Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 92

Eck an Christoph Tengler (1)

Ingolstadt
26-08-1519


Linz an der Donau, Oberösterr. Landesarch. Hs. Nr. 137 (Kopie)
Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen, Notizenbl 4 (Wien 1854), 500; POLLET, Pflug V,2 45-47.

Eck hat Tenglers letzten Brief verloren, will ihm hiermit eine Zusammenfassung der Vorgänge in Leipzig senden. Leider haben die Wittenberger ein Schiedsgerichtsurteil der Leipziger Universität nicht zugelassen und schreiben jetzt lügnerische Briefe. Man hat Eck anfangs recht kühl in Leipzig empfangen; dann aber hat er die Sympathien von Herzog Georg, der Universität und der Stadt gewonnen. Drei Wochen hat die Disputation gedauert. Luther hat anfangs nicht disputieren wollen. Eck kritisiert die Disputationsweise seiner Kontrahenten sowie ihren überstürzten Aufbruch. Inzwischen hat man in ihrer Abwesenheit in allen Fakultäten weiterdisputiert. Eck blieb elf Tage nach der Disputation in Leipzig, nahm Einladungen an und sprach welche aus. Herzog Georg zahlt Eck die Herberge; er erhält auch Geld vom Brandenburger Bischof und eine Tunica von der Stadt. Ecks Ausgaben während seines Aufenthaltes. Er ließ den Wittenbergern die Wahl zwischen verschiedenen Universitäten, da sie das Urteil Leipzigs ablehnten. Herzog Georg und die Universität haben Eck vortreffliche Zeugnisse ausgestellt; das Gutachten der Theologischen Fakultät legt Eck dem Brief bei. Er sendet Tengler ein Exemplar der »Theologia mystica« des Dionysius Areopagita. Er hat damit begonnen, gegen Luthers 13. Resolutio zu schreiben (»De primatu Petri«).


S.P.

Literas tuas, celeberrime vir, accepi a M. Michaele, (2) sed antequam legerem, perdidi eas. Restat ut tibi modicum aperiam super disputatione Lipsensi, quae secundum omnia vota mea est expedita, ut summarium habeas: (3) eo dempto, quod Lipsenses non sunt permissi iudicare, et sic iudicio nondum lato Wittenbergenses liberius mentiuntur ubique literas mittendo et mira scribendo. (4)

Inprimis magna difficultate et periculo adii Lipsiam; multa timens ab via regia declinavi veniens ad Lipsiam. (5) Satis cum honore sum susceptus, licet tepide de me sentirent, quia vel erant Lutherani vel timebant me non posse resistere Luthero et Carlestadio. Sed cum ad disputationem ventum est, omnium quasi Lipsensium animos mihi conciliavi et in me converti, ut Princeps ipse christianissimus dux Georgius, sui Senatores, universitas, civitatis Senatus omnes optarent, ut possint Eckium habere apud se.

Disputavimus per tres septimanas. (6) Luther non libenter disputavit, coegi tamen hominem, quod oportet dicere: (7) optime contra eos militavi, sicut omnia scripta sunt per notarios. Praedicavi etiam ibi in Ecclesiis contra Lutherum, et omnia feci. (8) Legerunt ipsi ex libris, et ferme omnia Carlstadius ex libris et schedis; (9) Eckius assumens more suo argumenta de verbo ad verbum, quae adversarius aliquando per horam deduxit, omnium ora in se convertit. Calumniantur tamen Wittenbergenses, qui etsi memoriam negare non possint, parvipendunt tamen. Ich hab in vil vortails gelassen, ut sacerdotes et cives saepe commonerent, ne facerem. Aliqui boni viri etiam schedas mihi miserunt ne facerem. Ich gabs aber gern zu, das man doch sech, quod non timerem eos, qui erant in magna comitiva instructi et libris, et omnes se iuvabant. (10)

Recesserunt cum magna impatientia sine valedictione. (11) Da blib ich darnach XI. tag, het erst guet leben mit gueten herrn, die mich invitierten, und ich sie herwiderumb. (12) . Et interea disputavimus per omnes facultates Lipsensium; nemo autem ex Wittenbergensibus aderat. Princeps tribus diebus interfuit disputationi et uni sermoni. Disputatum fuit ante et post prandium, et diebus festis dempto festo Visitationis et Petri.(13) Der Fürst hat mich auß der herberg gelest der XVIII gulden, aber die Wittenberger nicht (14). Der Bischof von Brandenburg donabat mihi XV kron, (15) Senatusque civitatis Lipsensium donabat mihi tunicam, aliis nihil. Bin für Erdfurt heraus haimlich gezogen (16).

Da sie nit wollten iudicieren lassen die von Leipzig, lies ich in die wal, daß sy zwo universitet namen per Germaniam, sed non Wittenberg, et, si angusta esset Germania, acciperent ex Italia, Gallia, Hispania vel Anglia; (17) ita omnino nihil mihi timeam et veritati. Lutherani mira fingunt adversum me mendacia, sed veritas triumphat. Princeps et universitas optima dederunt mihi testimonia, et facultatis theologicae literas leges in fine epistolae impressas, ex qua Excellentia tua multa intelliget acta disputationis.

Vber das mir geschenkht ist worden, hab ich vber alle arbeit vnd muhe schier 40 gulden außgeben, sed non curo. Nostri adhuc deliberant, an velint aliquid mihi dare in subsidium. Bene iustum esset, ut ipsi has expensas solverent; nemo militat propriis stipendiis (1 Cor 9, 7) (18).

Luther est plenus haeresibus.

Vale raptim.

Mitto Dionysium (19) pro te et Mario; si plures vultis, mittentur. Incoepi iam scribere contra perfidum librum Lutheri de Primatu Ecclesiae Romanae, (20) wiewol vil pieberey zu Rom geschicht.

Tuus sum, optime vir, ad omnia vota.

Datum Ingolstadii 26. Augusti Anno 1519.

Tuus Eckius

Excellenti Domino et Reverendissimo Patri Domino Christophero Tengler, Juris Pontificii Doctori, et infra Anassum (21) officiali

Reverendissimi Episcopi Pataviensis, Domino suo et amico incomparabili.

Seid gegrüßt!

Euren Brief, berühmter Freund, habe ich von M. MICHAEL [KNAB] erhalten, aber ich verlor ihn, bevor ich ihn gelesen hatte.

Mir bleibt nur übrig, Euch einiges Wenige über die Leipziger Disputation zu eröffnen, die im Sinne meiner dortigen Darlegungen abgeschlossen wurde: Ihr habt somit eine kurze Zusammenfassung, außer, daß den Leipzigern nicht gestattet worden war, ihr Urteil abzugeben, und die Wittenberger somit ohne endgültiges Schiedsurteil offen Lügen verbreiten, indem sie überallhin Briefe versenden und ihre Fantastereien niederschreiben.

Zuerst gelangte ich mit großen Schwierigkeiten und Gefahren nach Leipzig; da ich vielerlei Befürchtungen hatte, bog ich auf dem Weg dorthin vom »Königsweg« ab. Ich wurde dort in üblicher Manier empfangen. Freilich hielten die Leipziger nicht viel von mir, da sie entweder Lutheraner waren oder fürchteten, ich könne mich gegenüber LUTHER und KARLSTADT nicht behaupten. Als es aber zur Disputation kam, gewann ich so ziemlich alle Leipziger für mich und nahm sie für mich ein, so daß der allerchristlichste Fürst, Herzog GEORG, seine Räte, die Universität und alle Räte der Stadt wünschten, mich bei sich zu haben.

Wir disputierten drei Wochen hindurch. LUTHER disputierte nicht freiwillig, jedoch drängte ich ihn, zu reden. Ich habe sehr erfolgreich mit beiden gestritten, wie es die Notare auch aufgezeichnet haben. Ich predigte dort auch in den Kirchen gegen LUTHER und tat alles, was in meiner Kraft stand. Sie selbst lasen aus Büchern vor, KARLSTADT beinahe nur aus Büchern und Zetteln. Hingegen nahm ich nach meiner Methode die Argumente Wort für Wort vor, die der Gegner zuvor über eine Stunde lang zerpflückt hatte: er brachte alle Stimmen gegen sich auf. Dennoch lästerten mich die Wittenberger. Wenn sie auch ihr Erinnerungsvermögen nicht leugnen können, spielen sie dennoch alles herunter. Ich habe ihnen viele Vorteile eingeräumt, so daß Geistliche und Bürger mich oft ermahnten, das nicht zu tun. Einige Gutgesinnte steckten auch mir Zettel mit Mahnungen zu. Ich habe es aber gern getan, damit man doch sähe, daß ich sie nicht fürchtete, obwohl sie mit großer Begleitung gekommen waren und sich auf Bücher stützten und ihnen alle halfen.

Sie zogen sehr aufbrausend und »ohne Lebewohl« wieder ab.

Ich blieb danach noch elf Tage in Leipzig und führte anfangs ein gutes Leben mit wohlwollenden Gastgebern, die mich einluden und ich umgekehrt auch sie. Mittlerweile disputierten wir an allen Leipziger Fakultäten; keiner der Wittenberger aber ließ sich blicken. Der Fürst wohnte an drei Tagen der Disputation und einer Predigt bei. Disputiert wurde vor und nach dem Mittagsmahl sowie an Festtagen, außer an Heimsuchung Mariens und Peter und Paul. Der Fürst hat für mich die Herbergskosten von achtzehn Gulden bezahlt: das tat er für die Wittenberger nicht. Der Bischof von Brandenburg schenkte mir fünfzehn Kronen, der Rat der Stadt Leipzig ein Obergewand, anderen gar nichts. Ich habe Leipzig heimlich in Richtung Erfurt verlassen.

Da sie die Leipziger nicht das Schiedsurteil sprechen lassen wollten, ließ ich ihnen die Wahl, zwei Universitäten in Deutschland außer Wittenberg und, falls Deutschland ihnen zu eng wäre, in Italien, Frankreich, Spanien oder England zu akzeptieren. Für mich und die Wahrheit befürchtete ich überhaupt nichts. Die Lutheraner erfanden wundersame Lügen über mich; die Wahrheit aber siegt! Der Fürst und die Universität haben mir beste Zeugnisse ausgestellt. Ihr werdet am Ende dieses Briefes das Schreiben der Theologischen Fakultät gedruckt lesen, aus dem Eure Exzellenz vielerlei über den Gang der Disputation erfahren wird.

Über das hinaus, was mir erstattet wurde, habe ich für all meine Arbeit und Mühe etwa vierzig Gulden ausgegeben, aber das ist mir egal. Die Unsrigen beratschlagen noch, ob sie mir etwas unter die Arme greifen sollen. Es wäre wohl gerecht, wenn sie mir meine Ausgaben voll erstatten würden: niemand führt aus eigenen Mitteln Krieg, 1 Kor 9.

LUTHER steckt voller Häresien!

In Eile, lebt wohl!


Ich schicke den DIONYSIUS für Euch und MARIUS. Solltet Ihr mehr Exemplare wollen, schicke ich sie Euch. Ich habe gerade begonnen, gegen das unverschämte Buch LUTHERS über den Primat der römischen Kirche zu schreiben, obgleich es in Rom durchaus viele Spitzbuben gibt.

Ich bin der Eure, bester Freund, und tue das, was Ihr von mir erwartet.

Gegeben in Ingolstadt, 26. August 1519.

Dein Eck

1. Zu Tengler s.o. Brief 03-04-1517 u. POLLET, Pflug V/2, 45 Anm.1.

2. Michael Knab: vgl.o.Brief 18-02-1519.

3. Ein "Summarium" wie im Fall der Briefe 01-07-1519, 24-07-1519 u. 08-11-1519. - Unser Brief bietet ein sehr gutes Beispiel für Ecks lateinisch-deutsche Zweisprachigkeit in alltäglichen Situationen: vgl. BRANDT, Predigttätigkeit 21; zu Luthers Zweisprachigkeit vgl. STOLT, Zweisprachigkeit.

4. Vgl. den Schlußteil des Kontrakttextes zur Leipziger Disputation (SEIDEMANN, Die Disputation 138 Beilage 28): »...Als vormals angetzeigt, das dye berurten Doctores sich yrer Disputation halben Richter voreynigen sollen, haben sie nachfolgender Maß gethan: Als nemlich Doctor Joannes Eckius und Doctor Martinus Luter haben bewilligt In dye zwue universiteten Paris und Errffordt, Aber Doctor Eckius und doctor karlstadt haben In dye universitet Erffurdt alleyne bewilligt, und ob meher facultetenn dann dye Doctores Theologie und Canonum auff solch yr einbrengen erkennen sollen, Sal In Meyns g. hern Hertzog Georgen zu Sachsen etc. gefallen gestelt seyn, und denselbien mogen seyn f.g. solche acta zuschicken, und haben weytter außgetzogen, das zu solchem erkentniss dye veter der zweyer orden Augustinensium und predicatorum zu Erffurdt nicht sollen gebraucht werden. Zu urkunde haben wir gnanten drey Doctores uns mit unsern eygen handen unden an Dise schrifftt underschrieben. Geschehen zu Leyptzk Donnerstag Nach Margarethe virginis Anno etc XV et XIX. (14-07-1519). - Ich Johann von Eck Doctor etc. bekenne mit diser meiner aigen handt geschrifft: das ich in obgemelt artickel, wie syhir verzeichent sindt, verwilligt hab: auch die angenommen unnd Denen wie sy gebürt und billich ist, treulich leben will unnd volg zu leiptzig XIIII. Julij Anno M.D.XIX. - Ich Endres Bodenstein Doctor etc. beken mit dieser Handtschrifft, das ich, wie obgemelt, bewilligt und gelobt, auch zwkunfftigklich geburlich halden und geleben. Datum vts. - Unnd ich D. Martinuss Luther bekenn auch mit dißer meyn Handschrifften gleych den vorichenn Herrn Doctoren. Datum vts«.
Wichtig ist auch folgender Passus (ebd 137): »Solche Disputationes und derselben Exemplar nicht sollen Jnn druck bracht adder sust publiciret werden, Es sey dann das sich beyde teyl eyns Richters voreynigt und desselbigen spruch darauff publiciret und eroffent werde.« Vgl. Brief 01-07-1519, Anm. 1.

5. Eck wich aus Vorsicht von der "Königsroute" Frankfurt am Main - Erfurt - Leipzig ab.

6. 22-06 - 16-07-1519.

7. Vgl.o.Brief 01-07-1519, Anm.31.

8. Vgl.o.Brief 01-07-1519, Anm.43.

9. Vgl.o.Brief 01-07-1519, Anm.27ff.

10. Vgl. dazu Ecks »Defensio contra amarulentas Bodenstein invectivas«: CCath 1.

11. Vgl.o.Brief 24-07-1519, Anm.40.

12. Vgl.o.Brief  24-07-1519 Anm. 41: »Ego iam nonum diem hic moror finita Disputatione, quae tres duravit septimanas« (24-07-1519)

13. Princeps: Herzog Georg. - Am 02-07-1519 und 29-06-1519 wurde nicht disputiert.

14. Hg. Georg bezahlte für Ecks Aufenthalt, nicht aber die gegnerische Seite.

15. Bischof Hieronymus Schultz (Scultetus) war von 1507 - 1521 Bischof von Brandenburg: EUBEL Bd 3, 139.

16. Eck verließ Leipzig heimlich.

17. Vgl. hierzu den Briefwechsel zwischen Caesar Pflug und Herzog Georg: GESS Bd 1, Nr.124f u.134 sowie o. Brief 15-07-1519(Ecks Gutachten).

18. Eck hatte in Leipzig bedeutende Auslagen ("graves expensas") und verlangte eine teilweise Vergütung durch die Universität. Obgleich sich der Senat dazu bereit zeigte, überließ er die letzte Entscheidung darüber dem hzgl. Rat Leonhard von Eck, was Eck mißfiel: UA München D III 4, 41 (Senatsprotokoll der Sitzung vom 25-08-1519). Luther berichtet am 13-10-1519 an Spalatin, Eck habe auch von der römischen Kurie Entschädigung gefordert.

19. »D.Dionysii Areopagitae de mystica theologia lib.I. Graece Ioan. Sarraceno, Ambrosio Camaldul., Marsilio Ficino interpret. Cum Vercellensium extractione. Ioan. Eckius commentarios adiecit pro theologia negativa Ingolstadii«. Augsburg, Johannes Miller, 25.5.1519 = METZLER Nr. 23 (1).

20. Gemeint ist Luthers »Resolutio super propositione XIII.de potestate papae«; Ecks Gegenschrift »De primatu Petri« war gerade in Arbeit: vgl.u.Briefe 01-04-1520 sowie 03-05-1520, Anm.5.

21. Nieder-Enns = Nieder-Österreich.