Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 225
Eck hat erfahren, daß der Rat von Memmingen mit Rücksicht auf die zahlreichen lutherisch gesinnten Bürger die Abschaffung der Messe beabsichtigt. Er hat deshalb eine Meßerklärung beigelegt, um zu beweisen, daß das Meßopfer in der Heiligen Schrift begründet ist. Eck hofft, daß die Memminger sich nicht verführen lassen. Sollten sie dennoch glauben, im Recht zu sein, bittet sie Eck, auf die Entscheidung des geplanten deutschen Nationalkonzils zu warten. Es ist etwas anderes, wenn das ganze Reich, der Schwäbische Bund oder der Reichsstand der Städte eine Reform beschließen, als wenn das eine einzelne Reichsstadt tut. Ein Vorgehen auf eigene Faust würde auch gegen die oberste Autorität des Kaisers verstoßen. In Simprecht Schencks und Ambrosius Blarers Meßreform kann Eck nur eine Gotteslästerung sehen und sie in der Heiligen Schrift nicht wiederfinden. Christus und die Apostel haben davor gewarnt, daß in der Endzeit falsche Propheten auftreten werden. Das Evangelium ist nicht, wie die Memminger Prädikanten behaupten, für Jahrhunderte verborgen gewesen. Im Gegenteil warnt die Schrift vor neuen falschen Lehren. Die Prädikanten werden das auf seine Person anzuwenden versuchen, aber Ecks Lehre ist identisch mit der Lehre der Kirche, wie sie seit 1400 Jahren üblich war. Viele Länder und Städte haben die Annahme der Reformation verweigert, andere, wie einige Städte im Elsaß, haben sich wieder der alten Kirche zugewandt, in anderen, wie Konstanz, Straßburg, Worms oder Nürnberg, wird ganz unterschiedlich gepredigt. In Wittenberg wurde der Meßritus neunmal geändert. Die Lutherischen erhoffen sich, daß eines Tages die Messe danieder liegen wird; die Prophetie Daniels und des Hl. Johannes macht es denkbar, daß das zur Zeit des Antichrist soweit kommen wird. Eck bittet, die Memminger möchten nicht dem Kommen des Antichristen vorarbeiten. Er hat mit der Stadt, die seiner Heimat so nahe ist, Mitleid, obgleich man ihn im Herbst 1528 an einem Besuch gehindert hat. Man möge doch wenigstens niemanden zu diesem neuen erst seit acht Jahren bestehenden Glauben zwingen. Er versichert gegenüber der Stadt und ihren Bürgern seinen guten Willen.
Erber fürsichtig und weißn Herren, Ewer Erber Weisshait seyen mein willig, früntlich dinst, unnd was ich gutz vermag, allzeit höchstes fleiss zu voran bherait. Günstig lieb Herren unnd unnd früntlich lieb nachpaurn. Es ist mir dise tag anzaigt
worden, wie Ewer Erber
Weisshait, auss dem das
etlich ewer burger und
einwoner der newen Luterisch
sect anhengig sindt, hab in
willen, unnd sey des
fürnämen, das Christenlich
ampt der hailigen Mess gar
abzuschaffen: von dem ich
von hertzen erschrocken bin:
so ich E.E.W.. unnd der
gantzen statt aller eeren
und guts gunt hab zu
allerzeit: desshalb ich euch
zu gut und wolfart in guter
Christenlicher Brüederlicher
Warnung ain Declaration
gemacht, das das opfer der
Mess in Byblischer gschrifft
gegründet sey, wie Ir on
zweiffel vernemmen werdt:
hoff auch gentzlich unnd bin
der zuversicht Ir meine
Herrenn werden das in guten
früntlichen willen annemen:
wie es dan von mir in guter
mainung beschähen ist. Unnd
so ich wol erachten khan,
das E.E.W. nit sey so hoch
in Byblescher Gschrifft
geyebt, als diser
treffenlicher handel
eraischt, so bitt ich euch
durch das Blut JHESU
Christi: ir wöllen in diser
sach nitt eylen, unnd die
bass bedencken, lasst euch
niemants verhetzen: etwa
leüt, die den braten
verbrennt haben, unnd
wolten, das yederman auch in
die gfar käm, do sy in sünd:
hieten euch, günstig lieb
Herren, bedenckt, das nit
wenig an der sach gelegen,
nit ewer stat, nit ewer gut,
nit ewer zeitlich leben:
sonder das ewig leben das ir
verliert, wa ir unrecht
thuet, unnd ewigklich
dardurch verdampt werden,
unnd ewer nachkommen
Gotzlrdterrlich all auff
euch sünden werden. Wa ir
aber ye vermaint, das ewer
firnimmen gut und
gottgefellig sey (wie es dan
nit ist, darum ich mein leib
unnd seel will verpfennt
haben) so thüet doch das nit
auss euch selber: Erwart das
concilium teutscher nation,
wie im Reichstag ist
firgenommen: handelnd nichts
fir euch selbs: es ist noch
allezeit unrecht zethun wan
das gantz reich söllichs
firnimpt oder der gmain
pundt von Swaben, oder
gmainer Stand von Stetten:
Ir wist das ir theten wider
K. Maj. ewern natürlichen
unnd von Gott eingesetzte
oberkait: Bedenckt wie
gelert die seyen, die euch
auff söllich böse handlung
raitzen und werffen, wa, wie
lanng sy gstudirt haben: Ich
bin all mein tag in der
schul gwesen, auch allweg
nit der geringst geacht
worden (on rum zu reden) in
den gaben die Gott einem von
natur gibt. Es sey mit fehig
seinn, begreiffen, suchen,
oder behalten: aber die
gotzlesterung khan ich nit
finden in der heiligen
gschrifft, die ewer
Simprecht, halbsinnig
schapler, und yetz ewer
falscher prophet der Blarer
herauss bringen: Bedenckt
grossgünstig lieb Herren so
die alten frommen Vätter,
die so ains hailigen leben
gwesen sindt, die göttlich
gschrifft so fleissig
durchgründt: also hefftig
wider die welt, tuifel, und
ketzer gestritten: noch dan
hat Ir khainer dise falsche
leer in der gschrifft
funden, die ewer verfüerisch
predicanten firgeben: wiewol
zu allen zeiten Irsal in der
kirchen gwesen sind auch zu
der apostel zeiten, wie
Paulus und Johannes meldend:
Erwegen aber das, das
Christus, Paulus, Petrus,
Judas Tatteus insonnderheit
unns verwarnen vor der
letsten gferlichen zeit, da
falsch Meister aufferstee
wurden: wann die kirch geirt
hett vom anfang her biss
yez, on zweiffel Christus
und die apostel hetten unns
auch darvor verwarnt: so
aber das widerspil wir
fünden in Byblischer
Gschrifft, so söllen wir das
warnämen: die falschen
predicanten sagen, das
Evangeli sey vil hundert Jar
verborgen gelegen, und yetz
khum es herfir: das fint ich
nit in der Bibel: das fint
ich wol, wie das Euangelium
werd gepredigt in aller
welt: und in der letsten
zeit, werd es verdunckelt
durch ketzerey und falsch
leeren: Kain prophet,
Christus nit, die apostel
nit, niemant sagt das dass
Euangelium erst soll
auffgeen nach XV C Jaren:
darum auss der Gschrift seyt
verwarnet, vor den newen
leren, vor den
ausslendischen fremden
leren: Ich waiss wol die
falschen verfüerischen
predicanten, wan sy mein
declaration lesen werden, so
werden sy die sprüch Pauli
auff mich deüten: das kinden
sy mit kainer warhait thun:
das mag E.E.W, auss dem
erwegen: Ich leer nichts
neuss,Ich schreib nichts
neuss: Sonder was ich
schreib, das will ich
zaigen, das es gemainklich
gehalten ist worden durch
die gantz Christenhait vor
C. Jaren, 300 Jaren, 6oo.
Jaren, 1000 Jaren, 1400
Jaren. Aber die widersecher
haben die gantz Welt, sovil
Jar wider sich: Dann sy
khain concili, khain richter
wöllen gedulden. Günstig
lieb Herren Ir möchten
sagen, es thund das auch
etlich annder steet etc.
dargegen sag ich, bedenckt
aber entgegen, wievil das
nit thund: bedenckt wie das
khain stat thut in gantzem
Welschland, Franckreich,
Hispania, Engellant,
Schottenlant, Poln und
Hungern: bedenckt das etlich
die diser Irrig sect
anhenging gwest, und new
ordnung angenommen, das sy
die büeberey gesehen, wider
hingeworffen haben, als
Schlestat, Colmar, Landaw,
Elenbogen. Bedenckt, das die
steet die new ordnung
angenommen haben, so gar
ainander nit gleich halten,
Es ist ain ungleicher zeüg
zu Costantz und Strasburg.
Ungleich zu Strasburg und
Worms, ungleich zu Worms und
Nürnberg: Ist nirget ain
Mainung, wie S. Paulus
lernt: Ja sy fallen selbs
von ainem zu dem andern; das
sy zu Wittenberg 9 mal die
Mess verendert haben. Darzu
gebiettend lieb Herren,
obschon die vil stett unnd
fürsten also theten, ist
darum nit rechtt: Es wirt ja
ainmal iberhannd nimmen: Die
luterischen sint des gwis:
das sy ainmal erhalten
werden, es geschäch wann es
wöll, das die Mess abgethan
würdt: so vil würt der
tuifel in der Welt vermögen:
wie E.E.W. auss meiner
einfierung der prophezey
Danielis vernimmen wert: das
wirt aber geschehen, wann
die bosshait iberr hant wirt
nimmen: wan die liebe viler
menschen erkalten würdt wie
Christus sagt: wan der abfal
vom glauben khommen wirt wie
Paulus sagt: wann die
Christenlich kirch noch in
ewer stat, noch in annder
stetten sein würdt, sonder
flihen wirt in die Wüeste,
wie S. Johans sagt: Es wird
ja die Mess zu der zeit des
Enti-Christ gar
darniderligen: will aber
E.E.W. sich selbs, ain
frumme gmain der
Anti-christlichen bosshait,
thailhafftig machen. wolt ir
so weit dem Entichristen
vorlauffen: Thiets nit lieb
Herren und früntlich lieb
nachpaurn: Ir möchten sagen,
Ir verstünden nit anders:
Daniel hats wol gesagt, man
werdts nit verstan: aber die
gelerten verstantss, volgent
denselben: dan wiewol ich
yederman guts gunn, unnd
wolt das niemants durch
falsche leer verfiert wurde:
noch hab ich ain
treffenliche mitleiden mit
ewer statt, als die zu
nechst meinem vaterland ist:
und thet mir zu nechst im
vergangen herbst im hertzen
wee, das ich also must
firreiten, unnd nit hinein
zu euch kommen, früntlichen
guten nachpürlich willen zu
erzeigen, Dann wa es mir ye
müglich wer E.E.W. und
gantzer gmainer stat,
früntlichen willen und dinst
zu erzeigen: das wolt ich ye
von hertzen gern thun.
Hierauff ist mein gar
hochfleissigg und früntlich
bitt E.E.W. wölle die sach
bass bedencken. unnd nichts
mit gwalt wider die eer
Gottes, wider den dinst
Gottes, wider den gebrauch
gmainer christenlicher
kirchen firnimmen: sonder
vil mer, wie Ir unnd all
Christen schuldig sint, Ewer
Leib und Leben und Blut fir
unnsern hailigen glauben
zusetzen: verharren und
bleiben bey gmainer
Christenlicher kirchen: Es
ist ain Gott, ain tauff, ain
glaub; ausserhalb dietz
glaubens wirt niemants
behalten: ainhällig ding
söllen die Christen glauben,
gebeut der hailig Paulus,
nit ainer das, der annder
jhens: dann die secten,
rotten und spaltung im
glauben sint verderblich und
schädlich, und zuvor wider
christenliche Liebe, die
tringt allein zu ainigkait:
Es ist auch burgerlich zu
reden, wider alle gute
politzey, söllich secten in
ainer stat halten: da ist
auss fried, freud, unnd
vertrawen: waist khainer was
er sich zu dem nechsten
versehen soll: unnd zu
vordrist, ist wider die
Oberkait, denen die gehorsam
entzogen würdt: unnd sich
selbs stellen in gferlichait
Irs Leibs unnd gutss: der
armen sint mer dann der
reichen: der bösen vil mer
dan der guten, der faulen
mer dan der die arbeiten,
der narreten vil meer dann
der weisen: Darum wa sy
iberhant nemmen, so felt
alle erbarkait hin: der arm
hauff begert nur tailen mit
den reichen: Got geb was man
glaubt: Es haben ja etlich
stett new glauben
angenommen: es sint aber
auch etlich, die gern
wolten: der wein wär im
fass: wa sy nur mit glimpff
wider herum möchten,
dasselbig betracht E.E.W.
vor: Wa aber ye diser
achtjärig glaub euch so wol
gefelt, das ir nit wöllen
darvon steen: so thüet doch
ains zwingen niemants darzu:
wer wöll bey dem uralten
glauben bleiben, bey gmainer
cristenlicher kirchen, In
dem glauben, darin ewer
älter unnd vorfarend
seligklich gestorben sind,
in dem glauben ir geboren
sint, In dem glauben, darinn
ir erzogen seit von muter
milch her: so thüt denselben
kain zwang, vergwaltigets
nit. Lasst bleiben bey dem
ungetailten Rock unnsers
Herren, nach anweisung ir
conscienz: Dann günstig lieb
Herren unnd gut Fründ, war
mit ich E.E.W. möcht herin
dinstlich sein, mit aller
müe und arbeit: wolt ich
deren khaine sparen und
gelts schon ain rimen auss
der hut: E.E.W. wölle ditz
mein schreiben, bester
mainung annimmen. Wie es
auss gantzem guten hertzen
geschehen ist: Erbeut mich,
wie zu ennd meiner
declaration ich verzaichnet
hab: dan warmit ich E.E.W.
unnd gantzer statt, kindt
und möcht, dinstlichen,
fruntlichen, unnd
nachpaurlichen willen
erzaigen: das wolt ich
begirlichs fleiss unnd mit
freuden thun. Darmit seyt Gott dem allmechtigen befolhen. Datum Ingolstat am 5. tag January 1529. E.E.Weisshait willigerJohann Mair von Eck Doctor etc |
Ehrbare, fürsorgliche und weise
Herren! Eurer Ehrbaren Weisheit
versichere ich nach Vermögen meine
Dienstbereitschaft. Gutgesinnte, liebe Herren und freundliche, liebe Nachbarn: Dieser Tage erhielt ich die Nachricht, daß Eure Ehrbare Weisheit aufgrund der Tatsache, daß zahlreiche Eurer Bürger und Einwohner der neuen lutherischen Sekte anhängen, die Absicht haben und auch schon Vorbereitungen treffen, die Heilige Messe anzuschaffen. Das erschüttert mich tief! Da ich Eurer Ehrbaren Weisheit und der ganzen Stadt jederzeit alle Ehre und alles Gute gewünscht habe, habe ich für Euch zwecks brüderlicher Ermahnung eine Meßerklärung verfaßt, aus der hervorgeht, daß die Messe in der Heiligen Schrift ihre Grundlage hat, wie Ihr zweifelsfrei erkennen werdet. Mit Hoffnung und Zuversicht erwarte ich, meine Herren, daß Ihr diese freundlich aufnehmen werdet, wie auch ich sie in freundlicher Gesinnung gegen Euch niedergeschrieben habe. Da ich glaube, Eure Ehrbare Weisheit ist nicht so in der Heiligen Schrift zu Hause wie diese Auseinandersetzung es erfordert, bitte ich Euch durch das Blut Jesu Christi, in der Sache nicht so überstürzt vorzugehen: laßt Euch nicht hetzen, etwa von Leuten, die »den Braten verbrannt« haben und nun wollen, daß alle in die »Glut« fallen, da sie selbst in der Sünde leben. Hütet Euch, günstig gesinnte, liebe Herren, bedenkt die Bedeutung dieser Sache, von der nicht nur das Heil Eurer Stadt, Eures Besitzes, Eures zeitlichen Lebens abhängt, sondern das ewige Leben, das Ihr verliert, wenn Ihr Unrecht tut und damit ewig verdammt werdet und auch Eure Nachkommen gotteslästerlichen Sünden überlaßt. Solltet Ihr aber gemeint haben, Euer Verhalten sei gut und gottgefällig (was es nicht ist: ich verpfände darauf Leib und Seele!), so handelt doch nicht von Euch aus, sondern wartet das deutsche Nationalkonzil ab, das der Reichstag plant; handelt nicht von Euch aus; es ist noch Zeit genug, Unrecht zu tun, nämlich dann, wenn das ganze Reich solches beabsichtigen sollte oder aber der Schwäbische Bund oder die Reichsstädte. Ihr müßt wissen, daß Ihr gegen den Kaiser, Eure natürliche und von Gott eingesetzte Obrigkeit, handeln würdet! Bedenkt auch, welche Vorbildung diejenigen mitbringen, die Euch zu solch bösem Tun anstacheln, wo und wie lange sie studiert haben. Ich selbst habe mein ganzes Leben an der Hochschule zugebracht, wurde auch (ohne Ruhmrede) hinsichtlich meiner von Gott geschenkten Begabungen nicht als der Geringste unter den Gelehrten angesehen. Sie mögen ja intellektuelle Gaben besitzen, jedoch kann ich die Gotteslästerungen, die Euer törichter SIMPRECHT SCHAPPELER und neuerdings Euer falscher Prophet BLARER äußern, nicht in der Heiligen Schrift finden. Denkt doch, günstig gesinnte, liebe Herren, wie die alten frommen Kirchenväter, die ein heiliges Leben geführt haben, die Heilige Schrift gründlich und fleißig erforscht haben und ebenso heftig mit der Welt, dem Teufel und Ketzern gestritten haben, aber keiner von ihnen hat diese falsche Lehre in der Schrift gefunden, die Eure verführerischen Prädikanten verbreiten, wenn es auch zu allen Zeiten Irrtümer in der Kirche gegeben hat, auch zur Zeit der Apostel, wie Paulus und Johannes berichten. Bedenkt, daß Christus, Paulus, Petrus, Judas Thaddäus uns besonders vor der letzten gefährlichen Endzeit warnen, wenn falsche Lehrer auftreten werden. Wenn die Kirche von Anfang bis heute geirrt hätte, hätten uns Christus und die Apostel auch davor gewarnt. Da wir aber in der Heiligen Schrift genau das Gegenteil finden, sollen wir erkennen: die falschen Prädikanten sagen, das Evangelium sei viele hundert Jahre verborgen gewesen; jetzt komme es ans Licht. Das finde ich nicht in der Schrift, wohl aber, daß das Evangelium in aller Welt gepredigt, in der Endzeit aber verdunkelt werden wird durch Ketzerei und falsche Lehren. Kein Prophet, auch Christus nicht, auch die Apostel nicht, keiner sagt, daß das Evangelium erst nach fünfzehnhundert Jahren aufgehen soll. Darum laßt Euch aus der Schrift vor den neuen Lehren warnen, die aus dem Ausland kommen. Ich weiß wohl, wenn die falschen, verführerischen Prädikanten meine Meßerklärung lesen, werden sie die Worte des Paulus auf mich anwenden: das ist unwahr. Eure Ehrbare Weisheit mag das daraus ersehen, daß ich nichts Neues lehre und nichts Neues schreibe, sondern das, was ich schreibe, ist so - ich werde es aufzeigen - von der ganzen Christenheit vor 100, 300, 600, 1000, 1200, 1300, 1400 Jahren geglaubt worden. Die Widersacher jedoch haben die ganze Welt und so viele Jahre gegen sich, da sie kein Konzil und keinen Richter gelten lassen wollen. Günstig gesinnte, liebe Herren, Ihr mögt vielleicht sagen, etliche andere Städte usf. handeln ähnlich wie wir. Dagegen sage ich, Ihr möchtet bedenken, wie viele nicht so handeln: keine Stadt in ganz Italien,Frankreich, Spanien, England, Schottland, Polen und Ungarn. Bedenkt auch, daß einige Städte, die Anhänger dieser irrigen Sekte gewesen und eine neue Ordnung angenommen haben, die Büberei erkannt haben und wieder abgefallen sind, wie Schlettstadt, Kolmar, Landau, Ellenbogen. Bedenkt auch, daß die Städte, die die neue Ordnung angenommen haben, keineswegs in gleicher Weise vorgehen: anders verhalten sich Konstanz und Straßburg, Straßburg und Worms, Worms und Nürnberg. Nirgends herrscht eine einzige Meinung vor, wie der Heilige Paulus sagt. Ja, sie fallen von einem Extrem ins andere: in Wittenberg zum Beispiel wurde die Meßordnung neunmal geändert. Außerdem, gebietende, liebe Herren: selbst wenn die vielen Städte und Fürsten so handeln, ist es dennoch nicht rechtens. Es wird ja einmal überhand nehmen! Die Lutheraner sind dessen gewiß, daß irgendwann einmal die Messe abgeschafft wird. Soviel wird der Teufel in der Welt ausrichten, wie Eure Ehrbare Weisheit aus meiner Erklärung des Propheten Daniel entnehmen wird. Das wird aber geschehen, wenn die Bosheit überhand nimmt, wenn die Liebe vieler Menschen erkaltet, wie Christus sagt, wenn der Abfall vom Glauben erfolgt, wie Paulus sagt, wenn es die christliche Kirche eines Tages weder in Eurer noch in anderen Städten mehr geben wird, sondern sie in die Wüste flüchtet, wie der Heilige Johannes sagt. Zur Zeit des Endchrists wird die Messe daniederliegen. Will sich aber Eure Ehrbare Weisheit selbst und die fromme Gemeinde von Memmingen zum Opfer der antichristlichen Bosheit machen; wollt Ihr dem Endchrist soweit entgegenkommen? Tut es nicht,liebe Herren, freundliche liebe Nachbarn! Ihr könntet einwenden, daß Ihr es nicht anders zu tun wißt. Daniel hat gesagt, man werde es nicht verstehen. Die Gelehrten aber verstehen es und folgen ihrer Einsicht: da ich nämlich jedem alles Gute wünsche und daß niemand von falscher Lehre verführt werde, habe ich mit Eurer Stadt noch sehr viel Mitleid, da sie meiner Heimat am nächsten liegt und es mir besonders im vergangenen Herbst Leid tat, als ich Euch besuchen wollte, ohne in die Stadt eingelassen zu werden und Euch meine gute nachbarliche Gesinnung zeigen zu können. Denn wäre es mir möglich, Euer Ehrbarer Weisheit und der ganzen Stadt meinen guten Willen und meine Dankbarkeit zu zeigen, wollte ich das von ganzem Herzen gern tun! So lautet auch meine große Bitte an Euch, Eure Ehrbare Weisheit möchte die ganze Angelegenheit noch einmal besser überdenken und nichts mit Gewalt gegen die Ehre und den Dienst Gottes und die Bräuche der allgemeinen christlichen Kirche unternehmen, sondern vielmehr, wie Ihr und alle Christen es schuldig sind, Leib, Leben und Blut für unseren heiligen Glauben einsetzen sowie bei der allgemeinen christlichen Kirche verharren und bleiben. Es gibt nur einen Gott, eine Taufe, einen Glauben! Außerhalb dieses Glaubens gibt es kein Heil. Der Heilige Paulus gebietet, die Christen sollen einen Glauben haben, nicht einer diesen, ein anderer jenen, denn die Sekten, Rotten und Spaltungen im Glauben sind verderblich und schädlich und vor allem gegen die christliche Liebe, die allein darauf drängt, die Einheit zu bewahren. Auch im bürgerlichen Sinn ist es gegen alle gute Ordnung eines Gemeinwesens, solche Sekten in einer Stadt zu dulden: dann ist es aus mit Frieden, Freude und Vertrauen, denn keiner kann dem anderen mehr trauen. Vor allem aber richtet sich das gegen die Obrigkeit, der der Gehorsam verweigert wird. Sie liefern sich der Gefahr für Leib und Leben aus; es gibt dann mehr Arme als Reiche, mehr Böse als Gute, mehr Faule als solche, die arbeiten, mehr Narren als Weise. Wo die Sekten überhand nehmen, ist es aus mit der Ehrbarkeit: der Haufen der Armen fordert, mit den Reichen den Besitz zu teilen. Gott allein weiß, was eigentlich geglaubt wird: einige Städte haben ja einen neuen Glauben angenommen; einige streben danach. Der Wein wäre im Faß, wenn sie nur gut aus der Sache wieder herauskämen! So hat auch Eure Ehrbare Weisheit anfangs gedacht. Wenn Euch aber dieser erst acht Jahre alte Glaube so gut gefällt, daß Ihr nicht davon ablassen wollt, so zwingt doch wenigstens niemanden dazu, der beim alten Glauben und bei der allgemeinen christlichen Kirche verharren will, bei dem Glauben, in dem Eure Eltern und Vorfahren selig gestorben sind, in dem Ihr geboren und von der Muttermilch an erzogen worden seid. Zwingt sie nicht, vergewaltigt sie nicht! Laßt sie bei dem ungeteilten Rock unseres Herrn verbleiben nach Rat Ihres Gewissens! Günstig gesinnte, liebe Herren und gute Freunde: worin ich Eurer Ehrbaren Weisheit dabei dienlich sein kann mit aller Mühsal und Arbeit, wollte ich mich nicht schonen und ganz dafür einsetzen. Eure Ehrbare Weisheit wolle dieses mein Schreiben in guter Gesinnung entgegennehmen, wie es auch aus guter Gesinnung gegen Euch abgefaßt ist. Ich erbiete mich, wie ich am Schluß meiner Meßerklärung geschrieben habe: alles mit Freude zu tun, was Eurer Ehrbaren Weisheit und Eurer Stadt Memmingen nützlich wäre. Seid damit dem allmächtigen Gott befohlen! Gegeben zu Ingolstadt am 5. Tag im Januar 1529. Eurer Ehrbaren Weisheit williger |