Athanasius

Das Leben des Antonius (1)

Kap. II.

(1) Nach dem Tode der Eltern blieb er allein zurück mit der einzigen noch ganz jungen Schwester; er war damals etwa achtzehn oder zwanzig Jahre alt und kümmerte sich selbst um das Haus und die Schwester. (2) Es waren noch keine sechs Monate nach dem Tode seiner Eltern vergangen, da war er in gewohnter Weise auf dem Weg zur Kirche (τὸ κυριακόν ) und bei der Sammlung seiner Gedanken bedachte er vor allem, wie die Apostel alles verließen und dem Retter (Heiland/Heilbringer -σωτηρι ) nachfolgten (2) und wie die in der Apostelgeschichte das Ihre verkauften und es herbeibrachten und bei den Füßen der Apostel hinlegten (3) zur Weitergabe an die, welche Not litten, und welche und wiegroße Hoffnung für diese im Himmel hinterlegt ist (4). (3) Mit solchen Gedanken ging er in die Kirche (ἐκκλησία) hinein und da wurde gerade das Evangelium vorgelesen und so hörte er, wie der Herr zum Reichen sprach: „Wenn du vollkommen sein willst, geh hin, verkaufe all deine Habe, gib den Erlös den Armen, und dann folge mir, und du wirst einen Schatz im Himmel haben" (5). (4) Dem Antonius aber war es, wie wenn er von Gott her die Gedanken an die Heiligen hatte und als ob um seinetwillen jene Lesung geschehen sei; er ging sogleich aus der Kirche (τὸ κυριακόν ) und schenkte den Dorfbewohnern seine Besitzungen, die er von den Vorfahren hatte - es waren dreihundert Aruren  (6), fruchtbar und sehr schön - , damit sie ihm und seiner Schwester keineswegs jemals zur Last werden. (5) Seine gesamte übrige bewegliche Habe verkaufte er und brachte so reichlich Geld zusammen; dies gab er den Armen und hielt nur ein wenig wegen seiner Schwester zurück6).

KAP. III.

(1) Wieder besuchte er die Kirche und hörte im Evangelium den Herrn sprechen: „Macht euch keine Sorgen um das Morgen" (7); da hielt er es nicht mehr aus, noch länger zu warten, sondern ging hinaus und gab auch den Rest den Bedürftigen. Die Schwester übergab er bekannten und zuverlässigen Jungfrauen und brachte sie in einem Jungfrauenhaus zur Erziehung unter; er selbst widmete sich von nun an vor seinem Hause der Askese (ἐσχόλαζε τη ἀσκήσει ), hatte acht auf sich (8) und hielt sich strenge. (2) Denn es gab damals in Ägypten noch nicht so zahlreich Klöster (μοναστήρια), und von der großen Wüste wußte der Mönch (μοναχὸς) überhaupt nichts; jeder, der an sich arbeiten wollte, übte sich (ἠσκειτο) allein nicht weit von seinem Heimatdorf. (3) Nun lebte damals im Nachbardorf ein alter Mann, der von Jugend das Einsiedlerleben übte ( τὸν μονήρη βίον ἀσκήσας). Diesen sah Antonius und eiferte ihm im Guten nach (9). (4) Und zuerst fing er auch so an, daß er sich in der Umgebung des Dorfes aufhielt. Von hier ging er, wenn er von einem bewährten Manne hörte, zu diesem, suchte ihn auf wie eine kluge Biene (10). Und er kehrte nicht eher an seinen eigenen Platz zurück, bis er diesen gesehen und gleichsam eine Wegzehrung für den Weg zur Tugend (ἐφόδιον της εἰς ἀρετὴν ὀδου ) von ihm erhalten hatte.

(5) Dort hielt er sich nun anfangs auf und richtete seine Gedanken darauf, nicht zu seinem elterlichen Besitz zurückzukehren noch sich seiner Verwandten zu erinnern. Seine ganze Sehnsucht aber und seinen ganzen Eifer richtete er auf die Anspannung in der Askese (περὶ τὸν τόνον της ἀσκήσεως). (6) Er arbeitet nun mit seinen Händen, da er gehört hatte: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" (11). Einen Teil des Lohnes wandte er auf für Brot, den anderen für die Bedürftigen. Er betete beständig, da er gelernt hatte, daß man für sich allein (12) unaufhörlich beten müsse (13). Bei der Schriftlesung war er so aufmerksam (14), daß kein Wort zu Bodern fiel; vielmehr behielt er alles bei sich (15), und fortan ersetzte sein Gedächtnis die Bücher.


KAP. IV.

(1) So lebte nun Antonius und wurde von allen geliebt. Er selbst aber unterwarf sich aufrichtig den eifrigen Männern, die er besuchte, und suchte für sich den Vorzug eines jeden im Tugendeifer und in der Askese (ἐκάστου τὸ πλεονέκτημα της σπουδης καὶ της ἀσκήσεως) zu erlernen. Bei dem einen beobachtete er die Liebenswürdigkeit (τὸ χαρίεν ), bei dem anderen das Ausharren im Gebet (τὸ πρὸς τὰς εὐχὰς σύντονον ); an diesem sah er seine Ruhe (ἀόργητον), an jenem Menschenfreundlichkeit (φιλάνθρωπον); bei dem einen merkte er auf das Wachen (ἀγρυπνουντι), bei dem anderen auf die Wißbegierde (φιλολογουντι); den bewunderte er wegen seiner Standhaftigkeit (ἐν καρτερᾳ), jenen wegen des Fastens ( ἐν νηστείαις ), und des Schlafens auf bloßer Erde (χαμευνίαις); an dem einen beobachtete er die Sanftmut (τὴν πραότητα ), an dem anderen seine Hochherzigkeit (τὴν μακροθυμίαν) ); an allen zusammen aber fiel ihm auf die fromme Verehrung für Christus ((τὴν εἰς τὸν Χριστὸν εὐσέβειαν ) und ihre wechselseitige Liebe (πρὸς ἀλλήλους ἀγάπην ). (2) Und so erfüllt kehrte er an seinen eigenen Askeseplatz zurück. Was er bei einem jeden gesehen hatte, führte er auf sich zusammen und bemühte sich, in sich das alles darzustellen. (3) Und gegenüber seinen Altersgenossen war er nicht streitsüchtig, nur wollte er im Besseren nicht als der zweite unter ihnen erscheinen. Dies aber erreichte er so, daß er keinen kränkte, sondern auch jene über ihn sich freuten. (4) Alle aus dem Dorf und die, die das Gute und Schöne liebten, mit denen er verkehrte, nannten ihn, wie sie ihn so sahen, glücklich und von Gott geliebt (θεοφιλη); die einen liebten ihn wie einen Sohn, die anderen aber wie einen Bruder.


Kap. V - X: Kampf mit den Dämonen (in Grabkammer)

Kap. XI - XIII: In der Wüste, im verlassenen Kastell

Kap XIV

(1) Fast zwanzig Jahre vollendete er so für sich allein als Asket (ἀσκούμενος); weder ging er heraus noch wurde er länger von jemand gesehen. (2) Danach aber, da viele sich nach ihm sehnten und seiner Askese (ἄσκησιν) nacheifern wollten und andere seiner Bekannten kamen und mit Gewalt die Türe aufbrachen und aufstießen, trat Antonius wie aus einem Heiligtum hervor, eingeführt in die Mysterien und von Gott getragen (μεμυσταγωγημένος καὶ θεοφορούμενος ) ... (3) Wie ihn nun jene erblickten, da wunderten sie sich, da sie sahen, daß sein Leib den gleichen Zustand hatte, weder mitgenommen von dem Mangel an Bewegung noch geschwächt von den Fasten und dem Kampf mit den Dämonen; denn er sah so aus, wie sie ihn auch kannten vor seinem Rückzug in die Einsamkeit (πρὸ της ἀναχωρήσεως ). Die Denkweise seiner Seele war rein: (4) Weder war sie durch Unlust (ὑπὸ ἀνίας) niedergedrückt noch durch Genuß (ὑπ' ἡδονης ) ausgeschüttet, noch in Spöttelei oder Niedergeschlagenheit (ὑπὸ γέλωτος ἢ καταφείας) verfallen. Weder war er, als er die Menge sah, verwirrt, noch war er bei so vielen, die ihn begrüßten, außer sich vor Freude, vielmehr war er ganz derselbe (ὅλος ην ἴσος ), gleichsam geleitet vom Logos (κυβερνώμενος ὑπὸ του λόγου) und stehend in dem seiner Natur Gemäßen (ἐν τη κατὰ φύσιν ἑστώς). (5) Viele von den Anwesenden, die ein körperliches Leiden hatten, heilte der Herr durch ihn, und andere reinigte er von Dämonen. (6) Er verlieh dem Antonius auch die Liebenswürdigkeit (χάριν) in der Rede; und so tröstete er viele Betrübte, andere, die im Streit miteinander lagen, versöhnte er zur Freundschaft (εἰς φιλίαν); zu allen aber sagte er, sie sollten nichts in der Welt der Liebe zu Christus (εἰς Χριστὸν ἀγάπης) vorziehen. (7) In seiner Unterweisung gab er auch den Rat, an die künftigen Güter (16) zu denken und an die uns zuteil gewordene Menschenliebe (φιλανθρωπίας) Gottes, "der seinen eigenen Sohn nicht schonte, sondern ihn hingab für uns alle" (17). Dadurch überredete er viele, sich dem Einsiedlerleben (τὸν μονήρη βίον) zu widmen. So entstanden jetzt auch im Gebirge Klöster (μοναστήρια), und die Wüste wurde besiedelt von Mönchen (ἐπολίσθη μοναχων) , die verließen, was ihnen zu eigen war (18), und sich einschrieben für das Bürgerrecht (πολιτείαν) im Himmel (19).


Kap. XVII

... (6) Denn was bringt es für einen Gewinn, das zu erwerben, was wir nicht mal mit uns nehmen können? (7) Warum sollen wir nicht lieber jene Güter erwerben, die wir mit uns nehmen können, welche sind Verständigkeit (φρόνησις), Weisheit (σωφροσύνη), Gerechtigkeit (δικαιοσύνη), Tapferkeit (ἀνδρεία), Einsicht (σύνεσις), Liebe (ἀγάπη), Sorge für die Armen (φιλοπτωχία), Glauben an Christus (πίστις ἡ εἰς Χριστόν ), Sanftmut (ἀογησία) und Gastfreundschaft (φιλοξενία)? Wenn wir das erwerben, dann werden wir das finden, was uns dafür dort gastliche Aufnahme (ξενίαν) schafft im Lande der Sanftmütigen (ἐν τη γη των πραέων ) (20).


Kap. XLIV.

(1) Über Antonius, der sie so unterwies, freuten sich alle. Bei den einen wuchs das Verlangen nach Tugend, bei den anderen verschwand die Nachlässigkeit, bei den dritten hörte die Einbildung auf. Alle faßten Vertrauen, sich vor der dämonischen Nachstellung nicht zu fürchten, und bewunderten die dem Antonius vom Herrn verliehene Gnade der Unterscheidung der Geister. (21) (2) So waren in den Bergen die Klöster wie Zelte erfüllt von göttlichen Chören, (22) die Psalmen sangen, die Schrift liebten (φιλολογούντων), fasteten, beteten, jubelten über die Hoffnung auf die kommenden Dinge, arbeiteten um Mildtätigkeit zu üben (εἰς τὸ ποιειν ἐλεημοσύνας) und die Liebe und Eintracht (ἀγάπην τε καὶ συμφωνίαν) hatten untereinander. (3) Und es war wahrhaft anzusehen wie ein Land für sich, voll Gottesverehrung und Gerechtigkeit. (4) Hier war niemand, der Unrecht litt, noch gab es das Geschrei des Steuereintreibers (23), sondern es war eine Schar von Asketen und das einzige Sinnen aller war auf die Tugend gerichtet. Wenn einer die Klöster sah und die Haltung der Mönche, dann mußte er ausrufen und sagen: „Wie schön sind deine Häuser, Jakob, und deine Zelte, Israel. Wie schattige Täler und wie ein Paradies am Flusse, und wie Zelte, die der Herr aufgestellt hat, und wie Zedern am Wasser". (24)





Kap. LXIX.

Als einmal die Arianer die Lüge ausstreuten, er denke ebenso wie sie, da war er unwillig und zornig über sie. Er wurde dann von den Bischöfen und allen Brüdern gerufen, kam herunter von dem Berge, ging nach Alexandria und verdammte die Arianer; er erklärte, dies sei die letzte Häresie und ein Vorläufer des Antichrist. Er belehrte auch das Volk, der Sohn Gottes sei kein Geschöpf noch sei er aus dem Nichtseienden geworden, sondern das Wort und die Weisheit seien von Ewigkeit her vom Wesen des Vaters. Deshalb ist es auch gottlos zu sagen: Es gab eine Zeit, da er nicht war; denn das Wort war schon immer zugleich mit dem Vater (25). Daher habt nicht die geringste Gemeinschaft mit den ruchlosen und gottlosen Arianern; „denn keine Gemeinschaft hat das Licht mit der Finsternis" (26). Ihr aber seid fromme Christen; jene aber, die lehren, ein Geschöpf sei der Sohn Gottes aus dem Vater, das Wort Gottes, unterscheiden sich in nichts von den Heiden, die ein Geschöpf verehren statt Gott den Schöpfer (27). Seid überzeugt, daß jedes Geschöpf ihnen zürnt, weil sie den Schöpfer und den Herrn des Alls, in dem alles entstanden ist, weil sie diesen den geschaffenen Dingen zurechnen.



Kap. LXXXI

Der Ruf des Antonius kam sogar bis zu den Kaisern. Denn als sie dies vernommen hatten, schrieben sie, Konstantin Augustus und seine Söhne, Konstantius und Konstans die Augusti, an ihn wie an einen Vater und wünschten, ein Antwortschreiben von ihm zu erhalten. Er aber legte dem kaiserlichen Schreiben keinerlei besonderen Wert bei, er freute sich auch nicht über die Briefe, sondern er war ganz der selbe wie vor der Zeit, wo ihm die Kaiser schrieben. Als ihm die Schriftstücke gebracht wurden, rief er die Mönche zusammen und sagte: Was fallt ihr in Staunen, wenn der Kaiser uns schreibt? Er ist doch ein Mensch. Staunt vielmehr darüber, daß Gott den Menschen das Gesetz schrieb und durch seinen eigenen Sohn zu uns gesprochen hat (28). Er wollte die Briefe nicht annehmen und sagte, er wisse nicht auf solches zu antworten. Nachdem aber alle Mönche ihm zuredeten, daß die Kaiser Christen seien und daß sie vielleicht Ärgernis nähmen, wenn sie abgewiesen würden, das ließ er es zu, sie vorzulesen. Und er schrieb zurück und lobte sie, weil sie vor Christus ihre Knie beugten; folgenden Rat gab er das Heil: die gegenwärtigen Güter nicht für etwas Großes zu halten, sondern vielmehr des zukünftigen Gerichtes zu gedenken und zu beherzigen, daß Christus allein der wahre und ewige Kaiser ist. Er bat sie, menschenfreundlich (φιλανθρώπους) zu sein und für das Recht und die Armen zu sorgen. Die Kaiser freuten sich beim Empfang des Schreibens. So war er bei allen beliebt, und alle wünschten ihn zum Vater zu haben.



1. Vgl. Athanase d'Alexandrie, Vie d' Antoine. Introduction, texte critique, traduction, notes et index par G.J.M. Bartelink. - Paris: Editions du Cerf 1994 = SC 400.

2. vgl. Mt 4,20 19,17.

3. Apg 4,35-37.

4. Kol 1,5; Eph 1,18.

5. Mt 19,21.

6. 1 Arura = 2756 m². 300 Aruren = mehr als 80 Hektar.

7. Mt 6,34.

8. Vgl. Deut 4,9; 15,9; Lk 17,3; 21,34; Apg 5,35: 20,28.

9. Vgl. Gal 4,18.

10. Vgl. Prov 6,8

11. Vgl. 2 Thess 3,10.

12. Vgl. Mt 6,6.

13. 1 Thess 5,17.

14. Vgl. 1 Tim 4,13.

15. Vgl. Luk 8,15.

16. Vgl. Hebr 10,1.

17. Rm 8,32.

18. Vgl. Lk 18,28.

19. Vgl. Phil 3,20; Hebr 12,23.

20. Vgl. Ps 36,11; Mt 5,5.

21. Vgl. 1 Kor 12,10.

22. Vgl. Lk 16,9.

23. Vgl. Job 3,18; 39,7.

24. Num 24,5-6.

25. Vgl. Joh 1,1.

26. Vgl. 2 Kor 6,14.

27. Vgl. Röm 1,25.

28. Vgl. Hebr 1,2.