Daß KARLSTADT erneut Streit anfängt und einen neuen Krieg mit mir anzettelt: ich bin kein THERSITES, ich fürchte mich vor gar nichts, da ich schon lange ein kriegerisches Zusammentreffen gewünscht habe. Er soll in die Arena hinabsteigen, mit mir zusammentreffen und herausfinden, ob ich die scholastischen Theologen, die Juristen oder die Kirchenväter gelesen habe. Weil er aber nicht kommen wollte, sondern sich wie ein altes Weiblein auf neues Gekeife beschränken und bei Ungelehrten und Unerfahrenen Zustimmung suchen wird, warte ich besser auf das, was er tun wird, als gutgesinnter Mann. Dann wird die Sache ohne Zweifel einen guten Ausgang nehmen, denn wenn er ein gutgesinnter Mann sein will, muß ich seinetwegen keine Sorge tragen, wie sich der »Elefant« nicht »um eine Maus« schert.

Gott der Allmächtige aber möge bewirken, daß dieser literarische Streit, der zwischen uns bereits angefacht ist, mit Ehre Seines Namens und der  Wahrheit irgendwann sein Ende findet und so das theologische Studium (das bis jetzt so verächtlich behandelt wird) sich entfalte und blühe und Religion und Frömmigkeit des Volkes wieder aufleben.

Dafür laßt uns gemeinsam demütig bitten, mein Martin,
und leb wohl in Christus.

Aus Ingolstadt, 20. September im Jahr der Gnade 1518.


1. Brief verloren. Vgl. Luther an Spalatin 31-08-1518: WABr 1, 192, 39ff.

2. D.h. Karlstadt. Zum ganzen Brief vgl. SELGE, Der Weg 177: »Ecks Ton ist hier merklich kühl, und es ist offenbar, daß er Karlstadt und Luther für mehr oder minder denselben Gegner ansieht.«

3. Zum Begriff »modestia Ecciana« s. OBERMAN, Werden und Wertung 178 Anm. 43: O. zitiert einen Brief Pirckheimers an Adelmann, von dem er vermutet, daß hier zum ersten Mal Ecks »modestia« apostrophiert worden sei, deren Luther oft und gern sarkastisch gedachte: »Sive enim R.D. Eystett. proprio motu seu tuo vel aliorum bonorum virorum persuasione audaciam ne dicam temeritatem hominis illius (Eckii) compescuit, mihi optimum fecisse videtur.«

4. LUTHER, Ad dialogum Silvestri Prieratis de potestate papae responsio: CCath 41 (Münster 1988): Dokumente zur Causa Lutheri 1, 42ff.

5. Vgl. Luther an Spalatin 11-12-1518: WABr 1.

6. Gemeint ist Karlstadts Schrift »Defensio adversus eximii D. Ioannis Eckii monomachiam«: s.o. Brief 28-08-1518, Anm. 1.

7. THERSITES: HOMER, Ilias 2, 211ff; Lästerer und Prahlhans, dessen gemeine Gesinnung mit körperlicher Mißgestalt in Einklang gesetzt wird.

8. Vgl. KARLSTADT, Defensio.

9. ERASMUS, Adagia 1, 9, 70.

10. Vgl. ECK, Defensio: CCath 1, 82, 4-16.