Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 355
Osiander hat vor Jahren in seinem »Catechismus« eine extreme Konkupiszenz- und Sündenlehre verbreitet, auf die Eck in einer Gegenschrift zum Trost der Gläubigen geantwortet hat. Darauf hat Osiander in einer heftigen Schmähschrift nicht nur Eck, sondern auch die alten Kirchenväter wie auch Gregor den Großen und Thomas von Aquin angegriffen und sich wie ein zweiter Celsus aufgeführt. In seiner »Schutzrede«, die Eck dem Rat der Stadt widmet, will er auf biblischer Grundlage den "Prediger" Osiander gründlich widerlegen. Eck erinnert die Nürnberger an die beispielhaften religiösen Verhältnisse in Nürnberg vor der Reformation und vergleicht diese mit den Verfallserscheinungen der Gegenwart.
Dem Erbern Ernesten fürsichtigen und
weisen Herren Burgermeister unnd Rathe
der loblichen statt Nurmberg wünsch ich
gnad von GOT mitt erbietung meiner
geflißner williger dienst. Es hatt vor etlich jaren Andres Hosander
ain Cathechismum außbrait, darin er in
erzelung der zehen gebot all menschen
verdamlicher sünd züchtigt umb der ersten
unvermeidlichen bewegung wegen inn
uns, das also in jedem menschen, er wöll
oder nit, ain jmmerwerende sünd sei: das
thut er nit allein den alten, sonder belestigt
auch die kind in der wiegen darmit, ja in
muter leib, wan sie begeren zu essen oder
trincken. Disen Newen Phalarismum hab
ich verlegt in meinem praeceptorio, den
guthertzigen menschen zu trost. Darüber
Hosander ein schmachgschrift wider mich
hat lassen außgan so bieterlich, das er all
ander wortschender sich unnderstanden zu
ubertreffen, wie das werck selbs aufweist.
und sein zung nit allain wider mich
gescherpfft, sonder auch wider die
heiligen lerer, die yetz bei GOTT im himel
regieren, die liecht der kirchen
Augustinum, Hieronymum, Ambrosium,
Gregorium, Thomam, deren wolmeinung
er verwürft und veracht gar ein
vermessner newer Aristarchus. Darzu ist
sein schreiben verdrußlich, das er je eins
auff das ander hauffet und stets repetiert
ein ding, wie Origines vom Celso klagt.
Celsus darmitt er nit wurd geacht, als
sagte er lützel, hatt er offt ain ding noch
ein mal gsagt und repetirt. Wie dan diser sun Cethure vil ander mängel am glauben, an kunst und der warhait hat, wie ich dann in diser schutz red gründtlich mit Biblischer geschrift wolgründten ursachen anzaig unnd häll an tag lege. Dise schutzred hab ich also Ewer erber
weißheit wöllen zu schreiben, so
Hosander in ewer statt sich darfür helt, als
sei er der aller best prediger des newen
gefälschten Euangeli: das sich darbey ewer
weitgebreißte weißheyt doch erinnere
unnd gedencke, wie erlich, zierlich, ja
herrlich religion gewesen sei jnn ewer statt
vor disem predicanten, was andechtiger,
kostlicher, gottgefälliger GOTTSdienst
bei euch gewesen und tag und nacht
psalliert und GOTT gelobt ist worden von
so vil mans und weibs gaistlich personen
in erberen züchtigen wandel, klaiden und
leben, fasten und betten, ich geschweig
der grossen andacht, die bei den laien
gewesen und so groß Christlicher ubung
zu jeder zeit nach ordnung und gebrauch
der hailigen Christlichen kirchen. Also ain
wol geordnete Christliche religion hat
Hosander bei euch funden. Entgegen aber
erwegt, wie er solliche auß aignem kopf
unbeweglich ursach auß frevell unnd
mutwil verendert hab, das man das alt
Nürmberg kaum mer kennen kan: Wa hin
hat er euch mit andern hingefürt zu
appellieren, Kaiserlich edict und abschid
zu waigern. Sehend doch an den wandel,
das leben, die klaidung ewer alten clerisei
und gaistlichen gegen den Newen
predicanten und vermaint tempel diener,
wa erzaigen sie das wänigst Christlich
exempel, dardurch sich der gemain lay
möchte bessern, dan da secht jr kain
demut in klaidern, wandel oder geberden,
kain gutt vorbild in andacht, fasten,
wachen, betten, kirchengan, beichten,
entpfahung des sacraments, in speisung
der armen: sie haben nit allain das almusen
ab jhn geschoben auff den Casten, das sie
nit dörfften almusen geben, sonder
nemmen her auß ainer etwan als vil als 15,
20 oder 30 elender armen leut. Gedencken
doch daran, wie am anfang Hosander mit
seinem anhang auch und jeder weltlicher
oberkait zu gab, sie hette zu handlen,
schaffen und gebieten in sachen des
glaubens und GOTTS dienst. Und als bald
sie meinten, sie hetten die alt gaistlich
iurisdiction abgestrickt, das sie sich nit
geschämpt, dürstigklich geschrift inn Rath
geben, vonn zwaierlai iurisdiction, und
haben jhn selbs von newem wöllen
gaistliche gerichtzwang und den ban wider
auffrichten. Auß disem allen E.
hochvestendig weißheit abnimpt, das jhr
nit alles für das VERBUM domini halten
solt, das er fürgibt. Er gibt mer Verba auß
unnd falsch, das er schier auß einer
Christlichen gemein ain Barbarei gemacht
hat: das greiffen jhr an der frechen iugent,
untrew dienstleuten und also durch ander
ständ on not zu erzelen. Darmit bit ich, ewer herrlichkait beginne sein geschrifft mein antwurt gegenainander erwegen und urtailen: so jr häl und klar finden werden, wie ungelert und ungründt er ist in seiner lehr und falsch, die er umb so theur euch lange zeit verkaufft hat. GOTT wölle den glantz seiner warhhait den jrrenden allenthalb mittailen, Amen. Ewer Erber weißheit zu dienen bin ich willig und urbittig. Datum Eystet Am 19. Decemb. Anno 1539. E. Erber und Achtbar weißhait |
Dem ehrbaren, ernsten, fürsorglichen und weisen
Herrn Bürgermeister und Rat der lobenswerten
Stadt Nürnberg wünsche ich Gnade von Gott und
erkläre zugleich meine fleißige und willige
Dienstbereitschaft! Vor einigen Jahren hat ANDREAS OSIANDER einen »Katechismus« verbreitet, in dem er bei der Erklärung der Zehn Gebote alle Menschen der Todsünde bezichtigt aufgrund der ersten, unvermeidlichen Regung in uns: so sei also in jedem Menschen, ob er will oder nicht, eine unausrottbare Sünde. Das erlegt er nicht nur den Erwachsenen auf, sondern auch den Kindern in der Wiege, ja sogar im Mutterleib oder wenn sie beginnen zu essen und zu trinken. Diesen neuen PHALARIS habe ich in einer Gegenschrift widerlegt, um den gutherzigen Menschen Trost zu spenden. Im Gegenzug hat OSIANDER eine Schmähschrift gegen mich veröffentlicht, die so bösartig ist, daß er es fertiggebracht hat, alle anderen Wortschänder zu übertreffen, wie das Werk deutlich zeigt. Er wetzt seine Zunge nicht nur gegen mich, sondern auch gegen die heiligen Kirchenlehrer, die jetzt bei Gott im Himmel regieren, die Lichter der Kirche AUGUSTINUS, HIERONYMUS, AMBROSIUS, GREGOR, THOMAS, deren zutreffende Meinung er wie ein vermessener neuer ARISTARCH verwirft und verachtet. Auch ist sein Schreiben schwer genießbar, weil er die Dinge aneinanderreiht mit ständigen Wiederholungen, was schon ORIGENES bei CELSUS beklagt hat. Um nicht beschuldigt zu werden, nur Unwichtiges gesagt zu haben, hat CELSUS die Dinge öfter wiederholt. So hat dieser Sohn der CITHURA auch noch andere Mängel in Glaubensfragen, in der Kunst der Darstellung und in Bezug auf die Wahrheit, was ich in dieser »Schutzrede« auf der Grundlage der Heiligen Schrift wohlbegründet an den Tag bringen werde. Diese »Schutzrede« habe ich also Eurer Weisheit widmen wollen, da OSIANDER sich in Eurer Stadt für den allerbesten Prediger des neuen gefälschten Evangeliums hält, damit sich Eure überall gelobte Weisheit daran erinnere, wie edel und schön die Religion in Eurer Stadt in der Zeit vor diesem Prediger gewesen ist, was für ein andächtiger, schöner und gottgefälliger Gottesdienst bei Euch gefeiert wurde: Tag und Nacht wurden die Psalmen gesungen und Gott gelobt von so vielen Männern und Frauen im geistlichen Stand, in ehrbarem und züchtigem Lebenswandel, Kleidung und Leben, Fasten und Beten, abgesehen von der großen Andacht der Laien; so groß war bei Euch die christliche lobenswerte Religionsausübung nach Ordnung und Gewohnheit der christlichen Kirche. OSIANDER hat also eine wohl geordnete christliche Religion bei Euch vorgefunden. Erwägt dagegen, wie er diese aus Eigensinn ohne Grund frevelhaft und mutwillig verändert hat, so daß man das alte Nürnberg kaum mehr wiedererkennen kann. Wohin hat er Euch zusammen mit anderen geführt? Zur Appellation an das Konzil, zur Ablehnung des kaiserlichen Edikts und des Reichstagsabschieds. Vergleicht doch den Wandel, das Leben, die Kleidung der alten Klerisei und Geistlichkeit mit dem der neuen Prädikanten und scheinbaren Kirchendiener: wo zeigen sie das geringste christliche Beispiel, an dem sich der Laie zu seiner Besserung orientieren kann ? Ihr seht keine Demut in der Kleidung, im Lebenswandel oder ihren Gebärden, kein gutes Vorbild bei Andacht, Fasten, Wachen, Beten, Kirchgang, Beichten, Sakramentsempfang, Armenspeisung. Sie haben nicht nur das Almosengeben auf den gemeinen Kasten abgeschoben, als ob sie kein Almosen geben dürften, sondern sie nehmen aus dem Kasten soviel,, wie für fünfzehn, zwanzig oder dreißig arme Leute ausreicht. Denkt doch daran, wie anfangs OSIANDER mit seinen Gefolgsleuten Euch und aller weltlichen Obrigkeit gegenüber einräumte, Ihr hättet in Glaubensfragen und solchen des Gottesdienstes das Recht zu handeln, gestalten und zu gebieten. Sobald sie aber glaubten, sie hätten die alte geistliche Jurisdiktion abgeschafft, schämten sie sich nicht, dem Rat eine fordernde Schrift zu übergeben, in der sie von zweierlei Jurisdiktion sprechen und selbst von neuem geistliche Gerichte, Zwangsmaßnahmen und den Bann wieder eingeführt haben. Aus diesem allen möge Eure hochverständige Weisheit ableiten, nicht alles für Gotteswort zu halten, was OSIANDER vorträgt: er täuscht mehr und noch dazu falsche Worte vor, so daß er aus einer christlichen Gemeinde beinahe eine Barbarei gemacht hat. Ihr könnt das an der aufsässigen Jugend, den untreuen Dienstleuten erkennen: ohne Schwierigkeiten könnte man so etwas auch von den anderen Ständen berichten. Ich bitte daher Eure Herrlichkeit, OSIANDERS Schrift und meine Antwort darauf miteinander zu vergleichen und Euer Urteil zu sprechen. So werdet Ihr hell und klar erkennen, wie ungelehrt und unbegründet er in seiner Lehre und in seinem Falsch ist, die er Euch um so teuren Preis lange Zeit verkauft. Gott möge den Glanz seiner Wahrheit den Irrenden überall mitteilen. Amen. Gegeben in Eichstätt am 19. Dezember 1539. Euer ehrbarer und achtbarer Weisheit |