Übersicht Reformationsgeschichte - Übersicht Briefwechsel Eck
Nr. 98

Eck an Christoph von Schrofenstein, Bischof von Brixen

Ingolstadt
13-11-1519

ECK, Aristotelis Stagyritae philosophi De anima Libri III. Per Argyropilum etc.Ex antiqua traductione. Adiectis Eckii commentariis. S.l.a. = Augsburg, S. Grimm /M. Wirsung, 1520, Ai' Widmung Ecks = METZLER Nr 34

Die Natur der menschlichen Seele ist von solchem Adel, daß sie noch von keinem Erklärer ihrer Würde entsprechend gedeutet werden konnte. Eck streift die Deutungsversuche der Völker der Alten Welt, die hermetischen Schriften, Pico della Mirandola und Plato, um sich dann Aristoteles zuzuwenden, der als "Fürst der Philosophen" die Funktion der Seele innerhalb und vermittels des Leibes in seiner Schrift »De anima« dargestellt hat. Um diese Schrift den Naturforschern der Gegenwart besser verständlich zu machen, hat Eck sie unter Zuhilfenahme der besten Erklärer mit Kommentaren versehen und sie zusammen mit den kleineren naturphilosophischen Schriften des Aristoteles dem Bischof von Brixen gewidmet, dessen bedeutende Rolle als Berater Kaiser Maximilians Eck hervorhebt.


Reverendissimo in Christo Patri et Domino D. Christophoro ex familia nobilium de Schrovenstein, Brixiensis ecclesiae episcopo (1) dignissimo Ioan. Eckius S.D. cum paratis obsequiis.

Tantae semper nobilitatis, Dignissime praesul,
ab omnibus cum ethnicis, tum Christianis anima humana (2) existimata est, ut eius naturae maiestas ac mira potentia, quibus potenter alia excedllit, a nullo umquam satis pro dignitate explicata videatur. 

Longum esset enarrare, quid Aegyptii, Persae, Arabes, Graeci et Latini veteres de eius praecellentia scripserunt, siquidem quod homo apud Hermetem (3) magnum miraculum dicitur, animal venerandum et adorandum praedicatur, et alia in oratione Pici pro dignitate hominis allata (4), nulla alia ratione dicta esse existimari debent, quoniam ob animae vim ac potestatem excellentissimam, qua persigni in corpus pollet imperio. Hinc Plato ait: »Non est homo id quod videtur, ratus animam ipsam hominem esse«. (5)

Huius varia in corpore et per corpus munera Stagyrita Licii et omnium philosophantium princeps conscripsit (6), qui cum naturae indagatoribus apud nostrates praelegatur, quo solidius eius intelligentiam nanciscantur, commentariis utcunque illustravi, optimorum autorum adiutus opera.

Hos tuae amplitudini, Antistes clementissime, adiectis parvorum naturalium explicationibus, dedicandos existimavi(7).

qui cum strenue tuae praesis ecclesiae, quo religiose sacra fiant, suibditos mititer et clementer regas, vitam agas Episcopo dignam, tantaeque sis rerum agendarum prudentiae, ut in arduissimis Imperii rebus divus Caesar Maximilianus, dum in humanis ageret, frequentissimimis tuis gauderet et uteretur consiliis (8), quare digniori esses libro inscribendus, verum »falsa mola litant, qui thura non habent« (9).

Ego animum tui studiosimmimum ostendere volui, quod boni consulat dominatio tua amplissima; cui me totum etiam atque etiam commendo. Vale Episcope honorabilissime.

Ex Ingoldstadio.
XIII. Novemb., quae est dies S. Augustino et mihi natalis(10).
Anno virginei partus D.D.D. Undevigesimo.

Dem hochwürdigsten Vater in Christus und Herrn Christoph aus der Familie der Edlen von Schrofenstein, dem würdigsten Bischof der Diözese Brixen, entbietet Johannes Eck seinen Gruß in aller Dienstbarkeit.

Würdigster Bischof!

Die menschliche Seele ist von allen, ob Heiden oder Christen, stets so hoch geachtet worden, daß ihr ehrfurchtgebietendes Wesen und ihre wunderbare Kraft, mit der sie alles gewaltig überragt, bisher, so scheint es, von niemandem ihrer Würde entsprechend ausreichend erklärt worden ist.

Zu weitläufig wäre es, zu erzählen, was Ägypter, Perser, Araber, die alten Griechen und Römer über ihre Bedeutung geschrieben haben, etwa, daß bei HERMES TRISMEGISTOS der Mensch ein großes Wunder genannt wird, ein verehrungs- und anbetungswürdiges Wesen; weiteres trägt PICO DELLA MIRANDOLA in seiner Rede »Über die Würde des Menschen« zusammen. Auf keine andere Weise konnte man wohl darüber schreiben, als die Kraft und Macht der Seele in ihrer überragenden Bedeutung zu betonen, ihre besondere Gewalt über den Körper. Daher sagt PLATO: »Der Mensch ist nicht das, als was er erscheint«: er ist der Meinung, daß die Seele es ist, die den Menschen ausmacht.

Die verschiedenen Funktionen der Seele, die sie im Körper und durch ihn ausübt, hat ARISTOTELES, der Fürst der Akademie und aller Philosophierenden, dargelegt.
Da dieser von den Naturforschern unter uns zitiert werden soll und diese wiederum für diese Aufgabe ein besseres Verständnis erlangen sollen, habe ich ARISTOTELES so gut wie möglich in meinen Kommentaren interpretiert und dazu die Werke der besten Autoren herangezogen.

Diese Kommentare, gnädigster Bischof, wollte ich Euer Hochwürden unter Hinzufügung von Erläuterungen zu den kleineren naturphilosophischen Schriften des ARISTOTELES widmen.

Ihr, der Ihr Eurer Diözese mit Eifer vorsteht, um Eure heiligen Pflichten um so frömmer wahrzunehmen, leitet Eure Untergebenen mit Milde und Gnade und führt ein eines Bischofs würdiges Leben. Ihr seid an alle Aufgaben mit solcher Klugheit herangegangen, daß sich in den schwierigsten Angelegenheiten des Reiches Kaiser MAXIMILIAN bei der Ausübung seines Amtes öfters Eures Rates erfreute und sich seiner bediente. Ihr hättet daher verdient, ein würdigeres Buch gewidmet zu bekommen, jedoch »opfern gesalzenes Opfermehl« diejenigen, die »keinen Weihrauch haben«.

Ich wollte Euch zeigen, mit welchem Eifer ich um Euch bemüht bin. Das wolle mir Eure Hoheit zu Gute halten, der ich mich mit Nachdruck anempfehle.

Lebt wohl, verehrungswürdigster Bischof!

Aus Ingolstadt.
13. November (d.h. am Tag des Hl. Augustinus und mein eigener Geburtstag!) im Jahr der jungfräulichen Geburt 1519.




1. Christoph von SCHROFENSTEIN, Bischof von Brixen, gest. 29-03-1521: EUBEL 3, 155. Vgl. Brief 29-10-1520, Anm. 24.

2. Das Thema der Schrift des Aristoteles.

3. HERMES TRISMEGISTOS: griech. Name für den ägypt. Gott Thot, der mit Hermes identifiziert wurde. Ihm wurden astrologische und okkulte sowie theologische und philosophische Schriften zugeschrieben (»Corpus Hermeticum«). Diese Sammlung wird dem 2. und 3. Jhdt. zugerechnet; sie besteht aus Traktaten in Dialog-, Brief- oder Predigtform und zeigt Einflüsse ägyptischer und orphischer Mysterien sowie neuplatonisches Gedankengut. Im 3. und 4. Jhdt übte sie Einfluß auf die christl. Gnosis aus. Besonders durch arabische Vermittlung wirkte sie auch auf das MA (Abaelard, Albertus Magnus). Das »Corpus Hermeticum« wurde durch lat. (M. Ficino 1471) und griech. Übersetzungen für den europäischen Humanismus bedeutsam. Lit. vgl. TRE XXX.u. LThK XXX.

4. Giovanni PICO DELLA MIRANDOLA (1463 - 1494), De dignitate hominis (1486). Eine Gesamtausgabe der Werke dieses italienischen Humanisten liegt in 3 Bdn von E. GARIN (1942 - 1951) vor. Bereits 1494 erschien eine solche in Bologna. Vgl. E. MONNERJAHN: Art. Mirandola, Giovanni Pico della, in: LThK 7 (2.A.), 436; E. KESSLER: LThK 8 ( 3. A.), 283f .

5. Kurzformel der platon. Ideenlehre. Eck kannte Platos Lehre nur aus der Lektüre des Eusebius von Caesarea und des Gregor von Nyssa: ECK, Chrys. 4, 48 und GREVING, J. Eck als junger Gelehrter 65 mit Nachweisen in Anm. 6.

6. Aristoteles.

7. Nämlich ARISTOTELES, De sensu et sensato; De memoria et reminiscentia; De somno et vigilia; De longitudine et brevitate vitae.

8. Bischof von Schrofenstein gehörte zum Beraterkreis Kaiser Maximilians.

9. Vgl. PLINIUS, Naturalis Historia praef. 11: >mola tantum salsa litant, qui non habent tura< = >Ein Schelm gibt mehr als er hat.< (Sprichw. Redensart)

10. Eck ist am 13-11-1486 geboren.