Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 238

Johannes Major an Eck
Paris
01-08-1530


Johannes Major, In primum Magistri Sententiarum. Paris, Jean Petit und Iodocus Badius Ascensius, 1530. Dedicatio

Seit gut zwanzig Jahren ist Maior der Gewohnheit der Theologen gefolgt, Kommentare zum 1. Buch der Sentenzen zu verfassen und dabei die Lehre des Aristoteles zu vertreten. Seit einiger Zeit, angelegentlich der Vorlesung zum 4. Sentenzenbuch, bemerkte Maior jedoch zunehmende Uunzufriedenheit und Desinteresse seiner Studenten. Auch die Vorlesungen zu Scotus, Ockham und Gregor von Rimini stießen auf immer weniger Interesse. Vor allem das Eindringen der lutherischen Häresie machte es erforderlich, statt den Sentenzen sich der Heiligen Schrift zuzuwenden. Auch bei den Disputationen an der Sorbonne mußten Kompromisse mit den Zeiterfordernissen geschlossen werden. Die Zeiten und Meinungen ändern sich jedoch immer wieder, und so ist Maior bereit, aristotelisches Gedankengut vorläufig nur wohldosiert und zurückhaltend vorzutragen, wie man an seinem Kommentar zum Prolog zum 1. Sentenzenbuch erkennen kann, das er hiermit vorlegt und seinem Namensvetter und Kollegen Eck widmet, der in Paris nicht nur bei den Theologiestudenten der Sorbonne wegen seiner tapferen Verteidigung des alten Glaubens hohe Wertschätzung findet.


Ioannes Maior Hadingtonanus
 D. Ioanni Maiori Eckio Suevo, cognomini ac contheologo, fideique orthodoxae protectori strenuo, in fide ac charitate Christiana dilectissimo Salutem.

Abhinc annos ferme viginti virorum optime, quaestiunculas complures in primum Magistri Sententiarum emisimus, in quibus multa quae liberales concernunt artes, de formarum intensione et similia placita pro virili nostra discussimus, multaque refellimus. Hic enim fere mos scribendi tunc theologis erat.

At quamquam bonam aetatis illius partem in Aristotelica doctrina exponenda transegi, tamen (quod ingenue fateor) mos ille scribendi parum mihi placuit, cum viderem eumm auditoribus meis nec gratum nec iucundum.

Quando enim quartum sententiarum profitebar, auditores ad me numerosi confluebant; dum vero in primum Sententiarum scripta conterranei mei Ioannis Duns, aut Anglicani Guilhelmi Ockam, aut Gregorii Ariminensis, praelegerem, mira erat antequam opus ipsum perlegerem, auscultatorum paucitas.

Accessit praeterea a duodecim (si rite recordor) annis fidei catholicae nova et detestanda calamitas Martini Luteri et qui ab eo os ponendi in caelum temeritatis ansam acceperunt, execranda haeresis, ad quam confutandam omnes theologiae studiosi Lutetiae ad sacras sese literas neglectis sententiarum definitionibus accinxerunt, ita ut nostra Academia Sorbonica obtutum mentis omnem ad materias, cuilibet captu faciles fixerit, positionrsque Sorbonicas ingeniosis animis dignas in materias maiorum ordinariarum (ut vulgato more loquar) commutarint.

Quod videns sacra nostra facultas ac verita ne sic multorum ingenia torperent et in crassam degenerarent Minervam, Baccalauriis (qui sunt theologicis sacris initiati) indixit, ut in Sorbonicis et tentativis (ut dicimus) disputationibus, scholastica et argutiora placita more maiorum nostrorum tractarent ac sustinerent, permittens tamen eis thesim unam interserere cum corollariis facilioris et minus theoricae farraginis.

Quocirca stilum tempori accommodavi, non immemor illius Aristotelici dicti: »Saepius redeunt opiniones«, hoc est mos scholasticarum disputationum variatur crebrius; de extremo enim in extremum transeunt; et rursus dum unum extremum est multitudini taediosum in alterum quasi neglecto medio recurrunt. Qua re non oscitanter perspecta nonnulla in prologum olim a me disputata, quae Aristotelica posteriora sapiunt, paucis percurri et pauca physicalia quae rem de qua agitur patefaciunt carptim exaravi.

Hunc autem primum librum sic repositum observandae et omnibus honorandae praestantiae tuae nuncupavi, cum propter nominis cognominisque ac studiorum inter nos communionem, tum ob singularem observantiam nominis tui, quam non solum apud commilitones tuos theologos Parisienses, verum apud omneis boni nominis Christianos meruisti, ob egregiam istam fidei Christianae adversus impios defensionem.

Vale.

Ex conclavi nostro in collegio Montis Acuti
ad Calendas Septembres 1530.

Johannes Major aus Hadington
grüßt Herrn Johannes Major aus Eck, den Schwaben, seinen Namensvetter und Mittheologen, starken Beschützer des wahren Glaubens, den in Glaube und Liebe Christi viel Geliebten!

Seit fast zwanzig Jahren, mein Bester, verfaßte ich Quästionen zum 1. Buch der Sentenzen des LOMBARDEN, in denen ich vielerlei die freien Künste Betreffendes über die Intension der Form und Ähnliches mit großem Bemühen diskutierte, vieles auch verwarf. Das war nämlich damals die für Theologen wichtigste Weise, Bücher zu verfassen.

Aber da ich fast die ganze Zeit mit der Auslegung der aristotelischen Lehren zubrachte, so gefiel mir (was ich offen gestehe) jene Art des Schreibens wenig, da ich erkannte, daß sie meinen Hörern weder zusagte noch ihnen Freude machte.

Als ich nämlich das 4. Buch der Sentenzen erklärte, stürmten viele Hörer zu mir; als ich aber die Kommentare meines Landsmannes DUNS SCOTUS, des Engländers WILHELM OCKAM oder des GREGOR VON RIMINI zum 1. Buch der Sentenzen vortrug, nahm die Zahl der Hörer schon vor Beginn der Vorlesung rapide ab.

Hinzu kam vor (wenn ich mich recht erinnere) zwölf Jahren die neue und verhaßte Bedrohung des katholischen Glaubens, die verfluchte Häresie MARTIN LUTHERS und derer, die bei ihm den Anlaß nahmen, ihre Unbesonnenheit zum Himmel zu schreien: um diese zu widerlegen, haben sich alle Pariser Theologiestudenten um die Heilige Schrift zusammengeschlossen, unter Vernachlässigung der Definitionen des Sentenzenmeisters, so daß unsere Sorbonne ihre volle Aufmerksamkeit auf Gegenstände, die jedem verständlich waren, richtete und die Thesen der Sorbonne, großen Geistern würdig, zu Gegenständen der (um es volkstümlich zu sagen) "alten Ordinarien" zu verwandeln.

Als unsere heilige Fakultät das erkannte und aus Furcht, auf diese Weise den Geist so vieler zu schwächen und die strahlend starke Minerva zu ermatten, verbot sie den Baccalaurei (die in die Theologie bereits eingeführt sind) an den (wie man sagt) Übungsdisputationen der Sorbonne teilzunehmen und scholastische und scharfsinnigere Themen nach Art unserer Vorfahren abzuhandeln und zu übernehmen; man erlaubte dennoch, eine These mit Korollarien leichterer und weniger theoretischer Art zu unterlegen.

Daher habe ich meinen Stil dem Zeitgeschmack angepaßt, nicht uneingedenk des Spruches des ARISTOTELES: »Oft kehren Meinungen wieder.«Das heißt, daß die Art und Weise scholastischer Disputationen sich öfter wandelt und von einem Extrem ins andere pendelt und wiederum, wenn ein Extrem bei der Menge Überdruß erzeugt, geht sie gleichsam unvermittelt zu einem anderen über. Deshalb übergehe ich nicht ohne jede innere Teilnahme im Prolog von mit erkannte Themen, die ich einst durchaus disputiert habe, die aber den Geschmack der aristotelischen »Logica posteriora«an sich haben, mit nur wenigen Worten und habe wenige Fragen der Physik, die die Sache, um die es geht, nur ausschweifen lassen, gerafft zusammengefaßt.

Diesen so überarbeiteten Kommentar zum 1. Buch der Sentenzen habe ich aber Euer verehrten und vor allen anderen geschätzten Vortrefflichkeit gewidmet, wegen der Namensgleichheit und der Gemeinsamkeit unserer Studien, dann wegen der Vortrefflichkeit Eures Namens, die Ihr nicht allein bei Euren Pariser Theologiestudenten, sondern bei allen Christen guter Gesinnung verdient habt, und zwar wegen jenes Abwehrkampfes, den Ihr gegen die Feinde des christlichen Glaubens führt.

Lebt wohl!

Aus meinem Gemach im Collegium Montaigu
am 1. August 1530.