Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 207
Vaim kann nicht verstehen, warum Eck, den er stets angesichts ihrer gemeinsamen Interessen und ihrer persönlichen Vertrautheit für seinen Freund hielt, jetzt in Gegenwart des Augsburger Bischofs in dessen Residenz Dillingen so despektierlich über ihn gesprochen hat: Eck hat, wie Vaim erfuhr, ihn in fröhlicher Runde einen Gefolgsmann Luthers mit irrigen Auffassungen über das Sakrament der Eucharistie bezeichnet. Es ist unmenschlich, einen unschuldigen Freund eines solchen Kapitalvergehens zu beschuldigen, noch dazu ohne sicheres Wissen Gerüchte zu verbreiten, die diesen in höchste Gefahr bringen können. Auch die Forderung des Evangeliums, einen irrenden Bruder zu korrigieren, ist hier unpassend, denn Christus fordert, daß man den gefallenen Bruder zunächst brüderlich ermahnen solle, ehe man ihn verurteilt, damit er gerettet werde. Eck hat mit ihm das Gegenteil getan und sich so unchristlich verhalten. Eck hat sich wie ein wilder Skythe oder die Giganten, die das Buch Genesis schildert, benommen, um seine widernatürliche Anmaßung von Größe und Unfehlbarkeit mit dem Unglück eines Schwächeren, gar eines Freundes, zu erkaufen. Nie würde Vaim etwas Unkirchliches denken oder äußern: das kann man daran ersehen, daß er, bevor er von Kardinal Wolsey nach York berufen wurde, im Auftrag der Pariser Theologischen Fakultät gegen Ökolampads Schrift über die Einsetzungsworte des Abendmahls ein Gutachten erstellt hat, das diese einstimmig annahm. Vaim wollte Eck nur aufzeigen, daß dieser gegen alle Gesetze der Freundschaft verstoßen hat. Er will ihm aber trotzdem die Freundschaft bewahren, aber er soll als Mann und Deutscher mit seinen Verleumdungen aufhören, wenn er keinen Zeugen dafür aufbringen kann.
(Anrede fehlt) Ego perpetuo inter precipuos
te numeravi amicos eoque
maxime, quod inter nos
studiorum sentenciarumque
sit summa consensio, ut
interim non tanti faciam
familiaritatem, qua multis
retro annis mutua
contraximus philanthropia;
quo magis admiror quid
acciderit, ut me traducere
non te puduerit. Tulinge
apud disertissimum
Augustensem antistitem
coepisti inter pocula
honorifice de me predicare,
in hunc sensum: Gervasius,
Lutheranae haeresis sectator
factus, de eucharistiae
sacramento impie sentit,
proinde nil nisi restis
illum manet. Hec modica detulisti, o bone Ecki, quid huc afferes apologiae? Neminem vel multo maxime barbarum fugit, quam ab omni abhorreat humanitate, candidum amicum capitalissimi criminis deferre. Tollas licet evangelia,
parvipendas sacra, sis
denique atheos, tamen vel
iure syderum non debebas
incerta pro compertis
invulgare, et ea quidem, que
amico in dispendium et
iacturam cessura sint. Nec
hic locum habet correctionis
fraternae evangelicum
pharmacon; prescripsit
namque Christus, ut fratrem
lapsum ante moneas, quam
deferas, ut servetur frater.
Tu prepostere egisti,
fratrem non monitum
prodidisti, ut illum
perderes; tantum abest, ut
christiani fratris
prestiteris officium. Quid
quaeso vel ferus Scytha vel
id genus hominibus
diffiniret, profecto illos
gigantum more cum diis
pugnare pronunciaret, qui,
quae ex diametro cum natura
pugnant, illa sibi
prescribant et inter maxima
ducant; quos Moses Geneseos
libro velle depinxit, qui
ait: Erant autem gigantes
super terram. Et de Nemroth:
Erat autem Nemroth venator
robustus coram domino.
Sentit nempe divinus
propheta, eiusmodi homines
gigantes et monstra fuisse,
quod contra nature ductum
sui commodi causa
imbecilliores oppresserunt.
Talem te prebes gigantem,
qui, ut te gloriosiorem
reddas, optimum quemque, ne
amico quidem parcens,
vanissimis commentis
lacerare non desinis, id
quod tandem tibi non admodum
cedet foeliciter. Crede
mihi, talibus sycophanciis
nihil accrescet tuo nomini!
Quod si amicum volebas
exuere, aequum tamen debebas
aut censorem aut delatorem
induere. Tu contra, nescio
quo cacodemone autore,
subita metamorphosi totus
inversus amicum exuisti et
iniquissimum te constituisti
delatorem, quod, que nec
dixi nec cogitavi unquam,
capiti meo conatus sis
assuere. Ego malim in atomos
discerpi, quam cum paucis
nebulonibus contra ecclesie
decreta aut pronunciare aut
sentire. Testis mihi erit
facultas Parisiensis, que
Oecolampadii libellum de
Verbis coene dominice mihi
exhibuit, ut eo perlecto,
quid et de libello et de
autore libelli sentirem,
facultati paucis exponerem,
id quod lubens feci;
censuramque nostram facultas
probavit unanimis, paulo
antequam a cardinale
Eboracensi invitatus in
Britanniam concederem. Non
hic pluribus tecum
expostulabo. Hasce in hoc
exaravi, ut tibi
significarem, quia tibi
visum est adversus omnes
amicicie leges agere. Ego
amiciciam tuam iuxta et
inimicitiam fecerim, quod
sat mihi cognitus sit tuus
in amicos candor, qui tamen
maximus foret, si mores
pallio responderent. Ceterum
si tantillum habes Germani
et masculi pectoris, aut
prode, a quo acceperis, que
de me passim spargis; si
testem unum produxeris, a
calumnie nota liber eris.
Aut palinodiam canens sana,
quos vana infecisti
loquacitate. Quod si ne
alterum quidem prestiteris,
iustissima expostulacione
fusissime meam tuebor
innocenciam. Scriptum 22.Julii anno XXVII. Gervasius Waim. |
! Ich habe Dich stets zu meinen besonderen Freunden gezählt, vor allem wegen der Übereinstimmung zwischen uns in Studien und Meinungen, um nicht in der Zwischenzeit mit Dir in solchem Maße vertraulichen Umgang zupflegen, wie wir das vor vielen Jahren in gegenseitiger Zuneigung getan haben. Um so mehr wundere ich mich, was wohl geschehen ist, daß Du Dich nicht schämst, mich ans Messer zu liefern. In Dillingen hast Du während des gemeinsamen Mahles beim disputierfreudigen Augsburger Bischof über mich in wahrhaft "ehrenvoller" Weise gepredigt, etwa so: Gervasius ist zum Anhänger der lutherischen Häresie geworden und denkt frevelhaft über das Sakrament der Eucharistie, so daß ihm nur der Strick bleibt. Dieses starke Stück hast Du von Dir gegeben, guter Eck: was hast Du zur Verteidigung vorzubringen? Niemand, nicht der größte Barbar, würde von aller Menschlichkeit Abstand nehmen, um einen teuren Freund eines Kapitalverbrechens zu bezichtigen. Du magst die Evangelien verleugnen, das Heilige geringschätzen, ja Du magst sogar Gottesleugner sein: nicht einmal aufgrund von Barbarengesetzen dürftest Du Ungewisses als Wahrheit verbreiten, zumal Dinge, die für den Freund zum Schaden und Ansehensverlust führen müssen. Hier hat auch das vom Evangelium empfohlene Heilmittel der brüderlichen Zurechtweisung keinen Ort: Christus hat nämlich geboten, den gefallenen Bruder zuerst zu ermahnen, dann erst auszuliefern, damit er gerettet werde. Du hast umgekehrt gehandelt, den Bruder, ohne ihn vorher zu ermahnen, ausgeliefert, um ihn zu vernichten: so sehr bist Du von der Pflicht eines Bruders in Christus abgewichen! Das, ich bitte Dich, würde wohl der wilde Skythe dem Menschengeschlecht vorschreiben, nämlich nach Art der Giganten mit den Göttern zu kämpfen. Diese schrieben nämlich das, was zu der Natur gänzlich im Gegensatz steht, sich selbst vor und hielten es für das Größte: Moses hat das im Buch der Genesis sehr schön beschrieben. Er sagt dort: »Es waren aber Ungeheuer auf Erden.« Und über Nimrod: »Es war aber Nimrod ein wilder Jäger vor dem Herrn.« Der göttliche Seher wußte nämlich, daß solche Menschen Giganten und Ungeheuer waren, weil sie im Widerspruch zur Natur die Schwächeren zu ihrem Nutzen unterdrückten. Als ein solches Ungeheuer gibst Du Dich aus, indem Du, um Dir Ruhm zu verschaffen, nicht davon Abstand nimmst, gerade den Besten, wobei Du nicht einmal einen Freund verschonst, mit fantastischen Einfällen zu verunglimpfen, was Dir am Ende nicht allzu gut gelungen ist. Glaube mir, mit solchen Verleumdungen tust Du nichts, um Deinen Ruf zu vermehren! Falls Du einen Freund loswerden wolltest, mußtest Du dennoch einen gerechten Richter oder Denunzianten beibringen. Du hast jedoch im Gegenteil, ich weiß nicht durch welchen schlechten Dämon veranlaßt, von plötzlichem Gesinnungswandel völlig verändert, einen Freund verloren und Dich zum feindseligsten Denunzianten gemacht, indem Du mir etwas, was ich nie ausgesprochen oder auch nur gedacht habe, zuzuschreiben gewagt hast. Ich möchte lieber in Atome zerrissen werden, als mit den wenigen Taugenichtsen mich gegen Dekrete der Kirche zu äußern oder gegen sie Ansichten zu entwickeln. Die Pariser Theologische Fakultät
wird für mich als Zeuge auftreten:
sie hat mir nämlich das Büchlein
des ÖKOLAMPAD über die
Einsetzungsworte der Eucharistie
übergeben, damit ich nach seiner
Lektüre meine Ansicht über Buch
und Autor in kurzen Worten der
Fakultät darlege, was ich auch
gern getan habe. Ich werde Dir hier aber nicht mit vielen Worten Vorhaltungen machen. Ich habe das in dieser Form nur getan, um Dir zu zeigen, daß Du gegen alle Gesetze der Freundschaft handelst. Ich werde Deine Freundschaft wie Deine Feindschaft ansehen, weil mir Deine Aufrichtigkeit gegenüber Freunden nun hinlänglich bekannt ist. Diese wäre dann am größten, wenn Deine Taten Deinem äußeren Erscheinungsbild entsprächen. Wenn Du noch ein Fünkchen der Beherztheit eines deutschen Mannes besitzt, dann gib preis, von wem Du das gehört hast, was Du überall von mir weitererzählst. Wenn Du mir auch nur einen Zeugen genannt hast, wirst Du vom Makel der Verleumdung frei sein. Oder aber widerrufe und mache wieder gut, was Du durch leere Geschwätzigkeit angerichtet hast. Wenn Du deine Haltung nicht änderst, werde ich in einer wohlbegründeten Verteidigungsschrift meine Unschuld ausführlich darlegen. Geschrieben am 22. Juli im Jahre 1527. Gervasius Waym. |