Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 67

Scheurl an Eck
24-11-1518:
Nürnberg

Scheurl-Archiv Fischbach, Cod 1, f 210(320)a
SODEN/KNAAKE, Briefbuch 2, 61f, Nr 177
[F 220.f]

Sch. weist Eck darauf hin, daß in der von Erasmus neu herausgegebenen Briefsammlung »Auctarium« auch der Brief des Erasmus an Eck vom 15-05-1518 und andere Eck interessierende Stücke enthalten seien. Hutten hat in einem Rechenschaftsbericht an Pirckheimer die Kontroverse Ecks mit den Wittenbergern erwähnt. Melanchthon hat in seiner Erziehungsschrift Ecks Dialektik kritisiert. Gerüchte um Karlstadt, Henning Göde und Eck. Luther ist nach seiner Rückkehr vom Augsburger Verhör durch Cajetan nach Wittenberg zum Kurfürsten gerufen worden, um ihm in Altenburg Bericht zu erstatten. Rom schweigt; es hat nur zwei Artikel Luthers verurteilt. Cajetan hat zugesichert, falls Luther diese widerriefe, könnten die übrigen Streitpunkte durch Anfügung kurzer Erläuterungen geklärt werden. Luther hat Cajetan freundliche Briefe geschrieben und schließlich an den Papst appelliert. Leo X. hat, ohne Luther anzuhören, noch vor Verstreichen der Zitationsfrist von 60 Tagen ein Breve gegen Luther ausgehen lassen. Trotzdem wagt an den Universitäten keiner gegen Luther zu schreiben. Ecks »Defensio« kursiert in Wittenberg. Kurze Nachrichten über Sbrullius und den Mediziner Petrus Burckhart. Daß sich Eck immer mehr von den Wittenberger Freunden distanziere, empfinde man dort als Unaufrichtigkeit.


(320r) Ad doctorem Ecken.

Fidem fraternam.

Circumfertur »Auctarium aliquot selectarum epistolarum Erasmi«, (1) cui tua quoque ad hunc inseritur item Erasmi ad Eckium (2) et rursus ad N. amicum ex animo dilectum, qua examinat libellum quendam de doctrina sua concluditque aliquando authorem, si ita vult, »picturum« doctis »suis coloribus«: nemo dubitat ex Eckiana officina prodiisse eum libellum. (3)

Interea Huttenus in epistola qua Vilibaldo vitae rationem reddit: (4) Eckius, ait, proscidit Carlstadium, civem meum, probum theologum; eidem cum Luthero bellum est; Luthero cum multis: en viros theologos impactis mutuo genuinis se concerpentes; multa Erasmum monet Eckius, ad quae ille (quid faceret aliud enim?) Erasmum praestat. (5)

Et Philippus Melanthon, Capnionis necessarius, (6) in sermone nuper ad iuventutem Wittenburgensem de corrigendis adulescentiae studiis: (7) De dialecticis, inquit, videamus, quae adhuc ex Tartaretis (8), Bricoo (9) perversore, Eckiis, copulatis bursae montis, (10) exercitiis taurinis et caninis, et aliis »huius farinae« (11) petimus.

Quae ego etsi tumultuario legens putavi tamen ad te scribenda.

Audio etiam Carlstadium triplicam moliri quae tuam duplicam elidat, quin etiam domum sibi partam apud Erphordenses Henningi Gode praepositi, (12) omnium quos ego noverim iureconsultorum facile principis, quod te eo mox evocaturus sit in harenam atque etiam ea lege disputaturus, ut singula verba calamus excipiat diligentissime. Interim de Eckio varia iudicia et quidem libera, pro suo quisque stomacho sentit: Eckius in Erasmo Augustinum, illi in Eckio nescio quid desiderant (13);

nolo enim iterum tua abuti humanitate qui me monitore non eges, (14) vellem tamen esse Eckium qualem amicissimi maxime optant, omnes aliquando futurum augurantur.

Martinus noster salvus rediit Wittenbergam pridie Kalendas Novembris, (15) desideranter exceptus applausu ingenti, mox Altenburgium a principe evocatus. (16) Hucusque Roma tacet neque mihi etsi Martini familiarissimo constat nisi duos articulos abiectos. (17) Hos revocato, ait Caietanus, reliqua per distinctiones solvamus. (18)

In altero agitur de thesauro Christi de quo in Extravaganti »Unigenitus«, (19) alterius materiam tractat conclusio VII.(20): quos ille multis modis dissolvit, scripsitque ad cardinalem non semel sed iterum humanissime, (21) tandem appellavit, (22) eam appellationem ex Lipsensi expectamus(23).

Breve parum quosdam movet, quod pontifex scripserat nondum audito Luthero ad diem XVI. ab insinuata citatione, quum illi dicta esset dies LX. (24) Quum doctrina sua pestilens videatur, admirantur plerique agente illo in medio gymnasiorum neminem contra hunc scribere.

Tuae defensiones apud Wittenb. publice distrahuntur. (25)

Meus Sbrullius, (26) cui destinandae erant litterae Othonis (27), Augustae agit apud d. Paulum, Caesaris ab organis (28).

Sed tu vale.

Nurenb. ad VIII. Cal. Decembris anno 1518.

Burchardus egregia celebritate Hippocratem profitetur, (29) quem super ceteros Germaniae medicos »ad unguem callet« et familiarem habet, ita ut nedum schola medica sed et academia per publicas litteras principi gratias egerit (30). Egregiam igitur ego quoque navavi operam, sed tu fratrem Franciscum (31) nomine meo salvum dices.

Quod in defensionum exordio Lutheri meministi ac si eius quoque iudicio non respondere non potueris, consilium istud amicos hostes constituendi, etsi parum processit, omnes tibi imputant tamquam minus sincere actum, ita ut neque excusationem recipiant. (32)


An Doktor Eck.

In brüderlicher Treue!

Es kursiert eine »Sammlung einiger ausgewählter Briefe« des ERASMUS, in die auch Dein Brief an jenen und ebenso der des Erasmus an Eck und wiederum an einen ungenannten »innig geliebten« Freund eingestreut sind, wo er ein gewisses Büchlein auf seine Lehre hin prüft und irgendwann auf einen Autor schließt, der, wenn man so will, »in seiner eigenen gelehrten Manier schreibe«. Niemand zweifelt, daß dieses Büchlein aus Ecks Druckerei hervorgegangen ist.

Inzwischen hat sich HUTTEN in einem Brief, in dem er WILLIBALD PIRCKHEIMER sein Leben schildert, folgendermaßen geäußert: »Eck«, so schreibt er, »beschimpft KARLSTADT, meinen Landsmann, einen bewährten Theologen; er selbst führt mit LUTHER Krieg, LUTHER mit vielen. Ja, die Theologen zerpflücken sich gegenseitig in der ihnen eigenen Streitsucht. Eck moniert vieles an ERASMUS, in dem er sich diesem überlegen fühlt (wer würde denn anders handeln?).«

Und PHILIPP MELANCHTHON, REUCHLINS Verwandter, schreibt in seiner neulich erschienenen Schrift an die Wittenberger Studenten »De corrigendis adolescentiis studiis« über die Logik: »Nun zur Logik: bis heute schöpfen wir diese aus TARTARETUS, ihren Verderber BRICOT, ECK und seinen zusammengerupften "Logischen Übungen" für die Montanerburse, geeignet für Ochsen und Hunde, und anderem dieses Zuschnitts«.

Trotz überstürzter Lektüre meinte ich, Dir dieses alles schreiben zu sollen.

Auch hörte ich, daß KARLSTADT unter einer dreifachen Last schwitzt, Du nur unter einer zweifachen, denn er hat in Erfurt das Haus des Präfekten HENNING GODE - der von allen, die ich kenne, bedeutendste Jurist - weil KARLSTADT meint, Du werdest bald dorthin gerufen und nach der Regel disputieren, daß sorgfältig jedes Wort mitgeschrieben würde. Inzwischen schnappt er verschiedene, zuweilen sehr freimütige, Urteile über Eck auf, zu jedermanns Schadenfreude: Eck wünscht sich, bei ERASMUS mehr von AUGUSTINUS zu lesen, jener bei Eck ich weiß nicht wen.

Ich will nicht aufs neue Deine Freundlichkeit mißbrauchen, denn Du brauchst mich nicht als Mahner. Dennoch möchte ich, daß Eck so sei, wie ihn sich seine Freunde am meisten wünschen: alle prophezeien, er werde einst so sein!

Unser MARTIN LUTHER ist am Vorabend der Kalenden des November wohlbehalten nach Wittenberg zurückgekehrt und wurde voller Sehnsucht unter gewaltigem Beifall empfangen. Bald wird er vom Fürsten nach Eilenburg gerufen.

Rom schweigt bis jetzt; für mich, obgleich mit MARTIN in engem Kontakt, steht nur fest, daß zwei Artikel von ihm verworfen worden sind. Sollte er diese widerrufen, sagt CAJETAN, »werden wir den Rest durch genauere Distinktionen klären.«

Im einen Artikel geht es um den Schatz Christi, von dem in der Extravagante »Unigenitus« die Rede ist; das Thema des anderen Artikels steht in der 7. Conclusio. LUTHER hat sie in vielfältiger Weise analysiert und nicht nur einmal, sondern wiederholt in verbindlicher Weise an den Kardinal geschrieben und schließlich sogar appelliert: diese »Appellatio« erwarten wir aus Leipzig.

Das Breve des Papstes bewirkt gar wenig: der Papst hatte es verfaßt, bevor Luther angehört wurde, nämlich am 16. Tag seit Eingang der Zitation, die auf den 50. Tag festgesetzt war. Da seine Lehre »Gift« sein soll, wundern sich viele, daß er an den Universitäten aus und ein geht, aber keiner gegen ihn schreibt.

Deine Verteidigungsschriften gegen KARLSTADT werden in Wittenberg öffentlich verkauft.

Mein SBRULLIUS, an den Briefe OTTO BECKMANNS bestimmt waren, wirkt in Augsburg beim kaiserlichen Rat PAULUS.

Du aber lebe wohl!

Nürnberg, 24. November 1518.


PETRUS BURCKHARD wirkt als berühmter Mediziner, er ist als Arzt erfahrener als alle anderen in Deutschland und mit dem Eid des HIPPOKRATES eng vertraut, so sehr, daß nicht nur die medizinische Schule, sondern die Akademie selbst brieflich dem Fürsten für seine Berufung gedankt haben. Daher greife auch ich ihm unter die Arme; Du aber grüße in meinem Namen seinen Bruder FRANZ!

Daß Du am Anfang Deiner Verteidigungsschriften gegen KARLSTADT den Namen LUTHERS offen erwähnt hast, auch wenn Du nach dessen Meinung antworten mußtest, so hat doch diese Idee, sich aus Freunden Feinde zu machen, wenn sie auch nicht sehr weit geht, bewirkt, daß alle Dir vorwerfen, Du habest das nicht aufrichtig getan, so daß sie auch keine Entschuldigung annehmen wollen.



1. Die im Jahre 1518 von Erasmus herausgegebene Sammlung seiner Briefe: »Auctarium selectarum aliquot epistolarum ad eruditos et horum ad illum.« Basel, J. Froben, 1518. Zum vorliegenden Brief als Ganzem vgl. WIEDEMANN 409, GRAF 79.

2. Gemeint sind die Briefe Ecks an Erasmus 02-02-1518 und Erasmus an Eck 15-05-1518: s.o.

3. Picturum doctis suis coloribus: Sprichw. Redensart. - Welche Schrift ist gemeint?

4. Hutten an Pirckheimer: BÖCKING 1, 216 u. PIRCKHEIMERS BRIEFWECHSEL 3, 400 - 426 (Nr 561 vom 25-10-1518).

5. Ebd.

6. Reuchlin war Melanchthons Großonkel.

7. MELANCHTHON, De corrigendis adolescentiae studiis: CR 11, 19; MSA 3, 29-42.

8. Petrus TARTARETUS, bedeutender skotistischer Theologe der Universität Paris, 1490 deren Rektor: s. LThK (2.A.) 9, 1304;  LThK(3.A.)  8, 140f (GERHARD KRIEGER)

9. Thomas BRICOT, gest. 1516, Pariser Theologe, verfaßte Lehrbücher zur Logik. 1511 unterstützte er das antipäpstliche 2. Konzil von Pisa; 1514 gehörte er zu der Pariser Theologenkommission, die Reuchlins Schriften einer Prüfung unterzog und dabei aus dessen »Augenspiegel« verdächtige Thesen auszog (20-05-1514). Die »Epistolae Obscurorum virorum« II, ep. 54 machen sich über ihn lustig. Zum Urteil des Erasmus über Bricot vgl. ALLEN ep. 1304 und ASD I-2, 220. S. über ihn BIETENHOLZ, Contemporaries of Erasmus 1, 199f (James K. FARGE).

10. Montanerburse: eine der drei berühmten Studienhäuser der Kölner Universität; Zentrum des Thomismus. Vgl. Götz-Rüdiger TEWES, Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jhdts. Köln 1993. S. 27-46. 385-389.706-713.748-805

11. "Stier- und Hundekämpfe". - huius farinae: PERSIUS 5, 115.

12. Henning GÖDE, gest. 21-01-1521 Wittenberg, Syndikus der Stadt Erfurt, Scholaster der Stiftskirche Beatae Mariae Virginis; lehrte an der Juristenfakultät; neben Usingen und Trutfetter Vertreter der konservativen Richtung, jedoch maßvoller Förderer des Humanismus. Nach seiner Vertreibung aus Erfurt 1509 wurde er 1510 vom sächs. Kurfürsten aufgenommen. Vgl. über ihn W. FRIEDENSBURG, Gesch. der Univ. Wittenberg 61f.142ff; LThK 4 (2.A.), 1034; 4 (3.A.), 814 (G. MAY).

13. Vgl. Brief 02-02-1518.

14. Ebd.

15. Luther verließ Augsburg am 20-10-1518 und gelangte über Nürnberg am 31-10-1518 nach Wittenberg.

16. Luther hatte unter dem 19-11-1518 dem Kurfürsten über seine Unterredung mit Cajetan berichtet: Dokumente zur Causa Lutheri 2, 204-215. Die Altenburger Begegnung und die Unterredungen mit dem päpstl. Nuntius und Kammerherrn Karl von Miltitz fanden erst im Dez. 1518 und Jan. 1519 statt: ebd. 230.

17. Die zwei von Cajetan in Augsburg verworfenen Artikel Luthers betrafen den "Thesaurus indulgentiarum", wie er in Clemens VI. Dekretale »Unigenitus« von 1343 definiert war, sowie Luthers Auffassung von der "fides sacramenti": Dokumente 2, 89- 109. S. auch u. Anm. 19f.

18. d.h. durch Anbringen von erläuternden Fußnoten.

19. FRIEDBERG 2, 1304ff.

20. LUTHER, Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute: WA 1, 543. 541.

21. Dokumente 2, 110-116.

22. Luthers 1. Appellation von Cajetan an den Papst vom 22-10-1518: Dokumente 2, 116-126.

23. Scheurl erwartet, aus Leipzig einen Plakatdruck der 1. Appellation zugesandt zu erhalten, den er dann an Eck weiterleiten will.

24. LEO X., Breve »Postquam ad aures« vom 23-08-1518, dessen Echtheit Luther wegen der widersprüchlichen Terminierung seiner Zitation nach Rom anzweifelte: Dokumente 2, 56-69.

25. Ecks »Defensio contra amarulentas invectiones« gegen Karlstadt.

26. Ein Freund Scheurls aus dessen Bologneser Studienzeit: GRAF 68 mit Anm.

27. Gemeint ist Otto Beckmann (1476 - 1556), Humanist, seit 1514 Kanoniker am Wittenberger Allerheiligenstift und Freund Luthers, Melanchthons und Karlstadts. Vgl. NDB 1, 729; LThK 2 (2.A.), 92, 2 (3.A.), 116.

28. Welcher kaiserl. Rat ist gemeint?

29. Petrus BURCKHART, Mediziner in Wittenberg, Bruder des Ingolstädter Professors für Kirchenrecht Franz Burckhart: s. unten Brief 01-07-1519.

30. ad unguem callet: vgl. HORAZ, Sat 1, 5, 32: bestens erfahren sein. - Für die Berufung Burckharts nach Wittenberg dankte nicht nur die Medizinische Fakultät dem Landesfürsten, sondern die gesamte Hochschule.

31. Franz Burckhart: vgl. o. Anm. 29.

32. Ecks fortschreitende Distanzierung von Luther und den Wittenberger Freunden wird von diesen als unaufrichtig empfunden: vgl. GRAF 79.