Briefwechsel Eck - Übersicht Reformationsgeschichte
Nr. 355

Eck an Rat und Bürgermeister von Nürnberg
Eichstätt
19-12-1539


Widmung Ecks, in: Schutz red. Kindtlicher unschuld wider den Catechisten Andre Hosander, unnd sein schmach büchlin. Ingolstadt, Alexander Weissenhorn, 1540 = METZLER Nr 90

Osiander hat vor Jahren in seinem »Catechismus« eine extreme Konkupiszenz- und Sündenlehre verbreitet, auf die Eck in einer Gegenschrift zum Trost der Gläubigen geantwortet hat. Darauf hat Osiander in einer heftigen Schmähschrift nicht nur Eck, sondern auch die alten Kirchenväter wie auch Gregor den Großen und Thomas von Aquin angegriffen und sich wie ein zweiter Celsus aufgeführt. In seiner »Schutzrede«, die Eck dem Rat der Stadt widmet, will er auf biblischer Grundlage den "Prediger" Osiander gründlich widerlegen. Eck erinnert die Nürnberger an die beispielhaften religiösen Verhältnisse in Nürnberg vor der Reformation und vergleicht diese mit den Verfallserscheinungen der Gegenwart.



Dem Erbern Ernesten fürsichtigen und weisen Herren Burgermeister unnd Rathe der loblichen statt Nurmberg wünsch ich gnad von GOT mitt erbietung meiner geflißner williger dienst.

Großgünstig gebietend Herren:

Es hatt vor etlich jaren Andres Hosander ain Cathechismum außbrait, darin er in erzelung der zehen gebot all menschen verdamlicher sünd züchtigt umb der ersten unvermeidlichen bewegung wegen inn uns, das also in jedem menschen, er wöll oder nit, ain jmmerwerende sünd sei: das thut er nit allein den alten, sonder belestigt auch die kind in der wiegen darmit, ja in muter leib, wan sie begeren zu essen oder trincken.

Disen Newen Phalarismum hab ich verlegt in meinem praeceptorio, den guthertzigen menschen zu trost.

Darüber Hosander ein schmachgschrift wider mich hat lassen außgan so bieterlich, das er all ander wortschender sich unnderstanden zu ubertreffen, wie das werck selbs aufweist. und sein zung nit allain wider mich gescherpfft, sonder auch wider die heiligen lerer, die yetz bei GOTT im himel regieren, die liecht der kirchen Augustinum, Hieronymum, Ambrosium, Gregorium, Thomam, deren wolmeinung er verwürft und veracht gar ein vermessner newer Aristarchus. Darzu ist sein schreiben verdrußlich, das er je eins auff das ander hauffet und stets repetiert ein ding, wie Origines vom Celso klagt. Celsus darmitt er nit wurd geacht, als sagte er lützel, hatt er offt ain ding noch ein mal gsagt und repetirt.

Wie dan diser sun Cethure vil ander mängel am glauben, an kunst und der warhait hat, wie ich dann in diser schutz red gründtlich mit Biblischer geschrift wolgründten ursachen anzaig unnd häll an tag lege.

Dise schutzred hab ich also Ewer erber weißheit wöllen zu schreiben, so Hosander in ewer statt sich darfür helt, als sei er der aller best prediger des newen gefälschten Euangeli: das sich darbey ewer weitgebreißte weißheyt doch erinnere unnd gedencke, wie erlich, zierlich, ja herrlich religion gewesen sei jnn ewer statt vor disem predicanten, was andechtiger, kostlicher, gottgefälliger GOTTSdienst bei euch gewesen und tag und nacht psalliert und GOTT gelobt ist worden von so vil mans und weibs gaistlich personen in erberen züchtigen wandel, klaiden und leben, fasten und betten, ich geschweig der grossen andacht, die bei den laien gewesen und so groß Christlicher ubung zu jeder zeit nach ordnung und gebrauch der hailigen Christlichen kirchen.

Also ain wol geordnete Christliche religion hat Hosander bei euch funden.

Entgegen aber erwegt, wie er solliche auß aignem kopf unbeweglich ursach auß frevell unnd mutwil verendert hab, das man das alt Nürmberg kaum mer kennen kan:

Wa hin hat er euch mit andern hingefürt zu appellieren, Kaiserlich edict und abschid zu waigern.

Sehend doch an den wandel, das leben, die klaidung ewer alten clerisei und gaistlichen gegen den Newen predicanten und vermaint tempel diener, wa erzaigen sie das wänigst Christlich exempel, dardurch sich der gemain lay möchte bessern, dan da secht jr kain demut in klaidern, wandel oder geberden, kain gutt vorbild in andacht, fasten, wachen, betten, kirchengan, beichten, entpfahung des sacraments, in speisung der armen: sie haben nit allain das almusen ab jhn geschoben auff den Casten, das sie nit dörfften almusen geben, sonder nemmen her auß ainer etwan als vil als 15, 20 oder 30 elender armen leut. Gedencken doch daran, wie am anfang Hosander mit seinem anhang auch und jeder weltlicher oberkait zu gab, sie hette zu handlen, schaffen und gebieten in sachen des glaubens und GOTTS dienst. Und als bald sie meinten, sie hetten die alt gaistlich iurisdiction abgestrickt, das sie sich nit geschämpt, dürstigklich geschrift inn Rath geben, vonn zwaierlai iurisdiction, und haben jhn selbs von newem wöllen gaistliche gerichtzwang und den ban wider auffrichten.

Auß disem allen E. hochvestendig weißheit abnimpt, das jhr nit alles für das VERBUM domini halten solt, das er fürgibt. Er gibt mer Verba auß unnd falsch, das er schier auß einer Christlichen gemein ain Barbarei gemacht hat: das greiffen jhr an der frechen iugent, untrew dienstleuten und also durch ander ständ on not zu erzelen.

Darmit bit ich, ewer herrlichkait beginne sein geschrifft mein antwurt gegenainander erwegen und urtailen: so jr häl und klar finden werden, wie ungelert und ungründt er ist in seiner lehr und falsch, die er umb so theur euch lange zeit verkaufft hat. GOTT wölle den glantz seiner warhhait den jrrenden allenthalb mittailen, Amen.

Ewer Erber weißheit zu dienen bin ich willig und urbittig.

Datum Eystet Am 19. Decemb. Anno 1539.

E. Erber und Achtbar weißhait
williger Johann Eck.

Dem ehrbaren, ernsten, fürsorglichen und weisen Herrn Bürgermeister und Rat der lobenswerten Stadt Nürnberg wünsche ich Gnade von Gott und erkläre zugleich meine fleißige und willige Dienstbereitschaft!

Großzügige, gebietende Herren:

Vor einigen Jahren hat ANDREAS OSIANDER einen »Katechismus« verbreitet, in dem er bei der Erklärung der Zehn Gebote alle Menschen der Todsünde bezichtigt aufgrund der ersten, unvermeidlichen Regung in uns: so sei also in jedem Menschen, ob er will oder nicht, eine unausrottbare Sünde. Das erlegt er nicht nur den Erwachsenen auf, sondern auch den Kindern in der Wiege, ja sogar im Mutterleib oder wenn sie beginnen zu essen und zu trinken.

Diesen neuen PHALARIS habe ich in einer Gegenschrift widerlegt, um den gutherzigen Menschen Trost zu spenden.

Im Gegenzug hat OSIANDER eine Schmähschrift gegen mich veröffentlicht, die so bösartig ist, daß er es fertiggebracht hat, alle anderen Wortschänder zu übertreffen, wie das Werk deutlich zeigt. Er wetzt seine Zunge nicht nur gegen mich, sondern auch gegen die heiligen Kirchenlehrer, die jetzt bei Gott im Himmel regieren, die Lichter der Kirche AUGUSTINUS, HIERONYMUS, AMBROSIUS, GREGOR, THOMAS, deren zutreffende Meinung er wie ein vermessener neuer ARISTARCH verwirft und verachtet. Auch ist sein Schreiben schwer genießbar, weil er die Dinge aneinanderreiht mit ständigen Wiederholungen, was schon ORIGENES bei CELSUS beklagt hat. Um nicht beschuldigt zu werden, nur Unwichtiges gesagt zu haben, hat CELSUS die Dinge öfter wiederholt.

So hat dieser Sohn der CITHURA auch noch andere Mängel in Glaubensfragen, in der Kunst der Darstellung und in Bezug auf die Wahrheit, was ich in dieser »Schutzrede« auf der Grundlage der Heiligen Schrift wohlbegründet an den Tag bringen werde.

Diese »Schutzrede« habe ich also Eurer Weisheit widmen wollen, da OSIANDER sich in Eurer Stadt für den allerbesten Prediger des neuen gefälschten Evangeliums hält, damit sich Eure überall gelobte Weisheit daran erinnere, wie edel und schön die Religion in Eurer Stadt in der Zeit vor diesem Prediger gewesen ist, was für ein andächtiger, schöner und gottgefälliger Gottesdienst bei Euch gefeiert wurde: Tag und Nacht wurden die Psalmen gesungen und Gott gelobt von so vielen Männern und Frauen im geistlichen Stand, in ehrbarem und züchtigem Lebenswandel, Kleidung und Leben, Fasten und Beten, abgesehen von der großen Andacht der Laien; so groß war bei Euch die christliche lobenswerte Religionsausübung nach Ordnung und Gewohnheit der christlichen Kirche.

OSIANDER hat also eine wohl geordnete christliche Religion bei Euch vorgefunden.

Erwägt dagegen, wie er diese aus Eigensinn ohne Grund frevelhaft und mutwillig verändert hat, so daß man das alte Nürnberg kaum mehr wiedererkennen kann.

Wohin hat er Euch zusammen mit anderen geführt? Zur Appellation an das Konzil, zur Ablehnung des kaiserlichen Edikts und des Reichstagsabschieds.

Vergleicht doch den Wandel, das Leben, die Kleidung der alten Klerisei und Geistlichkeit mit dem der neuen Prädikanten und scheinbaren Kirchendiener: wo zeigen sie das geringste christliche Beispiel, an dem sich der Laie zu seiner Besserung orientieren kann ? Ihr seht keine Demut in der Kleidung, im Lebenswandel oder ihren Gebärden, kein gutes Vorbild bei Andacht, Fasten, Wachen, Beten, Kirchgang, Beichten, Sakramentsempfang, Armenspeisung. Sie haben nicht nur das Almosengeben auf den gemeinen Kasten abgeschoben, als ob sie kein Almosen geben dürften, sondern sie nehmen aus dem Kasten soviel,, wie für fünfzehn, zwanzig oder dreißig arme Leute ausreicht. Denkt doch daran, wie anfangs OSIANDER mit seinen Gefolgsleuten Euch und aller weltlichen Obrigkeit gegenüber einräumte, Ihr hättet in Glaubensfragen und solchen des Gottesdienstes das Recht zu handeln, gestalten und zu gebieten. Sobald sie aber glaubten, sie hätten die alte geistliche Jurisdiktion abgeschafft, schämten sie sich nicht, dem Rat eine fordernde Schrift zu übergeben, in der sie von zweierlei Jurisdiktion sprechen und selbst von neuem geistliche Gerichte, Zwangsmaßnahmen und den Bann wieder eingeführt haben.

Aus diesem allen möge Eure hochverständige Weisheit ableiten, nicht alles für Gotteswort zu halten, was OSIANDER vorträgt: er täuscht mehr und noch dazu falsche Worte vor, so daß er aus einer christlichen Gemeinde beinahe eine Barbarei gemacht hat. Ihr könnt das an der aufsässigen Jugend, den untreuen Dienstleuten erkennen: ohne Schwierigkeiten könnte man so etwas auch von den anderen Ständen berichten.

Ich bitte daher Eure Herrlichkeit, OSIANDERS Schrift und meine Antwort darauf miteinander zu vergleichen und Euer Urteil zu sprechen. So werdet Ihr hell und klar erkennen, wie ungelehrt und unbegründet er in seiner Lehre und in seinem Falsch ist, die er Euch um so teuren Preis lange Zeit verkauft.

Gott möge den Glanz seiner Wahrheit den Irrenden überall mitteilen. Amen.

Gegeben in Eichstätt am 19. Dezember 1539.

Euer ehrbarer und achtbarer Weisheit
williger Johannes Eck.