17 (2) ... Unterscheiden wir uns
doch von den wilden Tieren vor allem dadurch, daß ... wir, denen
ein erhobenes Antlitz, denen der Blick zum Himmel gegeben ist, Sprache
und Verstand besitzen, mit denen wir Gott erkennen, erfassen und ihm nachstreben.
Da wäre es nicht recht, ja überhaupt nicht möglich, die
himmlische Klarheit, die sich unseren Augen und unseren Sinnen aufdrängt,
nicht erkennen zu wollen. Es wäre geradezu ein schweres Vergehen am
Heiligsten, wollte man im Staube suchen, was man doch in der Höhe
finden muß.
(3) Um so mehr scheinen mir Leute, die
glauben können, daß dieser ganze kunstreiche Weltenbau nicht
nach göttlichem Plan vollendet, sondern aus irgendwelchen planlos
aneinanderhängenden Brocken zusammengeballt sei, weder Sinn noch Verstand,
ja nicht einmal Augen im Kopf zu haben. (4) Wenn du nur den Blick zum Himmel
erhebst und anschaust was darunter und um dich ist, was kann dann noch
offenbarer, klarer, einleuchtender sein als das Dasein eines göttlichen
Wesens von überragender Geisteskraft, das die ganze Natur beseelt,
bewegt, erhält und lenkt? (5) Den Himmel selbst sieh an! Wie weit
dehnt er sich, wie rasch kreist er, des Nachts von den Sternen geschmückt,
am Tage von der Sonne erleuchtet. Das genügt, um zu wissen, wie das
wunderbare göttliche Gleichmaß eines höchsten Lenkers in
ihm wirksam ist. Sieh, wie der Umlauf der Sonne das Jahr bewirkt, sieh,
wie der Mond im Zunehmen, Abnehmen und Verschwinden den Monat vorüberführt.
(6) Was soll ich sprechen von der Finsternis und des Lichtes stets wiederkehrendem
Wechsel, der uns bald Arbeit und bald Ruhe zuteil werden läßt.
Ausführlicher über die Gestirne zu reden, wie sie den Lauf der
Schiffe lenken und die Zeit für Saat und Ernte anzeigen, das bleibe
den Astronomen überlassen. All diese Dinge aber setzen nicht nur für
ihre Erschaffung, Bildung und Anordnung einen höchsten Baumeister
und eine vollkommene Vernunft voraus; sie könnten auch, gäbe
es keinen höchsten, geordneten Sinn, nicht einmal gefühlt, erkannt
und begriffen werden.
(7) Und ferner: die Jahreszeiten mit
ihren Früchten unterscheiden sich in ewig gleichem Wechsel voneinander;
bezeugt da nicht seinen Urheber und Schöpfer der Frühling mit
seinen Blumen ebenso wie der Sommer mit seinen Ernten, das willkommene
Reifen im Herbste, das notwendige Geschenk der Oliven im Winter? ...
(9) Das Meer sieh an: von des Gestades
Schranke wird es begrenzt. Betrachte, was es an Bäumen gibt...
(11) Vornehmlich aber bezeugt die Schönheit
unserer eigenen Bildung deutlich Gott als den Künstler: die aufrechte
Haltung, das erhobene Antlitz; hoch oben haben die Augen wie auf einer
Warte ihren Platz und mit ihnen alle übrigen Sinne, die wie auf hoher
Feste vereinigt sind.
18 (1) Es würde zu weit führen,
alles einzeln zu würdigen. Kein Glied des Menschen gibt es, das ihm
nicht zum Nutzen und zur Zierde gereichte. Und, was noch wunderbarer ist:
alle Menschen haben die gleiche Gestalt, und dennoch sind einem jeden gewisse
abgewandelte Züge eigen. So haben wir allesamt die gleiche Erscheinung
und sind dennoch als Einzel- wesen voneinander verschieden. (2) Und hat
Gott nicht auch unsere Fortpflanzung geregelt? Ist nicht der Trieb zur
Zeugung von ihm gegeben? Hat nicht er es so eingerichtet, daß sich
die Brüste beim Reifen der Frucht mit Milch füllen, die wie Tau
im Überfluß da ist und den zarten Säugling nährt?
... (4) Würdest du ein Haus betreten
und fändest alles darin gepflegt, geordnet und geschmückt, so
würdest du gewiß annehmen, daß ein Herr in ihm walte,
und zwar einer, der noch weit besser sei als all diese schönen Dinge.
Ebenso mußt du auch, wenn du die Vorsehung, die Ordnung und Gesetzmäßigkeit
am Himmel und auf Erden erkennst, glauben, daß in diesem Weltgebäude
ein Herr und Vater des Alls lebt, schöner noch als selbst die Sterne
und alle Teile dieser ganzen Welt.
(7) ... Da es doch offenbar ist, daß
Gott, der Schöpfer aller Dinge, nicht Anfang noch Ende haben kann,
er, der allen Dingen ihr Werden verleiht, selbst aber ewiges Sein ist,
der vor Erschaffung der Welt sich selbst eine Welt war, der alles, was
ist, mit seinem Wort ins Dasein ruft, mit seinem Geiste ordnet, mit seiner
Kraft vollendet!
(8) Man kann ihn nicht sehen: zu licht
ist er für unsere Augen; und auch nicht greifen noch ermessen: zu
groß ist er für unsere Sinne; unendlich, unermeßlich,
nur sich selbst in seiner ganzen Größe bekannt. Unser Herz aber
ist zu beschränkt, ihn zu begreifen, und so denken wir ihn nur richtig,
wenn wir ihn den Unausdenklichen nennen.
19 (1) Ich höre, wie auch
die Dichter nur einen einzigen den `Vater der Götter und Menschen'
nennen... (2) Und sagt nicht der Mann aus Mantua <Vergil, Aeneis 6,724ff;
1,742f; Georg. 4,221ff> noch deutlicher, noch treffender und wahrer: `Im
Anfang nährt den Himmel und die Erde' und die übrigen Teile der
Welt `der ihnen innewohnende Geist, und der Sinn, der sie alle erfüllt,
bewegt sie. Von dort stammen Menschen und Tiere' und alle lebenden Wesen.
Und an einer anderen Stelle nennt derselbe Dichter diesen Sinn und Geist
Gott. Seine Worte lauten: `Denn Gott durchdringt alle Lande, des Meeres
Flächen und des Himmels Höhn. Durch ihn entstehen Mensch und
Tier, der Regen und das Feuer.' Nennen wir denn Gott anders als Sinn und
Vernunft und Geist?
(3) Betrachten wir auch, wenn du magst,
die Lehre der Philosophen: du wirst sehen, daß sie, wenn auch mit
verschiedenen Wendungen, sich sachlich doch einmütig zu dieser Ansicht
bekennen...
(14) Noch deutlicher sind Platons Darlegungen
über Gott, im Inhalt wie in der Darstellung. ... So ist für Platon
in seinem `Timaios' Gott schon durch seinen Namen der Vater des Alls, der
Bildner der Seele, der Schöpfer aller himmlischen und irdischen Dinge.
Wegen seiner übergroßen, unvorstellbaren Macht kann man ihn
nur schwer finden, heißt es in der Einleitung, und hat man ihn gefunden,
so kann man ihn der Menge nicht kundtun. (15) Auch das stimmt also ungefähr
mir unserer Lehre überein. Auch wir kennen einen Gott, nennen ihn
den Vater aller Dinge und sprechen nicht öffentlich von ihm, wenn
uns nicht das Verhör dazu zwingt.
20 (1) Die Meinungen fast sämtlichen Philosophen von Rang habe ich dargelegt; alle haben den einen Gott, wenn auch unter vielerlei Namen, gelehrt. Ja, man könnte meinen, die Christen wären die Philosophen von heute -- oder die Philosophen wären schon damals Christen gewesen!
31 (7) ... Darum mag es euch auch Unbehagen bereiten -- lieben wir uns in gegenseitiger Liebe -- denn Haß ist uns fremd. Darum nennen wir einander Brüder -- worum ihr uns beneidet. Sind wir doch Menschenkinder des einen Vatergottes, Miterwählte im Glauben, Miterben in der Hoffnung. ...
32 (1) Glaubt ihr etwa, weil wir
keine Tempel und Altäre haben, wir müßten den Gegenstand
unserer Verehrung verbergen? Was für ein Bild sollte ich denn für
Gott ersinnen, da doch, wenn du es recht bedenkst, der Mensch selbst Gottes
Abbild ist? Was für einen Tempel sollte ich ihm errichten, da doch
die ganze Welt, das Werk seiner Hände, ihn nicht zu fassen vermag?
Sollte ich die Größe so gewaltiger Majestät in einem einzigen
Kapellchen einschließen wollen, während ich, ein Mensch, geräumiger
wohne? (2) Sollten wir Gott nicht besser in unseren Herzen verehren? Ihm
nicht in unserer Brust ein Heiligtum weihen? Kleine und große Tiere,
die er mir zu meinem Nutzen erschaffen hat, sollte ich Gott als Opfer darbringen
und ihm so seine Gaben geradezu wieder hinwerfen? Das wäre nur Undank!
Ein gutes Herz aber, ein reiner Sinn, unbefleckte Gedanken: das sind die
Opfergaben, die Gott wohlgefallen. (3) Darum: wer Rechtschaffenheit pflegt,
der betet zu Gott; wer Gerechtigkeit übt, der opfert ihm; wer sich
fernhält von Betrug, der gewinnt seine Huld; wer einen Menschen aus
Gefahr errettet, der bringt Gott das schönste Opfer dar. So sind unsere
Opfer beschaffen, so sieht unser Gottesdienst aus: die Gerechtigkeit des
Menschen gilt bei uns als das Maß seiner Frömmigkeit.
(4) `Und doch können wir den Gott,
den wir verehren, weder zeigen noch sehen.'
Aber gerade darum glauben wir an diesen
Gott, weil wir ihn empfinden können, auch ohne daß wir ihn zu
sehen vermögen. In seinen Werken nämlich, in allen Bewegungen
des Kosmos erblicken wir seine stets gegenwärtige Macht... (5) Wundere
dich nicht, wenn du Gott nicht siehst: durch das Wehen der Winde wird alles
bewegt, erschüttert, umhergewirbelt und doch kommt kein Windhauch
dir je vor die Augen. Und die Sonne, die doch der Urgrund alles Sehens
ist -- sie gerade können wir nicht anschauen. Durch ihre Strahlen
wird unsere Sehschärfe geschwächt, der Blick des Betrachters
vergeht vor ihr, schaut man zu lange hin, erlischt die Sehkraft völlig.
(6) Und den Schöpfer dieser Sonne
selbst, die Urquelle des Lichtes, ihn sollte dein Blick ertragen können,
während du dich vor seinen Blitzen abwendest, vor seinen Wetterstrahlen
verbirgst? Gott willst du mit leiblichen Augen sehen, während du doch
deine eigene Seele, welche dir Leben und Sprache verleiht, weder sehen
noch greifen kannst?
(7) `Aber Gott kennt doch die Handlungen
des Menschen nicht! Er, der im Himmel wohnt, kann sich weder um alle kümmern
noch die einzelnen kennen!'
Du irrst, o Mensch, du täuschst
dich: wie kann Gott Weit entfernt sein, da doch alles, Himmel und Erde
und was außerhalb der Sphäre unseres Erdkreises liegt, Gott
bewußt, ja von ihm erfüllt ist? Er ist uns nicht nur überall
ganz nah, er ist sogar in uns. (8) Betrachte noch einmal die Sonne: sie
steht fest am Himmel, und doch ist ihr Licht über alle Lande ausgegossen,
in gleicher Fülle ist sie überall da, überall dringt sie
ein, nirgends wird ihr Glanz getrübt. (9) Wieviel mehr aber muß
dann Gott, der alles erschafft und alles schaut, vor dem nichts verborgen
bleiben kann, auch in der Finsternis gegenwärtig sein, gegenwärtig
auch in unseren Gedanken, gleichsam einer Finsternis anderer Art. Wir handeln
ja nicht nur unter seinem Blick, nein, fast möchte ich sagen, wir
leben sogar mit ihm!
33 (1) Wir wollen uns auch keine
falschen Vorstellungen über die Größe unserer Schar machen.
Mag uns selbst unsere Zahl auch groß erscheinen, in den Augen Gottes
sind wir nur ganz wenige. Wir kennen den Unterschied von Stämmen und
Völkern: für Gott aber ist diese ganze Welt eine einzige Familie.
Nur durch die Dienste ihrer Helfer vermögen die Könige ihr gesamtes
Reich zu überblicken. Gott braucht keine Berichte: leben wir doch
nicht nur vor seinen Augen, sondern in seinem Schoß....
(6) Ebenso wurden auch die Umstände
der Auferstehung von den größten Philosophen -- von Pythagoras
als dem ersten, Platons als dem Bedeutendsten unter ihnen -- nur entstellt
und halb richtig überliefert. Denn sie nehmen an, daß nach den
Auflösung der Körper allein die Seelen ewig fortdauern und immer
wieder in andere, neue Körper eingehen. (7) Um die Wahrheit dann vollends
zu verdrehen, fügen sie noch hinzu, daß die Seelen den Menschen
in die Leiber des Viehs, den Vögel und wilden Tiere zurückkehren,
eine Ansicht, die wahrhaftig nicht mehr dem ernsten Bemühen eines
Philosophen entspricht, sondern den Spottreden eines Komikers. (8) Jedoch
genügt es für unseren gegenwärtigen Zweck, daß auch
in diesem Punkte eure Weisen in gewissem Maße unsere Ansicht teilen.
(9) Und im übrigen: wer wäre
so dumm, so töricht, daß er es zu bestreiten wagte, daß
Gott den Menschen, wie er ihn ein erstes Mal gebildet hat, auch von neuem
formen kann? Daß der Mensch nach dem Tode nichts ist, wie er schon
vor seiner Geburt nichts war, und daß er so, wie er aus nichts entstehen
konnte, auch aus nichts wieder neu geschaffen werden kann? Ist es doch
weit schwieriger, etwas, das nicht existiert, ins Dasein zu rufen, als
etwas, das schon einmal existiert hat, erneut zu bilden. (10) Kannst du
denn glauben, daß das, was unseren kurzsichtigen Augen entzogen wird,
auch für Gott zugrunde geht? Jeder Körper, mag er nun zu Staub
zerfallen oder in Feuchtigkeit sich auflösen, mag er zu Asche zerstäuben
oder sich in Dunst verflüchtigen, wird doch eben nur uns entzogen;
für Gott aber, der die Elemente erhält, existiert er fort. Und
so fürchten wir auch nicht, wie ihr meint, durch die Art der Bestattung
irgendeinen Schaden zu nehmen. Doch folgen wir dem alten und edleren Brauche
des Bestattens in der Erde.
(11) Sieh doch nur, wie, uns zum Trost,
die gesamte Natur auf die künftige Auferstehung hinweist! Die Sonne
sinkt unter und geht von neuem wieder auf, die Sterne verschwinden und
kehren wieder, die Blumen vergehen und erwachen neu zum Leben, das Gebüsch
verliert seine Blätter und treibt junges Laub hervor, und nur wenn
der Same stirbt, keimt frisches Grün. So gilt für den Leib in
der Zeitlichkeit das gleiche wie für den Baum im Winter: scheinbar
abgestorben, halten sie ihre Lebenskraft nur verborgen. (12) Was drängst
du, daß sie schon im strengen Winter wiederaufleben und zurückkehren
soll? Den Frühling auch für den Körper gilt es zu erwarten.
(vgl.
M. Minucius Felix, Octavius, hg. von Bernhard Kytzler, Stuttgart 1977 =
reclam 9860)