Die Passion der Heiligen Perpetua und Felizitas

(7. März 202 oder 203)

Vorwort des Schreibers der Akten

1. Die alten Vorbilder des Glaubens, die Gottes Gnade bezeugen und die Erbauung des Menschen bewirken, wurden schriftlich aufgezeichnet, damit, wenn sie gelesen und die Ereignisse durch die Lesung wiederhingestellt werden, Gott geehrt und der Mensch gefestigt werde. Warum sollen da nicht auch neue Zeugnisse aufgeschrieben werden, die ebenso diesen beiden Zielen dienen können? Auch diese werden später einmal alt und der Nachwelt nötig sein, wenn sie auch augenblicklich geringeres Ansehen genießen wegen der übertriebenen Verehrung des Altertums. Es mögen sich doch die hüten, die die eine Kraft des einen heiligen Gottesgeistes je nach den Zeiten für verschieden halten. Ist doch gerade das Neuere höher einzuschätzen, weil es zu den letzten Dingen gehört; für die letzten Zeitabschnitte dieser Welt ist nämlich ein Überschwang der Gnade vorgesehen. Denn in den letzten Tagen, spricht der Herr, will ich von meinem Lebensodem über alles Fleisch ausgießen, und ihre Söhne und Töchter werden weissagen; und über meine Knechte und Mägde will ich von meinem Lebensodem ausgießen; und die Jungen werden Gesichte sehen, und die Alten werden Träume träumen (Joel 2,28; vgl. Apg 2,16 ff.). Wir erkennen also, daß sowohl Prophetien als auch Gesichte für die jüngste Zeit vorhergesagt sind; wir ehren sie und rechnen auch die übrigen Wundertaten des heiligen Pneumas zu den Heilsgütern der Kirche. Zu ihr ist es ja gesandt worden, um alle Charismen an alle zu schenken, je nachdem der Herr sie jedem einzelnen zuteilt. Deshalb schreiben wir die Gesichte und Wundertaten auf und feiern sie durch Lesung zur Verherrlichung Gottes. Denn die Glaubensschwachen und Zweifler sollen nur nicht meinen, die göttliche Gnade habe allein bei den Alten verweilt, sei es, um sie des Martyriums zu würdigen, sei es, um ihnen Offenbarungen zu schenken. Gott wirkt ja immer das, was er versprochen hat, den Ungläubigen zum Zeugnis, den Gläubigen zur Wohltat. Darum also verkünden wir auch euch, Brüder und Söhne, was wir gehört (und gesehen) und mit Händen berührt haben (1 Joh 1,1.3), damit ihr, die ihr dabeigewesen seid, der Glorie des Herrn gedenkt; ihr aber, die ihr es jetzt durch das Hören erfahrt, möget dadurch Gemeinschaft erlangen mit den heiligen Martyrern und durch sie mit unserem Herrn Jesus Christus (vgl. 1 Joh 1,3), dem Herrlichkeit und Ehre ist in die Aionen der Aionen. Amen.



Die Verhaftung

2. Verhaftet wurden die jungen Katechumenen Revokatus mit Felizitas, seiner Mitsklavin, Saturninus und Sekundulus. Mit ihnen auch Vibia Perpetua, aus gutem Hause, von vorzüglicher Bildung, wie es einer Freien geziemt, und ehrenvoll verheiratet. Ihr Vater und ihre Mutter lebten noch; auch hatte sie zwei Brüder, von denen der eine gleichfalls Katechumene war, und einen kleinen Sohn, den sie noch an ihrer Brust nährte. Sie selbst war ungefähr 22 Jahre alt. Den ganzen Verlauf ihres Martyriums erzählt sie von hier ab selbst. Wir geben den Bericht genau so wieder, wie sie ihn mit eigener Hand und in ihrer Art aufgeschrieben und hinterlassen hat.



Der Bericht Perpetuas

In Untersuchungshaft - Vater und Tochter

3. Als wir noch - so erzählt Perpetua - in Untersuchungshaft waren, wollte mein Vater mich durch Aufwand vieler Worte abspenstig machen; in seiner Zuneigung zu mir bemühte er sich hartnäckig, mich zum Abfall zu bringen. Vater, sagte ich ihm da, siehst du zum Beispiel das Gefäß hier? - Es war ein Krüglein oder etwas Ähnliches. - Er antwortete: ja. Ich sagte ihm: Das Gefäß kann nicht mit einem anderen Namen genannt werden als jenem, der ausdrückt, was es ist? Er sagte: Nein. Also kann auch ich mir nur einen Namen geben, der sagt, was ich bin: Christin. Durch dieses Wort aufgebracht, stürzte sich der Vater auf mich, um mir die Augen auszureißen. Aber er schlug mich nur und ging fort, besiegt mitsamt seinen teuflischen Überredungskünsten. Als ich dann einige Tage den Vater nicht sah, dankte ich dem Herrn und erholte mich in seiner Abwesenheit. In diesem Zeitraum von wenigen Tagen wurden wir getauft, und das Pneuma gab mir ein, vom Wasser (d.i. von der Taufe) nichts anderes als die Geduld des Fleisches zu erbitten.



Im Kerker

Wenige Tage später nahm uns der Kerker auf, Entsetzt fuhr ich zurück, weil ich noch nie eine solche Finsternis erlebt hatte. Grauenhafter Tag! Drückende Hitze infolge der Menschenmenge! Bedrängnis durch die schikanösen Erpressungsversuche der Soldaten! Dazu härmte ich mich ab aus Sorge um das ferne Kind. Später erreichten die gottgesegneten Diakone Tertius und Pomponius, die uns dienten, durch Bestechung, daß wir für wenige Stunden in einen besseren Teil des Kerkers geführt wurden und uns dort erholen konnten. So verließen wir den (inneren) Kerker, und ein jeder konnte tun, was er wollte. Ich nährte das Kind, das schon schwach vor Hunger war. Aus Sorge um das Kind sprach ich hierauf meiner Mutter zu, ermahnte den Bruder und empfahl beiden den Kleinen. Ich grämte mich, weil ich sah, wie Mutter und Bruder sich abhärmten. Derlei Sorgen trug ich viele Tage. Dann setzte ich es durch, daß das Kind mit mir im Kerker blieb; sogleich erholte ich mich und wurde gestärkt in der Mühe und Sorge um mein Kind. Alsbald wurde mir der Kerker zum Palast, so daß ich dort lieber war als irgendwo anders.



Die Himmelsleiter, der Drache und das Paradies

4. Da sagte mir mein Bruder: Frau Schwester, du bist schon in so großer Huld, daß du dir ein Gesicht erbitten kannst, durch das dir gezeigt wird, ob die Passion bevorsteht oder die Freilassung. Weil ich wußte, daß ich vertraulich mit dem Herrn, von dem ich so große Wohltaten empfangen hatte, reden konnte, versprach ich dem Bruder zuversichtlich: Morgen werde ich dir berichten. Ich betete, und mir wurde folgendes Gesicht zuteil: Ich schaute eine erzene Leiter von erstaunlicher Größe; sie reichte bis zum Himmel und war so schmal, daß man nur einzeln auf ihr hinaufsteigen konnte. An den Holmen der Leiter waren alle Arten von Eisenwerkzeugen befestigt: Schwerter, Lanzen, Haken, Messer und Spieße. Wenn einer lässig hinaufstieg, nicht angespannt nach oben schaute, mußte er sich an den Geräten so verletzen, daß sein Fleisch daran hängenblieb. Unter der Leiter lag ein ungewöhnlich großer Drache; er lauerte den Hinaufsteigenden auf und versuchte, sie einzuschüchtern, damit sie nicht hinaufkletterten. Zuerst aber stieg Saturus hinauf, der sich später unsertwegen freiwillig gestellt hatte; denn er hatte uns zum Christentum geführt und war damals, als wir verhaftet wurden, nicht dabeigewesen. Er erreichte das Ende der Leiter, drehte sich um und sagte zu mir: Perpetua, ich warte auf dich. Aber gib acht, daß dieser Drache dich nicht beißt! Ich antwortete: Er wird mir nicht schaden! Im Namen Jesu Christi! Da streckte der Drache, als ob er mich fürchtete, langsam den Kopf unter der Leiter hervor. Ich aber trat ihm auf den Kopf, als sei er die erste Sprosse. Ich stieg weiter hinauf, und oben sah ich einen weit ausgedehnten Park; mitten darin saß ein weißhaariger, hochbetagter Mann in Hirtentracht und molk die Schafe. Rings um ihn standen viele Tausende in weißen Kleidern. Er hob den Kopf, sah mich an und sprach zu mir: Willkommen, Kind! Dann rief er mich herbei und gab mir ein Stückchen von dem Käse aus der Molke. Ich empfing es in meine übereinandergelegten Hände und aß es; alle Umstehenden aber sagten: Amen. Beim Klang dieses Wortes wurde ich wach und hatte noch so etwas wie einen süßen Geschmack im Munde. Sofort berichtete ich alles meinem Bruder, und wir erkannten, daß uns die Passion bevorstand. Von da an setzten wir keine Hoffnung mehr auf diese Welt.



Zweite Auseinandersetzung mit dem Vater

5. Wenige Tage später ging das Gerücht um, daß wir verhört werden sollten. Da kam mein Vater aus der Stadt, von Gram verzehrt. Er war zu mir heraufgekommen um mich zu Fall zu bringen. Deshalb sagte er: Hab Mitleid, Mädchen, mit meinen grauen Haaren, hab Mitleid mit deinem Vater! Ich verdiene es doch wahrhaftig, dein Vater genannt zu werden. Wenn ich dich mit diesen meinen Händen bis zu deinem blühenden Alter aufgezogen, wenn ich dich allen deinen Brüdern vorgezogen habe, so mache mir doch jetzt keine Schande vor den Menschen! Denke an deine Brüder, denke an deine Mutter und deine Tante, denke an dein Kind, das ohne dich nicht leben kann! Lege deinen Starrsinn ab, richte uns nicht alle zugrunde! Niemand von uns kann sich ja noch sehen lassen, wenn dir etwas zustößt. Das sagte er als Vater in seiner Zuneigung zu mir, dabei küßte er mir die Hände; er warf sich mir zu Füßen und nannte mich unter Tränen nicht mehr Tochter, sondern Herrin. Mein Vater tat mir leid, weil er allein von meiner ganzen Verwandtschaft sich nicht über meine Passion freuen konnte. Ich sprach ihm Mut zu und sagte: Auf jenem Schaugerüst wird nur das geschehen, was Gott will. Du mußt nämlich wissen, daß wir nicht in unserer Gewalt sind, sondern in der Macht Gottes stehen. Da ging er betrübt von mir weg.



Vor dem Statthalter

6. Während wir am anderen Tage frühstückten, wurden wir plötzlich weggeschleppt zum Verhör. Wir kamen zum Forum. Die Kunde davon verbreitete sich sofort in der näheren Umgebung des Forums, so daß sich eine ungeheure Volksmenge ansammelte. Wir stiegen auf das Schaugerüst. Dort wurden wir verhört, und die übrigen legten ihr Bekenntnis ab. Die Reihe kam auch an mich. Da erschien plötzlich mein Vater mit meinem Sohn, zog mich vom Gerüst herab und sagte: Sprich das Gebet! Hab Mitleid mit deinem Kinde! Der Statthalter Hilarianus aber, der damals an Stelle des verstorbenen Prokonsuls Minuzius Timianus die Blutgerichtsbarkeit übernommen hatte, sagte: Schone die grauen Haare deines Vaters, schone die Kindheit des Knaben! Bring das Opfer dar für das Heil der Kaiser! Ich antwortete: Nein. Hilarianus: Bist du Christin? Ja, erwiderte ich, ich bin Christin. Als mein Vater noch weiterhin versuchte, mich zu Fall zu bringen, befahl Hilarianus, ihn hinwegzuschaffen; er wurde mit einem Stock geschlagen. Über das, was meinem Vater zustieß, war ich so betrübt, als ob ich selbst geschlagen worden wäre; so leid tat mir der arme alte Mann. Alsbald verkündete der Statthalter allen das Urteil: Er verurteilte uns zu den wilden Tieren. Fröhlich stiegen wir daraufhin wieder in den Kerker hinab. Ich schickte sofort den Diakon Pomponius zu meinem Vater, um ihn um das Kind zu bitten, weil es an meine Brust und an das Zusammensein mit mir im Kerker gewöhnt war. Aber mein Vater wollte das Kind nicht hergeben. Da fügte es Gott, daß das Kind von da an nicht mehr nach der Brust verlangte und ich auch kein Fieber bekam, so daß ich weder durch die Sorge um das Kind noch durch Schmerzen in der Brust gequält wurde.



Der leidende Dinokrates

7. Wenige Tage später, als wir gemeinsam beteten, kam mir plötzlich mitten im Gebet der Name Dinokrates auf die Lippen. Ich wurde stutzig, weil Dinokrates mir vorher niemals in den Sinn gekommen war, und die Erinnerung an sein Geschick betrübte mich. Ich erkannte, daß ich im Augenblick bei Gott in Huld stehe und für ihn beten müsse. So fing ich an, viel und unter Seufzen für ihn zum Herrn zu beten. Noch in derselben Nacht wurde mir dieses Gesicht gezeigt: Ich sah wie Dinokrates aus einem finsteren Ort hervorkam, dem noch viele andere waren. Er war in Schweiß gebadet und hatte Durst. Sein Gesicht war schwarz und bleich, mit der Wunde bedeckt, an der er gestorben war. Das war leibhaftig mein Bruder Dinokrates, der mit sieben Jahren an einer Gesichtskrankheit elend umgekommen war, so daß sein Tod allen Menschen zum Ekel ward. Für ihn also hatte ich gebetet. Zwischen ihm und mir war jedoch ein großer Abgrund, so daß wir beide nicht zusammenkommen konnten. An dem Ort aber, an dem Dinokrates stand, war ein Brunnen, voll von Wasser. Doch der Brunnenrand ragte hoch über das Haupt des jungen hinaus. Dinokrates reckte sich, als wollte er trinken. Er tat mir leid; obgleich der Brunnen ganz voll war, konnte Dinokrates nicht an das Wasser herankommen und trinken. Da wurde ich wach und erkannte, daß mein Bruder in Not war. Aber ich hoffte zuversichtlich, ihm in seiner Not beistehen zu können, und betete für ihn alle Tage, bis wir ins Militärgefängnis überführt wurden. Wir sollten nämlich bei den Kasernenspielen zum Geburtstag des Cäsars Geta kämpfen. Ich betete also für Dinokrates Tag und Nacht unter Seufzen Und Tränen, damit er mir geschenkt würde.



Des Dinokrates Erlösung

8. An dem Tage, an dem wir in den Block gespannt waren, hatte ich folgendes Gesicht: Ich schaute an jenem Ort, den ich schon früher gesehen hatte, Dinokrates, frisch gewaschen, gut gekleidet und wohlauf; an der Stelle, an der vorher die Wunde war, sah ich eine Narbe. Auch bemerkte ich, wie jenes Wasserbecken, das ich beim erstenmal gesehen hatte, jetzt einen niedrigeren Rand hatte, der nur noch bis zum Nabel des Knaben reichte. Aus dem Brunnen strömte unaufhörlich Wasser, eine goldene Schale voll Wasser stand auf seinem Rande. Dinokrates trat hinzu und trank aus der Schale. Die Schale aber wurde nicht leer. Als sein Durst gelöscht war, ging er daran, fröhlich mit dein Wasser zu spielen - ganz nach Kinderart. Dann wurde ich wach und erkannte, daß Dinokrates von seiner Qual erlöst war.



Des Wachtmeisters Bekehrung - Erneuter Besuch des Vaters

9. Wenige Tage später fing der Wachtmeister Pudens, unser Gefängnisaufseher, an, uns zu beglückwünschen, weil er merkte, daß eine große Kraft in uns war. Er ließ viele zu uns herein, damit wir uns miteinander etwas erholen konnten. Als sich aber der Tag des Festspiels näherte, kam mein Vater nochmals zu mir in die Kerkerzelle, ganz aufgelöst vor Gram, raufte sich den Bart, warf sich auf die Erde, verfluchte sein Alter und sagte Worte, die einen Stein hätten erweichen können. Der arme alte Mann tat mir leid.



Der Kampf mit dem Ägypter

10. Am Tag vor dem Kampf schaute ich dieses Gesicht: Mir war, als sei der Diakon Pomponius an die Tür des Kerkers gekommen und habe heftig geklopft. Ich ging hin und öffnete ihm. Er trug ein ungegürtetes, weißes Festgewand und reichbestickte Festschuhe und sprach zu mir: Perpetua, wir warten schon auf dich. Komm! Dann gab er mir die Hand, und wir machten uns auf den Weg durch steinige und vielgewundene Pfade. Als wir schließlich atemlos an der Arena ankamen, führte er mich mitten in den Sand und sagte: Hab keine Angst, ich bleibe bei dir und kämpfe mit dir zusammen. Dann ging er weg. Hierauf sah ich vor mir eine ungeheure Volksmenge in höchster Spannung. Doch weil ich wußte, daß ich zu den wilden Tieren verurteilt war, wunderte ich mich, daß man keine Bestien auf mich losließ. Da trat ein häßlicher Ägypter mit seinen Helfern gegen mich auf; um mit mir zu kämpfen. Mir aber traten schöne Jünglinge zur Seite, und so hatte auch ich meine Helfer und Parteigänger. Ich wurde entkleidet und war wie ein Mann. Meine Freunde gaben sich daran, mich mit Öl einzureiben, wie man es bei, den Kampfspielen zu tun pflegt. Den Ägypter aber sah ich sich im Sande wälzen. Hiernach trat ein Mann auf, so über alle Maßen groß, daß er selbst die Höhe der Arena überragte. Er war in ein ungegürtetes Gewand gekleidet, das mit einem Purpurstreifen in der Mitte zwischen den beiden Clavi verziert war; auch trug er Schuhe aus Gold und Silber. In der Hand hatte er einen Stab gleich einem Ringmeister sowie einen grünen Zweig, an dem goldene Äpfel hingen. Er gebot Stillschweigen und rief: Wenn dieser Ägypter diese da besiegt, wird er sie mit dem Schwert töten; wenn diese aber ihn besiegt, wird sie diesen Zweig erhalten. Dann verließ er die Arena. Wir aber gingen aufeinander los und fingen an, uns zu boxen. Der Ägypter wollte mich an den Füßen packen. Ich aber trat ihm mit den Fersen ins Gesicht. Ich wurde in die Luft erhoben und trat von oben her auf ihn nieder, als ob ich den Boden überhaupt nicht berührte. Als ich merkte, daß eine kleine Atempause entstanden war, legte ich die Hände ineinander, Finger in Finger, und packte den Ägypter am Kopf; er fiel auf das Gesicht, und ich setzte meinen Fuß auf seinen Nacken. Sofort rief das Volk Beifall, und meine Helfer begannen zu singen. Ich trat vor den Ringmeister hin und erhielt den Zweig. Er küßte mich und sagte. Heil dir, Tochter! Triumphierend begab ich mich zum Lebenstor. Da wurde ich wach und erkannte, daß ich nicht mit den Bestien, sondern mit dem Teufel kämpfen müsse. Aber ich wußte, daß der Sieg mir gewiß sei. Das alles erlebte ich bis zum Vortage des Festspiels. Die Spielhandlung selbst aber mag beschreiben, wer will.



Der Bericht des Saturus

Der Einzug ins Paradies

11. Aber auch der gottgesegnete Saturus hat einen, selbstgeschriebenen Bericht über seine Vision hinterlassen: Das Leiden war zu Ende, schreibt er, wir gingen aus dem Fleische (d. h. wir starben) und wurden von vier Engeln nach Osten getragen. Dabei berührten uns ihre Hände nicht. Unser Weg führte jedoch nicht steil aufwärts, sondern es war, als gingen wir einen sanften Hügel hinan. Als wir die erste Welt hinter uns hatten, sahen wir eine unermeßliche Lichtfülle. Ich sagte zu Perpetua - sie war ja an meiner Seite -: Hier ist, was der Herr uns versprochen hat; wir haben die Erfüllung seiner Verheißung empfangen. Während wir von jenen vier Engeln getragen wurden, tat sich vor uns ein überweiter Raum auf. Es war eine Art Park mit Rosenbäumen und Blumen aller Art. Die Bäume waren so hoch wie Zypressen; ihre Blätter rieselten unaufhörlich zur Erde nieder. Dort in dem Park aber waren noch vier andere Engel, die leuchtender waren als die übrigen. Als sie uns sahen, begrüßten sie uns ehrerbietig und sagten voll Bewunderung zu den anderen Engeln: Da sind sie, da sind sie! jene vier Engel, die uns trugen, erschauerten und setzten uns ab. Wir gingen zu Fuß ein Stadium weit auf einem breiten Weg. Da trafen wir den Jokundus, Saturninus und Artaxius, die in derselben Verfolgung bei lebendigem Leibe verbrannt wurden, und Quintus, der - auch als Martyrer - im Kerker verschieden war. Wir fragten sie, wo die anderen wären. Aber die Engel sagten uns: Kommt erst herein, kommt und begrüßt den Herrn!



Die Himmelsstadt

12. Wir kamen an eine Stadt, deren Mauern wie aus Licht erbaut waren; vor dem Tor dieser Stadt standen vier Engel, die den Eintretenden weiße Gewänder anlegten. Wir gingen hinein und hörten den unaufhörlichen Ruf: Heilig, heilig, heilig. In dieser Stadt aber sahen wir einen großen Mann mit schneeweißen Haaren und jugendlichem Antlitz auf seinem Thron; seine Füße konnten wir nicht sehen. Zu seiner Rechten und Linken standen vier Älteste und hinter diesen noch mehrere andere Älteste. Wir traten näher und blieben voller Staunen vor dem Throne stehen. Vier Engel hoben uns hoch, und wir küßten den Thronenden. Er streichelte uns mit seiner Hand das Gesicht. Die übrigen Ältesten sagten uns: Aufstellen! Wir stellten uns auf und gaben uns den Friedenskuß. Dann sagten uns die Ältesten: Geht und ergötzt euch! Ich aber sprach zu Perpetua: Jetzt hast du, was du willst. Sie antwortete: Gott sei Dank! Wenn ich schon im Fleische froh war, jetzt bin ich noch froher.



Der Bischof und sein Presbyter

Die Martyrin als Friedensvermittlerin

13. Dann gingen wir hinaus und sahen vor dem Tore den Bischof Optatus zur Rechten und den Presbyter und Doktor Aspasius zur Linken, uneins und traurig. Sie warfen sich uns zu Füßen und baten: Schlichtet zwischen uns! Denn ihr seid fortgegangen und habt uns in dieser Verfassung zurückgelassen. Wir aber sagten zu dem einen: Bist du nicht unser Bischof?, zu dem anderen: Du unser Presbyter? Was werft ihr euch uns zu Füßen? Ganz gerührt hoben wir sie auf. Sogleich redete Perpetua griechisch mit ihnen, und wir führten sie beiseite in den Park unter einen Rosenbaum. Während wir aber noch mit ihnen sprachen, sagten ihnen die Engel: Laßt diese in Ruhe! Sie sollen sich erholen. Wenn ihr Streit miteinander habt, dann verzeiht einander! Und sie schickten sie weg. Zu Optatus sagten sie noch: Bring dein Volk in Ordnung! Sie kommen ja zu deinem Gottesdienst, als wenn sie gerade den Zirkus verlassen hätten und noch über die Parteien stritten. Es sah so aus, als wollten sie die Tore schließen. Da erkannten wir dort viele Brüder und unter ihnen auch Martyrer. Wir wurden ganz von einem unaussprechlichen Duft erquickt, der uns sättigte. Da wurde ich fröhlich wach.



Der Bericht des Herausgebers der Akten

Der Tod des Sekundulus

14. Dies sind die bedeutenderen Visionen der gottgesegneten Martyrer Saturus und Perpetua, von ihnen selbst beschrieben. Den Sekundulus aber hat Gott durch einen vorzeitigen Tod noch im Kerker aus dieser Welt abgerufen - nicht ohne besondere Gnade, damit ihm die Bestien erspart blieben. Das Todesschwert hat er dennoch kennengelernt - wenn auch äußerlich nicht sichtbar - so doch im Fleische spürbar.



Felizitas in Geburtswehen

15. Was nun Felizitas betrifft, so wurde auch ihr die Gnade des Herrn zuteil, nämlich so: Da sie schon im achten Monat schwanger war (sie war nämlich als Schwangere festgenommen worden), quälte sie, als der Tag der Schauspiele herannahte, die große Sorge, ihr Martyrium könne wegen ihrer Schwangerschaft verschoben werden. Es ist nämlich nicht erlaubt, Schwangere hinzurichten. Deshalb fürchtete sie, daß sie vielleicht erst später mit anderen, etwa mit Verbrechern, ihr heiliges und unschuldiges Blut vergießen würde. Aber auch ihre Mitmartyrer sorgten sich sehr, weil sie eine so gute Gefährtin, obwohl sie doch eigentlich ihre Begleiterin sein sollte, allein auf dem Wege der gleichen Hoffnung zurücklassen mußten. In einmütigem Seufzen sandten sie daher zwei Tage vor dem Spiel gemeinsam ihr Gebet zum Herrn, und sofort nach dem Gebet wurde Felizitas von den Wehen ergriffen. Da sie, wie es bei einer Entbindung im achten Monat natürlich ist, sich bei der Niederkunft abquälte und große Schmerzen erlitt, sagte einer von den Gefängniswärtern zu ihr: Wenn du jetzt schon so schreist, was willst du dann tun, wenn du den Bestien vorgeworfen wirst? Sie aber antwortete: Was ich jetzt leide, das leide ich; dort aber wird ein anderer in mir sein, der für mich leiden wird; denn ich werde ja auch für ihn leiden. So gebar sie ein Mädchen, das eine von unseren Schwestern als Tochter annahm und aufzog.



Die letzten Tage im Kerker

16. Das heilige Pneuma erlaubt und will es, daß der Verlauf des Festspiels der Reihe nach beschrieben werde. Zwar sind wir nicht würdig, den Bericht über ein so glorreiches Martyrium zu ergänzen. Doch wir betrachten es als einen Auftrag oder vielmehr als eine Ermächtigung der heiligen Perpetua, ihrem Bericht ein Dokument ihrer Standhaftigkeit und Seelengröße hinzuzufügen. Die Gefangenen wurden in jenen Tagen von dem Hauptmann strenger als vorher behandelt. Wegen Denunziationen von Hohlköpfen fürchtete er nämlich, daß die Christen durch irgendwelche magische Beschwörungen aus dem Kerker herausgeholt würden. Da sagte Perpetua ihm ins Gesicht: Warum gönnst du uns nicht ein bißchen Erholung, uns hochvornehmen Gefangenen des Cäsars, die an seinem Geburtstag kämpfen werden? Oder gereicht es dir nicht zum Ruhm, wenn wir bei der Vorführung gut aussehen? Da kam der Hauptmann zu sich und schämte sich; er befahl, die Gefangenen menschlicher zu behandeln: Perpetuas Brüder und auch andere erhielten die Erlaubnis, sie im Kerker aufzusuchen und ihnen Erfrischungen zubringen. Schon war auch der Wachtmeister gläubig geworden.



Das Freimahl

17. Auch am Vortage, als die Verurteilten jenes Abendmahl hielten, das man das Freimahl nennt - soviel an ihnen lag, feierten sie es nicht als Freimahl, sondern als Agape -, riefen sie mit unveränderter Sicherheit dem Volke Worte zu, die das Gericht Gottes androhten, das Glück ihres Leidens bezeugten und die Neugier der zusammengelaufenen Menschen verspotteten. Saturus höhnte: Genügt euch der morgige Tag nicht? Seht ihr so gern, was ihr haßt? Heute Freund, morgen Feind! Merkt euch nur unsere Gesichter gut, damit ihr uns an jenem Tag wiedererkennt! Da gingen alle erschüttert fort, und viele von ihnen kamen zum Glauben.



Unterwegs zum Stadion

18. Der Tag ihres Sieges leuchtete auf, und die Martyrer schritten aus dem Kerker zum Amphitheater wie in den Himmel, froh und strahlenden Angesichtes. Wenn überhaupt, so zitterten sie vor Freude, nicht aus Furcht. Perpetua folgte mit leuchtendem Antlitz und ruhigen Schrittes als Matrona Christi, als Geliebte Gottes. Alle mußten vor ihren strahlenden Augen die Blicke zu Boden senken. Auch Felizitas war voll Freude, weil sie glücklich geboren hatte und nun mit den Bestien kämpfen durfte; sie eilte von Blut zu Blut, von der Hebamme zum Netzfechter, um sich nach der Niederkunft in einem zweiten Bade zu waschen. Im Tor des Amphitheaters wollte man die Gefangenen zwingen, andere Gewänder anzulegen. Die Männer sollten als Priester des Saturn, die Frauen aber als Ceresmysten bekleidet werden. Da wehrte sich die edle Standhaftigkeit bis zuletzt. Perpetua sagte nämlich: Gerade deshalb sind wir freiwillig hergekommen, damit unsere Freiheit nicht geschmälert werde; wir haben unser Leben preisgegeben, damit wir so etwas nicht zu tun brauchen; in dieser Sache sind wir doch mit euch übereingekommen. Also mußte die Ungerechtigkeit der Gerechtigkeit weichen, und der Hauptmann erlaubte, daß sie einfach so, wie sie waren, in die Arena geführt wurden. Perpetua sang Psalmen, denn schon zertrat sie das Haupt des Ägypters. Revokatus, Saturninus und Saturus drohten dem gaffenden Volke. Als sie dann unter die Augen des Hilarianus kamen, gaben sie ihm durch Gebärden und Winke zu verstehen: Du uns! Dich aber Gott! Darüber wurde das Volk so aufgebracht, daß es verlangte, sie vor der Reihe der Treiber mit schweren Geißeln zu schlagen. Da beglückwünschten sie sich in jeder Weise, weil auch sie Anteil an dem Herrenleiden erhalten hatten.



Der Kampf mit den wilden Tieren

19. Der aber gesagt hat: Bittet, und ihr werdet empfangen! gewährte einem jedem gemäß seiner Bitte den Ausgang, den er sich gewünscht hatte. Denn als sie sich einmal miteinander darüber unterhielten, was für ein Martyrium sie sich wünschten, gestand Saturninus, daß er am liebsten allen Bestien vorgeworfen werden möchte, um einen um so herrlicheren Kranz zu empfangen. Darum mußten er und Revokatus bei dem Schauspiel zuerst mit dem Leoparden kämpfen; dann wurden sie noch auf der Tribüne von einem Bären geschlagen. Saturus aber hatte vor nichts größeren Abscheu als vor dem Bären; er hatte sich darum zuversichtlich gewünscht, durch einen Biß des Leoparden getötet zu werden. Als man ihn dann vor einen Eber hinstellte, wurde nicht er, sondern der Treiber, der ihn für den Eber festgebunden hatte, von dieser Bestie umgeworfen, so daß er einige Tage nach dem Spiel starb. Saturus aber wurde nur ein wenig geschleift; als er nachher für den Bären auf der Bühne an den Pfahl gebunden wurde, wollte der Bär nicht aus seinem Zwinger herauskommen. So wurde Saturus zum zweitenmal unverletzt zurückgerufen.



Perpetua und Felizitas im Kampf mit der wilden Kuh

20. Für die jungen Frauen aber hielt der Teufel - in Nachäffung ihres weiblichen Geschlechtes - eine wilde Kuh bereit; man hatte diese gegen allen Brauch eben wegen ihrer ungewöhnlichen Wildheit bereitgestellt. Die beiden Frauen wurden entkleidet und mit Netzen angetan, vorgeführt. Das Volk entsetzte sich, als es sah, daß die eine noch ein zartes Mädchen, die andere aber eben niedergekommen war, wie ihre tropfenden Brüste zeigten. Deshalb wurden beide zurückgerufen und mit langen Gewändern bekleidet. Zuerst wurde Perpetua in die Luft gewirbelt und fiel auf die Lenden. Sobald sie dasaß, zog sie das an der Seite aufgerissene Gewand wieder zusammen, um ihren Oberschenkel zu bedecken; sie achtete mehr auf Sittsamkeit als auf ihre Schmerzen. Dann suchte sie sich eine Nadel, heftete das zerrissene Kleid wieder zusammen und steckte ihre aufgelösten Haare wieder auf. Denn es schickte sich nicht für eine Martyrin, mit aufgelösten Haaren zu leiden; sie durfte doch nicht den Anschein erwecken, als ob sie in ihrer Glorie trauere. Dann stand sie auf, und als sie sah, daß Felizitas niedergeworfen war, ging sie zu ihr hin, reichte ihr die Hand und richtete sie wieder auf. So standen beide aufrecht da. Bei diesem Anblick war die Grausamkeit des Volkes besiegt, und die beiden Martyrinnen wurden zur Lebenspforte zurückgerufen. Dort wurde Perpetua von einem gewissen Rustikus, der damals noch Katechumene und ihr ergeben war, in Empfang genommen. Wie eine, die aus dem Schlaf geweckt worden war (so sehr war sie im Pneuma und in der Ekstase gewesen), schaute sie jetzt um sich und fragte zum Staunen aller: "Wann werden wir denn jener Kuh vorgeführt?" Als sie hörte, daß alles schon vorbei sei, konnte sie es nicht glauben, bis sie die Spuren der Verwundung an ihrem Körper und die Schäden an ihrem Kleid entdeckte. Dann rief sie ihren Bruder und jenen Katechumenen (Rustikus) herbei und ermahnte sie: "Steht fest im Glauben, liebet einander und nehmt an unseren Leiden keinen Anstoß!"



Die glorreiche Vollendung der Passion

21. An einem anderen Tor redete Saturus mit dem Soldaten Pudens. "Kurz und gut", sprach er, "ich habe bis jetzt noch von keiner Bestie etwas gespürt, so wie ich es erwartet und vorhergesagt hatte. Nun kannst du wahrlich aus ganzem Herzen glauben. Gib acht! Ich gehe jetzt wieder hin, und mit einem einzigen Biß des Leoparden bin ich vollendet." Der Leopard wurde gegen Ende des Schauspiels herausgelassen, und Saturus war, als er vom Kampfe zurückkam, von einem einzigen Biß des Leoparden so blutüberströmt, daß das Volk ihm seine zweite Taufe bezeugte mit dem Rufe: "Heilgewaschen! Heilgewaschen!" Freilich war der heil, der sich so gewaschen hatte. Saturus aber sagte zu dem Soldaten Pudens: "Leb wohl, bleib des Glaubens und meiner eingedenk, und laß dich durch diese Dinge nicht verwirren, sondern bestärken." Zugleich bat er Pudens um den Ring von seinem Finger; er tauchte den Ring in sein Blut und gab ihn dem Pudens als Vermächtnis zurück; so hinterließ er ihm ein Unterpfand und ein Gedächtnis seines Blutes. Dann wurde er, schon ohnmächtig, mit den anderen an den gewohnten Ort zum Abstechen hingeworfen. Das Volk aber forderte sie in die Mitte, um sich mit seinen Blicken an dem Mord zu beteiligen, wenn sie mit dein Schwert durchbohrt wurden. Darauf erhoben sich die Martyrer bereitwillig und begaben sich dorthin, wohin das Volk es wollte. Vorher küßten sie einander, damit das Martyrium durch den gewohnten Friedenskuß seine Vollendung erlangte. Die anderen empfingen das Eisen unbeweglich und schweigend. Saturus vor allem, der zuerst aufgestiegen war, gab auch zuerst seinen Lebensodem (seinem Schöpfer) zurück; er erwartete ja Perpetua. Perpetua aber schrie laut auf, als ihr das Schwert zwischen die Knochen gestoßen wurde und sie etwas Schmerz verkosten durfte. Sie führte dann selber die unsichere Hand des jungen Gladiators an ihre Kehle. Vielleicht konnte eine solche Frau, die von dem unreinen Geiste gefürchtet wurde, nicht anders getötet werden, als wenn sie es selbst wollte.



Nachwort des Schreibers

Ihr tapferen und gottgesegneten Martyrer! Ihr wahrhaft zur Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus Berufenen und Auserwählten! Wer diese Herrlichkeit preist und verehrt und anbetet, muß auf jeden Fall auch diese jüngsten Beispiele, die nicht geringer sind als die alten, zur Auferbauung der Ekklesia lesen. Die neuen Wundertaten sollen bezeugen, daß das immer gleiche heilige Pneuma bis heute wirksam ist mit Gott, dem allmächtigen Vater, und seinem Sohne Jesus Christus, unserem Herrn, dem Lichtherrlichkeit und unermeßliche Macht ist in die Aionen der Aionen. Amen.



(Ich bin Christ. Frühchristliche Martyrerakten. Übertr. und erläutert von Oda Hagemeyer OSB / Basilissa Hürtgen OSB. - Düsseldorf: Patmos 1961 (Alte Quellen neuer Kraft, hg. von E. v. Severus und Th. Michels), S. 90-110.)