Auffindung des Kreuzes durch Helena

Ambrosius, Trauerrede auf Theodosius

41. Selig Konstantin ob einer solchen Mutter, die ihrem kaiserlichen Sohne ein Mittel aus Gottes Gnadenhand verschaffte, durch welches er selbst mitten im Schlachtengewühl sicher war und keine Gefahr fürchten brauchte. Eine große Frau, die durch ihre Auffindung dem Kaiser weit mehr schenkte, als sie von ihm empfangen konnte. Ängstlich besorgt für ihren Sohn, dem die Herrschaft über das römische Weltreich zugefallen war, eilte die Mutter nach Jerusalem und erforschte die Stelle, wo der Herr gelitten hatte.

42. Eine Herbergswirtin soll sie anfänglich gewesen und so mit dem älteren Konstantius, der nachher die Herrschaft erlangte, bekannt geworden sein. Eine gute Herbergsmutter, die mit solchem Eifer die Krippe des Herrn aufsuchte. Eine gute Herbergsmutter, der jener Herbergsvater nicht unbekannt war, der die Wunden des von den Räubern wundgeschlagenen Menschen heilte [Lk 18,80]. Eine gute Herbergsmutter, die lieber für Kot geachtet werden wollte, um Christus zu gewinnen [Phil 8,8]. Darum hat sie Christus aus dem Kot zum Herrscherthrone emporgehoben nach dem Schriftworte: »Er erhebt den Armen aus dem Staube und richtet den Dürftigen aus dem Kot empor« [Ps 112,7].

43. Helena kam denn und begann die heiligen Orte zu besuchen. Da gab ihr der Geist ein, das Kreuzesholz aufzusuchen. Sie begab sich auf Golgatha und sprach: »Sieh, der Ort des Kampfes! Wo ist der Sieg? Ich suche das Panier des Kreuzes, aber ich finde es nicht. Ich,« rief sie aus, »auf dem Throne, und das Kreuz des Herrn im Staube? Ich in Gold, und Christi Triumph im Schutt? Dieser noch begraben und vergraben die Siegespalme des ewigen Lebens? Wie soll ich an meine Erlösung glauben, wenn die Erlösung selbst sich dem Auge entzieht?

44. Ich sehe, was du, Teufel, getan, um das Schwert, das dich vernichtet, in Schutt zu begraben. Aber Isaak grub die von den Fremden verschütteten Brunnen wieder aus und ließ das Wasser nicht im Verborgenen ruhen [Gen 26,18]. Weg also mit dem Schutt, auf daß das Leben erscheine! Hervor mit dem Schwert, das dem wahren Goliath das Haupt abgeschlagen! Es öffne sich die Erde, daß das Heil aufleuchte! Was anders erreichtest du, o Teufel, mit der Wegräumung des Kreuzesholzes als eine neue Niederlage? Schon Maria hat dich überwunden, die den Sieger geboren; die ohne Versehrung ihrer Jungfräulichkeit dem das Leben schenkte, der durch sein Kreuz dich besiegen und durch seinen Tod dich unterjochen sollte. Auch heute sollst du überwunden werden: ein Weib soll deine Hinterlist aufdecken. Jene trug wie ein Heiligtum den Herrn im Schoß, ich will sein Kreuz auffindig machen. Jene tat den Menschgewordenen kund, ich den Auferstandenen. Jene war die Mittlerin, daß Gott sichtbar unter den Menschen wohnte, ich will zur Heilung unserer Sünden das Banner Gottes aus dem Schutte heben.«

45. Sie läßt nun den Boden aufgraben, das Erdreich wegnehmen: da stößt sie auf drei durcheinanderliegende Marterhölzer, die der Schutt bedeckt, der Feind versteckt hatte. Doch Christi Triumph konnte nicht in Nacht vergraben bleiben. Sie ist ratlos, verlegen -- verlegen nach Frauenart. Doch der Heilige Geist gibt ihr einen sicheren Fingerzeig durch die Eingebung, daß zwei Schächer mit dem Herrn gekreuzigt wurden. Sie sucht nun nach dem mittleren Kreuzesholz. Doch möglicherweise hatte die Verschüttung die Kreuze durcheinander geworfen, der Zufall sie durcheinander gebracht. Wieder liest sie den Bericht des Evangeliums. Sie findet, daß das mittlere Kreuz die Aufschrift an der Stirne trug: »Jesus von Nazareth, König der Juden« [Joh 19,19]. Hieraus konnte der wahre Sachverhalt erschlossen werden: aus der Aufschrift ward das Kreuz des Heils offenbar. So lautete die Antwort, die Pilatus den Juden auf ihre Vorstellung gab: »Was ich geschrieben habe, bleibt geschrieben« [Joh 19,22], d.h.: nicht das habe ich geschrieben, was euer Gefallen finden, sondern wovon die kommende Zeit Kenntnis nehmen sollte. Nicht für euch habe ich es geschrieben, sondern für die Nachwelt -- beinahe als wollte er sagen: Helena sollte etwas zu lesen finden als Anhaltspunkt, um das Kreuz des Herrn daraus zu erkennen.

46. Sie fand also die Aufschrift und betete den König, nicht fürwahr das Holz an; denn das wäre heidnischer Wahn und gottloser Aberglaube. Den vielmehr betete sie an, der am Holz gehangen, dessen Name auf der Überschrift gestanden; den, sage ich, der »wie ein Holzwurm« [Hab 2,11. Itala nach LXX: sicut scarabaeus de ligno] für seine Verfolger laut zum Vater um Verzeihung ihrer Sünden flehte [Lk 23,34]. Voll Verlangen trachtete die Frau, das Heilmittel der Unsterblichkeit zu berühren, scheute sich aber, das Geheimnis des Heils mit dem Fuße zu treten. Freudigen Herzens und zagenden Schrittes wußte sie nicht, was tun. Doch gelangte sie hin zur Liegestelle der Wahrheit: das Holz leuchtete auf, die Gnade erstrahlte. Und da schon Christus in Maria eine Frau heimgesucht hatte, suchte der Geist in Helena eine solche heim: er tat ihr kund, was eine Frau nicht wissen konnte, und führte sie auf den Weg, den ein Sterblicher nicht erkennen konnte.

47. Sie suchte die Nägel, mit denen der Herr ans Kreuz geheftet wurde, und fand sie. Aus dem einen hieß sie ein Pferdegebiß machen, den anderen ließ sie in ein Diadem verarbeiten. Den einen verwandte sie zur Schmucksache, den anderen zum Weihegegenstand. Maria ward heimgesucht zur Erlösung der Eva, Helena ward heimgesucht zur Erlösung der Kaiser. Sie sandte ihrem Sohn Konstantin das Diadem, mit Edelsteinen geschmückt, die dem Eisen (des Nagels) eingefügt waren und das den noch kostbareren Edelstein des Kreuzes der göttlichen Erlösung zusammenhielt. Auch den Zaum sandte sie ihm. Beides nahm Konstantin in Gebrauch und vererbte den Glauben auf die folgenden Kaiser. Den Anfang bei den gläubigen Kaisern bildete demnach das »heilig«, das auf dem Zaume stand. Von da rührte ihr Glaube her, so daß ihre Verfolgung aufhörte, an deren Stelle die Gottesverehrung trat.

48. Weise handelte Helena, da sie das Kreuz auf dem Haupte der Könige aufpflanzte. Es sollte das Kreuz Christi an den Königen verehrt werden. Nicht Ungehörigkeit ist es, sondern Frömmigkeit, wenn der heiligen Erlösung Verehrung gezollt wird. Ein Gut ist dieser Nagel im Zügel der römischen Herrschaft. Er beherrscht den ganzen Erdkreis und schmückt die Stirne der Kaiser, so daß sie jetzt Prediger sind, die so oft die Verfolger waren. Mit Recht ruht der Nagel auf dem Haupte, damit dort, wo der Verstand thront, auch der Schutz herrsche. Auf dem Haupte die Krone, in den Händen der Zügel. Die Krone vom Kreuze, daß der Glaube leuchte; desgleichen der Zügel vom Kreuze, daß die Macht herrsche. Und ein gerechtes Herrschen soll es sein, nicht ein ungerechtes Gebieten. 
 

(BKV2, Ambrosius, III 415-418)
Weitere Bezeugungen der Kreuzauffindung durch Helena: Cyrill von Jerusalem, Gelasius, Rufinus, Theodoret, Sozomenos, Sokrates Scholasticus, Alexander Monachus. 
Vgl. Hesemann, Michael: Die stummen Zeugen von Golgatha. Die faszinierende Geschichte der Passionsreliquien Christi, München: Hugendrubel 2000 Reihe (Atlantis) ISBN 3-7205-2139-7, bes. S.32-36.