Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 345

Eck an Nikolaus Ellenbog
Ingolstadt
18-06-1539


Paris BN cod lat 8653, 3 fol 78-79v Nr 22
GEIGER, Ellenbog, Anhang II 29; CCath 19/21 (Münster 1938), 401ff Nr 22

Die Regel des Hl. Hieronymus, zur Kirche zurückkehrenden Häretikern nicht sofort zu vertrauen, hat dieser sogar Im Falle des vom Manichäismus bekehrten Augustinus angewendet. Witzel, der vier Monate eingekerkert war, kehrte wohl eher aus Angst vor Strafe als aus Liebe zum Glauben zur Kirche zurück. Da er mit den aufständischen Bauern paktiert hatte, konnte er als Lutheraner sich nicht einmal dem Landgrafen von Hessen anvertrauen. Auch hat er die Nonne, die er geehelicht hatte, nicht entlassen. Seine Schriften widerspiegeln statt Liebe Neid; sie sind ungelehrt und zeugen von wenig gründlicher Schriftkenntnis; dafür zeugen sie von seiner Kenntnis der deutschen und lateinischen Schriften Luthers; ansonsten ist er theologischer Autodidakt. Er glaubt nicht an die Unfehlbarkeit der Konzilien und beklagt die Vielzahl der Priester und Mönche und die Verschiedenheit der Ordensgemeinschaften, die es zu beseitigen gelte. Als Heilmittel zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit empfiehlt er die Abschaffung der Privatmessen mit dem daranhängenden Benefizienwesen; eine Messe in jeder Stadt genüge. Er fordert die Kommunion sub utraque für die Laien und verwirft Ablaß, Fegfeuer und Totenmessen. Den Bitten seiner Freunde, Witzel brieflich zu seinem Weg zu ermutigen, kann Eck nicht entsprechen, denn er urteilt ähnlich wie Hieronymus über Tertullian: Witzel ist im Grunde kein Mann der Kirche, sondern sucht sich selbst. Unter dem Schafspelz ist er ein reißender Wolf. Mit der empfohlenen Rhabarberzucht in seinem Garten hat Eck Probleme. Ellenbog soll seine Briefe an ihn nach Dillingen schicken, an den Bischof von Augsburg selbst, den bischöflichen Kanzler Dr. Konrad Renz oder Johannes von Stadion. In der letzten Fastenzeit hatte Eck die Bischöfe von Eichstätt und Augsburg zum Mahl geladen; der erstere ist am 13-06-1539 verstorben. Grüße an den Abt.



Doctor Ioannes Eckius fratri Nicolao Ellenbog S.D.

Venerande pater, et si occupatus, tamen respondeo:

Regula est Hieronymi non cito credendum redeuntibus ad ecclesiam ex haereticis; hinc tanto tempore non fidebat s. Augustino ex Manicheis reverso.

De Wicelio, quia fuit contra ecclesiam, rediit, ut lactat, nunquam probavi

Nam primo rediit male afflictus ab aliis et quatuor mensibus carceribus mancipatus; timore ergo poenae rediit, non amore fidei.

Secundo: quia fuit cum seditiosis rusticis in campo; utcumque fucum adhibeat, tamen etiam Luderanus non audebat se committere Lantgravio, cuius plebeios concitaverat.

Tertio. quia monialem, quam duxit, nunquam a se dimisit; non ergo ex corde rediit et paenituit.

Quarto: quia omnia scripta sua nullum omnino habent candorem, nullam micam charitatis, sed amarulentae et invidae, ut odio suo satisfaceret et vindicaret se de Luteranis.

Quinto: nullum ferme libellum emisit, in quo non sparsisset aliquid veteris veneni.

Sexto: non est doctus et fundamentalis in sacris literis, solum ex teutonicis et latinis literis Luteri didicit suam theologiam, alias "autodidaktos"; unde plus ramis inhaeret doctrinae quam radicibus.

Septimo: sequitur, quod nunquam aliquem locum scripturae faeliciter tractavit nisi assumpto sensu ex vulgo colorato aliquo dicto antiqui theologi; reliqua omnia sunt ventus, bulla, nugae, loquacitas et volubilitas verborum.

Octavo: unde semper habuit illud virus, quod non credidit concilia infallibilia, conquestus est semper de multitudine sacerdotum et monachorum (cum iam satis pauci sint et in dies fiant pauciores), varietatem ordinum tollendam censuit, cum multis aliis, non possum recurrere ad deploranda opuscula sua.

Nono: iam emisit, quomodo resarciri possit pax ecclesiae; et inter alia ponit illud remedium, quod papa tollat omnes missas privatas; ergo cessabunt beneficia simplica, beneficia in ecclesiis collegiatis, cessabit devocio celebrantium monachorum, quia ait sufficere unam missam in tota civitate. Vult in universum permitti extra missam etiam laicis communionem sub utraque specie. Vult indulgentias tolli, purgatorium, officia omnia pro demortuis cum aliis. Fui aliquando monitus per literas ab amicis, ut ei scriberem et consolarer, quod tam fortiter faceret contra hostes fidei. Nolui, sed scripsi illis eum non fortiter facere, sed muliebriter; ita impotenti maledicentia veheretur in illos neque ageret causam Dei et fidei, sed suam.

10. et in universum hoc me movit, quod nunquam agnovi eum hominem ecclesiae, ut de Tertulliano Hieronymus dixit, quia fuit foras, excommunicatus haereticus, communicans in sacramentis active et passive; rediit sicut passer, nemo eum restituit, nemo absolvit, nemo ei paenitentiam in forma ecclesiae iniunxit et pristinae famae ac honori et gradui restituit, ut autoritate conciliorum cautum est. Ideo eum non saluto ut virum ecclesiae. Quod etsi tam longo tempore palam fecerit, quod nullus fuit dies tam sanctus et festivus, quod legisset missam, nisi ordo eum tetigerit, ut summum cantaret officium. Prestolor quando ovinam pellem deponet, et videbimus rapacissimum lupum. Haec summatim.

Ante triennium misit paternitas tua semen reubarbari et unam experientiam eius, si nocte sumatur pulvis in quantitate unius floreni. Iam in tertium annum crevit in orto meo; nescio, quo mense effodiam et quis illius usus. Et quia rarus est nuncius ad nos, mittito Tillingen literas, vel ad manus mei episcopi vel doctoris Chunradi aut Ioannis de Stadion. In quadragesima praeterita ambos episcopos, Eistettensem et Augustensem, recepi prandio; sed iam amisi Eistetensem, qui 13. Iunii obiit; anima eius vivat Deo.

Et tu vale et domino abba mille verbis salutem dicito.

Ingolstadii 18. Iunii 39.

Doktor Johannes Eck wünscht Bruder Nikolaus Ellenbog alles Gute!

Verehrter Pater, ich antworte Euch trotz meiner Arbeitslast.

Nach dem Leitsatz des HIERONYMUS soll man den aus dem Lager der Häretiker zur Kirche Zurückkehrenden nicht zu schnell Glauben schenken: von daher mißtraute er zu seiner Zeit auch dem vom Manichäismus konvertierten AUGUSTINUS.

WITZELS Verhalten, der, nachdem er sich gegen die Kirche gewandt hatte, zurückkehrte, um sie zum Besten zu haben, habe ich niemals gebilligt.

Denn: einmal kehrte er nach vielen Konflikten und nachdem er vier Monate im Kerker verbracht hatte, zurück: also aus Furcht vor Strafe, nicht aus Liebe zum Glauben.

Zum zweiten: weil er mit den aufständischen Bauern das Lagerleben teilte; wie er sich auch immer verstellte, wagte er dennoch nicht, sich als Lutheraner dem Landgrafen PHILIPP VON HESSEN anzuschließen, dessen Pöbel er aufgehetzt hatte.

Zum dritten: weil er die Nonne, die er geehelicht hatte, niemals wirklich entließ; also kehrte er nicht aus ganzem Herzen zurück und tat Buße.

Zum vierten: weil alle seine Schriften glanzlos, ohne eine Spur von Liebe verfaßt sind, sondern voller verletzender Heftigkeit und Neid, so daß er damit seinem Haß und seinem Rachegelüst gegenüber den Lutheranern Genüge tat.

Zum fünften: er hat fast keine Schrift veröffentlicht, in der er nicht altbekanntes Gift verspritzt hätte.

Zum sechsten: er ist nicht in der Heiligen Schrift gelehrt und wohlgegründet; seine Theologie lernte er allein aus den deutschen und lateinischen Briefen LUTHERS: das heißt er ist Autodidakt. Von daher hängt seine Lehre nur an Äußerlichkeiten und hat keine tiefen Wurzeln.

Zum siebenten: daraus folgt, daß er niemals andere Schriftstellen zutreffend behandelt hat als solche, die er in vulgärer Weise in ihrem Sinn geschönt von irgendeinem alten Theologen übernommen hat; alles übrige ist nichts als Windhauch, Seifenblasen, Nichtigkeit, Geschwätzigkeit und gedankenleere Wortkrämerei.

Zum achten: woher er auch jenes Gift haben mag, daß er nämlich nicht an die Unfehlbarkeit der Konzilien glaubt, sich immer über die große Zahl der Priester und Mönche beklagt (obgleich es schon wenige sind und täglich weniger werden), er die verschiedenen Weihestufen abschaffen will und vieles andere mehr: ich kann mich nicht dazu aufraffen, seine Schriften zu beweinen.

Zum neunten: er hat sich jetzt darüber ausgelassen, wie der Frieden in der Kirche wiedererlangt werden könnte, und unter anderem schlägt er als Heilmittel vor, der Papst solle alle Privatmessen abschaffen; dann würden auch die einfachen Benefizien, diejenigen an den Kollegiatskirchen, der Gottesdienst zelebrierender Mönche aufhören, da seiner Meinung nach in jedem Gemeinwesen eine einzige Messe ausreiche. Auch will er ganz allgemein auch den Laien erlauben, außerhalb der Messe die Kommunion unter beiderlei Gestalt zu empfangen. Er fordert die Abschaffung der Ablässe, des Fegfeuers, aller Totenämter und so fort. Ich wurde einst brieflich von Freunden aufgefordert, ihm zu schreiben und Trost zuzusprechen, daß er so tapfer mit den Feinden des Glaubens streite. Ich lehnte das ab und schrieb ihnen, er streite nicht tapfer, sondern in windelweicher Manier; so fahre er damit fort, mit ohnmächtiger Schmähung gegen sie loszugehen und betreibe nicht die Sache Gottes und des Glaubens, sondern seine eigene.

Zum zehnten: in Summa treibt mich das alles dazu, ihn nicht für einen Mann der Kirche zu halten, sondern, wie HIERONYMUS über TERTULLIAN urteilte: er war außerhalb der Kirche, exkommunizierter Häretiker, in aktiver und passiver Sakramentsgemeinschaft; er kehrte wie ein Sperling zurück: niemand hat ihn wieder eingeführt, niemand absolviert, niemand ihm nach kirchlicher Norm Buße auferlegt und seinen früheren Ruf und seine Ehre und seinen Stand als Priester wiederhergestellt, wie es aufgrund der Autorität der Konzilien erforderlich ist. Daher begrüße ich ihn nicht als Mann der Kirche. Seit langem hat er in aller Öffentlichkeit gezeigt, daß er an keinem noch so heiligen und festlichen Tag die Messe las, wenn er nicht durch äußere Umstände gezwungen wurde, das Hauptoffizium zu singen. Ich warte nur darauf, daß er seinen Schafspelz ablegt: dann werden wir in ihm einen reißenden Wolf erkennen. Das in Zusammenfassung.

Vor drei Jahren sandte Eure Väterlichkeit Rhabarbersamen und eine Probe davon, um ihn nachts in Pulverform in der Größe eines Guldens einzunehmen. Schon im dritten Jahr wächst er in meinem Garten; ich weiß nicht, in welchem Monat ich ihn ausgraben werde und wer ihn dann nutzen wird. Und weil wir selten briefliche Nachricht erhalten, sendet die Briefe nach Dillingen oder zu Händen meines Bischofs oder an Doktor KONRAD RENZ oder den Stadtvogt HANS VON STADION. In der vergangenen Fastenzeit habe ich beide Bischöfe, den von Eichstätt und den von Augsburg, zu mir zum Mahl geladen; jetzt jedoch vermisse ich den Bischof von Eichstätt, der am 13. Juni verstorben ist; seine Seele soll bei Gott leben!

Ihr aber lebt wohl und sagt dem Herrn Abt tausend Grüße von mir!

Ingolstadt, 18. Juni 1539.