Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 73

Luther an Eck

Wittenberg/Leipzig [?]
07-01-1519

Nürnberg StB, Pirckheimerpapiere Nr 406, p 7, Nr 4
WA Br 1, 295/297, Nr 132; ENDERS 5,4
[F 213.f]

Luther befürchtet, daß die Verhandlungen mit der Universität Leipzig um die Zulassung der Disputation scheitern und diese "ins Wasser fällt". Die Universität habe sich für die gewünschte Schiedsrichterrolle als nicht zuständig erklärt; ein Urteil zu sprechen sei Sache der Bischöfe. Luther verteidigt sein Urteil über Johannes Tauler, den er in den »Resolutiones« Thomas, Bonaventura und Alexander Halensis vorgezogen habe und über den sich Eck geringschätzig geäußert hat. Eck möge Tauler zuerst lesen, ehe er ihn als "Träumer" abtue. Ecks Kirchenverständnis ist nicht das einzig denkbare und mögliche. Obgleich Tauler der "Kirche" Ecks nicht bekannt sei, an den Universitäten nicht vermittelt werde und er nichts in Latein geschrieben habe, hat Luther aus dessen Schriften mehr gelernt als aus allen anderen. Eck soll nicht verurteilen, was er nicht kennt. Er ist mit all seinem "scholastischen Zeug" gar nicht fähig, eine einzige Predigt in der Art Taulers zu verfassen.



Martinus Luther philosopho et theologo inter primos Ioanni Eccio, viro polyphemo, Ingolstadii procancellario, domino et maiori.

Egimus multis, mi Ecci, ut domini Lipsenses munus illud nobis darent, de quo scribis, (1) sed simpliciter recusant, causantes non esse sui operis hanc operam in hac re praestare, sed ad ordinarios hanc iudicii censuram pertinere.

Ita enim ad meas literas respondit Dominus Decanus theologiae, (2) quo fit, ut disputatio ista in spongiam (timeo) sit casura, (3) nisi tu aliud consilii habueris.

Caeterum expecto et quidem avidissime, quod promittis, tete invenisse in resolutionibus meis adeo et ipsa fundamenta mea nihil valere. (4) Miraris enim, quod unum Taulerum, nescio (inquis) quem, (5) praetulerim Thomae, Bonaventurae, Alexandro etc., ridiculumque tibi videtur, quod, cum tot ego reiecerim viros, unum hunc mecum expostulem recipi a vobis eumque ecclesiae ignotum. (6) Verum rogo, antequam eum somniatorem definias, digneris perlegere, nisi et tua longa nugandi consuetudine callidissimorum illorum unus es, qui ecclesiam vocant papam, episcopos aut doctores universitatum et quicquid his ignotum fuerit, statim ecclesiae ignotum pronunties, quamquam miror, quis tibi dixerit ignotum ecclesiae. Tu autem ecclesia es, omnia tibi nota sunt.

Vides neque soleas inconsiderate praesumere et iudicare. Quare si me monere voles, quaeso, adhibe iudicii acrimoniam et singula diligenter perpende. Cogita, quam non ignorarim eum esse ignotum ecclesiae tuae, quando dixi eum in scolis publicis non haberi nec in lingua latina scriptum, dein qua ratione eum praetulerim scolasticis, quod plura in hoc uno didici quam in caeteris omnibus.

Haec mea verba quam prudens praeteriisti. Et tamen nescio quae tandem fulmina propemiseras meam ruditatem intendans, quasi ego tua etiam non legerim et cognoverim, tu autem tua dumtaxat, meum vero nescio inquis quem.

Sed age, ut non nescias quem, legas prius, ne insulsus iudex inveniaris, damnans, quod ignoras. Et ne exigam, quae ultra tuas vires sint, non opto, ut tu conflatis omnibus et singulis tuis scolasticis unum componas sermonem similem uni illius; (7) non hoc exigo, certus, quod impossibilia tibi sunt. Sed hoc solum insulto: adhibe omnes nervos ingenii tui cum omni copia eruditionis tuae scolasticae, et totam...si unum aut alterum sermonem eius intelligere digne possis. Postea credemus tibi illum esse somniatorem, te vero unum vigilatorem aut certe apertis oculis dormitantem.

Haec ideo, mi Ecci, scribo, quod nolim tete frustra operam monendi mei insumere, sed aliquid machinari, quod ingenio et studio tuo dignum sit, ut uterque tempus non male collocet.

Vale in Domino, mi Ecci.
Lipsi. 7. Ianuarii 1519.

Dem erstrangigen Philosophen und Theologen Johannes Eck, dem »Einäugigen« [Polyphem], Prokanzler in Ingolstadt, seinem Herrn und Meister!

Wir haben vieles unternommen, mein Eck, damit die Leipziger Herren uns die Gunst erweisen, von der Du schreibst; sie lehnen aber rundweg ab mit der Begründung, es sei nicht ihre Aufgabe, sich in dieser Sache zu engagieren, sondern es gehöre in den Zuständigkeitsbereich der Bischöfe, hier die Entscheidungsgewalt wahrzunehmen.

So nämlich antwortete der Herr Dekan der theologischen Fakultät. So wird wohl (so fürchte ich) unsere Disputation ins Wasser fallen, solltest Du nicht einen anderen Vorschlag gemacht haben.

Weiterhin erwarte ich sehr begierig Deine Begründung dafür, daß Du in meinen »Resolutionen« festgestellt haben willst, daß darin selbst meine Grundgedanken wertlos sind. Du wunderst Dich nämlich, daß ich allein TAULER, von dem Du sagst, nicht zu wissen, wer das ist, gegenüber THOMAS, BONAVENTURA, ALEXANDER HALENSIS und anderen den Vorzug gegeben habe. Lächerlich scheint es Dir, daß ich von Dir fordere, diesen einen zu akzeptieren, nachdem ich soviele bedeutende Männer zurückgewiesen habe, und noch dazu einen, der in der Kirche unbekannt sei. Ich bitte Dich aber, bevor Du ihn als »Träumer« bezeichnest, ihn selbst zu lesen, damit Du nicht in Deiner Gewohnheit, lang und breit Nichtigkeiten zu verbreiten, einer jener Überschlauen seist, die unter Kirche nur Papst, Bischöfe oder Universitätsprofessoren verstehen und die das, was ihnen unbekannt war, zugleich auch als für die Kirche unbekannt darstellen, wenn ich mich auch wundere, wer Dir gesagt hat, TAULER sei der Kirche unbekannt. Du aber bist die Kirche; alles ist Dir bekannt.

Siehst Du denn nicht, wie Du Dir Dinge, über die Du nicht nachgedacht hast, anzumaßen und sie zu verurteilen pflegst? Wenn Du mich deshalb kritisieren willst, urteile scharfsinnig und erwäge sorgfältig die Einzelheiten! Bedenke, wie mir nicht unbekannt war, daß jener in Deiner Kirche unbekannt ist, als ich sagte, er werde in den öffentlichen Schulen nicht behandelt und sei nicht in lateinischer Sprache abgefaßt; aus welchem Grund ich ihn dann den Scholastikern vorgezogen habe, weil ich nämlich bei ihm mehr gelernt habe als bei allen anderen.

Diese meine Worte hast Du in Deiner Klugheit übergangen. Und dennoch hast Du - ich weiß nicht was für Blitze - gegen mich geschleudert in Anspielung auf meine »Unbildung«, gleichsam als hätte ich Deine Äußerungen nicht gelesen und verstanden, Du aber höchstens Deine eigenen Gedanken; meine aber nennst Du »ich weiß nicht, wessen«.

Lies zuerst, damit man in Dir nicht einen inkonsequenten Richter sieht, der verdammt, was er nicht kennt. Und um nicht etwas zu fordern, was über Deine Kräfte hinausgeht, mache ich mir keine Hoffnung, daß Du beim Zusammenkehren aller Deiner Scholastiker im Einzelnen auch nur einen Sermon zustandebringst, der diesem einen ähnlich ist. Ich fordere es nicht, weil ich dessen gewiß bin, daß Dir das unmöglich ist. Mit dem einen aber möchte ich Dich herausfordern: Strenge alle Deine Geisteskräfte an zusammen mit Deinem Vorrat an scholastischer Gelehrsamkeit, und zwar ganz, ob Du auch nur einen oder einen anderen Sermon dieses Mannes angemessen verstehen kannst. Danach werden wir überzeugt sein, daß jener für Dich zwar kein »Träumer« ist, Du aber ein Nachtwächter bist oder besser einer, der mit offenen Augen schläft.

Ich schreibe Dir dies, mein Eck, damit Du nicht vergeblich die Mühe, mich zu kritisieren, auf Dich nimmst, sondern etwas ins Werk setzt, was von mir nicht umgestoßen werden kann und was mich dazu treibt, meine Meinung zu ändern: das heißt, etwas, das Deinem Geist und Deinem Eifer würdig ist und wir unsere Zeit nicht vergeuden.

Leb wohl im Herrn, mein Eck.
Leipzig, 7. Januar 1519.



1. Briefe fehlen (Luther an die Theol. Fakultät Leipzig, Eck an Luther).

2. Brief fehlt. Vgl. den Brief des Dekans und der Doktoren der Theol. Fakultät Leipzig an Hg. Georg vom 26-12-1518: GESS, Akten 1, 49, Nr. 63.

3. "dem Schwamm anheimfallen", d.h. ausgelöscht sein, nichtig sein, nicht stattfinden.

4. Eck hatte also behauptet, er könne aus Luthers »Resolutiones« ersehen, daß dessen theologische Grundlagen nichts taugten: vgl. SELGE, Der Weg 185.

5. Eck wundert sich, daß Luther den einen, in der Kirche sonst unbekannten, Tauler Gelehrten wie Thomas, Bonaventura und Alexander Halensis vorziehe. Johannes TAULER OP, oberrheinischer Mystiker (nach 1300 Straßburg- 16-06-1361 ebd.). Vgl. B. MOELLER, Tauler und Luther: La Mystique Rhenane. Colloque de Strasbourg 16. - 19. mai 1967 (Paris 1968), 157- 168; E. OZMENT, Homo Spiritualis. A comparative study of the anthropology of Johannes Tauler, Jean Gerson and Martin Luther (1509 - 1516) in the context of their theological thought. Leiden 1969; G. Ruhbach, Tauler und Luther, in:  Ebernburg-Hefte 3 (1969) S. 285 - 296; LOUISE GNÄDINGER in: LThK(3.A.) 5, 971f.

6. Vgl. LUTHER, Resolutiones (WA 1, 557, 25-32): »...ich weiß zwar, daß dieser Lehrer in den Schulen der Theologen unbekannt und deshalb vielleicht verächtlich ist; aber ich habe darin, obgleich das Buch in deutscher Sprache geschrieben ist, mehr von gründlicher und lauterer Theologie gefunden, als man bei allen scholastischen Gelehrten aller Universitäten gefunden hat oder in ihren Sentenzen finden könnte.«

7. Eck soll Taulers Predigten lesen, ehe er ihn verurteile. Luther hat bereits 1516 Randbemerkungen zu Taulers Predigten verfaßt (WA 9, 98ff); J. FICKER, Zu den Bemerkungen Luthers in Taulers Sermones (Augsburg 1508): Theol. Studien und Kritiken 107 (1936), 46-64; H.A.OBERMAN, Simul gemitus et raptus: Luther und die Mystik: Die Reformation 45-89; E. ISERLOH, Luther und die Mystik: Kirche Ereignis und Institution Bd 2, 88-106; E. VOGELSANG, Luther und die Mystik: LJb 19 (1937), 32-54.