Vinzenz Pfnür

»Auf dem Wege zur Kirchengemeinschaft«

Grundlagen und Perspektiven
des katholisch-lutherischen Dialoges.
Referat, Rom 2000
Una rinnovata comunione delle chiese,
in: Il Concilio Vaticano II. Recezione e attualità alla luce del Giubileo, a cura di Rino Fisichella, Milano 2000, 403-415

I. Grundlagen
1. These Ziel nicht Auflösung der Bekenntnisses
2. These Das katholische und das lutherische Bekenntnis schließen sich nicht gegenseitig aus.
    Beispiele:
        Wirkung der Sakramente ex opere operato
        Willensfreiheit
        Bedeutung der 10-Gebote
3. These Ziel: gereinigte, offene und positiv bestimmte konfessionelle Identität

II. Perspektiven und Aufgaben
4. These Reinigung des Gedächtnisses (Frage des Lutherbannes)
5. These Zulassung von Mitgliedern lutherischer Kirchen zur Mitfeier der Eucharistie
6. These Weg zur vollen Kirchengemeinschaft (vgl.Dokument »Einheit vor uns« )
 

I. Grundlagen

1. These: 

'Der Katholik setzt nicht 
    auf die Auflösung der Bekenntnisse und auf die Zersetzung des Kirchlichen im evangelischen Raum,
    sondern hofft ganz umgekehrt auf die Stärkung des Bekenntnisses und der ekklesialen Wirklichkeit.'
        (Joseph Cardinal Ratzinger) (1)

In dem wegweisenden und immer noch aktuellen Vortrag von Joseph Cardinal Ratzinger aus dem Jahre 1977 »Prognosen für die Zukunft des Ökumenismus« ist eine grundlegende Weichenstellung des katholisch-lutherischen Dialoges formuliert: »Die Suche nach Kircheneinheit muß von der Logik der Sache her an die gemeinschaftlich-kirchliche Gestalt anknüpfen, so sehr sie gerade das achten und schätzen wird, was an Quellen einer ganz persönlichen Frömmigkeit, an seelischer Kraft und Tiefe für den Einzelnen vorgegeben ist. Aber wenn nicht von einer Vereinigung zwischen Einzelnen und mit Einzelnen die Rede ist, sondern Kirchengemeinschaft gesucht wird, dann sind Bekenntnis und Glaube der Kirche angefordert, in der der Einzelne mitlebt und zu seiner persönlichen Begegnung mit Gott geöffnet wird. Das heißt: der Bezugspunkt solchen Mühens müssen die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche sein und Privattheologien unmittelbar nur in dem Maß, in dem sie auf solch Gemeinschaftliches hinführen.« Als Konsequenz ergibt sich daraus für die katholische Seite: »Es bedeutet, daß der Katholik nicht auf die Auflösung der Bekenntnisse und auf die Zersetzung des Kirchlichen im evangelischen Raum setzt, sondern ganz umgekehrt auf die Stärkung des Bekenntnisses und der ekklesialen Wirklichkeit hofft.« (2)

Damit ist eine entscheidende und vorher auf katholischer Seite noch nie so klar ausgesprochene Bejahung der Herausbildung lutherischen Kirchenwesens artikuliert. Damit verbunden ist eine Umwertung der Reformationsgeschichte und eine Korrektur der zuvor vorherrschenden Sicht auf katholischer Seite: Zu Beginn dieses Jahrhunderts sah Heinrich Denifle in Luther »einen Agitator, einen Umsturzmann, dem kein Trugschluß zu kühn, keine List zu arg, keine Lüge zu stark, keine Verleumdung zu groß war, um seinen Abfall von der Kirche und von seinen eigenen früheren Grundsätzen zu rechtfertigen.« (3) Im Unterschied dazu würdigte Joseph Lortz Luther als abgründig tiefe religiöse Persönlichkeit. Diese positivere Wertung der Reformation ist jedoch erkauft mit einer negativen Sicht von Erasmus, Melanchthon und der Confessio Augustana und damit auch des evangelischen Kirchenwesens: »Eine Wiedervereinigung der beiden Konfessionsgruppen - katholisch, evangelisch - wurde um so unmöglicher, je mehr die neue Religion ihrer tieferen Werte beraubt, das Dogmatische bagatellisiert und damit das Christliche relativiert, die Offenbarung zerstört wurde. Der Einbruch dieses Bagatellisierens und Relativierens in das lutherische Christentum ist aber mit gekennzeichnet durch die 'Confessio Augustana' Melanchthons, des Humanisten.« (4) In ihr sieht Lortz den Beleg für das Prinzip des Protestantismus, den Subjektivismus. (5)

Seine Sicht kann Lortz allerdings nur dadurch aufrecht erhalten, daß er Luthers Abgrenzung gegenüber Zwingli und den Täufern als »eine fatale Inkonsequenz Luthers« hinstellt (6) und Luthers testamentarische Aussagen in dessen Bekenntnis vom Abendmahl beiseite schiebt. 

Im Unterschied zu dieser Sicht nimmt die katholische Seite im katholisch-lutherischen Dialog die Selbstaussagen Luthers und der lutherischen Kirche ernst und geht von den Bekenntnisgrundlagen aus, die die lutherischen Kirchen selbst in ihren Verfassungen anführen. Damit verbunden ist die Anerkennung einer geistlichen Realität lutherischen Kirchenwesens, das weder auf die besondere Persönlichkeitsstruktur eines einzelnen reduziert noch als bloßes Produkt von Fürstenreformation betrachtet werden kann. Die großen Annäherungen im katholisch-lutherischen Dialog, vor allem in der zweiten und dritten Gesprächsphase von 1973-1984 / 1985-1994 mit den Erklärungen »Das Herrenmahl« (1978); »Wege zur Gemeinschaft« (1980); »Alle unter einem Christus. Stellungnahme zum Augsburgischen Bekenntnis« (1980); »Das geistliche Amt in der Kirche« (1981); »Martin Luther - Zeuge Jesu Christi« (1983); »Einheit vor uns« (1984) beruhen auf dieser Voraussetzung. (7) Es geht hier nicht um Vereinnahmung der lutherischen Seite, sondern gerade um das Ernstnehmen der Artikulation lutherischer Kirche.

2. These: 

'Das katholische und das lutherische Bekenntnis schließen sich nicht gegenseitig aus. ':
Weder die reformatorischen Bekenntnisschriften, noch auch die Dekrete und Canones des Trienter Konzils dürfen primär als Texte gelesen werden, die sich gegen die genuine und kirchlich verantwortete Lehre der anderen Seite richten.' Ausgehend von der Voraussetzung, daß das Konzil von Trient den Protestantismus verurteilt, wurde oft gefolgert, daß das, was das Konzil verwirft, auch Lehre der lutherischen Kirchen sei. Die Untersuchungen des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen Lehrverurteilungen - kirchentrennend? haben diese Annahme in zweifacher Weise korrigiert: 1. Die Konzilsväter lehnten es ausdrücklich ab, Personen zu verurteilen. Sie sahen ihre Aufgabe nur darin, die ihnen in den Irrtumslisten vorgelegten Sätze zu beurteilen und formulierten die Sätze manchmal um, um sie eindeutig als falsch qualifizieren zu können. (9) 2. Den Konzilsvätern lagen nur einzelne aus dem Kontext isolierte Sätze vor. Die Stellenangaben in den Irrtumslisten sind keine Belege für eine gute Lutherkenntnis: So begegnet die Stellenangabe In sermone adversus Carolstadium, in der nur noch das Wörtchen adversus richtig ist - In sermone bezog sich in der ursprünglichen Vorlage auf einen Satz davor, Carolstadius ist eine Verlesung von Catharinus - bei Andreas de Vega, Alphonsus de Castro, Ambrosius Catharinus, Domingo de Soto und Johannes Antonius Delphinus. (10) Im Kontext isolierter Sätze bedeutet sola fide für die Konzilsväter: die Sakramente bewirken nichts, die guten Werke bedeuten nichts und die schwerste Sünde schadet nicht. In diesem Sinn, nicht im genuinen Verständnis, wie es in den lutherischen Bekenntnisschriften begegnet, ist das sola fide vom Konzil von Trient verurteilt. Die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur Studie Lehrverurteilungen - kirchentrennend? verweist auf das breite Spektrum dessen, was die damnationes anzielen: »Positionen von Randgruppen, zeitweilig vertretene Extrempositionen, überspitzte mißverständliche Äußerungen, theologische Schulmeinungen, von der eigenen Fragestellung her gelesene Aussagen einer anderen theologischen Sprachgestalt, Verzerrungen und unterstellte Implikationen, die in dieser Weise nicht von der betreffenden Kirche vertreten worden sind.« (11)

Beispiele:

Wirkung der Sakramente ex opere operato

Konzil von Trient, Can. 8 De sacramentis in genere:
    Si quis dixerit, per ipsa novae Legis sacramenta ex opere operato non conferri gratiam,
    sed solam fidem divinae promissionis ad gratiam consequendam sufficere: an. s. (DS 1608)

Confessio Augustana, Art. 13 (Ed. princeps, 1531):
    Damnant igitur illos, qui docent, quod sacramenta ex opere operato iustificent,
    nec docent fidem requiri in usu sacramentorum, quae credat remitti peccata . (BSLK 68)

Auf den ersten Blick scheinen sich beide Verwerfungen gegenseitig auszuschließen. Das Reizwort ex opere operato ist für die katholische Seite positiv besetzt, für die lutherische negativ, steht aber jeweils in einem unterschiedlichen Kontext. Die katholische Seite betont damit die Wirksamkeit der Sakramente unabhängig vomSakramentenspender, die evangelische Seite verwirft damit eine Rechtfertigung ohne gute Regung im Empfänger. Wenn jede Seite von ihrer Fragestellung her die andere liest, kommt es zu den typischen Fehlurteilen: die Katholiken schließen aus der negativen Bewertung des ex opere operato durch die Lutheraner, daß bei diesen die Sakramente nichts bewirken, sondern daß alles nur der Glaube mache. Die Lutheraner schließen aus der positiven Bewertung des ex opere operato durch die Katholiken, daß bei diesen die Sakramente magisch wirken. Die Gemeinsamkeit in der Sache selbst wird so nicht mehr zur Kenntnis genommen, obwohl sie im Bekenntnis eindeutig gegeben ist. So bekennt auch die Confessio Augustana: »So sind die Sakramente gleichwohl kräftig, obschon die Priester, dadurch sie gereicht werden, nicht fromm sind. / Et sacramenta et verbum propter ordinationem et mandatum Christi sunt efficacia, etiamsi per malos exhibeantur«.(12) In der Apologie der Confessio Augustana heißt es: »Es nimmt den Sakramenten nicht ihre Wirksamkeit, daß sie durch Unwürdige gehandelt werden, denn diese repräsentieren die Person Christi wegen ihrer Berufung durch die Kirche. Sie repräsentieren nicht ihre eigenen Personen, wie Christus bezeugt: Wer euch hört, hört mich. Wenn sie das Wort Christi, wenn sie die Sakramente darreichen, reichen sie sie in Stellvertretung Christi dar.«(13) Luther erläutert im Bild: »Ein König gibt dir ein Schloß. Nimmst du es nicht an, so hat der König deswegen nicht gelogen oder geirrt, sondern du hast dich betrogen, und es ist deine Schuld. Der König hat es gewiß gegeben.«(14) Umgekehrt ist auch für die katholische Seite der Glaube notwendig zum heilsamen Empfang. Zu recht hält so die internationale Gemeinsame römisch-katholische / evangelisch-lutherische Kommission fest: So »treffen die reformatorische Verurteilung "derer, die lehren, daß die Sakramente ex opere operato rechtfertigen" "ohne gute Regung im Empfänger", nicht die katholische Lehre, und umgekehrt die katholische Verwerfung derer, die sagen, "daß durch die Sakramente des Neuen Bundes ex opere operato keine Gnade mitgeteilt werde, sondern der Glaube allein zur Erlangung der Gnade der göttlichen Verheißung genüge", nicht das lutherische Bekenntnis.«(15)

Willensfreiheit / Ursache der Sünde

Can. 5 und 6 des Dekrets des Konzils von Trient über die Rechtfertigung (DS 1555f) zielen auf überspitzte Äußerungen Luthers und Melanchthons aus dem Jahr 1520/1521, die in den Artikeln 18 und 19 der Confessio Augustana korrigiert sind, und treffen so nicht das lutherische Bekenntnis.(16)

Bedeutung der 10-Gebote

Can. 19 (DS 1569) desselben Dekrets, verwirft den,
    der sagt, »die Zehn Gebote gehen die Christen nichts an«. 

Im Hintergrund steht eine Äußerung Luthers gegen die Schwärmer(17) : Gegen eine direkte und buchstäbliche Übernahme des Dekalogs (etwa mit der Konsequenz des Bilderverbotes und der Einhaltung des Sabbat-Gebotes) sagt Luther zunächst, daß die Zehn Gebote unmittelbar an die Juden gerichtet sind. Im folgenden aber präzisiert Luther: Dennoch gelten sie auch für die Christen, sofern sie mit dem natürlichen Sittengesetz und mit dem NT übereinstimmen. Im Kontext gelesen hat der Satz einen guten Sinn. Aus dem Kontext genommen klingt er sehr anstößig. In diesem anstößigen Sinn ist er zurecht verurteilt, aber er trifft weder Luther noch das lutherische Bekenntnis. (18)

Die Lehrverurteilungen sind so in der Sache nicht aufgehoben, sie sind auch weiter heilsame Warnungen, aber sie warnen nicht vor dem Bekenntnis der anderen Kirche, sondern davor, den durch die beiderseitigen Warnschilder markierten gemeinsamen Bereich des Christlichen nicht zu verlassen.

Das lutherische und das katholische Bekenntnis schließen sich so nicht gegenseitig aus, sondern, sind füreinander offen. Im katholisch-lutherischen Dialog wurde diese Beziehung durch die StichworteAnerkennung als Bejahung legitimer Besonderheit und Rezeption als Annahme der anderen Kirche zur Korrektur oder Ergänzung der eigenen Position. (19)

Dies ist in zweifacher Hinsicht von großer Bedeutung: 1. Der im lutherisch-katholischen Dialog erreichte Konsens basiert so nicht auf neu fabrizierten, komplizierten und mühsam zurecht gebastelten Formeln, sondern auf der Vereinbarkeit des Bekenntnisses. 2. Die kirchlich anerkannte Gemeinsamkeit bedeutet keinen Identitätsbruch, vielmehr tritt auf beiden Seiten die in Gottesdienst und Leben gewahrte Kontinuität des Glaubens in den Vordergrund, die im Wandel der theologischen Schulrichtungen nicht immer zu erkennen ist.

3. These:

Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts hat eine positive und eine negative Seite.
Positiv ist sie zu werten, insofern in der Bekenntnisbildung die auseinanderstömenden Schulrichtungen wieder auf die gemeinsame Mitte des Glaubens zurückgebunden werden. Dies gilt sowohl für das Konzil von Trient im Blick auf die Schulrichtungen des Spätmittelalters wie auch für die Konkordienformel im Blick auf die innerlutherischen Schulstreitigkeiten. Die Hl. Schrift als alleinige Regel und Richtschnur sowie die Symbola der frühen Kirche und die Zeugnisse der Kirchenväter markieren dabei die gemeinsame Ausrichtung. (21)
Negativ ist zu vermerken das schwindende Verständnis für die andere Konfession und die Versuchung, konfessionelle Identität rein negativ aus der Abgrenzung gegen einen gemeinsamen Feind zu gewinnen - eine Versuchung, die umso größer ist, je geringer die innerkonfessionelle positive Gemeinsamkeit ist. (22)
Hinzu kommt die Herausbidung einer konfessionspezifischen Terminologie und Sprache. (23) Ziel des katholisch-lutherischen Dialoges ist nicht, die andere Seite auf den eigenen Sprachgebrauch festzulegen, sondern auf der Basis der Legitimität der anderen Terminologie von einer Sprache in die andere zu übersetzen. (24)
 


II. Perspektiven und Aufgaben

Mit der Unterzeichnung der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« haben die katholische und die lutherische Kirche einen wichtigen gemeinsamen Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung voller Kirchengemeinschaft gemacht. Auf der Basis dieser Gemeinsamkeit ergeben sich m.E. zunächst im engeren Umfeld des erreichten Konsenses zwei konkrete Aufgaben: die Reinigung des Gedächtnisses und die Überprüfung der Möglichkeit der Zulassung zur Mitfeier der Eucharistie in der katholischen Kirche. Daneben bleibt die Aufgabe der Konkretisierung des weiteren Weges zur Kirchengemeinschaft.

4. These:

Die Aufgabe der Reinigung und Erneuerung des Gedächtnisses, wie sie etwa Cardinal Ratzinger im Blick auf die Aufhebung des Anathems von 1054 klar formulierte (25) , stellt sich auch als unumgängliche Aufgabe im Verhältnis von katholischer und lutherischer Kirche. 

Insbesondere das Gedächtnis Luthers bedarf einer solchen Reinigung, daß es nicht mehr Quelle der Vergiftung der katholisch-lutherischen Beziehungen werden kann. 

Von katholischer Seite ist an erster Stelle die Frage des Lutherbannes zu klären. Dabei ist zu berücksichtigen, daß entsprechend dem Text der Bulle Exsurge Domine vom 15. Juni 1520 und der BulleDecet Romanum Pontificem vom 3. Januar 1521, in der die Bulle Exsurge Domine rekapituliert wird, unter Strafe der Exkommunikation die Lektüre aller Schriften Luthers verboten wird, auch derer, »die die vorgenannten Irrtümer nicht enthalten«, »damit sein Gedächtnis ganz aus der Gemeinschaft der Gläubigen Christi getilgt wird«. (26) Desgleichen verfällt der Exkommunikation, wer nach Verstreichung des Termins weiterhin mit Luther und seinen Anhängern (27) Gemeinschaft unterhält. (28) Nun war es schon in der Reformationszeit so, daß diese Bestimmungen der Bannbullen vielfach, insbesondere bei den Religionsgesprächen, nicht rezipiert wurden. Auch war die Kirchenstrafe der Exkommunikation in der Reformationszeit wegen ihrer häufigen und ungeistlichen Anwendung »mehr verachtet als gefürchtet« (29) Die Exkommunikation Luthers sticht zwar im Blick auf die Öffentlichkeitswirksamkeit hervor, doch ist Luther kein Einzelfall. U.a. wurden auch die Gründer des Kapuziner-Ordens Mateo de Bascio und Ludovico de Fossombrone exkommuniziert und auch der päpstliche Legat Aleander war zeitweilig wegen Finanzsachen im Bann. (30) . Anderseits wird etwa in einem Schreiben von Papst Clemens VII vom 15.1.1530 selbstverständlich voraussetzt, daß diejenigen, die die Schriften Luthers lesen, der Exkommunikation verfallen sind (31) . Vor allem aber werden in der sogenannten Gründonnerstagsbulle (Bulla in coena Domini), angefangen vom Jahre 1521 bis zur Einstellung der Verlesung im Jahre 1770 »Luther und seine Anhänger« bzw. die »Lutheraner« explizit exkommuniziert wurden (32) .

Das Gift dieses Befundes liegt in dem Graubereich zwischen Geltung und Nichtgeltung der Bannbullen. Insbesondere gibt es m.W. keine explizite kirchenamtliche Klärung, die es verwehrt, sich auf die Bannbullen zu berufen, um damit das Gedächtnis Luthers und Gemeinschaft mit Anhängern Luthers als unkatholisch und kirchlich unerlaubt zu qualifizieren.

Die 1963 von Dr. Wilhelm Michaelis angestoßene und bis in die Mitte der siebziger Jahre geführte Diskussion um die Aufhebung des Lutherbannes verlief ohne Ergebnis. Dies lag m.E. zum einen daran, daß Michaelis, veranlaßt durch ein Gutachten von katholischer Seite, sich in seiner Argumentation auf die Frage der rein formalen rechtlichen Geltung der Bulle Decet Romanum Pontificem beschränkte und die dogmatische Seite und eine inhaltliche Stellungnahme zu den in der Bulle Exsurge Domine aufgeführten 41 Sätzen Luthers ausklammerte. Zum andern sah man im katholisch-lutherischen Dialog Mitte der siebziger Jahre die Frage einer gemeinsamen Standortfindung, wie sie mit der Diskussion um die Anerkennung der Confessio Augustana verknüpft war, als vordringlicher an. 

Nach den Ergebnissen des katholisch-lutherischen Dialoges und nach Unterzeichnung der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« ist eine neue Ausgangssituation gegeben:

Von dem dort gewonnenen gemeinsamen Standort her können die 41 verurteilten - z.T. situationsgebundenen, mißverständlichen und und ungeschützten - Sätze Luthers soweit in einem gemeinsamen Verständnis gewertet werden, daß sie einer notwendigen Gemeinsamkeit im Bekenntnis nicht entgegen stehen. (33)

Mit der Unterzeichnung der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« hat die katholische Kirche im Rahmen eines Gottesdienstes Gemeinsamkeit mit einer Kirche bekundet, die sich in ihrer Bezeichnung bewußt auf Luther beruft. Damit hat die katholische Kirche indirekt zum Ausdruck gebracht, daß der Satz von der Auslöschung des Gedächtnisses Luthers für sie der Vergangenheit anheimgegeben ist. Auch die Aufnahme von Kirchenliedern Luthers im katholischen Gottesdienst ist ein Ausdruck dieser Überzeugung. 

Was die lutherische Seite betrifft, so sind es vor allem die unterschiedlichen Luther-Bilder, die die katholisch-lutherischen Beziehungen vergiften können. Grundlage eines gemeinsamen Gedächtnisses Luthers sollte in erster Linie die Luther-Rezeption der lutherischen Kirchen sein, wie sie auch der Selbstbezeichnung lutherischer Kirchen zugrunde liegt. Im Blick auf die Wirkungsgeschichte sind hier vor allem Luthers Bibelübersetzung, seine Katechismen, seine Gebete und Kirchenlieder, die Schmalkaldischen Artikel (als Bekenntnisschrift) und sein testamentarisches Bekenntnis vom Abendmahl (als meist zitierte Lutherschrift in der Konkordienformel) hervorzuheben. Wenn »der Katholik nicht auf die Auflösung der Bekenntnisse und auf die Zersetzung des Kirchlichen im evangelischen Raum setzt, sondern ganz umgekehrt auf die Stärkung des Bekenntnisses und der ekklesialen Wirklichkeit hofft« (34) , so begrüßt er damit auch das Gedächtnis Luthers, wie es Teil des Selbstverständnisses lutherischer Kirchen ist. Hinzuweisen wäre von lutherischer Seite, daß Luthers polemische Aussagen in den Schmalkaldischen Artikeln gegen den Papst als Antichrist (35) und die Messe als »größtem und schrecklichstem Greuel« (36) mit der Konsequenz ewiger Trennung (37) im katholisch-lutherischen Dialog einer Klärung zugeführt wurden. Hilfreich wäre auch die Feststellung, daß Luther nicht, wie gelegentlich immer noch behauptet wird, die erste deutsche Bibelübersetzung veröffentlicht hat (sondern schon vorher 18 deutsche Vollbibeln im Druck erschienen) und daß Luthers eigene Aussagen eine theatralische Szene des Thesenanschlages am 31. Oktober 1517 ausschließen. (38)

Um dem kommunikationsstörenden Gift, das einem zwielichtigen Gedächtnis Luthers entströmt, entgegenzuwirken wäre m.E. eine symbolische Handlung angebracht, in der die katholische Kirche Luther in ihr Gedächtnis zurückholt und beide Seiten die Grundstrukturen eines gemeinsamen Gedächtnisses Luthers aufzeigen.

5. These: 

»Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib, den wir alle haben teil an dem einen Brot.« (1 Kor 10,17). Die Glaubwürdigkeit der Feier der Eucharistie kann in zwei Richtungen gefährdet werden: zum einen, wenn die communio durch eine beliebige und voraussetzungslose Zulassung zur nichtssagenden Allerweltsgemeinschaft wird, in der der Leib der Herrn nicht mehr unterschieden wird und auch noch so sehr christliche Gemeinschaft zerstörendes Verhalten irrelevant ist oder indirekt gebilligt wird; zum andern wenn die eine communio zum exklusiven Gruppenmahl und das eine Brot zum Gruppen-Sonderbrot wird. (39)

Die Zulassung von Mitgliedern lutherischen Kirchen zur Mitfeier der Eucharistie in der katholischen Kirche ist von daher zu beurteilen. Da es nur den einen Christus, nur den einen Leib Christi und nur die eineEucharistie gibt, und nicht eucharistische Sonderbrote, verbietet sich eine Lösung des Problems der Kommuniongemeinschaft, die auf den ersten Blick die wenigsten Irritationen hervorzurufen scheint, nämlich daß jede Konfessionsgemeinschaft in ihrem Konfessionsgehäuse bleibt und dort ihr eigenes Konfessionsmahl feiert. Lutherische Christen, die mit ihrer Taufe Glieder des einen Leibes Christi sind und die nicht exkommuniziert sind, können so von der Gemeinschaft des einen Brotes auch nicht mit demArgument ausgeschlossen werden, daß sie zu ihrer eigenen evangelischen Eucharistie gehen sollen. Anderseits ist ein bloßes gemeinsames Tun ohne Gemeinsamkeit im Verständnis dessen, was geschieht, auch keine glaubwürdige Feier. So kann es m.E. nur in der Richtung eine Lösung geben, daß die Bedingung für die Teilnahme an der Feier der Eucharistie in der katholischen Kirche präzisiert wird, nämlich die Bereitschaft, das mitzuvollziehen, was in der katholischen Eucharistiefeier geschieht. Dies beinhaltet m.E. 1. die durch die eine Taufe gegebene Gemeinsamkeit der Gliedschaft in dem einen Leib Christi; 2. die Gemeinsamkeit im grundlegenden Verständnis von Erlösung, die mit der Bejahung der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« ihren Ausdruck findet; 3. das gemeinsame Verständnis der Eucharistie und der sakramentalen Gegenwart Christi in der Eucharistie, wie sie etwa im katholisch-lutherischen Dialog in der gemeinsamen Erklärung »Das Herrenmahl« formuliert wurde; und 4. die grundsätzliche Bejahung der universalen ekklesiologischen Dimension der Eucharistiefeier, wie sie mit der Nennung von Ortsbischof und Papst zum Ausdruck kommt. Die ersten beiden Kriterien können bei Mitgliedern lutherischer Kirchen, die der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« ihre Zustimmung gegeben haben, vorausgesetzt werden. Die beiden weiteren sind individuell abzuklären. Sind also die genannten Voraussetzungen gegeben (40) und bedenkt man noch die vielen Zeichen partieller Anerkennung zwischen den Amtsträgern der katholischen und der lutherischen Kirche, dann ist es m.E. für eine glaubwürdige Feier der Eucharistie als dem einen Brot des einen Herrn abträglicher, solche Getaufte am gemeinsamen Tisch des einen Herrn auszuschließen als sie im Bewußtsein der damit akzeptierten Gemeinschaft teilhaben zu lassen.

6. These 

In der Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur Studie Lehrverurteilungen - kirchentrennend? heißt es: »Wir bitten die evangelische Seite, mit uns weitere konkrete Schritte zu diesem Ziel [nämlich der Wiederherstellung der Gemeinschaft in der Ausübung des kirchlichen Amtes], wie sie etwa in der Erklärung „Einheit vor uns" von der internationalen „Gemeinsamen römisch-katholischen/evangelisch-lutherischen Kommission" aufgezeigt wurden, zu prüfen.«

Das Dokument Einheit vor uns ist bisher wenig rezipiert und des öfteren in dem Sinn mißgedeutet worden, als ob damit eine Einverleibung oder Angliederung der lutherischen Kirche intendiert sei. Der Grundgedanke ist vielmehr: Wenn es im katholisch-lutherischen Dialog zu einer wachsenden gegenseitigen Anerkenntnis von Kirchesein gekommen ist, dann kann man nicht mehr gegeneinander oder nebeneinander Kirche sein, ohne sich nicht zur Sonderkirche zu machen. Auf dem Weg zur katholisch-lutherischen Kirchengemeinschaft kommt dabei dem initialen Akt, in dem die verbindliche Übernahme des im theologischen Dialog erreichten Konsenses erklärt wird, besondere Bedeutung zu, insofern beide Seiten damit in einen ganzheitlichen Prozeß eintreten, der bereits mit dem Beginn Kirchengemeinschaft eröffnet und die Frage der Anerkennung der Ämter durch ihre gemeinsame Ausübung löst, wobei die gemeinsame Rückbesinnung auf die Alte Kirche für beide Seiten orientierender Bezugspunkt ist.
 

Vinzenz Pfnür, Kath.-Theol. Fak. der Univ. Münster
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Fußnoten

1. S.u. Anm.2

2. Wieder abgedruckt in: Joseph Kardinal Ratzinger, Vom Wiederauffinden der Mitte, Freiburg 1997, 191-193.

3. Denifle, Heinrich: Luther und Luthertum in der ersten Entwicklung, Bd I, Mainz 1904², 298.

4. Lortz, Joseph: Die Reformation in Deutschland, Freiburg 1948 3, II 53.

5. »Die 'Confessio Augustana' ist vielleicht das Schriftstück, das von den unzähligen privaten und offiziellen Darstellungen am deutlichsten macht, worum es in der religiösen Neuerung ging. Das scheint nach dem Gesagten eine erstaunliche Behauptung gegenüber einer Schrift, die in Leisetreterei, in Verschweigen und Verkleisterung sich so viel Mühe gab, die Ecken und Härten des Luthertums zu verbergen, und klar die Absicht verfolgt, zu beweisen, daß man noch innerhalb der alten christlichen Gemeinschaft stehe! Aber eben hier liegt die Offenbarung... Das Wesen des Neuen lag in einer neuen Art des Glaubens«, d.h. in einer »wesentlich undogmatischen Glaubenshaltung« Ebd. II 56f.

6. Ebd. II 57; vgl. ebd. I 402.

7. Vgl. Das Herrenmahl, Nr.3: Verweis auf »die kirchlichen Traditionen«, insbesondere »die liturgische Konkretgestalt«; Wege zur Gemeinschaft, Nr.7-9: 7. Der Dialog der letzten Zeit, die durch ihn erreichten theologischen Verständigungen und der Grad gelebter Gemeinschaft führen uns nach Augsburg und zum Augsburgischen Bekenntnis zurück. Denn dieses Bekenntnis, das Basis und Bezugspunkt der anderen lutherischen Bekenntnisschriften ist, spiegelt wie kein anderes in Inhalt und Struktur den ökumenischen Willen und die katholische Intention der Reformation. 8. Es ist dabei von großem Gewicht, daß dieses ökumenische Wille und diese katholische Intention in einem Bekenntnisdokument zum Ausdruck kommen, das auch heute noch - unter und zusammen mit der Heiligen Schrift - Lehrgrundlage der lutherischen Kirchen ist und für sie Verbindlichkeit besitzt. Diese Tatsache hat gerade für die gegenwärtige Phase der Verständigung und Annäherung zwischen unseren Kirchen besondere Bedeutung. Denn der nachkonziliare Dialog, wie er z.B. in unserer gemeinsamen Römisch-katholischen / Evangelisch-lutherischen Kommission seit 1067 geführt wird, hat nicht mehr den Charakter privater und unverbindlicher Begegnungen. Er vollzieht sich vielmehr im offiziellen Auftrag unserer Kirchen. In dem maße, wie es diesem offiziellen Dialog gelungen ist, in grundlegenden Fragen Annäherungen und Übereinstimmungen zu erzielen, drängt er zu verbindlicher Annahme seiner Ergebnisse in unseren Kirchen und stellt vor die Frage nach Verwirklichung kirchlicher Gemeinschaft. 9. Dieser Dynamik eines kirchlich verantworteten und auf Verwirklichung kirchlicher Gemeinschaft drängenden Dialogs entspricht es zutiefst, daß das für Leben, Lehre und Gemeinschaft der Kirche verbindliche Bekenntnis in besonderem Maße Gegenstand gemeinsamer Aufmerksamkeit und Beschäftigung wird«; Kirche und Rechtfertigung, Vorwort: »Auf der Grundlage der Bekenntnisschriften ...«.

8. Ökumenischer Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen: Lehrverurteilungen - kirchentrennend? I Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, hg. v. Karl Lehmann und Wolfhart Pannenberg, Freiburg / Göttingen 1986. (Dialog der Kirchen, Bd 4), 26,4-7.

9. Pfnür, Vinzenz: Verwirft das Konzil von Trient in der Lehre von den Sakramenten die reformatorische Bekenntnisposition? Zur Frage der Kenntnis der reformatorischen Theologie auf dem Konzil von Trient. Untersuchung der Irrtumslisten über die Sakramente, in: Lehrverurteilungen - kirchentrennend? III Materialien zur Lehre von den Sakramenten und vom kirchlichen Amt, hg. v. Wolfhart Pannenberg (Dialog der Kirchen, 6), Freiburg / Göttingen 1989, 159-186, 184f.

10. Vgl. ebd. 162-165.

11. Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur Studie "Lehrverurteilungen - kirchentrennend? Die deutschen Bischöfe, Nr.52, Bonn 1994, S. 3f.

12. CA 8 (BSLK 62).

13. Ap 7,28: »Nec adimit sacramentis efficaciam, quod per indignos tractantur, quia repraesentant Christi personam propter vocationem ecclesiae, non repraesentant proprias personas, ut testatur Christus, Qui vos audit, me audit. Cum verbum Christi, cum sacramenta porrigunt, Christi vice et loco porrigunt.« (BSLK 240,40ff)

14. WA 30 II, 499,2-8.

15. Einheit vor uns, Nr. 68. Für die Einzelbelege vgl. Pfnür, Vinzenz: Die Wirksamkeit der Sakramente sola fide und ex opere operato, in: Gemeinsame römisch-katholische/evangelisch-lutherische Kommission: Das Herrenmahl, Paderborn / Frankfurt am Main 1978, 93-100; ders, Excommunicatio und amicum colloquium. Das Religionsgespräch auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 auf dem Hintergrund der Frage des Lutherbannes, in: Unterwegs zum einen Glauben. Festschrift für Lothar Ullrich zum 65. Geburtstag, hg. von Wolfgang Beimert, Konrad Feiereis und Hermann Josef Röhrig, Leipzig 1997, 448-460, hier 453-456.

16. Vgl. Pfnür, Vinzenz: Zur Verurteilung der reformatorischen Rechtfertigungslehre auf dem Konzil von Trient, in: Festschrift für Hubert Jedin, Annuarium Historiae Conciliorum 8, 1976, 407-428, hier 424-426.

17. WA 16,373,6f.16-18.

18. Vgl. Gemeinsame römisch-katholische / evangelisch-lutherische Kommission, Einheit vor uns, Nr. 68. Für die Einzelbelege siehe Pfnür, Vinzenz: Zur Verurteilung der reformatorischen Rechtfertigungslehre auf dem Konzil von Trient, in: Festschrift für Hubert Jedin, Annuarium Historiae Conciliorum 8, 1976, 407-428, hier 417.422; Lehrverurteilungen - kirchentrennend? IV, Freiburg / Göttingen 1994, 40.

19. Gemeinsame römisch-katholische / evangelisch-lutherische Kommission, Einheit vor uns, Nr.49. 

20. Vgl. Ratzinger, Joseph: Prognosen für die Zukunft des Ökumenismus, (s.o. Anm. 2)

21. Vgl. Pfnür, Vinzenz: Konkordienformel, Konkordienbuch, in: LThK³ Sp., 268-270.

22. Im Blick auf die Reaktionen auf die »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« fällt auf, daß in Ländern mit einer gewachsenen positiven lutherischen Bekenntnisidentität (z.B. USA, Schweden, Norwegen, Finnland) eine breite Zustimmung zu verzeichnen ist, in Unterschied etwa zu Deutschland, wo im Blick auf die unierten Kirchen und das Verhältnis von lutherischer und reformierter Position die bewußte Berufung auf das konfessionelle Bekenntnis eher als störend empfunden wird.

23. So schreibt die Konkordienformel auf dem Hintergrund innerlutherischer Kontroversen die terminologische Trennung zwischen Rechtfertigung auf der einen und Wiedergeburt, Erneuerung, Heiligung auf der anderen Seite fest. Dabei ist sie sich jedoch bewußt, daß in der Apologie der Confessio Augustana und in der Schrift (Verweis auf Tit 3,5) iustificatio und regeneratio gleich gesetzt werden. (Vgl. BSLK 920).

24. Sowohl bei den Religionsgesprächen der Reformationszeit (vgl. Pfnür, Vinzenz: Johannes Ecks Verständnis der Religionsgespräche, sein theologischer Beitrag in ihnen und seine Sicht der Konfessionsgegensätze, in: Johannes Eck (1483-1543) im Streit der Jahrhunderte, Münster 1988, 223-249) wie im gegenwärtigen katholisch-lutherischen Dialog wurde dieser Aspekt beachtet. Vgl. Lehrverurteilungen - kirchentrennend? S.59: »Übersetzt man von einer Sprache in die andere, dann entspricht einerseits die reformatorische Rede von der Rechtfertigung durch den Glauben der katholischen Rede von der Rechtfertigung durch die Gnade, und dann begreift anderseits die reformatorische Lehre unter dem einen Wort Glaube der Sache nach, was die katholische Lehre im Anschluß an 1 Kor 13,13 in der Dreiheit von „Glaube, Hoffnung und Liebe" zusammenfaßt.«

25. Vgl. Joseph Kardinal Ratzinger, Vom Wiederauffinden der Mitte, Freiburg 1997, 195f; S. auch UT UNUM SINT. Enzyklika von Papst Johannes Paul II. über den Einsatz für die Ökumene. 25. Mai 1995, Nr. 52.

26. Leo X., Bulle Exsurge Domine: »Inhibemus preterea sub omnibus et singulis premissis penis eo ipso incurrendis, omnibus et singulis Christi fidelibus superius nominatis, ne scripta etiam prefatos errores non continentia, ab eodem Martino quomodolibet condita vel edita aut condenda vel edenda seu eorum aliqua tanquam ab homine Orthodoxe fidei Inimico atque ideo vehementer suspecta et ut eius memoria omnino deleatur de Christi fidelium consortiolegere, asserere, predicare, laudare, imprimere, publicare, sive defendere per se vel alium seu alios, directe vel indirecte, tacite vel expresse, publice vel occulte, seu in domibus suis sive aliis locis, publicis vel privatis tenere quoquo modo presumant, quinimmo illa comburant, ut prefertur.« (Dokumente zur Causa Lutheri, hg. und kommentiert von Peter Fabisch und Erwin Iserloh, Teil II, Münster 1991, 402).

27. ... Martinum, complices, adherentes, fautores et receptatores praefatos et eorum quemlibet tamquam aridos palmites in Christo non manentes, sed doctrinam contrariam Catholice fidei inimicam sive scandalosam seu damnatam in non modicam offensam divinae maiestatis ac universalis Ecclesiae et fidei Catholice detrimentum et scandalum dogmatizantes et predicantes... (ebd. 400)

28. »Monemus insuper omnes et singulos Christi fideles supradictos sub eadem excommunicationis late sententie pena, ut hereticos predictos declaratos et condemnatos mandatis nostris non obtemperantes post lapsum termini supradicti evitent et, quantum in eis est, evitari faciant nec cum eisdem vel eorum aliquo commertium aut aliquam conversationem seu communionem habeant nec eis necessaria ministrent«. (Ebd. 402).

29. Vgl. Konzil von Trient, Decretum de reformatione, c.3 (COD 785f); Johannes Eck, Enchiridion, c. XXI (CCath 34,238).

30. Vgl. TRE XVII 619-625; Müller, Gerhard: Causa reformationis. Beiträge zur Reformationsgeschichte und zur Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1989.

31. Magnum Bullarium Romanum I, Luxemburg 1792, p. 682.

32. »Excommunicamus et anathematizamus ... et nuper ob similitudinem impietatis per nos damnatum Martinum Lutherum et eius sequaces ac illi, quominus puniri possit, quomodolibet faventes, ... ac omnes fautores, receptatores et defensores eorumdem« (Ebd. II 477). Vgl. Pfaff, Karl: Beiträge zur Geschichte der Abendmahlsbulle vom 16.-18.Jahrhundert, in: RömQu 38, 1930, 23-76.

33. Generell sind dabei folgende Aspekte zu brücksichtigen:

- der schultheologische Hintergrund, nämlich Luthers Auseinandersetzung mit dem Contritionismus von Gabriel Biel und dem Attritionismus von Duns Scotus, 

- die formalen Vorgaben für eine Disputation im theologischen Schulbetrieb, 

- die weitere Entwicklung im Verlauf der Reformation, insbesondere die Abgrenzungen Luthers gegenüber den Schwärmern, 

- die Sachposition der lutherischen Bekenntnisschriften,

- die theologische Abklärung in den Religionsgesprächen der Reformationszeit, 

- die Rezeption Luthers durch die lutherische Kirche,

Für die Bewertung der in der Bulle Exsurge Domine aufgeführten Artikel 1, 2-3, 5, 14, 35, 36 der Bulle vgl. Pfnür, Vinzenz: Excommunicatio und amicum colloquium. Das Religionsgespräch auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 auf dem Hintergrund der Frage des Lutherbannes, in: Unterwegs zum einen Glauben. Festschrift für Lothar Ullrich zum 65. Geburtstag, hg. von Wolfgang Beimert, Konrad Feiereis und Hermann Josef Röhrig, Leipzig 1997, 448-460.

Was die Autorität der Konzilien betrifft (vgl. Art. 29f = DS 1479f) so beruft sich Luther in der Leipziger Disputation für die Aussage, daß Konzilien irren können, auf Panormitanus (WA 59,479f; vgl. Nicolaus de Tudeschis, Super primo decretalium, Lyon 1516/7, fol.91). Gegenüber Eck beteuert er aber sogleich: »Ich stimme dem Herrn Doktor zu, daß die Bestimmungen der Konzilien in Glaubensfragen auf jede Weise festzuhalten sind. Allein dies behalte ich mir vor, was auch vorzubehalten ist, daß ein Konzil irgenwann geirrt hat und irren kann, zumal in den Dingen, die keine Glaubensfragen betreffen« (WA 59,500: Consentio cum domino doctore quod conciliorum statuta in his quae fidei sunt omni modo amplectenda. Hoc solum mihi reservo quod et reservandum est, concilium aliquando errasse et posse errare, praesertim in his quae non sint fidei.) Im weiteren Verlauf der Disputation sagt Luther ausdrücklich: »Ich glaube, daß ein Konzil und die Kirche niemals irren in Glaubensfragen; in den übrigen Dingen ist es nicht nötig, nicht zu irren.« (WA 59, 547). Melanchthon schreibt an Ökolampad: »Auf Luther war man deshalb nicht gut zu sprechen, weil es das Ansehen hatte als rede er gegen die Konzilien, wobei doch jener nichts mit größerem Bedacht betrieb, als daß den Konzilien ihre Autorität zukomme« (MBW T1 Nr.59, S.139) Auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 beteuern die Vertreter der lutherischen Seite: »Und wär zum höchsten wider unser Gewissen, daß wir einen Artikel des Glaubens entgegen der Hl. Schrift oder den christlichen Konzilien der Väter halten oder predigen lassen wollten« (FU II 212f.). »Und was aber etliche von Konziliis geschrieben oder gelehrt, lassen wir zu eines jeden Verantwortung stehen. Denn wir geben den christlichen Konzilien ihre gebührende Ehre, wie die alten Canones davon halten« (FU II 213-216). Ausdrücklich bekennt die CA: »Ecclesiae magno consensu apud nos docent, decretum Nicaenae synodi ... verum et sine ulla dubitatione credendum esse« (BSLK 50).

34. S.o. Anm.1.

35. SA II,4 (BSLK 430f).

36. SA II,1 (BSLK 416).

37. SA II,2: »Also sind und bleiben wir ewiglich geschieden und widereinander« / »Sic scilicet in aeternum disjungimur et contrarii invicem sumus« (BSLK 419).

38. Luther schreibt am 21.11.1518 an den Kurfürsten Friedrich den Weisen: »Dabei hat von dieser Disputation niemand daselbst von den engsten Freunden gewußt außer der ehrwürdige Herr Erzbischof von Magdeburg und der Herr Hieronymus, Bischof von Brandenburg: denn weil ihnen ja daran gelegen sein mußte, derartige Ungereimtheiten zu unterbinden habe ich sie in Privatschreiben - und zwar bevor ich die Disputationsthesen veröffentlichte - in demütiger und ehrerbietiger Weise aufgefordert, die Herde Christi vor diesen Wölfen zu behüten« (WABr 1,245). Der im Original erhaltene Brief Luthers an Erzbischof Albrecht von Mainz, dem er die Ablaßthesen beilegt, trägt das Datum vom 31.10. (Vigil von Allerheiligen) 1517. Da für die Beförderung des Briefes mindestens einige Tage zu veranschlagen sind, wußten nach Luthers Worten der Erzbischof und somit auch Luthers engste Freunde am 31.10. nichts von der Disputation über den Ablaß.

39. Pfnür, Vinzenz: Communio und excommunicatio, in: Vorgeschmack. Ökumenische Bemühungen um die Eucharistie. Festschrift für Theodor Schneider, hg. von Bernd Jochen Hilberath / Dorothea Sattler, Mainz 1995, 277-292, hier 292.

40. Was man über die genannten vier Punkte hinaus noch fordern könnte, wäre die Aufgabe des evangelisch-lutherischen Bekenntnisses. Doch dies verbietet sich, wenn die katholische Seite nicht auf die Auflösung, sondern die Stärkung des Bekenntnisses setzt. Die - weniger im Blick auf das lutherische Bekenntnis und den katholisch-lutherischen Dialog (vgl. Gemeinsame römisch-katholische / evangelisch-lutherische Kommission, »Das geistliche Amt in der Kirche«), sondern auf die ekklesiale Realität - noch nicht geklärte Amtsfrage ermöglicht noch keine volle gegenseitige Eucharistiegemeinschaft, kann aber m.E. nicht in der Weise dem lutherischen Laien angelastet werden, daß er deswegen nicht zur Eucharistie in der katholischen Kirche zugelassen wird.