Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 225

Eck an den Rat von Memmingen
Ingolstadt
05-01-1529


München BSB Cgm 4965/7a, fol 37-42
SCHELHORN, Amoenitates 6, 398-409
[F 004H; 071R]

Eck hat erfahren, daß der Rat von Memmingen mit Rücksicht auf die zahlreichen lutherisch gesinnten Bürger die Abschaffung der Messe beabsichtigt. Er hat deshalb eine Meßerklärung beigelegt, um zu beweisen, daß das Meßopfer in der Heiligen Schrift begründet ist. Eck hofft, daß die Memminger sich nicht verführen lassen. Sollten sie dennoch glauben, im Recht zu sein, bittet sie Eck, auf die Entscheidung des geplanten deutschen Nationalkonzils zu warten. Es ist etwas anderes, wenn das ganze Reich, der Schwäbische Bund oder der Reichsstand der Städte eine Reform beschließen, als wenn das eine einzelne Reichsstadt tut. Ein Vorgehen auf eigene Faust würde auch gegen die oberste Autorität des Kaisers verstoßen. In Simprecht Schencks und Ambrosius Blarers Meßreform kann Eck nur eine Gotteslästerung sehen und sie in der Heiligen Schrift nicht wiederfinden. Christus und die Apostel haben davor gewarnt, daß in der Endzeit falsche Propheten auftreten werden. Das Evangelium ist nicht, wie die Memminger Prädikanten behaupten, für Jahrhunderte verborgen gewesen. Im Gegenteil warnt die Schrift vor neuen falschen Lehren. Die Prädikanten werden das auf seine Person anzuwenden versuchen, aber Ecks Lehre ist identisch mit der Lehre der Kirche, wie sie seit 1400 Jahren üblich war. Viele Länder und Städte haben die Annahme der Reformation verweigert, andere, wie einige Städte im Elsaß, haben sich wieder der alten Kirche zugewandt, in anderen, wie Konstanz, Straßburg, Worms oder Nürnberg, wird ganz unterschiedlich gepredigt. In Wittenberg wurde der Meßritus neunmal geändert. Die Lutherischen erhoffen sich, daß eines Tages die Messe danieder liegen wird; die Prophetie Daniels und des Hl. Johannes macht es denkbar, daß das zur Zeit des Antichrist soweit kommen wird. Eck bittet, die Memminger möchten nicht dem Kommen des Antichristen vorarbeiten. Er hat mit der Stadt, die seiner Heimat so nahe ist, Mitleid, obgleich man ihn im Herbst 1528 an einem Besuch gehindert hat. Man möge doch wenigstens niemanden zu diesem neuen erst seit acht Jahren bestehenden Glauben zwingen. Er versichert gegenüber der Stadt und ihren Bürgern seinen guten Willen.


Erber fürsichtig und weißn Herren, Ewer Erber Weisshait seyen mein willig, früntlich dinst, unnd was ich gutz vermag, allzeit höchstes fleiss zu voran bherait.

Günstig lieb Herren unnd unnd früntlich lieb nachpaurn.

Es ist mir dise tag anzaigt worden, wie Ewer Erber Weisshait, auss dem das etlich ewer burger und einwoner der newen Luterisch sect anhengig sindt, hab in willen, unnd sey des fürnämen, das Christenlich ampt der hailigen Mess gar abzuschaffen: von dem ich von hertzen erschrocken bin:

so ich E.E.W.. unnd der gantzen statt aller eeren und guts gunt hab zu allerzeit: desshalb ich euch zu gut und wolfart in guter Christenlicher Brüederlicher Warnung ain Declaration gemacht, das das opfer der Mess in Byblischer gschrifft gegründet sey, wie Ir on zweiffel vernemmen werdt: hoff auch gentzlich unnd bin der zuversicht Ir meine Herrenn werden das in guten früntlichen willen annemen: wie es dan von mir in guter mainung beschähen ist. Unnd so ich wol erachten khan, das E.E.W. nit sey so hoch in Byblescher Gschrifft geyebt, als diser treffenlicher handel eraischt, so bitt ich euch durch das Blut JHESU Christi: ir wöllen in diser sach nitt eylen, unnd die bass bedencken, lasst euch niemants verhetzen: etwa leüt, die den braten verbrennt haben, unnd wolten, das yederman auch in die gfar käm, do sy in sünd: hieten euch, günstig lieb Herren, bedenckt, das nit wenig an der sach gelegen, nit ewer stat, nit ewer gut, nit ewer zeitlich leben: sonder das ewig leben das ir verliert, wa ir unrecht thuet, unnd ewigklich dardurch verdampt werden, unnd ewer nachkommen Gotzlrdterrlich all auff euch sünden werden. Wa ir aber ye vermaint, das ewer firnimmen gut und gottgefellig sey (wie es dan nit ist, darum ich mein leib unnd seel will verpfennt haben) so thüet doch das nit auss euch selber: Erwart das concilium teutscher nation, wie im Reichstag ist firgenommen: handelnd nichts fir euch selbs: es ist noch allezeit unrecht zethun wan das gantz reich söllichs firnimpt oder der gmain pundt von Swaben, oder gmainer Stand von Stetten: Ir wist das ir theten wider K. Maj. ewern natürlichen unnd von Gott eingesetzte oberkait:

Bedenckt wie gelert die seyen, die euch auff söllich böse handlung raitzen und werffen, wa, wie lanng sy gstudirt haben: Ich bin all mein tag in der schul gwesen, auch allweg nit der geringst geacht worden (on rum zu reden) in den gaben die Gott einem von natur gibt. Es sey mit fehig seinn, begreiffen, suchen, oder behalten: aber die gotzlesterung khan ich nit finden in der heiligen gschrifft, die ewer Simprecht, halbsinnig schapler, und yetz ewer falscher prophet der Blarer herauss bringen:

Bedenckt grossgünstig lieb Herren so die alten frommen Vätter, die so ains hailigen leben gwesen sindt, die göttlich gschrifft so fleissig durchgründt: also hefftig wider die welt, tuifel, und ketzer gestritten: noch dan hat Ir khainer dise falsche leer in der gschrifft funden, die ewer verfüerisch predicanten firgeben: wiewol zu allen zeiten Irsal in der kirchen gwesen sind auch zu der apostel zeiten, wie Paulus und Johannes meldend: Erwegen aber das, das Christus, Paulus, Petrus, Judas Tatteus insonnderheit unns verwarnen vor der letsten gferlichen zeit, da falsch Meister aufferstee wurden: wann die kirch geirt hett vom anfang her biss yez, on zweiffel Christus und die apostel hetten unns auch darvor verwarnt: so aber das widerspil wir fünden in Byblischer Gschrifft, so söllen wir das warnämen: die falschen predicanten sagen, das Evangeli sey vil hundert Jar verborgen gelegen, und yetz khum es herfir: das fint ich nit in der Bibel: das fint ich wol, wie das Euangelium werd gepredigt in aller welt: und in der letsten zeit, werd es verdunckelt durch ketzerey und falsch leeren: Kain prophet, Christus nit, die apostel nit, niemant sagt das dass Euangelium erst soll auffgeen nach XV C Jaren: darum auss der Gschrift seyt verwarnet, vor den newen leren, vor den ausslendischen fremden leren: Ich waiss wol die falschen verfüerischen predicanten, wan sy mein declaration lesen werden, so werden sy die sprüch Pauli auff mich deüten: das kinden sy mit kainer warhait thun: das mag E.E.W, auss dem erwegen: Ich leer nichts neuss,Ich schreib nichts neuss: Sonder was ich schreib, das will ich zaigen, das es gemainklich gehalten ist worden durch die gantz Christenhait vor C. Jaren, 300 Jaren, 6oo. Jaren, 1000 Jaren, 1400 Jaren. Aber die widersecher haben die gantz Welt, sovil Jar wider sich: Dann sy khain concili, khain richter wöllen gedulden.

Günstig lieb Herren Ir möchten sagen, es thund das auch etlich annder steet etc. dargegen sag ich, bedenckt aber entgegen, wievil das nit thund: bedenckt wie das khain stat thut in gantzem Welschland, Franckreich, Hispania, Engellant, Schottenlant, Poln und Hungern: bedenckt das etlich die diser Irrig sect anhenging gwest, und new ordnung angenommen, das sy die büeberey gesehen, wider hingeworffen haben, als Schlestat, Colmar, Landaw, Elenbogen. Bedenckt, das die steet die new ordnung angenommen haben, so gar ainander nit gleich halten, Es ist ain ungleicher zeüg zu Costantz und Strasburg. Ungleich zu Strasburg und Worms, ungleich zu Worms und Nürnberg: Ist nirget ain Mainung, wie S. Paulus lernt: Ja sy fallen selbs von ainem zu dem andern; das sy zu Wittenberg 9 mal die Mess verendert haben.

Darzu gebiettend lieb Herren, obschon die vil stett unnd fürsten also theten, ist darum nit rechtt: Es wirt ja ainmal iberhannd nimmen: Die luterischen sint des gwis: das sy ainmal erhalten werden, es geschäch wann es wöll, das die Mess abgethan würdt: so vil würt der tuifel in der Welt vermögen: wie E.E.W. auss meiner einfierung der prophezey Danielis vernimmen wert: das wirt aber geschehen, wann die bosshait iberr hant wirt nimmen: wan die liebe viler menschen erkalten würdt wie Christus sagt: wan der abfal vom glauben khommen wirt wie Paulus sagt: wann die Christenlich kirch noch in ewer stat, noch in annder stetten sein würdt, sonder flihen wirt in die Wüeste, wie S. Johans sagt: Es wird ja die Mess zu der zeit des Enti-Christ gar darniderligen: will aber E.E.W. sich selbs, ain frumme gmain der Anti-christlichen bosshait, thailhafftig machen. wolt ir so weit dem Entichristen vorlauffen: Thiets nit lieb Herren und früntlich lieb nachpaurn:

Ir möchten sagen, Ir verstünden nit anders: Daniel hats wol gesagt, man werdts nit verstan: aber die gelerten verstantss, volgent denselben: dan wiewol ich yederman guts gunn, unnd wolt das niemants durch falsche leer verfiert wurde: noch hab ich ain treffenliche mitleiden mit ewer statt, als die zu nechst meinem vaterland ist: und thet mir zu nechst im vergangen herbst im hertzen wee, das ich also must firreiten, unnd nit hinein zu euch kommen, früntlichen guten nachpürlich willen zu erzeigen, Dann wa es mir ye müglich wer E.E.W. und gantzer gmainer stat, früntlichen willen und dinst zu erzeigen: das wolt ich ye von hertzen gern thun. Hierauff ist mein gar hochfleissigg und früntlich bitt E.E.W. wölle die sach bass bedencken. unnd nichts mit gwalt wider die eer Gottes, wider den dinst Gottes, wider den gebrauch gmainer christenlicher kirchen firnimmen: sonder vil mer, wie Ir unnd all Christen schuldig sint, Ewer Leib und Leben und Blut fir unnsern hailigen glauben zusetzen: verharren und bleiben bey gmainer Christenlicher kirchen: Es ist ain Gott, ain tauff, ain glaub; ausserhalb dietz glaubens wirt niemants behalten: ainhällig ding söllen die Christen glauben, gebeut der hailig Paulus, nit ainer das, der annder jhens: dann die secten, rotten und spaltung im glauben sint verderblich und schädlich, und zuvor wider christenliche Liebe, die tringt allein zu ainigkait: Es ist auch burgerlich zu reden, wider alle gute politzey, söllich secten in ainer stat halten: da ist auss fried, freud, unnd vertrawen: waist khainer was er sich zu dem nechsten versehen soll: unnd zu vordrist, ist wider die Oberkait, denen die gehorsam entzogen würdt: unnd sich selbs stellen in gferlichait Irs Leibs unnd gutss: der armen sint mer dann der reichen: der bösen vil mer dan der guten, der faulen mer dan der die arbeiten, der narreten vil meer dann der weisen: Darum wa sy iberhant nemmen, so felt alle erbarkait hin: der arm hauff begert nur tailen mit den reichen: Got geb was man glaubt: Es haben ja etlich stett new glauben angenommen: es sint aber auch etlich, die gern wolten: der wein wär im fass: wa sy nur mit glimpff wider herum möchten, dasselbig betracht E.E.W. vor:

Wa aber ye diser achtjärig glaub euch so wol gefelt, das ir nit wöllen darvon steen: so thüet doch ains zwingen niemants darzu: wer wöll bey dem uralten glauben bleiben, bey gmainer cristenlicher kirchen, In dem glauben, darin ewer älter unnd vorfarend seligklich gestorben sind, in dem glauben ir geboren sint, In dem glauben, darinn ir erzogen seit von muter milch her: so thüt denselben kain zwang, vergwaltigets nit. Lasst bleiben bey dem ungetailten Rock unnsers Herren, nach anweisung ir conscienz:

Dann günstig lieb Herren unnd gut Fründ, war mit ich E.E.W. möcht herin dinstlich sein, mit aller müe und arbeit: wolt ich deren khaine sparen und gelts schon ain rimen auss der hut: E.E.W. wölle ditz mein schreiben, bester mainung annimmen. Wie es auss gantzem guten hertzen geschehen ist:

Erbeut mich, wie zu ennd meiner declaration ich verzaichnet hab: dan warmit ich E.E.W. unnd gantzer statt, kindt und möcht, dinstlichen, fruntlichen, unnd nachpaurlichen willen erzaigen: das wolt ich begirlichs fleiss unnd mit freuden thun.

Darmit seyt Gott dem allmechtigen befolhen.

Datum Ingolstat am 5. tag January 1529.

E.E.Weisshait williger
Johann Mair von Eck
Doctor etc

Ehrbare, fürsorgliche und weise Herren! Eurer Ehrbaren Weisheit versichere ich nach Vermögen meine Dienstbereitschaft.


Gutgesinnte, liebe Herren und freundliche, liebe Nachbarn:

Dieser Tage erhielt ich die Nachricht, daß Eure Ehrbare Weisheit aufgrund der Tatsache, daß zahlreiche Eurer Bürger und Einwohner der neuen lutherischen Sekte anhängen, die Absicht haben und auch schon Vorbereitungen treffen, die Heilige Messe anzuschaffen. Das erschüttert mich tief!

Da ich Eurer Ehrbaren Weisheit und der ganzen Stadt jederzeit alle Ehre und alles Gute gewünscht habe, habe ich für Euch zwecks brüderlicher Ermahnung eine Meßerklärung verfaßt, aus der hervorgeht, daß die Messe in der Heiligen Schrift ihre Grundlage hat, wie Ihr zweifelsfrei erkennen werdet. Mit Hoffnung und Zuversicht erwarte ich, meine Herren, daß Ihr diese freundlich aufnehmen werdet, wie auch ich sie in freundlicher Gesinnung gegen Euch niedergeschrieben habe. Da ich glaube, Eure Ehrbare Weisheit ist nicht so in der Heiligen Schrift zu Hause wie diese Auseinandersetzung es erfordert, bitte ich Euch durch das Blut Jesu Christi, in der Sache nicht so überstürzt vorzugehen: laßt Euch nicht hetzen, etwa von Leuten, die »den Braten verbrannt« haben und nun wollen, daß alle in die »Glut« fallen, da sie selbst in der Sünde leben. Hütet Euch, günstig gesinnte, liebe Herren, bedenkt die Bedeutung dieser Sache, von der nicht nur das Heil Eurer Stadt, Eures Besitzes, Eures zeitlichen Lebens abhängt, sondern das ewige Leben, das Ihr verliert, wenn Ihr Unrecht tut und damit ewig verdammt werdet und auch Eure Nachkommen gotteslästerlichen Sünden überlaßt. Solltet Ihr aber gemeint haben, Euer Verhalten sei gut und gottgefällig (was es nicht ist: ich verpfände darauf Leib und Seele!), so handelt doch nicht von Euch aus, sondern wartet das deutsche Nationalkonzil ab, das der Reichstag plant; handelt nicht von Euch aus; es ist noch Zeit genug, Unrecht zu tun, nämlich dann, wenn das ganze Reich solches beabsichtigen sollte oder aber der Schwäbische Bund oder die Reichsstädte. Ihr müßt wissen, daß Ihr gegen den Kaiser, Eure natürliche und von Gott eingesetzte Obrigkeit, handeln würdet!

Bedenkt auch, welche Vorbildung diejenigen mitbringen, die Euch zu solch bösem Tun anstacheln, wo und wie lange sie studiert haben. Ich selbst habe mein ganzes Leben an der Hochschule zugebracht, wurde auch (ohne Ruhmrede) hinsichtlich meiner von Gott geschenkten Begabungen nicht als der Geringste unter den Gelehrten angesehen. Sie mögen ja intellektuelle Gaben besitzen, jedoch kann ich die Gotteslästerungen, die Euer törichter SIMPRECHT SCHAPPELER und neuerdings Euer falscher Prophet BLARER äußern, nicht in der Heiligen Schrift finden.

Denkt doch, günstig gesinnte, liebe Herren, wie die alten frommen Kirchenväter, die ein heiliges Leben geführt haben, die Heilige Schrift gründlich und fleißig erforscht haben und ebenso heftig mit der Welt, dem Teufel und Ketzern gestritten haben, aber keiner von ihnen hat diese falsche Lehre in der Schrift gefunden, die Eure verführerischen Prädikanten verbreiten, wenn es auch zu allen Zeiten Irrtümer in der Kirche gegeben hat, auch zur Zeit der Apostel, wie Paulus und Johannes berichten. Bedenkt, daß Christus, Paulus, Petrus, Judas Thaddäus uns besonders vor der letzten gefährlichen Endzeit warnen, wenn falsche Lehrer auftreten werden. Wenn die Kirche von Anfang bis heute geirrt hätte, hätten uns Christus und die Apostel auch davor gewarnt. Da wir aber in der Heiligen Schrift genau das Gegenteil finden, sollen wir erkennen: die falschen Prädikanten sagen, das Evangelium sei viele hundert Jahre verborgen gewesen; jetzt komme es ans Licht. Das finde ich nicht in der Schrift, wohl aber, daß das Evangelium in aller Welt gepredigt, in der Endzeit aber verdunkelt werden wird durch Ketzerei und falsche Lehren. Kein Prophet, auch Christus nicht, auch die Apostel nicht, keiner sagt, daß das Evangelium erst nach fünfzehnhundert Jahren aufgehen soll. Darum laßt Euch aus der Schrift vor den neuen Lehren warnen, die aus dem Ausland kommen. Ich weiß wohl, wenn die falschen, verführerischen Prädikanten meine Meßerklärung lesen, werden sie die Worte des Paulus auf mich anwenden: das ist unwahr. Eure Ehrbare Weisheit mag das daraus ersehen, daß ich nichts Neues lehre und nichts Neues schreibe, sondern das, was ich schreibe, ist so - ich werde es aufzeigen - von der ganzen Christenheit vor 100, 300, 600, 1000, 1200, 1300, 1400 Jahren geglaubt worden. Die Widersacher jedoch haben die ganze Welt und so viele Jahre gegen sich, da sie kein Konzil und keinen Richter gelten lassen wollen.

Günstig gesinnte, liebe Herren, Ihr mögt vielleicht sagen, etliche andere Städte usf. handeln ähnlich wie wir. Dagegen sage ich, Ihr möchtet bedenken, wie viele nicht so handeln: keine Stadt in ganz Italien,Frankreich, Spanien, England, Schottland, Polen und Ungarn. Bedenkt auch, daß einige Städte, die Anhänger dieser irrigen Sekte gewesen und eine neue Ordnung angenommen haben, die Büberei erkannt haben und wieder abgefallen sind, wie Schlettstadt, Kolmar, Landau, Ellenbogen. Bedenkt auch, daß die Städte, die die neue Ordnung angenommen haben, keineswegs in gleicher Weise vorgehen: anders verhalten sich Konstanz und Straßburg, Straßburg und Worms, Worms und Nürnberg. Nirgends herrscht eine einzige Meinung vor, wie der Heilige Paulus sagt. Ja, sie fallen von einem Extrem ins andere: in Wittenberg zum Beispiel wurde die Meßordnung neunmal geändert.

Außerdem, gebietende, liebe Herren: selbst wenn die vielen Städte und Fürsten so handeln, ist es dennoch nicht rechtens. Es wird ja einmal überhand nehmen! Die Lutheraner sind dessen gewiß, daß irgendwann einmal die Messe abgeschafft wird. Soviel wird der Teufel in der Welt ausrichten, wie Eure Ehrbare Weisheit aus meiner Erklärung des Propheten Daniel entnehmen wird. Das wird aber geschehen, wenn die Bosheit überhand nimmt, wenn die Liebe vieler Menschen erkaltet, wie Christus sagt, wenn der Abfall vom Glauben erfolgt, wie Paulus sagt, wenn es die christliche Kirche eines Tages weder in Eurer noch in anderen Städten mehr geben wird, sondern sie in die Wüste flüchtet, wie der Heilige Johannes sagt. Zur Zeit des Endchrists wird die Messe daniederliegen. Will sich aber Eure Ehrbare Weisheit selbst und die fromme Gemeinde von Memmingen zum Opfer der antichristlichen Bosheit machen; wollt Ihr dem Endchrist soweit entgegenkommen? Tut es nicht,liebe Herren, freundliche liebe Nachbarn!

Ihr könntet einwenden, daß Ihr es nicht anders zu tun wißt. Daniel hat gesagt, man werde es nicht verstehen. Die Gelehrten aber verstehen es und folgen ihrer Einsicht: da ich nämlich jedem alles Gute wünsche und daß niemand von falscher Lehre verführt werde, habe ich mit Eurer Stadt noch sehr viel Mitleid, da sie meiner Heimat am nächsten liegt und es mir besonders im vergangenen Herbst Leid tat, als ich Euch besuchen wollte, ohne in die Stadt eingelassen zu werden und Euch meine gute nachbarliche Gesinnung zeigen zu können. Denn wäre es mir möglich, Euer Ehrbarer Weisheit und der ganzen Stadt meinen guten Willen und meine Dankbarkeit zu zeigen, wollte ich das von ganzem Herzen gern tun! So lautet auch meine große Bitte an Euch, Eure Ehrbare Weisheit möchte die ganze Angelegenheit noch einmal besser überdenken und nichts mit Gewalt gegen die Ehre und den Dienst Gottes und die Bräuche der allgemeinen christlichen Kirche unternehmen, sondern vielmehr, wie Ihr und alle Christen es schuldig sind, Leib, Leben und Blut für unseren heiligen Glauben einsetzen sowie bei der allgemeinen christlichen Kirche verharren und bleiben. Es gibt nur einen Gott, eine Taufe, einen Glauben! Außerhalb dieses Glaubens gibt es kein Heil. Der Heilige Paulus gebietet, die Christen sollen einen Glauben haben, nicht einer diesen, ein anderer jenen, denn die Sekten, Rotten und Spaltungen im Glauben sind verderblich und schädlich und vor allem gegen die christliche Liebe, die allein darauf drängt, die Einheit zu bewahren. Auch im bürgerlichen Sinn ist es gegen alle gute Ordnung eines Gemeinwesens, solche Sekten in einer Stadt zu dulden: dann ist es aus mit Frieden, Freude und Vertrauen, denn keiner kann dem anderen mehr trauen. Vor allem aber richtet sich das gegen die Obrigkeit, der der Gehorsam verweigert wird. Sie liefern sich der Gefahr für Leib und Leben aus; es gibt dann mehr Arme als Reiche, mehr Böse als Gute, mehr Faule als solche, die arbeiten, mehr Narren als Weise. Wo die Sekten überhand nehmen, ist es aus mit der Ehrbarkeit: der Haufen der Armen fordert, mit den Reichen den Besitz zu teilen. Gott allein weiß, was eigentlich geglaubt wird: einige Städte haben ja einen neuen Glauben angenommen; einige streben danach. Der Wein wäre im Faß, wenn sie nur gut aus der Sache wieder herauskämen! So hat auch Eure Ehrbare Weisheit anfangs gedacht.

Wenn Euch aber dieser erst acht Jahre alte Glaube so gut gefällt, daß Ihr nicht davon ablassen wollt, so zwingt doch wenigstens niemanden dazu, der beim alten Glauben und bei der allgemeinen christlichen Kirche verharren will, bei dem Glauben, in dem Eure Eltern und Vorfahren selig gestorben sind, in dem Ihr geboren und von der Muttermilch an erzogen worden seid. Zwingt sie nicht, vergewaltigt sie nicht! Laßt sie bei dem ungeteilten Rock unseres Herrn verbleiben nach Rat Ihres Gewissens!

Günstig gesinnte, liebe Herren und gute Freunde: worin ich Eurer Ehrbaren Weisheit dabei dienlich sein kann mit aller Mühsal und Arbeit, wollte ich mich nicht schonen und ganz dafür einsetzen. Eure Ehrbare Weisheit wolle dieses mein Schreiben in guter Gesinnung entgegennehmen, wie es auch aus guter Gesinnung gegen Euch abgefaßt ist.

Ich erbiete mich, wie ich am Schluß meiner Meßerklärung geschrieben habe: alles mit Freude zu tun, was Eurer Ehrbaren Weisheit und Eurer Stadt Memmingen nützlich wäre.

Seid damit dem allmächtigen Gott befohlen!

Gegeben zu Ingolstadt am 5. Tag im Januar 1529.

Eurer Ehrbaren Weisheit williger
Johann Mair von Eck
Doktor etc