Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 335

Nikolaus Ellenbog an Eck
Ottobeuren
13-04-1538



Paris BN cod lat 8643, 3 fol 46f Nr 72
GEIGER, Ellenbog, Anhang II 25; CCath 19/21 (Münster 1938), 382f Nr 72



Er hat mit Dank von Eck ein Exemplar der Auslegung des 20. Psalms im Auftrag des Augsburger Bischofs aus der Hand des Abtes von Kempten, Wolfgang von Grünenstain, erhalten. Ellenbog ist um so dankbarer für Ecks Brief, als er selbst seit zwei Jahren ihm nicht mehr persönlich schreiben konnte. Er leidet nämlich an der Gicht an Händen und Füßen und hatte zeitweise große Schmerzen. Jetzt aber geht es ihm besser. Da er nicht vom Bett aus das Amt des Priors ausüben konnte, hat er es aufgegeben. 1512 war er nach dem Tode des obersten Ökonomen des Klosters dessen Nachfolger geworden, und, da er bereits 1508 Prior gewesen war, erhielt er auch dieses Amt zum zweiten Mal (1534), sehr zu seinem Schaden, da er, gerade von wissenschaftlichen Interessen gefangengenommen, nun über zehn Jahre von der Landarbeit davon abgehalten wurde.



Frater Nicolaus Ellenbog Ioanni Eckio theologo S.P.D.

Exemplar Explanationis tuae in psalmum vigesimum mihi dono transmissum ea, qua debui, gratitudine accaepi. Tu illud Augustensi praesuli transmisisti, episcopus autem per abbatem Campidonensem, dominum Wolfgangum a Grinenstain, ad me transmisit. Itaque non parum gratiae donum tuum alias gratissimum ob mittentium reverentiam (per duos enim principes ad me usque perlatum est) accaepit.

Caeterum gratias habeo tuae humanitati, qui pro veteri nostra necessitudine mei immemor non es, sed tua incude excussa, quia per omnia ad stomachum meum facere dudum novisti, mihi transmittere non moraris. Gratiae rursum tibi sint immortales.

Literas a te accipere non merui, forsan quia a me per biennium nil literarum acceperis.

Sed audi rationem silencii mei diuturni. Ferme nunc per biennium paralisi laboro et nec manus nec pedes quoquam movere potui, sed ostreae instar loco fixus haerebam maximo brachiorum, manuum et pedum dolore et quidem perpetuo cruciatus. Et hunc quidem cruciatum mihi »iustus iudex« peccatis meis demerentibus inflixit. Ipse autem, qui mortificat et vivificat, recordatus misericordiae antiquae rursum respirare me fecit. Dolorem intensum et iugem detersit, pedum officium restituit, manuum, ut ex his literis agnoscere poteris, etsi non omnimodam, quantulamcumque tamen agilitatem praestitit. Deo sint gratiae immortales.

Habes veridicam silencii mei excusacionem.

Alioqui eo me scias indubitato esse erga humanitatem tuam animo, quo fui semper, hoc est bono et fideli, virum te sciens doctum esse et mei studiosissimum.

Caeterum noveris me dudum exauctoratum ab officio prioratus ob diutinam meam infirmitatem. Decumbens enim in lectulo officio praeesse potui minime. Sed et nunc secundo a prioratus officio absolutus sum. Nam anno, si bene memini, 1512 contigit morte decedere apud nos cellerarium (ut hic loqui solemus) maiorem, hoc est oeconomum monasterii; mox eo mortuo, qui prius agebam priorem, in locum defuncti suffectus sum, ad maximum meum detrimentum. Qui enim eo tempore aptus eram ad literas, rusticanis negociis implicabar, et quidem per decennium. Cogitare habes, quid per decennium inter rusticos de literis tractaverim, quid profecerim, immo ut verius loquar, quid amiserim, quantum dedicerim ex omnibus, quae antea sedula lectione hauseram.

Haec ideo ad te scripsi, quia titulus manus tuae ita continebat: Venerando domino priori Ottenbeurensi. Nunc autem alius fungitur officio, melior me. Ego autem in infirmatorio dego perfectam sanitatem expectans.

Fiat voluntas Domini. Vale bene in longos annos, fidei orthodoxae specimen et patronus.

Ex Ottenburen 1538 die Aprilis 13.

Bruder Nikolaus Ellenbog entbietet dem Theologen Johannes Eck viele Grüße!

Das Exemplar Eurer »Erklärung des 20. Psalms«, das Ihr mir als Geschenk übersandt habt, habe ich, wie geschuldet, dankbar erhalten. Ihr habt es dem Bischof von Augsburg zugeschickt; der Bischof wiederum stellte es mir durch den Abt von Kempten, Herrn WOLFGANG VON GRÜNENSTEIN, zu. Nicht wenig Gunst hat daher Eurer Geschenk empfangen, da es schon wegen des Ansehens der Zusteller (es ist nämlich durch zwei Fürsten zu mir gelangt!) sehr willkommen war.

Im übrigen danke ich Eurer Menschenfreundlichkeit, der Ihr wegen unserer alten unzertrennlichen Verbindung stets meiner gedenkt, ja besser: auf Eurem »Amboß geschmiedet« habt, denn schon längst habt Ihr verstanden, alles nach meinem Geschmack zu tun, und Ihr zögert so nicht, mir Geschenke zu machen. Noch einmal unvergänglichen Dank!

Ich habe nicht verdient, Briefe von Euch zu empfangen, vielleicht weil Ihr durch zwei Jahre keine empfangen habt.

Hört aber den Grund für mein langes Schweigen: Fast zwei Jahre leide ich jetzt an Gicht und konnte weder Hände noch Füße bewegen, denn wie eine Auster hing ich fest mit meinen Unterarmen an einen Ort fixiert, gequält durch beinahe ständigen Schmerz in Händen und Füßen. Diese Qual hat mir der »gerechte Richter« aufgrund meiner Sünden zugefügt. Er selbst, der »tötet und zum Leben erweckt«, ließ mich eingedenk seines immerwährenden Erbarmens erneut wieder aufleben. Den starken und beständigen Schmerz löschte er aus, den Dienst der Füße erneuerte er, die Beweglichkeit der Hände, wie Ihr an diesem Brief erkennen könnt, hat er, wenn auch nicht in jeder Hinsicht, so doch einigermaßen wieder geschenkt. Gott ewigen Dank!

Jetzt habt Ihr eine ehrliche Entschuldigung für mein Schweigen.

Ansonsten glaubt mir, daß ich gegenüber Eurer Menschenfreundlichkeit die gleiche ungezweifelte Gesinnung hege, wie immer, das heißt, eine gute und treue, im Wissen, daß Ihr ein gelehrter und um mich sehr bemühter Mann seid.

Weiterhin sollt Ihr wissen, daß ich längst vom Amt des Priors aufgrund meiner langen Krankheit Abschied genommen habe. Im Bett liegend konnte ich nämlich das Amt nicht mehr wahrnehmen. Ich bin jetzt zum zweiten Mal aus dem Priorat ausgeschieden, denn im Jahr 1512, wenn ich mich recht erinnere, geschah es, daß bei uns der Oberzellular (wie wir hier zu sagen pflegen) starb, das heißt der Klosterökonom. Bald nach seinem Tod wurde ich, der bereits einmal Prior gewesen war, an die Stelle des Verstorbenen gewählt, zu meinem sehr großen Schaden! Ich hing zu dieser Zeit sehr an den Wissenschaften und war ging in bäuerlicher Arbeit auf, und das für zehn Jahre. Ihr könnt Euch denken, was ich in den zehn Jahren unter Bauern an Wissenschaft betreiben konnte, welche Fortschritte ich machte, ja, um die Wahrheit zu sagen, wie mir verloren ging, wieviel ich von dem verlernte, was ich vorher mit fleißiger Lektüre angeeignet hatte.

Ich habe Euch das geschrieben, weil Eure handgeschriebene Anrede stets enthielt: Dem verehrten Herrn Prior von Ottobeuren. Nun hat ein anderer dieses Amt, der besser ist als ich. Ich aber liege auf der Krankenstation und warte auf meine völlige Genesung.

Der Wille des Herrn geschehe! Lebt wohl für viele Jahre, Musterbeispiel und Verteidiger des wahren Glaubens!

Aus Ottobeuren, am 13. April 1538.