Reformation: Übersicht
Vinzenz Pfnür

Simul iustus et peccator
Gerecht und Sünder zugleich
Hintergrund bei Luther und in der katholischen Kontroverstheologie
Abklärung der Kontroverse im amicum colloquium zwischen Eck und Melanchthon
Augsburg 1530 und Worms 1541

(Referat im Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen
veröff. in: Gerecht und Sünder zugleich? Ökumenische Klärungen,
hg. von Theodor Schneider und Gunther Wenz,
Freiburg/Br. 2001, S.227-251)


 
1. Ausgangspunkt und Hintergrund bei Luther.
Simul iustus et peccator in Luthers Römerbriefvorlesung
Der schultheologische Hintergrund
Auseinandersetzung mit Gabriel Biel
Verständnis von Gnade
Verständnis von Sünde
Problematische Voraussetzung
3. Erste Abklärung der Kontroverse im Religionsgespräch von Augsburg 1530
Einigung im Vierzehnerausschuß
Unterschiedliche Bestimmungen von Erbsünde in der Tradition
formale und materiale peccati
Gegen die »recentiores«
Berufung auf Thomas, Bonaventura und Hugo von St. Viktor
2. Ausgangspunkt und Hintergrund der Reaktion
    der katholischen Kontroverstheologie.
Die Bedeutung der Häresienkataloge
Die Fragestellung:
Wird Sünde durch die Taufe nicht vergeben?
Keine Unterscheidung im Sündenbegriff?
Keine Wirkung der Sakramente?
4. Ausführliche Erörterung im Wormser Kolloquium vom 14.-17. Januar 1541
     zwischen Eck und Melanchthon
Der Weg zur Forma concordiae.
Forma concordiae in doctrina de peccato originis
Interpretation des Textes
Anliegen und angezielte Gegenposition
Einigung in der Sache
Bewertung der Einigung

1. Ausgangspunkt und Hintergrund bei Luther.

Das simul iustus et peccator und die Rede von der bleibenden Sünde hat ihren schultheologischen Hintergrund in der Auseinandersetzung Luthers mit Gabriel Biel. Es geht dabei um die Frage, ob der Mensch auch nach der Sünde aus seinen natürlichen Kräften ohne die Gnade fähig ist, Gott über alles zu lieben.

Simul iustus et peccator in Luthers Römerbriefvorlesung

Die Formulierung simul iustus et iniustus bzw. simul peccator et iustus begegnet bei Luther zum ersten Mal in der Römerbriefvorlesung von 1514/15 in der Auslegung von Röm 4,7f (... Beatus vir cui non imputabit Dominus peccatum): »Die Heiligen sind intrinsece immer Sünder, deshalb werden sie extrinsece immer gerechtfertigt. Die Heuchler aber sind intrinsece immer gerecht, deshalb sind sie extrinsece immer Sünder. Intrinsece sage ich, d.h. wie wir in uns, in unseren Augen, in unserer Einschätzung sind, Extrinsece aber, wie wir bei Gott und in seiner Einschätzung (reputatione) sind«. (1) Daraus zieht Luther die Folgerung: »"Wunderbar ist Gott in seinen Heiligen", für den sie zugleich Gerechte und Ungerechte sind (cui simul sunt Iusti et Iniusti). Und wunderbar ist Gott in den Heuchlern, für den sie zugleich Ungerechte und Gerechte sind«. (2)
Das simul iustus et iniustus hebt den Unterschied zwischen den Heiligen und den Heuchlern nicht auf. Die Heiligen werden dadurch, daß sie ihre Sünde vor Augen haben, von Gott wegen ihres Sündenbekenntnisses als gerecht gehalten. Sie sind »wirklich Sünder (re vera peccatores), aber durch die Anrechnung des barmherzigen Gottes Gerechte«. (3) »Also wunderbar und überaus süß ist die Barmherzigkeit Gottes, die uns zugleich als Sünder und Nicht-Sünder (simul peccatores et non-peccatores) hält« (4).
Im Corollarium geht dann Luther näher auf sein Verständnis von Sünde ein: »Es wird hier nicht nur von in Werk, Wort und Gedanken begangenen Sünden gesprochen, sondern auch vom fomes (Zunder)«. Zum Beleg verweist er auf seine Ausführungen zu Rm 7,5ff. Im folgenden bringt er den Vergleich mit dem Kranken, dem der Arzt die Heilung zusagt. In gleicher Weise nahm auch unser Samariter Christus den halblebendigen Menschen, seinen Kranken in die Herberge auf, um ihn zu heilen und er fing an, ihn zu heilen durch die versprochene vollste Heilung zum ewigen Leben und dadurch, daß er ihm die Sünde, d.h. die Konkupiszenz, nicht zum Tod anrechnete, aber ihm inzwischen verbot, in der Hoffnung auf die versprochene Gesundheit zu tun und zu unterlassen, womit jene Gesundheit gehindert und die Sünde, d.h. die Konkupiszenz, vermehrt wird. Nun, ist er vollkommen gerecht? Nein, sondern er ist zugleich Sünder und Gerechter (simul peccator et iustus); Sünder in Wirklichkeit (re vera), aber Gerechter aufgrund der Anrechnung und des sicheren Versprechens Gottes, daß er ihn davon befreit, bis er ihn schließlich vollkommen gesund macht. Und so ist er vollkommen gesund in der Hoffnung, in Wirklichkeit (in re) aber Sünder. Aber er hat den Anfang der Gerechtigkeit, damit er sie immer mehr zu erwerben suche (ut amplius querat semper), indem er sich immer als ungerechter weiß.« (5)

Zwei Gruppen versperren sich nach Luther einer Heilung: Zum einen die, die ihre Krankheit lieben und »ihren Begierden (concupiscentias) in der Welt folgen«; zum andern »wenn einer sich nicht als krank sondern als gesund ansieht und so den Arzt zurückweist - dies besagt ja durch seine Werke gerechtfertigt werden und gesund sein.« (6)
 
 

Der schultheologische Hintergrund

Wenn dem so ist, fährt Luther fort, dann habe er es entweder nie richtig verstanden »oder die scholastischen Theologen haben nicht gut genug über die Sünde und die Gnade gesprochen:
Sie wähnen, daß die Erbsünde ganz weggenommen wird wie auch die Tatsünde, gleichsam als ob sie etwas seien, das in einem Augenblick weggeschafft werden kann, so wie die Finsternis durch das Licht, wo doch die Alten, die heiligen Väter Augustinus und Ambrosius viel anders gesprochen haben nach Maßgabe der Schrift, jene aber nach Maßgabe des Aristoteles in dessen Ethik, der die Sünden und die Gerechtigkeit auf die Werke stellte, und zwar gleicherweise deren Setzung wie deren Wegnahme.
Aber der hl. Augustinus sagte aufs vortrefflichste, 'die Sünde <die Konkupiszenz> werde in der Taufe nachgelassen, nicht daß sie nicht mehr da sei, sondern daß sie nicht mehr angerechnet werde.'
Und der hl. Ambrosius sagt: 'Immer sündige ich, also kommuniziere ich immer'.
Aber von daher verstand ich Törichter nicht, inwiefern ich mich als Sünder ähnlich den übrigen halten soll und mich so niemandem vorzuziehen, wenn ich bereut und gebeichtet hätte. Damals glaubte ich nämlich, alle Sünden seien weggenommen und ausgeräumt, auch innerlich... Ich wußte nicht, daß die Vergebung zwar wahr sei, aber dennoch nicht die Wegnahme der Sünde bedeute, außer in der Hoffnung d.h. daß sie wegzunehmende sei und daß die Gnade gegeben sei, die diese wegzunehmen anfängt, sodaß sie nicht mehr als Sünde angerechnet wird.
Deswegen sind es reine Hirngespinste, wenn man behauptet, der Mensch könne aus seinen eigenen Kräften Gott über alles lieben und die gebotenen Werke tun "ihrem Tatbestande nach, aber nicht nach dem Willen des Gesetzgebers"(secundum substantiam facti, Sed non ad Intentionem praecipientis), weil er sie nicht im Stande der Gnade tue.
O Toren, o Sautheologen! So war also die Gnade nur notwendig um der neuen, das Gesetz überbietenden Forderung willen. Denn wenn das Gesetz aus unseren Kräften heraus erfüllt werden kann, wie sie sagen, dann ist die Gnade nicht nötig zur Erfüllung des Gesetzes selber, sondern nur zur Erfüllung einer neuen, über das Gesetz hinausgehende Forderung, die von Gott auferlegt ist. Wer soll denn solche gotteslästerlichen Anschauungen ertragen?« (7)
Auseinandersetzung mit Gabriel Biel
Mit den »stulti« und »Sawtheologen« (deutsches Wort im lateinischen Text!) zielt Luther auf die Gabrielistae, (8) die Anhänger von Gabriel Biel, dessen Sentenzenkommentar in der Ausgabe Lyon 1514 Luther studierte, wie seine Randbemerkungen zu lib.III dist.27 qu.unica dub.2 »Ob der Mensch aus seinen natürlichen Anlagen Gott über alles lieben und so das Gebot der Liebe erfüllen kann«? ausweisen (9), und gegen den sich ein Großteil der Thesen der Disputation gegen die scholastische Theologie richtet. (10)
Nach Gabriel Biel kann der Mensch auch ohne die Gnade Gott über alles lieben und so das Gebot dem Tatbestand nach erfüllen. Nach der bestehenden Heilsordnung aber ist die Gnade notwendig zur Erfüllung des Gesetzes der Intention des Gesetzgebers nach. (11)

Verständnis von Gnade

Luther kritisiert hier zu Recht, daß damit die Gnade zu einer über die Erfüllung des Gesetzes hinausgehende zusätzlichen Forderung Gottes wird.
»Jene aber machen aus der Gnade etwas, was Unwillen erregt, und lassen sie als widerwärtig erscheinen. Denn ist der Satz: "Gott hat uns zum Besitz der Gnade verpflichtet; er will das dem Tatbestand nach (secundum substantiam facti) erfüllte Gesetz nicht annehmen, wenn es nicht nach der Intention des Gesetzgebers (ad intentionem legislatoris) erfüllt wird", ist dieser Satz etwas anderes als dies: Siehe da, wir könnten ohne Gnade das Gesetz erfüllen? Ist es nicht genug, daß er uns mit dem Gesetz belastet hat? Muß er uns auch noch eine neue Forderung aufbürden und verlangen, daß man die Gnade besitze?« (12)
Dies ist auch der Hintergrund zum Verständnis von Luthers Turmerlebnis. Im Rückblick von 1545 erinnert er an das Ärgernis, das ihm das Wort Evangelium in Rm 1,17 (die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbar) bereitete: »Genügt es nicht, daß die armen Sünder durch das Gesetz des Dekaloges bedrückt werden, muß Gott auch noch durch das Evangelium dem Schmerz einen Schmerz hinzufügen!« (13)
Diese in der Römerbriefvorlesung Luthers und in der Disputation gegen die scholastische Theologie klar zum Ausdruck gebrachte Abgrenzung durchzieht die ganze Reformationszeit (und ist nicht nur ein vorreformatorisches Geplänkel, wie es aus der Sicht der Vertreter einer Spätdatierung des Turmerlebnisses Luthers erscheinen könnte). (14)
In der Galaterbriefvorlesung von 1531 (1533) kommentiert Luther die Unterscheidung zwischen der Gesetzeserfüllung secundum substantiam facti und der Gesetzeserfüllung secundum intentionen praecipientis:
»Das heißt, Gott ist nicht zufrieden, daß du alles getan und erfüllt hast, was im Gesetz geboten ist, obwohl er nichts hat, was er noch mehr fordern könnte, sondern über dieses hinaus fordert er, daß du das Gesetz in der Liebe erfüllst, und zwar nicht der Liebe, die du von Natur aus hast, sondern der übernatürlichen und göttlichen, die er selbst gibt. Was ist das anderes, als aus Gott einen Tyrannen und Peiniger zu machen.« (15)
Die Gnade ist nicht bloßes Verdienstmoment (ratio meriti), sondern der Mensch ist zur Erfüllung des Gesetzes auf die Gnade Gottes angewiesen (16).

Verständnis von Sünde

Die Position, daß der Mensch aus seinen natürlichen Kräften Gott über alles lieben kann, besagt für das Verständnis von Sünde, daß die Sünde den Menschen nicht verdirbt, sondern nur Strafe zur Folge hat: »Wenn der Akt der Sünde vorbei ist, bleibt nichts in der Seele zurück, was der Vergebung der Sünde im Wege steht ... außer der Strafverhaftung (reatus pene). Mit dem Erlaß der Strafe ist auch die Strafverhaftung aufgehoben, und so bleibt nichts mehr von der Sünde zurück«. (17) Nicht nur in der Römerbriefvorlesung sondern auch in der Folgezeit wendet sich Luther gegen ein solches Verständnis von Sünde als Strafverhaftung (reatus), als »Bezugsaspekt zwischen Gott und dem Sünder, wodurch dieser zur Strafe bestimmt wird. Es ist ein Unrecht gegenüber der Gnade Gottes, wenn man lehrt, daß sie nur jenen phantastischen Bezugsaspekt wegnimmt, da, wie die Schrift spricht, die Gnade Gottes erneuert, verändert und von Tag zu Tag in neue Menschen transformiert«. (18)
Luthers Betonung, daß der Mensch auch nach der Vergebung wirklich Sünder (peccator re vera) ist, ist auf diesem schultheologischen Hintergrund zu werten. Sie bedeutet nicht eine manichäische Sicht des Menschen im Sinne einer totalen Verderbnis der menschlichen Natur. Zudem ist zu beachten, daß Luther zwischen sündig (peccator) und impius (gottlos), und zwischen Wurzelsünde (peccatum radicale, originis, naturale) und Verbrechenstaten (scelera et crimina, peccata actualia, praevaricationes) unterscheidet. (19) Das simul iustus gilt so nicht für den impius und nicht für die crimina. 
 
 

Problematische Voraussetzung

Die Auseinandersetzung zwischen Luther und Biel findet dabei auf einer problematischen Voraussetzung statt. Biel hatte im Bestreben, überflüssige Unterscheidungen in der Theologie zu reduzieren, hinsichtlich des Gnadenbegriffs die Unterscheidung zwischen aktueller (gratia actualis) und habitueller Gnade (gratia habitualis, gratia gratum faciens) aufgegeben und das auxilium speciale der Hochscholastik mit auxilium ut primi moventis bzw dem concursus divinus gleichgesetzt. »Im einen Menschen gibt es nur die eine ganze Gott angenehm machende Gnade (una gratia totalis gratum faciens) und nicht mehrere unterschiedene.« (20) Diese Voraussetzung, die Reduzierung des Verhältnisses auf die menschliche Natur auf der einen und den übernatürlichen Gnadenhabitus auf der anderen Seite, wird von Luther übernommen. (21)

Die Reduktion des Gnadenbegriffs führt aber in eine verhängnisvolle Alternative. Ist der Mensch außerhalb der übernatürlichen Gnade schlechter als der Christ? Kann er nicht selbstlos sein und Gott über alles lieben? 
Biels Position führt zu einer von Luther monierten Abwertung der Gnade als zusätzlicher Forderung und zu einer Relativierung der Wirkung der Sakramente, da Gott dem Menschen, der das tut, was in seinem Vermögen steht (facienti, quod in se est), immer auch die gratia gratum faciens eingießt. 
Luthers Position beinhaltet eine pauschale Abwertung des Lebens außerhalb der Gnade als Todsünde. Wenn der freie Wille »das tut, was in seinem Vermögen steht, dann sündigt er tödlich«. (22) »Todsünde ist jedes Werk des Menschen, der nicht in Christus ist«, »ist alles, was von denen geschieht, die den Geist Gottes nicht haben« (23). Die Tugenden der Heiden, etwa von Sokrates oder Cato, sind nur Scheintugenden und Laster, die aus Eigenliebe und Egoismus hervorgehen. (24)
 
 

2. Ausgangspunkt und Hintergrund der Reaktion der katholischen Kontroverstheologie.

Die katholische Kontroverstheologie wendet sich gegen überspitzte Formulierungen und gegen einen undifferenzierten Sündenbegriff.

Die Bedeutung der Häresienkataloge

Das Verständnis der reformatorischen Position ist auf katholischer Seite sehr stark bestimmt durch Äußerungen aus der Frühzeit der Reformation, die in Sammlungen ketzerischer reformatorischer Sätze festgeschrieben wurden. In gebündelter Form wird dieses Material auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 vorgelegt: von Johannes Eck in seinen 404 Artikeln als Disputationsthesen der Gegner, die er in einer großen Disputation vor dem Kaiser widerlegen möchte, (25) und in den zusammen mit der 1. Fassung der Confutatio, der Catholica et quasi extemporalis responsio, übergebenen 9 weiteren Schriften als Ausweis der häretischen Lehren der reformatorischen Prediger. (26)

Die Fragestellung:
Wird Sünde durch die Taufe nicht vergeben?

Für die Frage des simul iustus et peccator ist der in der Bulle Exsurge Domine aufgeführte 2. Irrtum von besonderer Bedeutung: 
Im Kind nach der Taufe zurückbleibende Sünde (remanens peccatum) abzustreiten, heißt Paulus und Christus zugleich mit Füßen treten. (27)


Keine Unterscheidung im Sündenbegriff?

Die Redeweise von der bleibenden Sünde erscheint im Kontext von reformatorischen Sätzen, in denen eine Unterscheidung zwischen Erbsünde und Tatsünde und zwischen Todsünde und läßlicher Sünde abgelehnt und der erbsündliche Zunder (fomes) als Tat- und als Todsünde bezeichnet wird. 
U.a. werden folgende Äußerungen angeführt:
Der Sündenzunder (fomes peccati) hindert, auch wenn keine einzige Tatsünde vorhanden ist, die aus dem Körper scheidende Seele am Eintritt in den Himmel. (28)
Der fomes ist wahrhaft eine Tatsünde (actuale peccatum) ... (29)
Schlecht unterscheidet man heutzutage zwischen läßlicher Sünde und Todsünde, da jeder Affekt der Konkupiszenz Todsünde ist, weil jede Sünde tödlich ist gemäß ihrer Natur, aber läßlich denen, die in Christus sind. (30)
Die Erbsünde ist eine gewisse tathafte verderbliche Begierde, deswegen unterscheidet die Schrift nicht zwischen Tatsünde und Erbsünde. (31)


Keine Wirkung der Sakramente?

Im Kontext anderer exzerpierter reformatorischer Sätze Luthers, die die Wirksamkeit der Sakramente überhaupt und speziell der Taufe in Frage stellten (32), bedeutet Luthers Betonung der bleibenden Sünde »all vermogen und kraft der tauf zu vernichten und unnutz zu machen«. (33) »Denn wenn jene Verderbnis den ewigen Tod bedeutet und diese im Kind zurückbleibt, dann folgt daraus, daß auch das getaufte Kind in ewigem Tod verdammt wird, - das, was Luthers Schüler Eberhard Weidensee zu Magdeburg öffentlich lehrte.« (34)
 
 

3. Erste Abklärung der Kontroverse im Religionsgespräch (35) von Augsburg 1530.

»Über die Erbsünde sind wir zu einem richtigen Übereinkommen gelangt in der Augsburger Verhandlung«
(Johannes Eck). (36)

Einigung im Vierzehnerausschuß

Im Unterschied zu der vom Kaiser zurückgewiesenen 1. Fassung der Confutatio vom 12. Juli zeigt die Endfassung vom 3. August 1530 bereits eine Einigungsmöglichkeit auf, »wenn sie entsprechend der Meinung des hl. Augustinus sagen, daß die Erbsünde eine Begierde (concupiscentia) sei, die in der Taufe aufhöre Sünde zu sein«. (37)

Im freundschaftlichen Gespräch des Vierzehnerausschusses (38) vom 16.-21. August 1530 kam es dann zu einer Einigung: Eck sieht in der in der CA gegebenen Bestimmung der Erbsünde als natürliches Unvermögen, Gott zu fürchten und zu lieben, nur eine neue Form zu reden. Die Einigung in der Sache wird dadurch erreicht, »daß die lutherische Seite zur Kenntnis nimmt, daß auch für Eck das Material der Sünde nach der Taufe bleibt, und die katholische Seite zur Kenntnis nimmt, daß auch nach lutherischer Auffassung die Sündenschuld durch die Taufe hinweggenommen wird« (39).

Bezüglich des anderen Artikels kam man überein nach geschehener ihrer Auslegung und Erklärung, nämlich: Daß die Erbsünde sei ein Mangel ursprünglicher Gerechtigkeit, die Glauben, Vertrauen und Gottesfurcht erfordert; daß auch die begierliche Neigung, die aus der Erbsünde erwächst, bleibe in dem Menschen, aber die erbsündliche Schuld werde durch die Taufe hinweggenommen, id est: Quod tollatur quoad formale, sed maneat quoad materiale.« (40)
Unterschiedliche Bestimmungen von Erbsünde in der Tradition
Diese Einigung ist auf dem theologiegeschichtlichen Hintergrund zu würdigen: Nach Gabriel Biel gibt es bezüglich des Erbsündenverständnisses »zwei extreme herkömmliche Meinungen... und eine dritte gleichsam mittlere.« (41) Nach der ersten von Petrus Lombardus vertretenen Meinung ist die Erbsünde »eine krankhafte Qualität der Seele, nämlich das Gebrechen der Konkupiszenz« (42) Nach der zweiten von Anselm von Canterbury und in dessen Gefolge von Duns Skotus, Wilhelm von Ockham und auch Gabriel Biel selbst vertretenen Meinung besteht die Erbsünde nicht in etwas positiv vorhandenem (aliquod positivum) wie der Konkupiszenz, sondern im Fehlen von etwas, nämlich der geschuldeten Ursprungsgerechtigkeit (carentia iustitiae originalis debitae). Nach der dritten Meinung, zu der Biel Alexander von Hales, Bonaventura und Thomas von Aquin rechnet, sind in der Erbsünde zwei Aspekte zu betrachten: zum einen »gleichsam das Material« (tamquam materiale) der Sünde, die Konkupiszenz, zum andern »das Formale« der Sünde, das Fehlen der geschuldeten Ursprungsgerechtigkeit. (43)
formale und materiale peccati
Die Einigung schließt sich offensichtlich der dritten vermittelnden Richtung an und entgeht damit den Problemen der beiden anderen Definitionen: 
Der Schwierigkeit zu sagen, was die Taufe bewirkt, wenn die Erbsünde ausschließlich in der Konkupiszenz besteht und diese auch nach der Taufe bleibt, begegnet die Einigung durch die Unterscheidung zwischen Sündenschuld (culpa, reatus) und Konkupiszenz. Durch die Taufe wird die Schuld weggenommen. 
Gegenüber der ausschließlichen Bestimmung der Erbsünde als Verlust der Ursprungsgerechtigkeit und als bloßer Strafverhaftung, nach deren Aufhebung nichts mehr von der Sünde im Menschen zurückbleibt (44), hält die Einigung fest, daß das Material der Sünde auch nach der Taufe bleibt.
Die Apologie nimmt diese Einigung auf und interpretiert Luthers Satz von der bleibenden Seite entsprechend, »daß die Taufe die ganze Schuld und Erbpflicht der Erbsünde wegnimmt und austilgt, wenngleich das Material, wie sie es nennen, der Sünde, nämlich die böse Neigung und Lust, bleibt (quod baptismus tollat reatum peccati originalis, etiamsi materiale, ut isti vocant, peccati maneat, videlicet concupiscentia)«. (45)

Gegen die »recentiores«

Die »Ursachen«, weshalb man in der Beschreibung der Erbsünde auch die Konkupiszenz genannt und den natürlichen Kräften des Menschen Furcht und Vertrauen gegenüber Gott abgesprochen habe (46), seien die Lehren derer, die »der menschlichen Natur unversehrte Kräfte zusprechen, Gott über alles zu lieben und die Gebote Gottes zu erfüllen der Substanz der Akte nach« (47)

Berufung auf Thomas, Bonaventura und Hugo von St. Viktor

Mit der Bestimmung der Erbsünde sage man aber nicht neues. »Die alten Scholastici, so man sie recht verstehet, haben gleich dasselbig gesagt«. (48) In der Sache werden dann die beiden traditionellen Bestimmungen der Erbsünde als Fehlen der Ursprungsgerechtigkeit (carentia iustitiae originalis) und als Konkupiszenz, so interpretiert, daß beide Aussagen zusammen gesehen werden müssen. Dafür beruft sich die Ap. dann ausdrücklich auf Thomas von Aquin, Bonaventura und Hugo von St. Viktor. (49)
In enger wörtlicher Anlehnung an die Augsburger Einigung formulieren die sogenannten Wittenberger Artikel von 1536: Die Erbsünde wird »so vergeben, daß Reatus (die Schuld) weggenommen wird, aber Materiale peccati, nämlich Corruptio und Concupiscentia, die verderbte Natur und böse Lust und Begierde, bleibt in diesem Leben, obwohl sie anfängt geheilt zu werden, denn der Hl. Geist übt seine Kraft und Wirkung auch in den Kindern« (50)
 
 

4. Ausführliche Erörterung im
Wormser Kolloquium vom 14.-17. Januar 1541
zwischen Eck und Melanchthon.

»... und ausdrücklicher haben wir uns geeinigt im Wormser Kolloquium« (Johannes Eck) (51)

Der Weg zur Forma concordiae.

Da das Konzil, das die in Augsburg 1530 ungelösten Fragen (vor allem Kommunion unter beiden Gestalten, Messe, Priesterehe, abgetane Klöster) entscheiden sollte, nicht zustande kam und die Restituierung der alten Rechtsordnung nicht durchführbar war, griff der Kaiser wieder auf das Mittel des »christlichen freundlichen Gesprächs« zurück. Nach dem kaiserlichen Ausschreiben vom 15.8.1540 für das auf den 28.10.1540 in Worms einberufene Religionsgespräch sollten die Confessio Augustana und die Apologie die Verhandlungsgrundlage sein. Die Übernahme der Ergebnisse der Augsburger Einigungsverhandlungen lehnten die Protestanten ab. Dafür legen sich zwei Gründe nahe. Zum einen war der Kreis der Beteiligten und das theologische Spektrum auf reformatorischer Seite 1540 größer als 1530. Legte die reformatorische Seite in Augsburg drei unterschiedliche theologische Bekenntnisse vor (CA, Confessio Tetrapolitana, Fidei ratio Zwinglis) so war nun 1540 die CA in der veränderten Form von 1540, die sogenannte CA variata (52), die gemeinsame theologische Basis, die in Worms von allen Theologen auf protestantischer Seite, u.a. auch von Martin Bucer und Johannes Calvin, unterschrieben wurde. Zum andern wurde in einer Zeit der Herausbildung verfestigter Fronten, in der Reiz- und Kampfwörter zu Identifikationszeichen wurden, der in Augsburg 1530 von Melanchthon zugestandene Verzicht auf das Wort sola im Ausdruck sola fide, (53) zum Problem. (54)

Nach langwierigen Verhandlungen über Verfahrensfragen, die darin ihren Grund hatten, daß jede Seite 11 Stimmen hatte, aber auf katholischer Seite davon drei (Brandenburg, Pfalz und Jülich-Kleve) reformationsfreundlich einzuordnen waren, einigte man sich schließlich, »daß von jedem Theil einer anstatt aller andern reden solle, doch den andern gestattet werde, mit Vergunst der Präsidenten ihre Meinung, wo es vonnöthen, auch darzuthun.« (55) Die katholische Seite benannte Johannes Eck, die Protestanten Philipp Melanchthon. 

Am Freitag, den 14. Januar 1541 begann das Kolloquium (56). In seinem Eröffnungsvortrag wies Eck zunächst auf die Abweichungen des von den Protestanten jetzt vorgelegten Exemplares der CA (57) gegenüber der Fassung von 1530 hin, versprach seinem Auftrag redlich, freundschaftlich und nur um der Wahrheit und der Friedens willen nachzukommen und ging dann nach einem kurzen zustimmenden Urteil zu CA 1 auf CA 2 ein. Um zur gewünschten Einheit zu kommen bat er um eine klarere Erläuterung von zwei Punkten, zum einen bezüglich der Beschreibung der Erbsünde und zum andern bezüglich der Redeweise von der nach der Taufe bleibenden Sünde. (58). Melanchthon antwortete noch am Vormittag (59). Am Nachmittag redete Eck (60), am Samstag vormittag ab 8 Uhr Melanchthon (61). Seine Ausführungen am Samstag-Nachmittag (ab 14 Uhr) (62) beschloß Eck mit den Worten: »Und immer wieder bitte ich, er [Melanchthon] möge jetzt noch mit seinen Brüdern eine für uns tragbare Einigungsformel (formula concordiae) annehmen, durch die der Friede in den Kirchen Deutschlands zur Erbauung der Untergebenen glücklich wiederkehre« (63). Melanchthon schreibt unmittelbar nach Beendigung des Kolloquiums: »Danach eilte Eck in eigenem Namen zur Formel, indem er Granvelle offen sagte, unsere Ansicht sei wahr, aber er könne es nicht durchsetzen bei den Seinen« (64). Insbesondere Ecks Auftraggeber, die bayerischen Herzöge, waren gegen eine Einigung. (65) So »intervenierte Konrad Braun, um den Vergleich zu verhindern. Am Nachmittag des 16. Januar erklärte er im Namen des Präsidiums und des Orators: satis esse disputandum, konnte sich aber damit nicht durchsetzen«. (66) So konnte Melanchthon in seinem Beitrag am Sonntag nachmittag (67) auf Ecks Bitte zurückkommen. Er berichtete, daß er mit seinen Kollegen gesprochen habe und zitiert eine kurze Zusammenfassung der gemeinsamen einhelligen Position. (68) Eck, dem noch für Montag früh 7 Uhr eine Stunde Redezeit eingeräumt wurde - faktisch begann die Sitzung dann aber doch erst um 8 Uhr - legte zum Abschluß seines Beitrages den Entwurf einer gemeinsamen Erklärung vor. (69)

Der kaiserliche Kanzler Granvelle lud dann Eck und Melanchthon zusammen mit Johannes Mensing und Martin Bucer in seine Herberge. Hier wurde folgende »Concordi oder Vergleichung« (70) formuliert:

Forma concordiae in doctrina de peccato originis (71)

[1] Fatemur unanimi sententia [consensu], omnes ab Adam propagatos secundum communem legem, nasci cum peccato originali, et ita in ira Dei.

[2] Est autem peccatum originale carentia iustitiae originalis debitae inesse, cum concupiscentia.

[3] Consentimus etiam in baptismo reatum peccati originalis remitti cumomnibus peccatis per meritum passionis Christi.

[4] Manere autem, non solum apostolicis scripturis, sed ipsa experientia docti sentimus: concupiscentiam, vicium [virium] naturae, infirmitatem morbum etc. 

[5] De quo quidem morbo in renatis inter nos convenit: quod maneat materiale peccati originis, formali per baptismum sublato. 
 

[6] Materiale autem vocamus peccati orignis [peccatum], quod fit [fiat] ex peccato, quod ad peccatum inclinet, quod repugnet [et ipsam humanae naturae depravationem, quae quod ad rem attinet, est quiddam repugnans] legi Dei, quemadmodum et Paulus [quoque peccatum] appellat: 

[7] Ad eandem etiam rationem in scholis compendio doceri dici solet. Manere in baptisato originis peccati materiale, formale vero quod reatus est auferri.

 

Eines Sinnes bekennen wir, daß wir alle als Nachkommen Adams nach einer gemeinsamen Vorgegebenheit mit der Erbsünde und so im Zorne Gottes geboren werden. 

Die Erbsünde ist aber das Fehlen der geschuldeten Ursprungsgerechtigkeit verbunden mit der Konkupiszenz.

Wir stimmen auch überein, daß in der Taufe die Schuld der Erbsünde zusammen mit allen Sünden vergeben wird durch das Verdienst des Leidens Christi. 

Belehrt aber nicht nur durch apostolische Schriften, sondern auch durch die unmittelbare Erfahrung, sind wir der Ansicht, daß Konkupiszenz, Verderbnis der Natur, Schwäche, Krankheit usw. zurückbleiben. 
Hinsichtlich dieser Krankheit in den Wiedergeborenen besteht zwischen uns Einigkeit, daß das `Materiale' der Erbsünde bleibt, während das `Formale' durch die Taufe weggeschafft ist. 

`Materiale' der Sünde nennen wir aber, was aus der Sünde stammt, was zur Sünde neigt, und eben die Verderbnis der menschlichen Natur selbst, die, was den Sachverhalt selbst betrifft, etwas dem Gesetz Gottes Widerstreitendes ist, demgemäß Paulus es denn auch `Sünde' nennt.

In diesem Sinn pflegt man in den Schulen kurz und bündig zu lehren, es bleibe in den Getauften das Materiale der Erbsünde, das Formale jedoch, die Schuld, werde weggenommen.

Melanchthon:
Quod vero petivit, ut cum meis Collegis colloquar, feci, et rogavi, ut libere singuli dicerent quod sentiunt, et omnium una est sententia.
[1] Omnes homines communi naturae modo propagatos ex coniunctione maris et foeminae adferre secum nascentes peccatum originis, sicut Ecclesia confitetur. 
[2] Et iudicant declarationem definitionum, quam recensui, congruere cum scriptura Prophetica et Apostolica, et scriptoribus Ecclesiasticis, et existimant in ea re non esse dissensionem.
[3] Convenit item, quod omnes fatentur, in Baptismo remitti peccatum originis, hoc est, condonari et dari Spiritum sanctum, qui incoat novitatem spiritualem. 
[4-7] De morbo autem reliquo in Sanctis sentiunt, eum non esse Adiaphoron aut tantum poenam, sed vitium pugnans cum lege Dei, quod est peccatum sua natura, sicut et Paulus expresse aliquoties peccatum nominat, sed condonatur renatis. (CR IV 71f)
Eck:
Et quoniam satis amanter pro concordia suorum confratrum obtulit sententiam, et ego quoque pro nostris et communi sensu Ecclesiae suscipiendum offero. 
[1] Clare fatentur, omnes ab Adam propagatos, secundum legem communem, nasci cum peccato originali, et ita in ira Dei. 
[2] Esse autem peccatum originale carentiam iustitiae originalis debitae inesse, cum concupiscentia. 
[3] Et in Baptismo reatum peccati originalis, et omnia peccata remitti per meritum passionis Christi. 

[4-7] At morbum remanentem, ipsam nimirum vitiosam concupiscentiam, cum ex peccato relicta ad peccatum semper inclinet, ob hoc peccatum dici posse, sicut scriptura dicitur manus. Propterea tamen nec proprie et formaliter peccatum damnabile appellatur. (CR IV 78)

 

Interpretation des Textes

Die Forma concordiae ist klar strukturiert. 

Satz 1 formuliert die grundsätzliche Bejahung der Erbsünde als gemeinsame Position, jetzt auch innerhalb der protestantischen Seite, im Unterschied zu Augsburg 1530. (72)

Satz 2 geht auf die Definition der Erbsünde ein.

Ähnlich wie schon in Augsburg werden die zwei unterschiedlichen Definitionen der Erbsünde als carentia iustitiae originalis und als concupiscentia (73) miteinander verbunden. Ausdrücklich führte Melanchthon dazu aus: »Zu Recht aber sagte der Herr Doktor, daß man bezüglich der Definitionen leichter zusammenkommen könne. Denn auch wir nehmen jede der beiden alten Definitionen auf, von denen in der einen die Erbsünde als Fehlen der geschuldeten Ursprungsgerechtigkeit verstanden und in der anderen Konkupiszenz genannt wird. Und diese Definitionen sind nicht gegeneinander, noch glauben wir, daß sie mit unserer Meinung nicht übereinstimmen«. (74)
Melanchthon deutet die Ursprungsgerechtigkeit unter Berufung auf Gregor von Nazianz (75) als Gottebenbildlichkeit (similitudo vel imago Dei) des Menschen, in der der menschliche Geist Tempel Gottes war, in dem eine herrliche Erkenntnis Gottes, eine feste Zuversicht und eine vollkommene Liebe leuchtete. (76) Entsprechend bedeutet das Fehlen der Ursprungsgerechtigkeit eine Verfinsterung des Geistes und eine Störung dieses Gottesverhältnisses.


Die Sätze 3-7 gehen auf die Frage der Wirkung der Taufe und der nach der Taufe zurückbleibenden Sünde ein.

Die ersten drei Sätze der forma concordiae stimmen fast wörtlich mit Ecks Formulierungsvorschlag zum Abschluß seines letzten Redebeitrages beim Kolloquium überein.

Mit der Unterscheidung von materiale und formale peccati in den Sätzen 5 und 7 wird die Einigung von Augsburg 1530 aufgenommen, wobei Satz 7 sich ausdrücklich auf die Scholastik beruft, der Sache nach auf Thomas von Aquin. Auffällig ist, daß im Kolloquium selbst weder die Begriffe formale und materiale peccati noch - im Unterschied zur Apologie und zu den Loci von 1535 (77) - die Berufung auf Thomas, Bonaventura und Hugo von St. Viktor begegnet. Eck hatte in seinem ersten Redebeitrag bemerkt, daß zur Klärung des Sündenverständnisses die alte Darlegung der Väter (antiqua patrum explicatio) genügt (78). Dementsprechend kommt im Kolloquium der Auslegung von Väterstellen, insbesondere von Augustinus zentrale Bedeutung zu.

Bemerkenswert ist auch, daß im Unterschied zu Augsburg 1530 das formale peccati nicht mit Schuld (culpa), sondern mit reatus gleichgesetzt wird. Dies ist auf dem Hintergrund der Ausführungen Melanchthons beim Kolloquium zu werten: »Bezüglich der Schuld (culpa) werden wir von der Zweideutigkeit des Wortes bewegt. Denn die Alten gebrauchen meist die Bezeichnung Schuld für die Schuldigkeit (reatus) d.h. für die Anrechnung, durch die jemand schuldig ist, die Neueren (recentiores) dagegen einfach für die Sünde (peccatum) im Unterschied zur Strafe (poena). Aus dem Grunde, daß er erlangen möchte, daß diese Krankheit nur eine Strafe ist, und keine Verderbnis, die mit dem Gesetz Gottes im Kampf liegt (vitium pugnans cum lege Dei), fordert er, daß wir sagen, alle Schuld werde hinweggenommen. Wenn er die Schuld lediglich als Schuldigkeit (reatus) versteht, hat es kein Hindernis. Wenn er aber das will, daß die Überreste der Krankheit nur Strafe (poena) sind, und nicht eine ihrer Natur nach dem Gesetz Gottes widerstreitende Verderbnis (vitium repugnans legi Dei), stimme ich auf keinen Fall zu«. (79)

Mit den Ausdrücken vicium naturae (Satz 4), quod repugnet legi Dei (Satz 6) und reatus (Satz 7) ist so in der Einigungsformel das Anliegen Melanchthons aufgenommen. 

Daß die Überreste der Erbsünde und die Konkupiszenz selbst Verderbnis (vitium) seien, akzeptiert Eck mit Augustinus und Damascenus. (80) Dabei geht es für Eck auch um eine Verderbnis des Geistes. (81)

Die Formulierung repugnet legi Dei ist Anklang an Rm 7,23 (video autem aliam legem in membris meis, repugnantem legi mentis meae). Es ist die Stelle, die Melanchthon anführt, um zu erweisen daß die Sünde ein dem Gesetz Gottes widerstreitendes Übel ist. (82)

Die Einigungsformel ordnet »das, was dem Gesetz widerstreitet« und was »Paulus Sünde nennt«, gleich mit dem »Material der Sünde«, und dem, »was aus der Sünde entsteht und zur Sünde hinführt« (Satz 6). 

Bereits in seiner ersten Antwort auf Melanchthon hatte Eck diese Gleichsetzung im Anschluß an Augustinus ausgeführt. Vorausgesetzt ist dabei zum einen ein mehrschichtiges Sündenverständnis, das einerseits Schuld und Konkupiszenz unterscheidet, aber anderseits die Konkupiszenz in den Gesamtrahmen Sünde miteinbindet. Dieser innere Zusammenhang wird auch durch den Vergleich, den Augustinus anführt und auf den Eck sich beruft, deutlich: »Kunstsinnig ist das Gleichnis, das Augustinus anführt, die Konkupiszenz werde so Sünde genannt, wie die Handschrift eines Menschen Hand genannt oder das Sprechen Zunge.« (83)

Zum andern stimmt Eck damit der von Melanchthon vertretenen Deutung von Rm 7 zu, nach der Paulus hier von sich als Wiedergeborenem rede, und rechtfertigt diese Deutung mit dem Verweis auf den alten Augustinus. (84)

Allerdings ist sich Eck bewußt, daß Rm 7 in der Tradition unterschiedlich gedeutet wird und so verweist er eine intensivere Erörterung der Auslegung von Rm 7 als Aufgabe in den Schulbetrieb zuhause, (85) während Melanchthon auf eine eindeutige Festlegung drängt. (86)

Die Wormser Einigung basiert so einerseits auf der Einigung von Augsburg 1530 - dies betrifft insbesondere die Zusammenführung der beiden unterschiedlichen Bestimmungen der Erbsünde als carentia iustitiae originalis und als concupiscentia und die damit verbundene Unterscheidung von formale und materiale peccati, anderseits führt sie diese weiter durch die genauere Bestimmung des formale als reatus und des materiale als etwas, das dem Gesetz Gottes widerstreitet. Auch wenn diese Qualifizierung der Konkupiszenz nicht in Ecks Formulierungsvorschlag begegnet, so sagt Eck in seinem letzten Redebeitrag ausdrücklich: »Auch die Unsrigen weisen das nicht zurück« (87).
 
 

Anliegen und angezielte Gegenposition

Für die Bewertung dieser Wormser Einigung ist es von Bedeutung, Anliegen und Fragestellung sowie die jeweils angezielte Gegenposition noch genauer zu beleuchten.

Beide, sowohl Melanchthon wie Eck, verweisen zum Abschluß ihrer Kolloquiumsbeiträge nach den oben angeführten Formulierungsvorschlägen auf das, worauf es ihnen ankommt.

Melanchthons Anliegen ist zu sagen, daß die Menschen nicht ohne Sünde sein können. Dafür beruft er sich abschließend auf Augustinus: »Ohne Sünde möchte ich in diesem Leben niemanden nennen, auch wenn die Pelagianer in noch so großer Raserei sich aufblähen und zerbersten. Nicht weil irgendetwas an Sünde zurückbleibt, was in der Taufe nicht vergeben würde, sondern weil in uns, die wir in der Schwachheit dieses Lebens bleiben, täglich ohne Unterlaß etwas geschieht, das den gläubig Bittenden täglich vergeben wird« (88). »Wer seine eigene Schwachheit anerkennt und seine Zuflucht zum Sohn Gottes als Mittler nimmt, im Glauben bittet«, dem spricht Christus entsprechend der abschließend zitierten Schriftstelle Lk 7,47.50 »die Vergebung der Sünden zu und das Lob des erfüllten Gesetzes, nämlich die Liebe«. (89)
»Die Wohltat Christi kann nicht ausreichend gesehen werden, wenn die Krankheit nicht erkannt wird« und die Menschen meinen, »sie könnten dem Gesetz Genüge leisten« (90)
Die Gegenposition Melanchthons sind die »Neueren« (recentiores), für die die Erbsünde nur eine Strafverhaftung ohne Auswirkung im Menschen ist (91), so daß die Menschen auch ohne Gnade das Gesetz quoad substantiam actuum erfüllen können. (92) Schon zu Beginn seiner ersten Antwort auf Eck sagte Melanchthon: »Zu der Zeit, als die Confessio übergeben wurde, glaubten wir nicht, daß es eine Auseinandersetzung mit diesen Gegnern hier geben werde, sondern das Geschrei anderer war zurückzuweisen, die die Erbsünde gleichsam abschafften, wie es immer welche gab, die unangemessen über die Erbsünde dachten«. (93) In der rechten Gewichtung der Sünde gegen die »Neueren« (recentiores) im Umkreis Occams, die die Sünde ausdünnen, sieht Melanchthon den »status controversiae«. (94)
Auch Luther verweist in der Stellungnahme zu Artikel 4 von der Erbsünde des Regensburger Buches auf diese Gegenposition. Der Artikel sei in sich »recht gestellt«. Vor einer wirklichen Einigung aber müßten die Gegner zuvor ihre Irrtümer widerrufen. »Aber dabey mus abermal verdampt werden 1. Das freier wil liberum sey in utrumque oppositorum. 2. Und müge aus natürlichen krefften gottes gebot erfüllen.« (95) Im Unterschied zu Luther differenziert Melanchthon schon in Augsburg 1530 (96) und nun wieder in Worms die Position seiner gegenwärtigen Gesprächspartner von der bekämpften Position Occams und der recentiores. (97)

Für Eck geht es darum, die Sündenvergebung durch die Taufe herauszustellen. In seinem Schlußwort verweist er nochmal auf die bereits in der Eröffnungsrede angeführten Schriftstellen Mich 7,19; Ez 36,25; Joh 3,5 und 1 Kor 6,11 sowie auf die Kirchenväter Cyprianus, Hieronymus, Ambrosius, Augustinus et Chrysostomus zum Zeugnis dafür, daß in der Taufe als Bad des Lebens und der Wiedergeburt, alle Sünden vergeben, ins Meer geworden und abgewaschen werden. (98) »Zu behaupten aber, nach der Taufe bleibe im Kind Sünde zurück«, kann von uns so roh (crude) nicht angenommen werden« (99).
Eck wendet sich gegen undifferenzierte und überspitzte Äußerungen aus der reformatorischen Frühzeit und unerleuchteter Prediger, die die verbleibende Konkupiszenz als Hauptsünde bezeichneten (100).
Im Unterschied etwa zu Johannes Fabri, der 1540 in Hagenau die Lutheraner gerade von solchen Extremsätzen her beurteilt (101), sagt aber Eck beim Kolloquium ausdrücklich, daß er solche Positionen weder Melanchthon noch gemeinhin deren Kirchen zuschreibt. (102)
Melanchthon selbst hatte sich in den frühen zwanziger Jahren gegen eine Unterscheidung von Erbsünde und Todsünde geäußert. (103) Eck spielt darauf an: Und was das betrifft, daß er in der Antwort die Unterscheidung von Erbsünde und Tatsünde bekannt hat, so nehmen wir auch das mit Beifall auf, wenngleich er als junger Mann anders zu denken schien. (104) Melanchthon antwortet: »Auch wenn hier nicht hauptsächlich über meine Schriften verhandelt wird, sondern über die gemeinsame Lehre unserer Kirchen, dennoch wenn er mir etwas vorhält, worin ich geirrt habe, so antworte ich freimütig und weiche gern denen, die besseres anmahnen.« (105)
Melanchthon selbst schrieb am 22.6.1537 an Veit Dietrich: »Du weißt, daß ich manches weniger grob sage, was die Prädestination, die Zustimmung des Willens, die Notwendigkeit unseres Gehorsams und die Todsünde betrifft. In all diesen Punkten denkt Luther, wie ich weiß, in der Sache selbst das gleiche. Aber die Unverständigen lieben einige seiner etwas überspitzten Aussprüche allzusehr, obwohl sie nicht sehen, in welchen Zusammenhang sie gehören.« (106)

Einigung in der Sache

Im Kolloquium wird eine Einigung durch eine Differenzierung des Sündenbegriffs erreicht. »Die Sünde wird in der Taufe weggenommen (tolli), was die Schuld (reatus) betrifft«, (107) »das Übel, das zurückbleibt, wird zugedeckt (tegatur) und denen vergeben, die in der Gnade bleiben«. (108) Für Melanchthon sind Erbsünde und Tatsünde (109), das verbleibende vicium und crimen zu unterscheiden (110). Die Nichtanrechnung dieser auch nach der Taufe zurückbleibenden, aber täglich zu bekämpfenden Verderbnis, geht durch Sünden wider das Gewissen verloren. (111) Es gibt ein Herausfallen. (112) Auch Natur und erbsündige Verderbnis sind zu unterscheiden. (113

Bewertung der Einigung

Für eine sachgerechte Bewertung der Wormser Einigung ist diese theologie- und reformationsgeschichtliche Tiefendimension zu berücksichtigen. (114)
Schon 1534 schrieb Melanchthon:
»Über die Rechtfertigung ... gibt es unter den Gelehrten bereits in vielen Punkten Übereinstimmung, in denen anfangs große Kämpfe waren«. (115)
Die Redaktoren der Forma Concordiae, Eck, Melanchthon, Butzer und Mensing waren überzeugt, zu einer sachlich fundierten Einigung gekommen zu sein. Sanzio berichtet nach Rom, »daß die Teilnehmer des Wormser Gespräches nach vollbrachter Einigung einander umarmten und küßten und vor Freude weinten«. (116) Eck hat diese Formula reconciliationis, wie er sie auch nennt, auch später immer als volle Einigung verteidigt (117).
Die ganze Problematik der Vermittlung von Einigungen, erreicht in der vertrauensvollen Atmosphäre des amicum colloquium (118), in eine Atmosphäre des Mißtrauens hinein, zeigt sich in Worms bereits im Bericht Calvins über das Zustandekommen der Einigungs-»Resolution«: »Als aber Eck, von den Kaiserlichen angeschmiert (denn sie mißbrauchten ihn als einen Erznarren), zugab, was er in der ganzen Disputation geleugnet hatte, und Granvella das billigte, legte auch dieser Mensinger seinen Trotz ab und stimmte leichthin bei.« (119)

Neben Eck wird dieser Bericht auch Mensing nicht gerecht. Er, der selbst in Wittenberg studiert hatte, beruft sich 1533 in seiner Antapologie »auf Luthers Redeweise von der bleibenden Sünde, um das katholische Verständnis von Erbsünde und Rechtfertigung darzulegen. Den Hauptgrund für die Kontroverse in diesem Punkt sieht Mensing nicht in der Sache selbst gegeben, sondern darin, daß die Lutherischen es "mit unzähligen Irrsalen, Aufruhr und falscher Lehre dahin gebracht" hätten, daß man ihnen nicht glaubt, auch wenn ihnen "zuweilen ein wahrhaftiges Wort entfährt".« (120)
Wenn sie »den Unterschied leiden wollten, daß wir vor der Tauf verdammliche Sünder wären, aber nach der Taufe, wenngleich auch Sünder - denn wir sagen immer noch, daß auch ein Kindlein, das einen Tag alt ist, nicht ohne alle Sünde ist -, doch solche Sünde durch die Gnade Christi nun keinen Sünde mehr ist,, sondern die Wunden sind, die der Samaritan noch täglich verbindet und heilt, wie droben davon geredet ist, und Wein und Öl hineingießt, da möchten wir dieser Sachen meines Erachtens wohl eins werden.« (121)

»In keinem anderen Jahrhundert gab es mehr Streitereien in der Kirche als in unserem. Aber es gibt keinen Zweifel, daß die meisten Kontroversen, wenn sie angemessen und gründlich dargelegt und behandelt werden, beseitigt und aufgehoben werden können...
Ein gewisses Heilsmittel dieses Übels wäre es, das aus den Streitfragen herauszunehmen, was übereinstimmt und was zur Erbauung beiträgt. So bliebe nicht viel übrig, was entgegen ist. Oft wird über Worte gestritten, oft wird böswillig aufgebauscht, was von den anderen nicht in schlechter Absicht geschrieben wurde«, so Melanchthon 1527 in seinem Kolosserbriefkommentar.« (122)

Die Zeit Dezember 1540 / Januar 1541 in Worms gehört zu den seltenen Situationen der Reformationsgeschichte, in denen es einer kleinen Gruppe von Theologen auch gegen vielerlei Widerstände gelungen ist, Kontroversfragen einer Klärung zuzuführen. Parallel zum öffentlichen freundschaftlichen Gespräch zwischen Eck und Melanchthon verfaßten Gropper und Butzer zusammen mit Capito und Veltwijck in strengster Geheimhaltung das sogenannte Wormser Buch (123). Die Tragik der Situation liegt darin, daß beide Unternehmungen als alternativ betrachtet wurden und mit der Fertigstellung des Wormser Buches das Kolloquium über die CA zwischen Eck und Melanchthon abgebrochen wurde.
In der Sache selbst besteht in der Frage der Erbsünde und der nach der Taufe zurückbleibenden Sünde jedoch weitgehende Übereinstimmung. (124) Beide Gruppen betrachten die Streitfrage als geklärt.

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zum Anfang
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1. WA 56,268,26-269,1.

2. WA 56,269,21-24.

3. Ebd. 269,25-29

4. Ebd. 270,9f.

5. Ebd. 272,11-21.

6. Ebd. 272,21-273,2.

7. Ebd. 273,3-274,18.

8. Vgl. Luthers, Brief an Joh. Lang von Mitte Oktober 1516 (WABr 1, Nr. 26).

9. WA 59,29-53, bes. 44-46.

10. Vgl. V. Pfnür, Die Verwerfungen der Confessio Augustana, der Apologie und der Schmalkaldischen Artikel hinsichtlich der Rechtfertigungslehre, in: Lehrverurteilungen - kirchentrennend? II: Materialien zu den Lehrverurteilungen und zur Theologie der Rechtfertigung, hg. v. K. Lehmann, Freiburg / Göttingen 1989, 191-209, bes. 195-200.

11. Gabriel Biel, Collectorium in quattuor libros sententiarum, l.III dist. 27 qu.un. ar.3 dub.2 (Kritische Ausgabe von W. Werbeck und U. Hofmann, Tübingen 1979, III, 503-511).

12. Ebd. 279,3-9.

13. WA 54,185,15-27.

14. Vgl. WA 57 Gal 80,6ff.; WA 1,373,6ff.; 468,35ff.; 469,37ff.; WA 2,401,22-28; 516,10-21; 521,3f.; WA 8,54,3ff.; 467,1--6; 596,13ff.; WA 23,505,3-9; WA 30 II 672,25--29; WA 38, 160,1--15.

15. WA 40 I, 227,25-29. Im vorausgehenden bringt Luther folgenden Vergleich: Wie wenn eine Herrin nicht damit zufrieden wäre, daß ihre Köchin alles gut gebraten und gesotten hat, sondern darüber hinaus fordert, daß die Köchin eine goldene Krone auf dem Kopf trägt.

16. »Welcher Hochmut! Wie wird die Sünde verkannt, wie wird Gott verkannt, das Gesetz verkannt! Da doch Gott deswegen den Elenden die Gnade anbietet, damit wir - weil er sieht, daß wir sein Gesetz nicht erfüllen können -, es durch sie erfüllen« (WA 56, 279,9-11). Vgl. Disputation gegen die scholastische Theologie (Cl 5,320-326), These 69: Impossibile est itaque, legem impleri sine gratia dei ullo modo.

17. Gabriel Biel unter Berufung auf Duns Scotus (Collect. l.IV dist.16 qu.5 ar.3 dub.2 lit.I; vgl. ebd. l.IV dist.14 qu.1 a.1 not.2 lit.H; J. Altenstaig, Vocabularius theologie (Hagenau 1517), Stichwort: Remissio venialis; E. Iserloh, Gnade und Eucharistie in der philosophischen Theologie des Wilhelm von Ockham, Wiesbaden 1956, S. 97-100.

18. Luther, Assertio 1520: Rursum dicent: At nos reatum hunc proprie vocamus peccatum, non illud quod remanet. Respondeo: In re ista seria ac sacra non licet arguciis sophisticis cavillari, quibus effingunt reatum esse respectum inter deum et peccatorem, quo hic deputatur ad poenam. Iniuria est gratiae dei, si solum istum phantasticum respectum tollere doceatur, cum, ut scriptura loquitur gratia dei renovet, mutet et in novos homines transformet de die in diem, et res ista serio agatur non respectibus tollendis, sed substantia et vita mutandis (WA 7,109,14-23).

19. WA 56,278,9-16: ... dimisso itaque malo opere et residuo peccati i.e. fomitis non imputato, donec sanetur. Tunc tercio sequitur, quod sit iam Impius Iustificatus; Licet enim sit peccator, sed non impius. Impius enim dicitur, qui non est cultor Dei, sed aversus et sine timore et Reverentia Dei. Iustificatus autem et 'tectus peccatis suis' iam est conuersus et pius; colit enim Deum et querit eum in spe et timore. Zur Unterscheidung zwischen peccatum und crimen vgl. ebd. 284,10f.22ff.

20. Gabriel Biel, Collect. l.II dist.26 qu.un. ar.3 dub. 2 H.; vgl. W. Ernst, Gott und Mensch am Vorabend der Reformation. Eine Untersuchung zur Moralphilosophie und -theologie bei Gabriel Biel, Leipzig 1972, 404f.

21. Vgl. V. Pfnür, Einig in der Rechtfertigungslehre, Wiesbaden 1970, 70-74.

22. Luther, Heidelberger Disputation: Liberum arbitrium post peccatum est res de solo titulo; et dum facit quod in se est peccat mortaliter (WA 1,354,5f) = Error 36 der Bulle Exsurge Domine (DS 1486).

23. MSA II 139,11.29f (Melanchthon, Loci 1521).

24. MSA II 21 f. (Melanchthon, Loci 1521). Nach den Loci von 1535 hingegen sind "jene heldenhaften Tugenden" der Heiden "wahrhaft besondere Gaben und Werke Gottes" (CR XXI 293).

25. Vgl. V. Pfnür, Excommunicatio und amicum colloquium. Das Religionsgespräch auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 auf dem Hintergrund der Frage des Lutherbannes, in: Unterwegs zum einen Glauben. Festschrift für Lothar Ullrich zum 65. Geburtstag, hg. von W. Beinert, K. Feiereis und H.J. Röhrig, Leipzig 1997, 449f.

26. Vgl. ebd.; V. Pfnür, Confutation, in: The Oxford Encyclopedia of the Reformation, ed. by H.J. Hillerbrand, New York - Oxford 1996, I, 408-410.

27. DS 1452 [WA 2,160,34-35] = Eck, Vierhundertvier Artikel, Art. 2.

28. Bulle Exsurge Domine, Error 2 (DS 1453; WA 1,572,10ff) = Eck, Vierhundertvier Artikel, Art. 3.

29. Eck Vierhundertundvier Artikel, Art. 180 [WA 7,111,5f]

30. Melanchthon, In evangelium Matthaei annotationes, zu Mt 5,19 (1523): Male distinguunt hodie inter veniale et mortale, cum omnis affectus concupiscentiae sit peccatum mortale quia omne peccatum est mortale secundum naturam, sed veniale his, qui sunt in Christo (MSA IV 154,8f). vgl. Eck Vierhundertundvier Artikel, Art. 182.

31. Melanchthon, Loci (1521): Scriptura non vocat hoc originale, illud actuale peccatum. Est enim et originale peccatum plane actualis quaedam prava cupiditas (MSA II,17,38f) vgl. Eck Vierhundertundvier Artikel, Art. 184.

32. Vgl. Satz 1 der Bulle Exsurge Domine (DS 1451); Eck, Vierhundertvier Artikel, Art. 215: Baptismus neminem iustificat nec ulli prodest, sed tantum fides in verbum promissionis, cui additur baptismus [WA 6,532 = Responsio Catholica, Art. 9 ], Art. 227: Baptismus non prodest infanti, nisi habeat propriam fidem [WA 17 II 81,3f.; 82,23--26 = Responsio Catholica Art. 9]; Art. 228: Lavacrum baptismi non tollit originale peccatum, sed solus sanguis Christi; J. Fabri, Antilogiarum Martini Lutheri Babylonia, Cap. III: Baptismus non est plus quam externum signum [WA 12,560,26; 561,9-12]; Praestat prorsus omittere baptismum in parvulis quam baptizare sine fide, quia sacramenta neque debent neque possunt sine fide accipi [WA 11, 452,30-33].

33. Catholica responsio (Die Konfutation des Augsburgischen Bekenntnisses. Ihre erste Gestalt und ihre Geschichte, hg. v. J. Ficker, Leipzig 1891, 9).

34. ebd.

35. Nach dem Selbstverständnis der Beteiligten zählt bereits Augsburg 1530 zu den Religionsgesprächen. So schreibt etwa Johannes Eck: »So habe ich durch Gottes Gnade so Ihren Mut gebrochen, daß sie es nicht wagen, sich in eine Disputation einzulassen, sondern nur ein freundschaftliches Gespräch (amicum colloquium) suchen, wie in Augsburg, Worms und Regensburg« (Johannes Eck, Replica ... adversus scripta secunda Buceri apostatae super actis Ratisponae, Ingolstadt 1543, 46v. Die noch vielfach verbreitete ausschließliche Zuordnung von Religionsgespräch mit Humanismus und Vermittlungstheologie, derzufolge der Beginn der Religionsgespräche auf Reichsebene erst mit Worms/Regensburg 1540/41 angesetzt wird, ist nur forschungsgeschichtlich zu erklären (vgl. etwa die Arbeit von R. Stupperich, Der Humanismus und die Wiedervereinigung der Konfessionen, Leipzig, 1936).

36. Johannes Eck, Apologia pro reverendis et illustris. Principibus Catholicis, ac alijs ordinibus Imperij adversus mucores et calumnias Buceri, super actis Comiciorum Ratisponae, Köln 1542,Kijv.

37. Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530, hg. v. H. Immenkötter, Münster 1979, 82f.

38. Vgl. H. Immenkötter, Um die Einheit im Glauben. Die Unionsverhandlungen des Augsburger Reichstages im August und September 1530, Münster 1973; V. Pfnür, Einig in der Rechtfertigungslehre 251-271; Eu. Honée, Der Libell des Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530. Untersuchungen und Texte zur katholischen Concordia-Politik, Münster 1988.

39. V. Pfnür, Die Einigung in der Rechtfertigungslehre bei den Religionsverhandlungen auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, in: Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche, hg. v. E. Iserloh in Verbindung mit B. Hallensleben, Münster 1980, 362. ; V. Pfnür, Excommunicatio und amicum colloquium. Das Religionsgespräch auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 auf dem Hintergrund der Frage des Lutherbannes, in: Unterwegs zum einen Glauben. Festschrift für Lothar Ullrich zum 65. Geburtstag, hg. von W. Beinert, K. Feiereis und H.J. Röhrig, Leipzig 1997, 448-460.Eu. Honée, Der Libell des Hieronymus Vehus, 214.

40.Offizieller Bericht für den Kaiser durch den badischen Kanzler Vehus: Eu. Honée, Der Libell des Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530. Münster 1988, 213f.

41. Gabriel Biel, Collect. l. II dist. 30 qu.2 ar.1 not.1.

42.Qualitas morbida animae, vitium scilicet concupiscentiae. Als weitere Bezeichnungen führt Biel an: fomes peccati, concupiscentia vel concupiscibilitas, lex membrorum, languor naturae, tyrannus in membris, lex carnis (ebd.).

43. ebd.; vgl. H.A. Oberman, Spätscholastik und Reformation Bd I: der Herbst der mittelalterlichen Theologie, Zürich 1965, 116f; E. Iserloh, Gratia und donum, Rechtfertigung und Heiligung nach Luthers Schrift "Wider den Löwener Theologen Latomus" (1521), in: Kirche Ereignis und Institution, Aufsätze und Vorträge, Bd 2, Münster 1985, 70f; W. Ernst, Gott und Mensch am Vorabend der Reformation. Eine Untersuchung zur Moralphilosophie und -theologie bei Gabriel Biel 310ff.

44. s.o. Anm.17

45. Ap 2, 35f (BSLK 154,5-13).

46. Ap. 214 (BSLK 150,5ff)

47. Ap.2,8 (BSLK 149,7-10); vgl.ebd. 326,28f.

48. Ap. 2,15 (BSLK 150,20ff).

49. Ap. 2,27-31 (BSLK 152f).

50. Die Wittenberger Artikel von 1536, hg. v. G. Mentz, Darmstadt 1968, 22f. Für die Unterscheidung von materiale und formale peccati vgl. auch Melanchthons Loci von 1535 und 1543 (MSA II 263).

51. Johannes Eck, Apologia pro reverendis et illustris. Principibus Catholicis, ac alijs ordinibus Imperij adversus mucores et calumnias Buceri, super actis Comiciorum Ratisponae, Köln 1542,Kijv.

52. MSA VI 5-79. Aufgrund der Wittenberger Konkordie von 1536 fehlt nun die 1530 formulierte Verwerfung der Gegenlehr bzw. der secus docentes.

53. Vgl. V. Pfnür, Die Einigung in der Rechtfertigungslehre bei den Religionsverhandlungen auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, in: Confessio Augustana und Confutatio, Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche, hg. v. E. Iserloh in Verbindung mit B. Hallensleben, Münster 1980, 365f.

54. Vgl. V. Pfnür, Die Einigung bei den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg 1540/41 eine Täuschung?, in: Die Religionsgespräche der Reformationszeit, hg. von G. Müller, Gütersloh, 1980, 68f.

55. CR IV 85.

56. Vgl. das Protokoll: CR IV 33-78. Druck Wittenberg 1542 (MBW 2863); Walch² XVII, 495-552. Eine kritische Ausgabe ist in Vorbereitung, vgl. K.-H. zur Mühlen, Die Edition der Akten und Berichte der Religionsgespräche von Hagenau und Worms 1540/41, in: Standfester Glaube. Festgaben zum 65. Geburtstag von Johann Friedrich Gerhard Goeters, hg. v. H. Faulenbach, Köln, 1991, 47-62. Zum Wormser Kolloquium vgl. H. Mackensen, The Debatte Between Eck and Melanchthon on Original Sin at the Colloquy of Worms, in: Lutheran Quaterly 11, 1959, 42-56; P. Fraenkel, Einigungsbestrebungen in der Reformationszeit. Zwei Wege zwei Motive, Wiesbaden, 1965; C. Augustijn, De godsdienstgesprekken tussen rooms-katholieken en protestanten van 1538 tot 1541. Haarlem 1967; P. Fraenkel, Die Augustana im Gespräch mit Rom, 1540-1541, in: Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch, hg. v. M. Brecht u. R. Schwarz, Stuttgart 1980, 89-103; V. Pfnür, Johannes Ecks Verständnis der Religionsgespräche, sein theologischer Beitrag in ihnen und seine Sicht der Konfessionsgegensätze, in: Johannes Eck (1483-1543) im Streit der Jahrhunderte, hg. v. E. Iserloh, Münster 1988, 223-249; Th. Fuchs, Konfession und Gespräch. Typologie und Funktion der Religionsgespräche in der Reformationszeit, Köln, Weimar, Wien 1995; A. Lexutt, Rechtfertigung im Gespräch. Das Rechtfertigungsverständnis in den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41, Göttingen 1996.

57. CA variata (s.o. Anm. 52).

58. CR IV 33-37.

59. CR IV 37-42.

60. CR IV 43-47.

61. CR IV 47-55.

62. CR IV 55-63.

63. CR IV 63: rogans etiam atque etiam, ut formulam concordiae nobis tolerabilem adhuc cum fratribus suis acceptare velit, quo pax in Ecclesiis Germaniae in aedificationem subditorum feliciter redeat, ita precor. Das Wort concordia begegnet im Kolloquium 15 mal, davon 14 mal im Munde Ecks und 1 mal im Eröffnungsgebet Melanchthons.

64. CR IV 89f; vgl. ebd. 90: »Eccius ad formulam quandam decurrit«; ebd. 89: »ille formulam... exhibuit«.

65. Vgl. A.P. Luttenberger, Johann Eck und die Religionsgespräche, in: Johannes Eck (1483-1543) im Streit der Jahrhunderte, Münster 1988, 192-222.

66. M.B. Rößner, Konrad Braun (ca. 1495-1563) - ein katholischer Jurist, Politiker, Kontroverstheologe und Kirchenreformer im konfessionellen Zeitalter, Münster 1991, 81.

67. CR IV 64-73.

68. CR IV 71: Quod vero petivit, ut cum meis Collegis colloquar, feci, et rogavi, ut libere singuli dicerent quod sentiunt, et omnium una est sententia. Die Ausführung s.u.

69. CR IV 73-78.

70. CR IV 86.

71. CR IV 32f; Eck, Apologia pro reverendis et illustris. Principibus Catholicis, ac alijs ordinibus Imperij adversus mucores et calumnias Buceri, super actis Comiciorum Ratisponae, Köln 1542, fol. c iv-ijr; Eck, Replica adversus scripta secunda Buceri apostatae super Actis Ratisponae, Ingolstadt 1543, 33r-33v; vgl. G. Cassander, Consultatio de articulis religionis inter Catholicaos et protestantes controversiis (1564/65), zu Art. II. Vgl. V. Pfnür, Johannes Ecks Verständnis der Religionsgespräche, sein theologischer Beitrag in ihnen und seine Sicht der Konfessionsgegensätze; in: Johannes Eck (1483-1543) im Streit der Jahrhunderte, Münster 1988, 223-249. Zur übersetzung vgl. Lehrverurteilungen kirchentrennend? I 51f.

72. Zu Beginn seiner Ausführungen zu CA 2 hatte Eck noch an die Position Zwinglis erinnert (CR IV 35).

73. s.o. Anm. 41. Vgl. auch Melanchthon, Loci 1535: Recentiores sine causa rixantur peccatum originale esse defectum, non concupiscentiam.

74. CR IV 39: Recte autem dixit D. Doctor de definitionibus facilius conveniri posse. Nam et nos recipimus veterem definitionem utramque. In quarum altera peccatum originis dicitur esse carentia iustitiae originalis debitae inesse. In altera vocatur concupiscentia; nec dissidere has definitiones, nec discrepare eas a nostra sententia iudicamus.

75. CR IV 49.

76. CR 40: illa originalis iustitia, quam (ut nos quidem existimamus) significat similitudo vel imago Dei, qua videlicet mens humana templum erat Dei, in qua luceret illustris notitia Dei, firma adhaesio, et perfecta dilectio. Quare et Paulus renovari iubet imaginem.

77. Vgl. BSLK 152f; MSA II 258,13

78. CR IV 35

79. CR IV, 66: De culpa movemur ambiguitate vocabuli. Nam veteres plerunque appellatione culpae utuntur pro reatu, id est, imputatione, qua aliquis reus est. Recentiores simpliciter pro peccato, et distinguunt contra poenam. Quare ut obtineat hunc morbum tantum esse poenam, non vitium pugnans cum lege Dei, postulat, ut dicamus tolli omnem culpam. Si culpam tantum intelligeret reatum, nihil impediret. Sed si hoc vult, reliquias morbi tantum esse poenam, et non sua natura vitium repugnans legi Dei, nequaquam assentior.

80. CR IV 74: Et quod addidit, reliquias peccati originalis, et ipsam concupiscentiam vitium esse, cum Augustino et Damasceno non respuimus.

81. CR IV 74: Porro quod peccatum originis adfirmat esse depravationem naturae etiam in mente, citans ad hoc Augustini testimonium de Baptismo parvulorum, qui inter alia damna etiam corruptionem mentis enumerat. Breviter respondeo: Hoc omnes fateri in Ecclesia, alia enim est natura a Deo instituta, ut absolutissimo artifice, alia vero natura destituta, laesa, et inordinata. Mentem hominis vulneratam fatemur originalis peccati reliquiis, ut est ignorantia.
Anderseits verweist Eck darauf, daß in Rm 7,23 der lex in membris = lex peccati die lex mentis gegenüberstellt ist und deutet mens auf den homo interior (CR IV 75).

82. CR IV 41: Item, Video aliam legem in membris meis, repugnantem legi mentis meae. Nec tantum loquitur de appetitionibus in sensu, sed de superioribus malis. Nec peccatum aliud hic significat, quam quod ipse exponit in textu, videlicet, malum repugnans legi Dei. Vgl. ebd. 69: Ibi diserte Paulus hunc morbum saepe nominat peccatum, et ne quid sit ambigui in vocabulo peccati, inquit esse quiddam repugnans legi Dei.

83. CR IV 46: Sed eiusdem Augustini explicationem suscipiamus, ut Apostolus concupiscentiam vocet peccatum, quia peccato facta est, addo, quia inclinat et movet ad peccandum. Elegans est simile quod Augustinus adfert, concupiscentiam sic dici peccatum, sicut scriptura hominis dicitur manus eius, vel elocutio lingua dicitur. Vgl. auch Ecks Formulierungsvorschlag: At morbum remanentem, ipsam nimirum vitiosam concupiscentiam, cum ex peccato relicta ad peccatum semper inclinet, ob hoc peccatum dici posse, sicut scriptura dicitur manus. Propterea tamen nec proprie et formaliter peccatum damnabile appellatur.

84. Melanchthon: Nam Paulus diserte vocat peccatum hunc ipsum morbum, loquens de se iam renato Rom. 7. (CR IV 41).
Eck: ... sitque a peccato facta, a peccato relicta, et ad peccatum inclinans, propter quae sanctus Paulus non semel ipsam appellavit peccatum, ad Roma. 7. Ubi fuit adsumtum, Paulum de se loqui, super quo non contendo. Licet Origenes, Ambrosius, Hilarius, Hieronymus, et si recte memini Paulinus, magnus praeco sancti Felicis, cuius hodie memoriam agit Ecclesia, diversum sentiant. At propter Augustinum iam senem verba ista de persona Pauli intelligentem, hoc quoque non displicet nobis (CR IV 46).

85. CR IV 60: Neque ego volo eruditissimas aures auditorum prolixiore expositione septimi capitis ad Roma. molestare, cum non existimem, nos hac positos fore, ut lectores: quod munus nobis in Scholis domi est expediendum. Itaque ut uno verbo me explicem, in tanta Doctorum varietate mihi heri non displicuit Augustini senis sententia.

86. CR IV 51f: Ideo veniamus ad locum Pauli ad Roma. 7. Dominus Doctor bene novit esse quandam dissimilitudinem interpretationum Origenis, et illorum qui eum secuti sunt, et alteram quam vocamus nunc Augustinianam. Nec tamen arbitror D. Doctorem Origenicam sic amplecti, ut eam anteferat Augustinianae. Et cum Scripturae sententia certa sit, unam esse veram et solam amplectendam sentimus. Vgl. ebd. 69: De septimo capite ad Romanos idem facit D. Doctor, quod quispiam pictor faciebat in pictura immolationis Iphigeniae, in qua cum consumsisset gestuum varietatem in singulis principibus qui adstabant, nec posset gestu prae caeteris insigni paternam moestitiam exprimere, pingit tegentem pallio vultum.

87. CR IV 76: Saepe adfert, peccatum dici Paulo, quod repugnat legi Dei, nec nostri aspernantur. Sic enim caro, concupiscens adversus Spiritum, pugnat cum lege Dei. Et est in hac vita perpetuum illud bellum civile, ut citavimus Augustinum, et militia, sicut citavimus Iob.

88. CR IV 72: Ac admiramur, quod tantopere contendant adversarii, homines sine peccato esse posse, cum Augustinus hanc opinionem insaniam vocet inquiens:
Sine peccato autem in hac vita neminem dixerim, quanta libet Pelagiani inflentur et rumpantur insania. Non quia peccati aliquid remaneat, quod in Baptismo non remittatur, sed quia in nobis, in huius vitae infirmitate manentibus, quotidie fieri non quiescant, quae fideliter orantibus quotidie remittantur. (Augustinus, Contra duas epistulas Pelagianorum, l.1 c.14,28 CSEL 60, 447,9ff).

89. CR IV 72.

90. Vgl. CR IV 53: Non potest beneficium Christi satis conspici, nisi morbo agnito. Et cum recepta est opinio rationalis, concupiscentiam seu infirmitatem illam in intellectu et voluntate et appetitu sensitivo, et vitiosos motus, quos vocant primos motus etc., non esse peccata, statim obrepunt imaginationes falsae de lege, quod homines lege iusti sint, legi satisfaciant etc.

91. S.o. Anm. 17.

92. S.o. Anm. 7ff.

93. CR IV 39: Non existimabamus eo tempore cum exhiberetur Confessio, futuram altercationem de hoc articulo cum his adversariis: sed aliorum clamores retundendi erant, qui prorsus tollebant peccatum originis, ut semper fuerunt, qui de peccato originis incommode senserunt.

94. CR IV 66: Videt statum huius controversiae D. Doctor, videlicet, an recte nos sic exaggeremus peccatum. Et an nimium extenuent recentiores. Vgl. CR IV 49: Certe non puto eum probare, quod Occam dicit, se, si non impediretur autoritate patrum, dicturum esse, peccatum originale tantum esse reatum; MSA II 262,30ff: Recentes et Occam et multi alii, nomen retinent peccati originalis, sed rem extenuant. Negant illa mala esse res pugnantes cum Lege. Vgl. ebd. 256,28ff.; 258,9ff.; 259,4f. Vgl. auch o. Anm. 17 und Anm. 79.

95. WA Br 9,463,127-130. Vgl. ebd. 462,85: Homo viribus naturalibus implet mandata dei quo ad substantiam facti, sed non ad intentionem incipientis; ebd. 463,125: Das der mensch gottes gebot mit wercken erfüllet quo ad substantiam facti, und des dings viel. Vgl. V. Pfnür,  Die Einigung bei den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg 1540/41 eine Täuschung?, in: Die Religionsgespräche der Reformationszeit, hg. v. G. Müller 1980, 65f.

96. vgl. V. Pfnür, Die Einigung in der Rechtfertigungslehre bei den Religionsverhandlungen auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, in: Confessio Augustana und Confutatio, hg. v. E. Iserloh, Münster 1980, 357.

97. S.o. Anm. 93f.

98. CR IV 36; 78.

99. CR IV 36.

100. CR IV 56: tamen indoctiores Ecclesiarum praedicatores, crude intelligentes huiusmodi concupiscentiam, capitale adserunt esse peccatum; ebd. IV 73: Quae superiori die dixi de capitali vitio et similibus, neque Domino Magistro hoc imposui, neque communiter Ecclesiis eorum. Verum quod concionatores minus circumspecti aliquando ex imperitia aggravant ultra regulam non aggravanda, et vitium concupiscentiae in lingua nostra Germanica nominant, Haubtsunde.

101. Vgl. V. Pfnür, Die Einigung bei den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg 1540/41 eine Täuschung?, in: Die Religionsgespräche der Reformationszeit, hg. v. G. Müller 1980, 56-64.

102. CR IV 73.

103. S.o. Anm. 30f.

104. CR IV 44. Vgl. ebd.: ... olim iuvenis videbatur sacro detrahere concilio. Et Lutherus in sancta Synodo Nicena adseruit fidem, et Evangelium defecisse; ebd. 77: Sed hi videant, qui scripserunt Decalogum novo Testamente esse antiquatum.

105. CR IV 49.

106. CR III, 383.

107. CR IV 54.

108. CR IV 40. Vgl. ebd. 65: Sentimus eos in Baptismo fieri filios Dei, accipere Spiritum sanctum, et manere in gratia, tamdiu quoad non effundant eam peccatis actualibus ea aetate, quae iam dicitur rationis compos.

109. CR IV 49: Caeterum quod ait, cum applausu recipi discrimen inter originale et actualia, vere affirmare possum, hoc discrimen in Ecclesiis nostris diligenter tradi, ac semper traditum esse. Alius alio fortasse magis proprie loquitur, ut fit. Imo extant nostrorum scripta, in quibus laudatur Augustinus, quod harum appellationum discrimen diligentius tradiderit, quam superiores.

110. CR IV 66: Crimen vocatur actuale peccatum, et quidem factum, quo lex Dei contra conscientiam violatur, cum hoc non est gratia. Nec dicimus vitiosos motus in Sanctis, quibus repugnant, crimina esse; vgl. ebd. 65: Morbus autem qui adest, non est capitale, sed remissum et condonatum peccatum.
Vgl. auch Melanchthon, Examen ordinandorurn 1552: »Es bleiben in Heiligen in diesem leben viel sünden. Nemlich böse neigung, viel unordentlicher flammen im hertzen, sicherheit, unwissenheit, verseumnis etc. Aber wenn einer wider gewissen Gottes gebot ubertrit, der ist nicht mehr heilig, betrübt und stöst von sich den heiligen Geist, felt widerunib in Gottes zorn und wird schuldig der ewigen straff. Und so er nicht widerumb zu Gott bekert wird, bleibt er im ewigen zorn.« (Schriftbelege 1 Kg 15; Mt 12,43 ff.; 2 Petr 2, 1 ff.). »Von diesem unterschied ist hochnötig die Leut zu unterrichten, das sie rechten verstand dieser lere haben, welche sünden in den Heiligen sind und welche sünden den menschen widerumb aus der gnad in Gottes zorn werffen und den heiligen Geist ausstoßen.« (MSA VI 200f). Necesse est igitur discerni peccata, quae in sanctis in hac mortali vita manent, nec excutiunt Spiritum sanctum, ab aliis peccatis, propter quae homo rursus fit reus irae Dei aeternarum poenarum. Et Paulus discernit peccatum regnans et non regnans (MSA VI 117).
Luther, Schmalkaldiche Artikel: »Darümb so ist vonnöten, zu wissen, und zu lehren, daß, wo die heiligen Leute über das, so sie die Erbsunde noch haben und fühlen, dawider auch täglich büßen und streiten, etwa in offentliche Sunde fallen als David in Ehebruch, Mord und Gottslästerung, daß alsdenn der Glaube und Geist weg ist gewest.« (BSLK 448)

111. CR IV 53: Nec illud obstat, quod disputant, non simul stare gratiam et peccatum. Verum est excuti Spiritum sanctum et gratiam ac amitti fidem, qua iustificamur, admissis peccatis contra conscientiam; ebd. 66: Rursus etiam dicimus, amitti iustitiam et gratiam, cum violatur lex Dei contra conscientiam; ebd. 41: et petat condonationem, qua fide excussa, rursus id malum etiam meretur mortem aeternam.

112. Vgl. CR IV 50: Nam cum in Baptismo datur Spiritus sanctus, is in adultis, qui non excidunt, certe est efficax. Für weitere Belege bei Luther und Melanchthon vgl. V. Pfnür, Einig in der Rechtfertigungslehre? Wiesbaden 1970, 163ff.

113. Melanchthon: Discernit [Augustinus] enim naturam et depravationem (CR IV 42). Eck: alia enim est natura a Deo instituta, ut absolutissimo artifice, alia vero natura destituta, laesa, et inordinata (CR IV 74). Vgl. für die spätere Zeit BSLK 774.

114. Die Nicht-Berücksichtigung dieser Dimension ist der Hauptgrund für die Bewertung durch Athina Lexutt (Rechtfertigung im Gespräch. Das Rechtfertigungsverständnis in den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41, Göttingen 1996, 231), »daß die Anthropologie der Altgläubigen eine grundsätzlich andere ist die der Reformatoren«.

115. CR II 741ff.

116. P. Fraenkel, Einigungsbestrebungen in der Reformationszeit. Zwei Wege zwei Motive, Wiesbaden, 1965, 63f.

117. Vgl. V. Pfnür, Johannes Ecks Verständnis der Religionsgespräche, sein theologischer Beitrag in ihnen und seine Sicht der Konfessionsgegensätze, in: Johannes Eck (1483-1543) im Streit der Jahrhunderte, Münster 1988, 241f

118. Vgl. V. Pfnür, Excommunicatio und amicum colloquium, in: Unterwegs zum einen Glauben. Festschrift für Lothar Ullrich zum 65. Geburtstag, hg. von W. Beinert, K. Feiereis und H.J. Röhrig, Leipzig 1997, 448-460.

119. Calvin an Farel, 31. 1. 1541 (Johannes Calvins Lebenswerk in seinen Briefen. Eine Auswahl von Briefen Calvins in deutscher Übersetzung von R. Schwarz, Neukirchen 1961, 176.

120. V. Pfnür, Einig in der Rechtfertigungslehre, Wiesbaden 1970, 392.

121. Ebd. 331.

122. MSA IV 237,16ff.

123. Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd 9,1. Religionsgespräche (1539-1541), bearb. v. C. Augustijn unter Mitarb. v. M. de Kroon, Gütersloh Mohn 1995, 323-483.

124. Auch das Wormser Buch verbindet die beiden Definitionen der Erbsünde als carentia iustitia originalis und als concupiscentia, unterscheidet formale und materiale peccati und betont die Bedeutung eines differenzierten Sündenverständnisses.