Weggemeinschaft des Glaubens
Stephan Otto Horn - Vinzenz Pfnür
Einführung
Am 16. April dieses Jahres vollendet Joseph Cardinal Ratzinger sein 75.
Lebensjahr.
Zum
60. Geburtstag hatte der Schülerkreis eine umfangreiche
zweibändige Festschrift unter dem
Titel Weisheit Gottes - Weisheit der Welt
herausgegeben, in der 77 Autoren aus dem Umkreis der
akademischen Lehrtätigkeit dem Theologen Joseph Ratzinger ihre
Anerkennung bezeugten. (1)
Zum 70.
Geburtstag veröffentlichte der Schülerkreis unter dem
Titel Vom Wiederauffinden der
Mitte. Grundorientierungen Texte aus vier Jahrzehnten. (2) Er wollte
damit einen »ersten Einblick
vermitteln in Grundpositionen des theologischen Ansatzes von Joseph
Cardinal Ratzinger« und
»eine erste Hinführung bieten auf wichtige
Themenbereiche, für die der theologische Beitrag von
Ratzinger weiterhin von großer Aktualität und
Bedeutung ist.« (3)
Der vorliegende Band
verstärkt diesen Aspekt kirchlicher Aktualität.
In diesen drei
Festgaben spiegelt sich der Weg des Jubilars vom akademischen Lehrer zu
dem mit
gesamtkirchlicher Verantwortung Betrauten. Zwar hatte Joseph Ratzinger
bereits als junger
Professor schon wenige Jahre nach seiner Habilitation durch seine
theologische Berater-Tätigkeit
den Verlauf und die Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils entscheidend
- und vielfach noch zu
wenig gewürdigt - mitbestimmt, doch blieben Forschung und
Lehre das Hauptbetätigungsfeld. Für
den Bischof und noch mehr für den Präfekten der
Glaubenskongregation ist der Freiraum für
Spezialforschung sehr begrenzt und die Muße zur Abfassung
einer theologischen Summe nicht
gegeben. Hauptaufgabe ist nun die gesamtkirchliche Verantwortung.
So
sind die in
dem vorliegenden Band präsentierten Beiträge
Wegweisung im Lichte des 2.
Vatikanischen Konzils für die aktuelle Situation in Kirche und
Theologie.
Sie
sind Aufruf, sich
dem Anspruch von Wahrheit zu stellen und das
Ganze
nicht aus dem Blick zu
verlieren.
Dies gilt
zunächst für die Tiefendimension des
Ganzen, die »Ganzheit unseres Seins«
(vgl. u. S.
255), das nicht auf das reduzierbar ist, was auf der Basis eines
mechanistischen und
materialistischen Weltbildes aufweisbar ist.
Es geht darum, das
Irdische und Menschliche auf die eigentlich tragende Realität,
das durch
Christus im Hl. Geist sich erschließende Göttliche,
hin transparent zu halten.
Für
die Theologie bedeutet dies, über den Detailfragen der
einzelnen Disziplinen und deren
praktizierten Arbeitsmethoden das Eigentliche, den christlichen Glauben
als »Angerührtsein von
Gott und Zeugnis für ihn, nicht zu
übergehen.«
Von
besonderer
Bedeutung ist dies für die Auslegung der Bibel.
Die Exegese
ist aufgerufen, ihre
philosophischen Voraussetzungen kritisch zu hinterfragen und sich einer
Hermeneutik des Glaubens
zu öffnen, damit »das Tiefste des Wortes ... im
Übersteigen des bloß Schriftlichen
vernehmbar«
wird (s.u. S. 30).
Dies
betrifft
auch die Sicht der Kirche.
Als Sakrament, als am
Kreuz für uns geöffneter Leib, als
Volk Gottes, das vom Leib Christi lebt und so zum Leib Christi wird,
als Braut - trotz aller
menschlicher Schuld von Christus geheiligt - , ist sie mehr, als einer
rein soziologischen
Betrachtung zugängig ist.
Diese
sakramental vorgegebene Wirklichkeit von Kirche ist »nicht
nachträgliche Summe von
vorher bestehenden Einzelkirchen« (s.u. S. 216), sondern geht
diesen ontologisch voraus. Von daher
ist die Universalität konstitutive Mitgift der Kirche.
Auch
wenn Eucharistie, in der Christus die
Kirche als seinen Leib aufbaut, nur konkret an einem bestimmten Ort
geschieht, ist sie »doch
zugleich immer universal, weil es nur einen Christus gibt und nur einen
Leib Christi« (s.u. S. 114).
»Die unteilbare Gegenwart des einen und gleichen Herrn, der
zugleich das Wort des Vaters ist, setzt
daher voraus, daß jede einzelne Gemeinde im ganzen
und einen Leibe Christi steht; nur so kann sie
überhaupt Eucharistie feiern« (s.u. S. 78).
Die Betonung
der ontologischen Vorgängigkeit der Universalkirche vor den
Teilkirchen ist »kein
Votum für eine bestimmte Form von Kompetenzverteilungen in der
Kirche, kein Votum dafür, daß
die Ortskirche von Rom möglichst viel an Vorrechten an sich
ziehen müsse: Mit einer solchen
Auslegung ist die Frageebene völlig verkannt. Wer immer nur
gleich nach Machtverteilung fragt,
geht am Mysterium der Kirche schlichtweg vorbei« (s.u. S.
207). Auch Cardinal Ratzinger bestreitet
nicht, daß es »einen überbordenden
römischen Zentralismus geben kann, der als solcher dann
kenntlich gemacht und bereinigt werden muß« (vgl.
S. 115), aber die Alternative kann nicht eine
»auf rein ortskirchliche Dienste und das Nebeneinander der
Gemeinden reduzierte Kirche« sein,
vielmehr geht es darum, daß die Eucharistie
»für jede Ortskirche der Ort der Einbeziehung in den
einen Christus« ist, »das Einswerden aller
Kommunizierenden in der universalen Communio, die
Himmel und Erde, Lebende und Tote, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
verbindet und auf die
Ewigkeit hin öffnet.« (s.u. S. 123). Das bedeutet
u.a. daß es »in der Kirche keine Fremdlinge gibt:
Jeder ist überall zu Hause und nicht bloß Gast. Es
ist immer die eine Kirche, die eine und selbige.
Wer in Berlin getauft ist, ist in der Kirche in Rom oder in New York
oder in Kinshasa oder in
Bangalore oder wo auch immer genau so zu Hause wie in seiner
Taufkirche. Er braucht sich nicht
umzumelden, es ist die eine Kirche« (S.u. S. 122).
Der Verweis auf das Ganze in seiner
Tiefendimension
gegenüber
einer zu vordergründigen Sicht der
Wirklichkeit und speziell der Kirche,
sowie auf das Ganze in
seiner universalen Dimension
gegenüber
einer zu partikularistischen Sicht der Wirklichkeit und speziell der
Kirche,
ist
so der rote
Faden des vorliegenden Bandes.
Er
setzt ein
mit der Bezugnahme auf die größere Wirklichkeit, mit
der es Glaube und Theologie zu
tun haben und konkretisiert diese in den folgenden Beiträgen
unter dem Leitwort Communio,
Gemeinschaft.
Kirche lebt davon,
daß es eine letzte unvergängliche Gemeinschaft gibt,
daß das Absolute nicht ein
unpersönliches Weltgesetz ist, sondern lebendige personale auf
den Menschen hin geöffnete
Gemeinschaft.
Kirche »lebt davon, daß der Logos
Fleisch geworden ist, daß die Wahrheit Weg
wurde« (s.u. S. 230).
»Die Kirche ist nicht
für sich selber da.« (s.s. S. 111).
Für den Priester,
der mit seiner ganzen Existenz im Dienst der Communio steht, bedeutet
dies,
»daß
er nicht von sich redet,
sondern sich zur Stimme Christi macht, um so dem Logos selbst Raum zu
geben und durch die
Gemeinschaft mit dem Menschen Jesus in die Gemeinschaft mit dem
lebendigen Gott zu führen.«
(s.u. S. 138).
Gemeinschaft im und am Leib Christi bedeutet dann aber
auch »Gemeinschaft
miteinander. Sie schließt das Sichannehmen, das gegenseitige
Geben und Nehmen, die Bereitschaft
zum Teilen ihrem Wesen nach mit ein« (s.u. S. 61).
Eucharistie
als »immerwährende Gegenwart der gottmenschlichen
Liebe Christi, die immer der
Ursprung der Kirche ist, ohne den sie versinken, von von den Pforten
des Todes überwältigt werden
müßte «, ist »immerfort auch der
Übergang vom Menschen Jesus zu den Menschen, seine Glieder,
die selbst Eucharistie und damit selbst Herz und Liebe für die
Kirche werden « . Eucharistie ist
so in einem tieferen Sinn Ursprung von Mission, die
»aus
einer tieferen Mitte gespeist« ist (s.u. S.
106).
Das konkrete
Ringen um die Umsetzung kirchlicher Gemeinschaft verdeutlicht sich in
den
vorwiegend universalkirchlich organisierten »Kirchlichen
Bewegungen«.
Communio
beinhaltet auch Reinigung des Gedächtnisses durch Anerkennung
der Schuld, die die
Kirche auf sich geladen hat.
Ein
besonderes
Aufgabenfeld christlicher Communio ist der Bereich der Ökumene.
Hier finden sich bei
Joseph Ratzinger von Anfang an zwei sich ergänzende
Aussagelinien: Zum
einen das Bemühen um konkrete Umsetzung kirchlicher
Gemeinschaft, zum andern das Wissen um
die Relativität dieses Bemühen im Blick auf die
bereits jetzt jenseits kirchenrechtlicher Umsetzung
gegebene tiefere Gemeinschaft. Diese Linien finden sich bereits in
vorkonziliarer Zeit. So bejaht
Ratzinger 1961 im RGG Artikel Protestantismus die konstitutive
Kirchengliedschaft der außerhalb
der katholischen Kirche Getauften, sowie die »Existenz
ekklesialer Elemente« und »eine gewisse
Anwesenheit kirchlicher Wirklichkeit« im Protestantismus.
Anderseits ist gegenüber einer
kontroverstheologischen Bewältigung des Problems der Trennung
»insofern Vorsicht geboten, als
eine volle Systematisierung auf beiden Seiten unmöglich ist,
weil glücklicherweise die Treue zur
Wirklichkeit beiderseits stärker war als der Wille zum
System«. (4)
Aus
vorkonziliarer Zeit datieren auch die für das
Verhältnis zwischen römisch-katholischer Kirche
und griechisch-orthodoxer Kirche wichtigen persönlichen
Freundschaften mit dem späteren
Vorsitzenden von orthodoxer Seite der Gemischten Internationalen
Kommission für den
theologischen Dialog zwischen der Römisch-Katholischen Kirche
und der Orthodoxen Kirche
Erzbischof Stylianos Harkianakis von Australien
(5) und dem späteren Metropoliten der
Schweiz
Damaskinos Papandreou (s.u. S. 187).
Im
Verhältnis zur lutherischen Seite ist vor allem hinzuweisen
auf seine wichtige Weichenstellung,
daß der Katholik »nicht auf die Auflösung
der Bekenntnisse und auf die Zersetzung des Kirchlichen
im evangelischen Raum« setzen soll, »sondern ganz
umgekehrt auf die Stärkung des Bekenntnisses
und der ekklesialen Wirklichkeit«.
(6)
Schließlich
ist es nicht zuletzt dem guten Verhältnis zwischen dem Bischof
von München und dem
Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Johannes
Hanselmann (s.u. S. 210)
zu verdanken, daß die »Gemeinsame
Erklärung zur Rechtfertigungslehre« mit der
»Gemeinsamen
offiziellen Festelllung« kirchlich rezipiert wurde. (7)
Der
im Band wiedergegebne Briefwechsel mit Metropolit Damaskinos Papandreou
und
Landesbischof Hanselmann möge auch dazu beitragen, die
Diskussion über Communionis notio und
über Dominus Jesus zu versachlichen, und
die Bereitschaft stärken, die zentralen Anliegen und
Aussagen aufzunehmen.
Der
abschließende Beitrag »Die Kirche an der Schwelle
des 3. Jahrtausends« faßt den Auftrag der
Weggemeinschaft Kirche zusammen:
»Kirche
ist dazu da, daß Gott, der lebendige Gott,
bekanntgemacht werde - dazu, daß der Mensch
lernen kann, mit Gott, unter seinen Augen und in
der Gemeinschaft mit ihm zu leben.« (s.u. S. 250)
Das Thema der
Festgabe, Weggemeinschaft des Glaubens, Kirche als communio,
findet schönen
Ausdruck in dem auf dem Buchumschlag wiedergegebenen Pfingstbild des
Codex Egberti (fol.
103):
Die mit Pfingsten auf
den Weg gerufene Gemeinschaft mit den Aposteln und hin auf die
Völker
hat in ihrer Mitte
das gemeinsame Leben (communis vita), den
göttlichen Lebensbrunnen
mit dem Brot des Lebens
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Anmerkungen
1. Weisheit Gottes -
Weisheit der Welt. Festschrift für Joseph Kardinal Ratzinger
zum 60. Geburtstag.
2 Bde, im Auftrag des Schülerkreises hg. von W. Baier, St.
Horn, V. Pfnür, Ch. Schönborn, L.
Weimer, S. Wiedenhofer. St. Ottilien 1987.
2. Vom
Wiederauffinden der Mitte. Grundorientierungen. Texte aus
vier Jahrzehnten. Hg. vom
Schülerkreis. Redaktion: St. Horn, V. Pfnür, V.
Twomey, S. Wiedenhofer, J. Zöhrer.
Freiburg-Basel-Wien 1997, 19982.
3. a.a.O. S. 11.
4. J. Ratzinger,
Protestantismus: III. Beurteilung vom Standpunkt des Katholizismus, in:
RGG3, Bd V
(1961) 663-666.
5. Vgl. das erste
unter wesentlicher Beteiligung von Cardinal Ratzinger 1982 in
München
verabschiedete Dokument: »Das Geheimnis der Kirche und der
Eucharistie im Licht des
Geheimnisses der Heiligen Dreifaltigkeit« (Dokumente
wachsender Übereinstimmung, Bd II, hg. von
H. Meyer u.a. Paderborn / Frankfurt a.M. 1992, 526-541).
6. J. Ratzinger,
Prognosen für die Zukunft des Ökumenismus, in: Ders.,
Vom Wiederauffinden der
Mitte a.a.O. S.192 f.
7. LWB / Einheitsrat,
Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Gemeinsame
offizielle
Feststellung. Anhang (Annex) zur Gemeinsamen offiziellen Feststellung.
Paderborn / Frankfurt a.M.
1999.