Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 347

Nikolaus Ellenbog an Eck
Ottobeuren
06-07-1539


Paris BN cod lat 8643, 3 fol 79v - 80v Nr 24
GEIGER, Ellenbog, Anhang II 30; CCath 19/21, 403f Nr 24

Er erkennt Ecks Urteil über Witzel als richtig an. Wenn dieser prokatholisch und gegen die Lutheraner schreibt, kann man ihn aber dulden. Ellenbog teilt die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten des Rhabarbers als Heilmittel mit. Ecks Schwester Agatha ist gesund.

Doctori Ioanni Eckio frater Nicolaus S.D.

Doctissime vir, literas Dominationis Tuae accepi et legi. Ea, quae tu de Wicelio scribis et sentis, probe intellexi; hominem tu propriis coloribus depinxisti. Verumtamen interim occurrit dictum Salvatoris: »Qui non est adversum vos, pro vobis est.« Donec scribit pro nobis et adversus Lutheranos, aequo eum animo feramus.

Caeterum quantum ad reubarbarum spectat, medici reubarbarum pharmacis commiscent ad educendam choleram, cui peculiarius medetur. Tradunt medici radicum omnium virtuosissimam esse reubarbarum et valere omni tempore, omni aetati et sexui, ita ut et praegnantibus et pueris administrari possit. Infunditur in sero caprino aut in aqua endiviae et potatur contra splenis et epatis oppilacionem, sicque mirifice conducit ictericis et hydropicis, confert asmati et sputo sanguinis, epati et stomacho ac debilitati amborum. Confert dolori ventris pungitivo, dissenteriae, dolori renum, vesicae, matricis et fluxui sanguinis. At extra applicatum confert morsui venenosorum, pulverisatum ett cum aceto temperatum, si per noctem infundatur in vino, solvit ventrem salubriter. Si infundatur in aceto, tollit pannum, hoc est maculas cutis et vestigiaa in cute remanentia post casum aut percussionem et cutem a lentiginibus et impetigine mundificat. Est etiam reubarbarum diureticum et urinam citat. Certum est autem reubarbarum nostrum minoris esse virtutis illo, quod ex India apportatur, opusque esset (ut medici nostri referunt) pondus duplicare.

Praeterea si quaeris, quo tempore colligi debeat, sententia est omnium pharmacopolarum radices colligi debere in Augusto sive in Tricesimo; eo enim tempore maximam radicibus inesse virtutem.

Ego reubarbarum solare, hocc est de natura solis esse iudicaverim cum propter croceum colorem tum propter aromaticitatem. Ob has enim duas causas crocum Phoebo tribuunt. Forte itaque non ab re fuerit, si sole in Leone existente, hoc est in do,o sua colligatur, maxime autem dum adhuc est in primis decem gradibus Leonis; hi enim gradus termini dicuntur solis. Insuper si horam eligere velis, evellas radicem in die Iovis prope, sed ante ortum solis. Ea enim hora est solis et sol in angulo primae domus fortificatur. Aut si mavis, in die Mercurii ante duodecimam horam circa meridiem collige radicem. Erit enim tunc hora solis et sol in angulo medii caelii fortificabitur. Si in Tricesimo reubarbarum colligere volueris, praefatas horas observa. Radix si obsignetur in utraque parte cera, cui mixta est terpentina, servari poterit ad triennium et ultra, et virtute non minoratur.

Soror tua Agatha sana est.

Vale, perdocte vir.

Ex Ottenburra pridie Nonas Iulii 39.

Bruder Nikolaus entbietet Doktor Johannes Eck seinen Gruß!

Gelehrter Freund: Euren Brief habe ich erhalten und gelesen. Was Ihr über WITZEL schreibt und denkt, habe ich gut verstanden. Ihr habt den Mann »in seinen Farben geschildert.« Doch widerspricht dem ein Wort unseres Erlösers: »Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.« Solange er für uns gegen die Lutheraner schreibt, sollten wir ihn dulden.

Was übrigens den Rhabarber betrifft, mischen die Ärzte diesen den Arzneimitteln bei, um Cholera zu heilen, was in wunderbarer Weise gelingt. Den Ärzten zufolge ist der Rhabarber die wirkungskräftigste aller Wurzeln: das gilt immer, zu jeder Jahreszeit und für beide Geschlechter, so daß er auch bei Schwangeren und Kindern angewendet werden kann. Er wird in Ziegenmilch oder Endivienwasser geschüttet und gegen Verstopfung der Milz und der Leber getrunken; ebenso hilft er wunderbar den Gelb- und Wassersüchtigen, weiterhin bei Asthma und Blutspeien, der Leber und dem Magen und deren Schwächezuständen. Er hilft bei stechenden Magenschmerzen, bei Schmerzen der Nieren, der Harnblase und bei Gebärmutterblutung. In Pulverform und mit Weinessig verdünnt hilft er, wenn er in der Nacht in Wein geschüttet wird, wunderbar dem Magen. In Weinessig gegossen heilt er Abschürfungen, das heißt Verletzungen der Haut und Nachwirkungen bei Stürzen oder Stößen, und er reinigt die Haut von Sommersprossen und Ausschlag. Auch zur Entwässerung dient Rhabarber, weil er zum Urinieren reizt. Gewiß ist unser Rhabarber von geringerer Wirkung als der aus Indien Importierte; daher empfehlen unsere Ärzte, die doppelte Menge zu nehmen.

Wenn Ihr darüber hinaus fragt, zu welcher Jahreszeit er gesammelt werden soll, so ist es die Meinung aller Apotheker, das sollte im August oder an den dreißig Tagen zwischen Maria Himmelfahrt und Maria Geburt geschehen. In dieser Zeit nämlich wohnt den Wurzeln die größte Wirkkraft inne.

Ich halte Rhabarber für ein Sonnengewächs, sowohl wegen seiner goldgelben Farbe wie auch wegen seines Geschmacks. Aus diesen beiden Gründen wird der Krokus dem Sonnengott zugeschrieben. Daher ist es vielleicht nicht abwegig, wenn er gesammelt wird, wenn die Sonne im Sternbild des Löwen steht, das heißt in seinem Haus, vor allem aber, wenn sie sich noch in den ersten zehn Phasen des Löwen befindet. Diese Phasen werden als die Grenzpfähle der Sonne bezeichnet. Wenn Ihr darüber hinaus noch die Stunde wissen wollt, so reißt die Wurzel am Donnerstag aus, und zwar nahe dem Sonnenaufgang, jedoch vorher. Das ist die Stunde der Sonne, und sie gewinnt im Winkel des ersten Hauses an Kraft.
Wenn Ihr das lieber wollt, so sammelt die Wurzel am Mittwoch gegen Mittag um zwölf Uhr. Dann wird die Sonne ihre Stunde haben und die Sonne im Winkel der Himmelsmitte stehen. Wenn Ihr im August sammeln wollt, haltet die erwähnten Stunden ein. Wenn die Wurzel beiderseits in Wachs getaucht wird, dem Terpentin beigemischt ist, kann sie drei Jahre und länger aufbewahrt werden; ihre Kraft wird nicht geringer.

Eure Schwester Agatha ist gesund.

Lebt wohl,, gelehrter Freund!

Aus Ottobeuren, 6. Juli 1539.