Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 151
Das christliche Erbarmen aus Liebe ist es, das den Menschen in besonderer Weise Gott wohlgefällig und den Mitmenschen angenehm macht. So betont Johannes Chrysostomus in seinem Matthäuskommentar, das Erbarmen sei Hilfe zur Erlangung des Heils, Schmuck des Glaubens und Gnade für die Sünder. Das gilt nicht nur für die Lebenden, sondern trifft in besonderer Weise auf die erbarmende Fürbitte für die armen Seelen im Fegfeuer zu. Die Notwendigkeit dieses Bittgebets für die Toten hat Augustinus in der Schrift »De cura pro mortuis agenda« besonders hervorgehoben. Daher bemüht sich auch die Kirche sehr um die Verstorbenen in Gestalt des Totengedenkens im Rahmen des Meßopfers und der Gedächtnisämter am ersten, siebenten, dreißigsten und am Jahrtag des Todes. Ambrosius hat dafür gute Argumente geliefert. Der Hitzkopf Luther jedoch hat nicht nur alles entweiht, was Glaube, Frömmigkeit und Kirche betrifft, sondern nun auch die Lehre vom Fegfeuer angetastet: er leugnet, daß die Lebenden den Verstorbenen mit ihrem Bittgebet helfen könnten, sei es durch das Meßopfer oder andere Werke. Aus Pietät gegenüber den in Christus ruhenden Seelen und aus Glauben an die Lehre der Kirche hat Eck seit nunmehr sechs Jahren an der Unterdrückung der Häresien Luthers gearbeitet: so widmet er diese neue Schrift über das Fegfeuer Theodor Hezius, dem gelehrten, tugendhaften und menschenfreundlichen Geheimsekretär Papst Hadrians VI.
Theologo vere christiano D. Theodorico Hezio. S.D.N. Adriani. VI. a secretis Ioh. Eckius Theologorum minimus. S.P.D. Apud omnes pie sentientes Theodorice
doctissime, semper bene audivit
misericordia, ut florentissimus episcopus
Ambrosius diceret: Nichil tam commendat
christianum, quam miseratio charitatis;
nam hec imprimis virum deo gratum, et
hominibus acceptum reddit; hinc in
iustissimo dei iudicio Christus nihil aeque
ac opera misericordiae iustorum probabit
et: Misericordiam inquit volo, non
sacrificium. Et per coronidem Ioh.
Chrysostomus laudes misericordiae super
Matheo contraxit dicens: Misericordia est
salutis praesidium, fidei ornamentum,
propitiatio peccatorum. Haec est quae
iustos probat, sanctos roborat, dei cultures
ostentat. Et adeo amica virtus naturae est
misericordia, ut etiam apud ethnicos M.
Tulio teste viros graves et magnos
redderet ac omni laude dignissimos. Quod
si dum mortalibus, quibus cum vivimus,
misericordiam impartimur, Christiani
commendamur: quanto magis, si miseris
animabus in ergasculo purgatorii
constitutis miseremur, Christianissimi
appellabimur, cum eis nox venerit in qua
iuxta veritatis definitionem nemo operari
poterit, licet hic meruerint, ut s. vivorum
suffragiis adiuventur, ut pulchre
Augustinus in libro de cura pro mortuis
agenda explicat. Hinc ecclesia in
defunctos est officiosissima, quae in altaris
sacrificio mortuorum memoriam fieri
instituit et vita functorum
commemorationem primo, septimo,
tricesimo ac annuo die utilem esse docuit,
quorum rationem Ambrosius in oratione
funebri ex sacrarum litterarum
promptuario reddit: At omnibus tarannis truculentior Ludder, postquam omnia temeravit quae fidei, quae religionis, quae ecclesiae sunt manum tandem in purgatorium extendit et novis ac inauditis torturis miseras animas, beatorum consortio iungendas, affecit, et vel Phalaride aut Dionysio immitior, nullam patitur a viventibus eis impartiri misericordiam, negans vel missae sacrum officium aut alia viventium opera defunctis suffragari. Pietate ergo motus in animas in Christo
quiescentes et fide erga ecclesiam
catholicam addictissima, aggressus sum
antesesqui annum, impietates, haereses ac
tyrannides Ludderi (hominis quem ecclesia
eiecit) comprimere et iugulare. Hunc sub
tua censura in publicum prodire opto,
quod et tuam eruditionem non vulgarem,
virtutes raras, humanitatem placidissimam,
plurimum demirer. Studiorum enim
similitudo nos arctissime primo conciliat,
et rarissima iam avis est inter principum
officiales Theologum reperire, cum tu
apud pontificem Adrianum
"theologotatos" non infimum obtinens
locum, et reipsa et litteris pulchre
Theologiam tractes, et caeteris quoque
optimarum artium studiis ac linguarum
peritia polleas, omnemque aetatem vel in
bonarum litterarum cultura, aut aliis
negotiis Adriani pontificis in Germania,
Hispaniis et nunc in urbe honeste ac
summa integritate contiveris. Vale et salve in Christo. Rhomae. III. id. Martias Anno restauratae salutis M.D.XXIII. |
Den wahrhaft christlichen Theologen, Herrn Theoderich Hezius, Geheimsekretär des Papstes Hadrian VI., grüßt Johannes Eck, der Geringste unter den Theologen. Bei allen fromm Gesinnten, sehr gelehrter
Theoderich, hat stets das Mitleid großes Gehör
gefunden. Wie bereits der sehr berühmte Bischof
AMBROSIUS sagte, daß nichts den Christen mehr
auszeichne wie die erbarmende Liebe. Denn diese
macht den Menschen vor allem Gott gefällig und
den anderen Menschen angenehm. Von daher wird
beim jüngsten Gottesgericht Christus nichts mehr
belohnen als die barmherzigen Taten der
Gerechten, denn er sagt ja: »Ich will Erbarmen und
keine Opfer.« Und JOHANNES
CHRYSOSTOMUS hat das Loblied auf das
Mitleid zu einem Kranz geflochten und in seinem
Matthäuskommentar in den Worten
zusammengefaßt: »Das Mitleid ist Hilfe für das
Heil, Schmuck des Glaubens, Gnade für die
Sünder.« Wenn wir schon den Sterblichen, mit denen wir zusammenleben, Mitleid entgegenbringen und uns so als Christen auszeichnen, wieviel mehr, wenn wir uns der armen Seelen im Gefängnis des Fegfeuers erbarmen, werden wir als besonders fromme Christen bezeichnet werden, da zu ihnen die finstere Nacht gekommen ist, in der nach dem Zeugnis der Wahrheit niemand mehr etwas tun kann. Diese armen Seelen haben nur Verdienste, wenn ihnen mit der Fürsprache der Lebenden Beistand geleistet wird, wie sehr schön AUGUSTINUS in seiner Schrift »Über die Sorge für die Verstorbenen« dargelegt hat. Daher ist die Kirche sehr um die Verstorbenen bemüht, indem sie zu diesem Zweck bei der Heiligen Messe das Totengedächtnis eingeführt und gelehrt hat, daß das Gedenken an die Verstorbenen am ersten, siebenten, dreißigsten und am Jahrestag den Toten von Nutzen ist. Die Begründung dafür hat AMBROSIUS in seinem Totengebet aus dem Schatz der Heiligen Schrift entnommen. Gröber als ein Tyrann dagegen hat LUTHER, nachdem er alles entweiht hat, was Glauben, Religion und Kirche betrifft, seine Hand schließlich auch nach dem Fegfeuer ausgestreckt und die armen Seelen zusammen mit denen der Erlösten neuen und unerhörten Qualen ausgesetzt. Härter als PHALARIS und DIONYSOS duldet er nicht, daß ihnen von den Lebenden Mitleid zugewendet werde, und er leugnet, daß das Heilige Meßopfer oder andere Werke der Lebenden den Verstorbenen Hilfe bringen. Aus Pietät gegenüber den Seelen, die in Christus
ruhen, und aus festem Glauben an die Lehre der
katholischen Kirche kämpfe ich seit sechs Jahren
und suche die Frevel, Häresien und die Tyrannei
LUTHERS (eines Menschen, den die Kirche
verstoßen hat) zu unterdrücken und zu Schanden
zu machen. Dieses Buch hoffe ich mit Eurem
zustimmenden Urteil veröffentlichen zu können,
weil ich Eure nicht gewöhnliche Gelehrsamkeit,
seltene Tugenden und milde
Menschenfreundlichkeit sehr bewundere. Die
Ähnlichkeit unserer Studien verbindet uns
besonders, und wenn man unter den fürstlichen
Beamten einen leibhaftigen Theologen findet, so ist
das ein »seltener Vogel«: Ihr nehmt ja beim
Theologen schlechthin, Papst HADRIAN VI,
einen nicht geringen Platz ein, betätigt Euch in
Wort und Schrift recht wacker als Theologe,
zeichnet Euch durch Studien in den besten
Wissenschaften und durch Sprachkenntnis aus und
habt Euch das ganze Jahr hindurch mit der Pflege
der bonae literae wie auch mit den Geschäften im
Auftrag des Papstes HADRIAN in Deutschland,
Spanien und nun auch in Rom ehrenhaft und in
höchster Geradlinigkeit abgemüht. Lebt wohl und alles Gute in Christus! Rom, 5. März im Jahr des wiedererstandenen Heils 1523. |