Simul iustus et peccator
Gerecht und Sünder zugleich
Hintergrund bei Luther und in der katholischen Kontroverstheologie
Abklärung der Kontroverse im amicum colloquium zwischen
Eck und Melanchthon
Augsburg 1530 und Worms 1541
(Referat im Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer
Theologen
veröff. in: Gerecht und Sünder zugleich? Ökumenische
Klärungen,
hg. von Theodor Schneider und Gunther Wenz,
Freiburg/Br. 2001, S.227-251)
Das simul iustus et peccator und die Rede von der bleibenden Sünde hat ihren schultheologischen Hintergrund in der Auseinandersetzung Luthers mit Gabriel Biel. Es geht dabei um die Frage, ob der Mensch auch nach der Sünde aus seinen natürlichen Kräften ohne die Gnade fähig ist, Gott über alles zu lieben.
Zwei Gruppen versperren sich nach Luther
einer Heilung: Zum einen die, die ihre Krankheit lieben und »ihren
Begierden (concupiscentias) in der Welt folgen«; zum andern »wenn
einer sich nicht als krank sondern als gesund ansieht und so den Arzt zurückweist
- dies besagt ja durch seine Werke gerechtfertigt werden und gesund sein.«
(6)
Sie wähnen, daß die Erbsünde ganz weggenommen wird wie auch die Tatsünde, gleichsam als ob sie etwas seien, das in einem Augenblick weggeschafft werden kann, so wie die Finsternis durch das Licht, wo doch die Alten, die heiligen Väter Augustinus und Ambrosius viel anders gesprochen haben nach Maßgabe der Schrift, jene aber nach Maßgabe des Aristoteles in dessen Ethik, der die Sünden und die Gerechtigkeit auf die Werke stellte, und zwar gleicherweise deren Setzung wie deren Wegnahme.
Aber der hl. Augustinus sagte aufs vortrefflichste, 'die Sünde <die Konkupiszenz> werde in der Taufe nachgelassen, nicht daß sie nicht mehr da sei, sondern daß sie nicht mehr angerechnet werde.'
Und der hl. Ambrosius sagt: 'Immer sündige ich, also kommuniziere ich immer'.
Aber von daher verstand ich Törichter nicht, inwiefern ich mich als Sünder ähnlich den übrigen halten soll und mich so niemandem vorzuziehen, wenn ich bereut und gebeichtet hätte. Damals glaubte ich nämlich, alle Sünden seien weggenommen und ausgeräumt, auch innerlich... Ich wußte nicht, daß die Vergebung zwar wahr sei, aber dennoch nicht die Wegnahme der Sünde bedeute, außer in der Hoffnung d.h. daß sie wegzunehmende sei und daß die Gnade gegeben sei, die diese wegzunehmen anfängt, sodaß sie nicht mehr als Sünde angerechnet wird.
Deswegen sind es reine Hirngespinste, wenn man behauptet, der Mensch könne aus seinen eigenen Kräften Gott über alles lieben und die gebotenen Werke tun "ihrem Tatbestande nach, aber nicht nach dem Willen des Gesetzgebers"(secundum substantiam facti, Sed non ad Intentionem praecipientis), weil er sie nicht im Stande der Gnade tue.
O Toren, o Sautheologen! So war also die Gnade nur notwendig um der neuen, das Gesetz überbietenden Forderung willen. Denn wenn das Gesetz aus unseren Kräften heraus erfüllt werden kann, wie sie sagen, dann ist die Gnade nicht nötig zur Erfüllung des Gesetzes selber, sondern nur zur Erfüllung einer neuen, über das Gesetz hinausgehende Forderung, die von Gott auferlegt ist. Wer soll denn solche gotteslästerlichen Anschauungen ertragen?« (7)
Die Reduktion des Gnadenbegriffs führt
aber in eine verhängnisvolle Alternative. Ist der Mensch außerhalb
der übernatürlichen Gnade schlechter als der Christ? Kann er
nicht selbstlos sein und Gott über alles lieben?
Biels Position führt zu einer von
Luther monierten Abwertung der Gnade als zusätzlicher Forderung und
zu einer Relativierung der Wirkung der Sakramente, da Gott dem Menschen,
der das tut, was in seinem Vermögen steht (facienti, quod in se est),
immer auch die gratia gratum faciens eingießt.
Luthers Position beinhaltet eine pauschale
Abwertung des Lebens außerhalb der Gnade als Todsünde. Wenn
der freie Wille »das tut, was in seinem Vermögen steht, dann
sündigt er tödlich«. (22)
»Todsünde ist jedes Werk des Menschen, der nicht in Christus
ist«, »ist alles, was von denen geschieht, die den Geist Gottes
nicht haben« (23). Die Tugenden der
Heiden, etwa von Sokrates oder Cato, sind nur Scheintugenden und Laster,
die aus Eigenliebe und Egoismus hervorgehen. (24)
2. Ausgangspunkt und Hintergrund der Reaktion der katholischen Kontroverstheologie.
Die
Fragestellung:
Wird Sünde durch die Taufe
nicht vergeben?
Im Kind nach der Taufe zurückbleibende Sünde (remanens peccatum) abzustreiten, heißt Paulus und Christus zugleich mit Füßen treten. (27)
Der Sündenzunder (fomes peccati) hindert, auch wenn keine einzige Tatsünde vorhanden ist, die aus dem Körper scheidende Seele am Eintritt in den Himmel. (28)
Der fomes ist wahrhaft eine Tatsünde (actuale peccatum) ... (29)
Schlecht unterscheidet man heutzutage zwischen läßlicher Sünde und Todsünde, da jeder Affekt der Konkupiszenz Todsünde ist, weil jede Sünde tödlich ist gemäß ihrer Natur, aber läßlich denen, die in Christus sind. (30)
Die Erbsünde ist eine gewisse tathafte verderbliche Begierde, deswegen unterscheidet die Schrift nicht zwischen Tatsünde und Erbsünde. (31)
3. Erste Abklärung der Kontroverse im Religionsgespräch (35) von Augsburg 1530.
Im freundschaftlichen Gespräch des Vierzehnerausschusses (38) vom 16.-21. August 1530 kam es dann zu einer Einigung: Eck sieht in der in der CA gegebenen Bestimmung der Erbsünde als natürliches Unvermögen, Gott zu fürchten und zu lieben, nur eine neue Form zu reden. Die Einigung in der Sache wird dadurch erreicht, »daß die lutherische Seite zur Kenntnis nimmt, daß auch für Eck das Material der Sünde nach der Taufe bleibt, und die katholische Seite zur Kenntnis nimmt, daß auch nach lutherischer Auffassung die Sündenschuld durch die Taufe hinweggenommen wird« (39).
Bezüglich des anderen Artikels kam man überein nach geschehener ihrer Auslegung und Erklärung, nämlich: Daß die Erbsünde sei ein Mangel ursprünglicher Gerechtigkeit, die Glauben, Vertrauen und Gottesfurcht erfordert; daß auch die begierliche Neigung, die aus der Erbsünde erwächst, bleibe in dem Menschen, aber die erbsündliche Schuld werde durch die Taufe hinweggenommen, id est: Quod tollatur quoad formale, sed maneat quoad materiale.« (40)
4.
Ausführliche Erörterung im
Wormser Kolloquium vom 14.-17.
Januar 1541
zwischen Eck und Melanchthon.
»... und ausdrücklicher haben wir uns geeinigt im Wormser Kolloquium« (Johannes Eck) (51)
Nach langwierigen Verhandlungen über Verfahrensfragen, die darin ihren Grund hatten, daß jede Seite 11 Stimmen hatte, aber auf katholischer Seite davon drei (Brandenburg, Pfalz und Jülich-Kleve) reformationsfreundlich einzuordnen waren, einigte man sich schließlich, »daß von jedem Theil einer anstatt aller andern reden solle, doch den andern gestattet werde, mit Vergunst der Präsidenten ihre Meinung, wo es vonnöthen, auch darzuthun.« (55) Die katholische Seite benannte Johannes Eck, die Protestanten Philipp Melanchthon.
Am Freitag, den 14. Januar 1541 begann das Kolloquium (56). In seinem Eröffnungsvortrag wies Eck zunächst auf die Abweichungen des von den Protestanten jetzt vorgelegten Exemplares der CA (57) gegenüber der Fassung von 1530 hin, versprach seinem Auftrag redlich, freundschaftlich und nur um der Wahrheit und der Friedens willen nachzukommen und ging dann nach einem kurzen zustimmenden Urteil zu CA 1 auf CA 2 ein. Um zur gewünschten Einheit zu kommen bat er um eine klarere Erläuterung von zwei Punkten, zum einen bezüglich der Beschreibung der Erbsünde und zum andern bezüglich der Redeweise von der nach der Taufe bleibenden Sünde. (58). Melanchthon antwortete noch am Vormittag (59). Am Nachmittag redete Eck (60), am Samstag vormittag ab 8 Uhr Melanchthon (61). Seine Ausführungen am Samstag-Nachmittag (ab 14 Uhr) (62) beschloß Eck mit den Worten: »Und immer wieder bitte ich, er [Melanchthon] möge jetzt noch mit seinen Brüdern eine für uns tragbare Einigungsformel (formula concordiae) annehmen, durch die der Friede in den Kirchen Deutschlands zur Erbauung der Untergebenen glücklich wiederkehre« (63). Melanchthon schreibt unmittelbar nach Beendigung des Kolloquiums: »Danach eilte Eck in eigenem Namen zur Formel, indem er Granvelle offen sagte, unsere Ansicht sei wahr, aber er könne es nicht durchsetzen bei den Seinen« (64). Insbesondere Ecks Auftraggeber, die bayerischen Herzöge, waren gegen eine Einigung. (65) So »intervenierte Konrad Braun, um den Vergleich zu verhindern. Am Nachmittag des 16. Januar erklärte er im Namen des Präsidiums und des Orators: satis esse disputandum, konnte sich aber damit nicht durchsetzen«. (66) So konnte Melanchthon in seinem Beitrag am Sonntag nachmittag (67) auf Ecks Bitte zurückkommen. Er berichtete, daß er mit seinen Kollegen gesprochen habe und zitiert eine kurze Zusammenfassung der gemeinsamen einhelligen Position. (68) Eck, dem noch für Montag früh 7 Uhr eine Stunde Redezeit eingeräumt wurde - faktisch begann die Sitzung dann aber doch erst um 8 Uhr - legte zum Abschluß seines Beitrages den Entwurf einer gemeinsamen Erklärung vor. (69)
Der kaiserliche Kanzler Granvelle lud dann Eck und Melanchthon zusammen mit Johannes Mensing und Martin Bucer in seine Herberge. Hier wurde folgende »Concordi oder Vergleichung« (70) formuliert:
Forma concordiae in doctrina de peccato originis (71)
[1] Fatemur unanimi sententia [consensu], omnes ab Adam propagatos
secundum communem legem, nasci cum peccato originali, et ita in ira Dei.
[2] Est autem peccatum originale carentia iustitiae originalis debitae inesse, cum concupiscentia. [3] Consentimus etiam in baptismo reatum peccati originalis remitti cumomnibus peccatis per meritum passionis Christi. [4] Manere autem, non solum apostolicis scripturis, sed ipsa experientia docti sentimus: concupiscentiam, vicium [virium] naturae, infirmitatem morbum etc. [5] De quo quidem morbo in renatis inter nos convenit:
quod maneat materiale peccati originis, formali per baptismum
sublato.
[6] Materiale autem vocamus peccati orignis [peccatum], quod fit [fiat] ex peccato, quod ad peccatum inclinet, quod repugnet [et ipsam humanae naturae depravationem, quae quod ad rem attinet, est quiddam repugnans] legi Dei, quemadmodum et Paulus [quoque peccatum] appellat: [7] Ad eandem etiam rationem in scholis compendio doceri dici solet. Manere in baptisato originis peccati materiale, formale vero quod reatus est auferri.
|
Eines Sinnes bekennen wir, daß wir alle als Nachkommen
Adams nach einer gemeinsamen Vorgegebenheit mit der Erbsünde und so
im Zorne Gottes geboren werden.
Die Erbsünde ist aber das Fehlen der geschuldeten Ursprungsgerechtigkeit verbunden mit der Konkupiszenz. Wir stimmen auch überein, daß in der Taufe die Schuld der Erbsünde zusammen mit allen Sünden vergeben wird durch das Verdienst des Leidens Christi. Belehrt aber nicht nur durch apostolische Schriften,
sondern auch durch die unmittelbare Erfahrung, sind wir der Ansicht, daß
Konkupiszenz, Verderbnis der Natur, Schwäche, Krankheit usw. zurückbleiben.
`Materiale' der Sünde nennen wir aber, was aus der Sünde stammt, was zur Sünde neigt, und eben die Verderbnis der menschlichen Natur selbst, die, was den Sachverhalt selbst betrifft, etwas dem Gesetz Gottes Widerstreitendes ist, demgemäß Paulus es denn auch `Sünde' nennt. In diesem Sinn pflegt man in den Schulen kurz und bündig zu lehren, es bleibe in den Getauften das Materiale der Erbsünde, das Formale jedoch, die Schuld, werde weggenommen. |
Melanchthon:
Quod vero petivit, ut cum meis Collegis colloquar, feci, et rogavi, ut libere singuli dicerent quod sentiunt, et omnium una est sententia. [1] Omnes homines communi naturae modo propagatos ex coniunctione maris et foeminae adferre secum nascentes peccatum originis, sicut Ecclesia confitetur. [2] Et iudicant declarationem definitionum, quam recensui, congruere cum scriptura Prophetica et Apostolica, et scriptoribus Ecclesiasticis, et existimant in ea re non esse dissensionem. [3] Convenit item, quod omnes fatentur, in Baptismo remitti peccatum originis, hoc est, condonari et dari Spiritum sanctum, qui incoat novitatem spiritualem. [4-7] De morbo autem reliquo in Sanctis sentiunt, eum non esse Adiaphoron aut tantum poenam, sed vitium pugnans cum lege Dei, quod est peccatum sua natura, sicut et Paulus expresse aliquoties peccatum nominat, sed condonatur renatis. (CR IV 71f) |
Eck:
Et quoniam satis amanter pro concordia suorum confratrum obtulit sententiam, et ego quoque pro nostris et communi sensu Ecclesiae suscipiendum offero. [1] Clare fatentur, omnes ab Adam propagatos, secundum legem communem, nasci cum peccato originali, et ita in ira Dei. [2] Esse autem peccatum originale carentiam iustitiae originalis debitae inesse, cum concupiscentia. [3] Et in Baptismo reatum peccati originalis, et omnia peccata remitti per meritum passionis Christi. [4-7] At morbum remanentem, ipsam nimirum vitiosam concupiscentiam, cum ex peccato relicta ad peccatum semper inclinet, ob hoc peccatum dici posse, sicut scriptura dicitur manus. Propterea tamen nec proprie et formaliter peccatum damnabile appellatur. (CR IV 78)
|
Die Forma concordiae ist klar strukturiert.
Satz 1 formuliert die grundsätzliche Bejahung der Erbsünde als gemeinsame Position, jetzt auch innerhalb der protestantischen Seite, im Unterschied zu Augsburg 1530. (72)
Satz 2 geht auf die Definition der Erbsünde ein.
Mit der Unterscheidung von materiale und formale peccati
in den Sätzen 5 und 7 wird die Einigung von Augsburg 1530 aufgenommen,
wobei Satz 7 sich ausdrücklich auf die Scholastik beruft, der Sache
nach auf Thomas von Aquin. Auffällig ist, daß im Kolloquium
selbst weder die Begriffe formale und materiale peccati noch - im Unterschied
zur Apologie und zu den Loci von 1535 (77)
- die Berufung auf Thomas, Bonaventura und Hugo von St. Viktor begegnet.
Eck hatte in seinem ersten Redebeitrag bemerkt, daß zur Klärung
des Sündenverständnisses die alte Darlegung der Väter (antiqua
patrum explicatio) genügt (78). Dementsprechend
kommt im Kolloquium der Auslegung von Väterstellen, insbesondere von
Augustinus zentrale Bedeutung zu.
Bemerkenswert ist auch, daß im Unterschied zu Augsburg
1530 das formale peccati nicht mit Schuld (culpa), sondern mit reatus gleichgesetzt
wird. Dies ist auf dem Hintergrund der Ausführungen Melanchthons beim
Kolloquium zu werten: »Bezüglich der Schuld (culpa) werden
wir von der Zweideutigkeit des Wortes bewegt. Denn die Alten gebrauchen
meist die Bezeichnung Schuld für die Schuldigkeit (reatus)
d.h. für die Anrechnung, durch die jemand schuldig ist, die Neueren
(recentiores) dagegen einfach für die Sünde (peccatum)
im Unterschied zur Strafe (poena). Aus dem Grunde, daß er
erlangen möchte, daß diese Krankheit nur eine Strafe ist, und
keine Verderbnis, die mit dem Gesetz Gottes im Kampf liegt (vitium pugnans
cum lege Dei), fordert er, daß wir sagen, alle Schuld werde hinweggenommen.
Wenn er die Schuld lediglich als Schuldigkeit (reatus) versteht,
hat es kein Hindernis. Wenn er aber das will, daß die Überreste
der Krankheit nur Strafe (poena) sind, und nicht eine ihrer Natur
nach dem Gesetz Gottes widerstreitende Verderbnis (vitium repugnans
legi Dei), stimme ich auf keinen Fall zu«.
(79)
Mit den Ausdrücken vicium naturae (Satz 4),
quod
repugnet legi Dei (Satz 6) und reatus (Satz 7) ist so in der
Einigungsformel das Anliegen Melanchthons aufgenommen.
Daß die Überreste der Erbsünde und die
Konkupiszenz selbst Verderbnis (vitium) seien, akzeptiert Eck mit
Augustinus und Damascenus. (80) Dabei geht
es für Eck auch um eine Verderbnis des Geistes.
(81)
Die Formulierung repugnet legi Dei ist Anklang
an Rm 7,23 (video autem aliam legem in membris meis, repugnantem legi mentis
meae). Es ist die Stelle, die Melanchthon anführt, um zu erweisen
daß die Sünde ein dem Gesetz Gottes widerstreitendes Übel
ist. (82)
Die Einigungsformel ordnet »das, was dem Gesetz
widerstreitet« und was »Paulus Sünde nennt«, gleich
mit dem »Material der Sünde«, und dem, »was aus
der Sünde entsteht und zur Sünde hinführt« (Satz 6).
Bereits in seiner ersten Antwort auf Melanchthon hatte
Eck diese Gleichsetzung im Anschluß an Augustinus ausgeführt.
Vorausgesetzt ist dabei zum einen ein mehrschichtiges Sündenverständnis,
das einerseits Schuld und Konkupiszenz unterscheidet, aber anderseits die
Konkupiszenz in den Gesamtrahmen Sünde miteinbindet. Dieser innere
Zusammenhang wird auch durch den Vergleich, den Augustinus anführt
und auf den Eck sich beruft, deutlich: »Kunstsinnig ist das Gleichnis,
das Augustinus anführt, die Konkupiszenz werde so Sünde genannt,
wie die Handschrift eines Menschen Hand genannt oder das Sprechen Zunge.«
(83)
Zum andern stimmt Eck damit der von Melanchthon vertretenen
Deutung von Rm 7 zu, nach der Paulus hier von sich als Wiedergeborenem
rede, und rechtfertigt diese Deutung mit dem Verweis auf den alten Augustinus.
(84)
Allerdings ist sich Eck bewußt, daß Rm 7
in der Tradition unterschiedlich gedeutet wird und so verweist er eine
intensivere Erörterung der Auslegung von Rm 7 als Aufgabe in den Schulbetrieb
zuhause, (85) während Melanchthon
auf eine eindeutige Festlegung drängt. (86) Beide, sowohl Melanchthon wie Eck, verweisen zum Abschluß
ihrer Kolloquiumsbeiträge nach den oben angeführten Formulierungsvorschlägen
auf das, worauf es ihnen ankommt.
Melanchthons Anliegen ist
zu sagen, daß die Menschen nicht ohne Sünde sein können.
Dafür beruft er sich abschließend auf Augustinus: »Ohne
Sünde möchte ich in diesem Leben niemanden nennen, auch wenn
die Pelagianer in noch so großer Raserei sich aufblähen und
zerbersten. Nicht weil irgendetwas an Sünde zurückbleibt, was
in der Taufe nicht vergeben würde, sondern weil in uns, die wir in
der Schwachheit dieses Lebens bleiben, täglich ohne Unterlaß
etwas geschieht, das den gläubig Bittenden täglich vergeben wird«
(88). »Wer seine eigene Schwachheit anerkennt und seine
Zuflucht zum Sohn Gottes als Mittler nimmt, im Glauben bittet«, dem
spricht Christus entsprechend der abschließend zitierten Schriftstelle
Lk 7,47.50 »die Vergebung der Sünden zu und das Lob des erfüllten
Gesetzes, nämlich die Liebe«. (89)
Für Eck geht es darum,
die Sündenvergebung durch die Taufe herauszustellen. In seinem Schlußwort
verweist er nochmal auf die bereits in der Eröffnungsrede angeführten
Schriftstellen Mich 7,19; Ez 36,25; Joh 3,5 und 1 Kor 6,11 sowie auf die
Kirchenväter Cyprianus, Hieronymus, Ambrosius, Augustinus et Chrysostomus
zum Zeugnis dafür, daß in der Taufe als Bad des Lebens und der
Wiedergeburt, alle Sünden vergeben, ins Meer geworden und abgewaschen
werden. (98) »Zu behaupten aber,
nach der Taufe bleibe im Kind Sünde zurück«, kann von uns
so roh (crude) nicht angenommen werden« (99).
»In keinem anderen Jahrhundert gab es mehr Streitereien
in der Kirche als in unserem. Aber es gibt keinen Zweifel, daß die
meisten Kontroversen, wenn sie angemessen und gründlich dargelegt
und behandelt werden, beseitigt und aufgehoben werden können...
Die Zeit Dezember 1540 / Januar 1541 in Worms gehört zu den seltenen
Situationen der Reformationsgeschichte, in denen es einer kleinen Gruppe
von Theologen auch gegen vielerlei Widerstände gelungen ist, Kontroversfragen
einer Klärung zuzuführen. Parallel zum öffentlichen freundschaftlichen
Gespräch zwischen Eck und Melanchthon verfaßten Gropper und
Butzer zusammen mit Capito und Veltwijck in strengster Geheimhaltung das
sogenannte Wormser Buch (123). Die Tragik
der Situation liegt darin, daß beide Unternehmungen als alternativ
betrachtet wurden und mit der Fertigstellung des Wormser Buches das Kolloquium
über die CA zwischen Eck und Melanchthon abgebrochen wurde.
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8. Vgl. Luthers,
Brief an Joh. Lang von Mitte Oktober 1516 (WABr 1, Nr. 26).
10. Vgl. V. Pfnür,
Die Verwerfungen der Confessio Augustana, der Apologie und der Schmalkaldischen
Artikel hinsichtlich der Rechtfertigungslehre, in: Lehrverurteilungen -
kirchentrennend? II: Materialien zu den Lehrverurteilungen und zur Theologie
der Rechtfertigung, hg. v. K. Lehmann, Freiburg / Göttingen 1989,
191-209, bes. 195-200.
11. Gabriel Biel,
Collectorium in quattuor libros sententiarum, l.III dist. 27 qu.un. ar.3
dub.2 (Kritische Ausgabe von W. Werbeck und U. Hofmann, Tübingen 1979,
III, 503-511).
14. Vgl. WA 57
Gal 80,6ff.; WA 1,373,6ff.; 468,35ff.; 469,37ff.; WA 2,401,22-28; 516,10-21;
521,3f.; WA 8,54,3ff.; 467,1--6; 596,13ff.; WA 23,505,3-9; WA 30 II 672,25--29;
WA 38, 160,1--15.
15. WA 40 I,
227,25-29. Im vorausgehenden bringt Luther folgenden Vergleich: Wie wenn
eine Herrin nicht damit zufrieden wäre, daß ihre Köchin
alles gut gebraten und gesotten hat, sondern darüber hinaus fordert,
daß die Köchin eine goldene Krone auf dem Kopf trägt.
16. »Welcher
Hochmut! Wie wird die Sünde verkannt, wie wird Gott verkannt, das
Gesetz verkannt! Da doch Gott deswegen den Elenden die Gnade anbietet,
damit wir - weil er sieht, daß wir sein Gesetz nicht erfüllen
können -, es durch sie erfüllen« (WA 56, 279,9-11). Vgl.
Disputation gegen die scholastische Theologie (Cl 5,320-326), These 69:
Impossibile est itaque, legem impleri sine gratia dei ullo modo.
17. Gabriel Biel
unter Berufung auf Duns Scotus (Collect. l.IV dist.16 qu.5 ar.3 dub.2 lit.I;
vgl. ebd. l.IV dist.14 qu.1 a.1 not.2 lit.H; J. Altenstaig, Vocabularius
theologie (Hagenau 1517), Stichwort: Remissio venialis; E. Iserloh, Gnade
und Eucharistie in der philosophischen Theologie des Wilhelm von Ockham,
Wiesbaden 1956, S. 97-100.
18. Luther, Assertio
1520: Rursum dicent: At nos reatum hunc proprie vocamus peccatum, non illud
quod remanet. Respondeo: In re ista seria ac sacra non licet arguciis sophisticis
cavillari, quibus effingunt reatum esse respectum inter deum et peccatorem,
quo hic deputatur ad poenam. Iniuria est gratiae dei, si solum istum phantasticum
respectum tollere doceatur, cum, ut scriptura loquitur gratia dei renovet,
mutet et in novos homines transformet de die in diem, et res ista serio
agatur non respectibus tollendis, sed substantia et vita mutandis (WA 7,109,14-23).
19. WA 56,278,9-16:
... dimisso itaque malo opere et residuo peccati i.e. fomitis non imputato,
donec sanetur. Tunc tercio sequitur, quod sit iam Impius Iustificatus;
Licet enim sit peccator, sed non impius. Impius enim dicitur, qui non est
cultor Dei, sed aversus et sine timore et Reverentia Dei. Iustificatus
autem et 'tectus peccatis suis' iam est conuersus et pius; colit enim Deum
et querit eum in spe et timore. Zur Unterscheidung zwischen peccatum und
crimen vgl. ebd. 284,10f.22ff.
20. Gabriel Biel,
Collect. l.II dist.26 qu.un. ar.3 dub. 2 H.; vgl. W. Ernst, Gott und Mensch
am Vorabend der Reformation. Eine Untersuchung zur Moralphilosophie und
-theologie bei Gabriel Biel, Leipzig 1972, 404f.
21. Vgl. V. Pfnür,
Einig in der Rechtfertigungslehre, Wiesbaden 1970, 70-74.
22. Luther, Heidelberger
Disputation: Liberum arbitrium post peccatum est res de solo titulo; et
dum facit quod in se est peccat mortaliter (WA 1,354,5f) = Error 36 der
Bulle Exsurge Domine (DS 1486).
23. MSA II 139,11.29f
(Melanchthon, Loci 1521).
24. MSA II 21
f. (Melanchthon, Loci 1521). Nach den Loci von 1535 hingegen sind "jene
heldenhaften Tugenden" der Heiden "wahrhaft besondere Gaben und Werke Gottes"
(CR XXI 293).
25. Vgl. V. Pfnür,
Excommunicatio und amicum colloquium. Das Religionsgespräch auf dem
Reichstag zu Augsburg 1530 auf dem Hintergrund der Frage des Lutherbannes,
in: Unterwegs zum einen Glauben. Festschrift für Lothar Ullrich zum
65. Geburtstag, hg. von W. Beinert, K. Feiereis und H.J. Röhrig, Leipzig
1997, 449f.
26. Vgl. ebd.;
V. Pfnür, Confutation, in: The Oxford Encyclopedia of the Reformation,
ed. by H.J. Hillerbrand, New York - Oxford 1996, I, 408-410.
27. DS 1452 [WA
2,160,34-35] = Eck, Vierhundertvier Artikel, Art. 2.
28. Bulle Exsurge
Domine, Error 2 (DS 1453; WA 1,572,10ff) = Eck, Vierhundertvier Artikel,
Art. 3.
29. Eck Vierhundertundvier
Artikel, Art. 180 [WA 7,111,5f]
30. Melanchthon,
In evangelium Matthaei annotationes, zu Mt 5,19 (1523): Male distinguunt
hodie inter veniale et mortale, cum omnis affectus concupiscentiae sit
peccatum mortale quia omne peccatum est mortale secundum naturam, sed veniale
his, qui sunt in Christo (MSA IV 154,8f). vgl. Eck Vierhundertundvier Artikel,
Art. 182.
31. Melanchthon,
Loci (1521): Scriptura non vocat hoc originale, illud actuale peccatum.
Est enim et originale peccatum plane actualis quaedam prava cupiditas (MSA
II,17,38f) vgl. Eck Vierhundertundvier Artikel, Art. 184.
32. Vgl. Satz
1 der Bulle Exsurge Domine (DS 1451); Eck, Vierhundertvier Artikel, Art.
215: Baptismus neminem iustificat nec ulli prodest, sed tantum fides in
verbum promissionis, cui additur baptismus [WA 6,532 = Responsio Catholica,
Art. 9 ], Art. 227: Baptismus non prodest infanti, nisi habeat propriam
fidem [WA 17 II 81,3f.; 82,23--26 = Responsio Catholica Art. 9]; Art. 228:
Lavacrum baptismi non tollit originale peccatum, sed solus sanguis Christi;
J. Fabri, Antilogiarum Martini Lutheri Babylonia, Cap. III: Baptismus non
est plus quam externum signum [WA 12,560,26; 561,9-12]; Praestat prorsus
omittere baptismum in parvulis quam baptizare sine fide, quia sacramenta
neque debent neque possunt sine fide accipi [WA 11, 452,30-33].
33. Catholica
responsio (Die Konfutation des Augsburgischen Bekenntnisses. Ihre erste
Gestalt und ihre Geschichte, hg. v. J. Ficker, Leipzig 1891, 9).
35. Nach dem
Selbstverständnis der Beteiligten zählt bereits Augsburg 1530
zu den Religionsgesprächen. So schreibt etwa Johannes Eck: »So
habe ich durch Gottes Gnade so Ihren Mut gebrochen, daß sie es nicht
wagen, sich in eine Disputation einzulassen, sondern nur ein freundschaftliches
Gespräch (amicum colloquium) suchen, wie in Augsburg, Worms und Regensburg«
(Johannes Eck, Replica ... adversus scripta secunda Buceri apostatae super
actis Ratisponae, Ingolstadt 1543, 46v. Die noch vielfach verbreitete
ausschließliche Zuordnung von Religionsgespräch mit Humanismus
und Vermittlungstheologie, derzufolge der Beginn der Religionsgespräche
auf Reichsebene erst mit Worms/Regensburg 1540/41 angesetzt wird, ist nur
forschungsgeschichtlich zu erklären (vgl. etwa die Arbeit von R. Stupperich,
Der Humanismus und die Wiedervereinigung der Konfessionen, Leipzig, 1936).
36. Johannes
Eck, Apologia pro reverendis et illustris. Principibus Catholicis, ac alijs
ordinibus Imperij adversus mucores et calumnias Buceri, super actis Comiciorum
Ratisponae, Köln 1542,Kijv.
37. Die Confutatio
der Confessio Augustana vom 3. August 1530, hg. v. H. Immenkötter,
Münster 1979, 82f.
38. Vgl. H. Immenkötter,
Um die Einheit im Glauben. Die Unionsverhandlungen des Augsburger Reichstages
im August und September 1530, Münster 1973; V. Pfnür, Einig in
der Rechtfertigungslehre 251-271; Eu. Honée, Der Libell des Hieronymus
Vehus zum Augsburger Reichstag 1530. Untersuchungen und Texte zur katholischen
Concordia-Politik, Münster 1988.
39. V. Pfnür,
Die Einigung in der Rechtfertigungslehre bei den Religionsverhandlungen
auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, in: Confessio Augustana und Confutatio.
Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche, hg. v. E. Iserloh
in Verbindung mit B. Hallensleben, Münster 1980, 362. ; V. Pfnür,
Excommunicatio und amicum colloquium. Das Religionsgespräch auf dem
Reichstag zu Augsburg 1530 auf dem Hintergrund der Frage des Lutherbannes,
in: Unterwegs zum einen Glauben. Festschrift für Lothar Ullrich zum
65. Geburtstag, hg. von W. Beinert, K. Feiereis und H.J. Röhrig, Leipzig
1997, 448-460.Eu. Honée, Der Libell des Hieronymus Vehus, 214.
40.Offizieller
Bericht für den Kaiser durch den badischen Kanzler Vehus: Eu. Honée,
Der Libell des Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530. Münster
1988, 213f.
41. Gabriel Biel,
Collect. l. II dist. 30 qu.2 ar.1 not.1.
42.Qualitas morbida
animae, vitium scilicet concupiscentiae. Als weitere Bezeichnungen führt
Biel an: fomes peccati, concupiscentia vel concupiscibilitas, lex membrorum,
languor naturae, tyrannus in membris, lex carnis (ebd.).
43. ebd.; vgl.
H.A. Oberman, Spätscholastik und Reformation Bd I: der Herbst der
mittelalterlichen Theologie, Zürich 1965, 116f; E. Iserloh, Gratia
und donum, Rechtfertigung und Heiligung nach Luthers Schrift "Wider den
Löwener Theologen Latomus" (1521), in: Kirche Ereignis und Institution,
Aufsätze und Vorträge, Bd 2, Münster 1985, 70f; W. Ernst,
Gott und Mensch am Vorabend der Reformation. Eine Untersuchung zur Moralphilosophie
und -theologie bei Gabriel Biel 310ff.
45. Ap 2, 35f
(BSLK 154,5-13).
47. Ap.2,8 (BSLK
149,7-10); vgl.ebd. 326,28f.
50. Die Wittenberger
Artikel von 1536, hg. v. G. Mentz, Darmstadt 1968, 22f. Für die Unterscheidung
von materiale und formale peccati vgl. auch Melanchthons Loci von 1535
und 1543 (MSA II 263).
51. Johannes
Eck, Apologia pro reverendis et illustris. Principibus Catholicis, ac alijs
ordinibus Imperij adversus mucores et calumnias Buceri, super actis Comiciorum
Ratisponae, Köln 1542,Kijv.
52. MSA VI 5-79.
Aufgrund der Wittenberger Konkordie von 1536 fehlt nun die 1530 formulierte
Verwerfung der Gegenlehr bzw. der secus docentes.
53. Vgl. V. Pfnür,
Die Einigung in der Rechtfertigungslehre bei den Religionsverhandlungen
auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, in: Confessio Augustana und Confutatio,
Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche, hg. v. E. Iserloh
in Verbindung mit B. Hallensleben, Münster 1980, 365f.
54. Vgl. V. Pfnür,
Die Einigung bei den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg
1540/41 eine Täuschung?, in: Die Religionsgespräche der Reformationszeit,
hg. von G. Müller, Gütersloh, 1980, 68f.
56. Vgl. das
Protokoll: CR IV 33-78. Druck Wittenberg 1542 (MBW 2863); Walch² XVII,
495-552. Eine kritische Ausgabe ist in Vorbereitung, vgl. K.-H. zur Mühlen,
Die Edition der Akten und Berichte der Religionsgespräche von Hagenau
und Worms 1540/41, in: Standfester Glaube. Festgaben zum 65. Geburtstag
von Johann Friedrich Gerhard Goeters, hg. v. H. Faulenbach, Köln,
1991, 47-62. Zum Wormser Kolloquium vgl. H. Mackensen, The Debatte Between
Eck and Melanchthon on Original Sin at the Colloquy of Worms, in: Lutheran
Quaterly 11, 1959, 42-56; P. Fraenkel, Einigungsbestrebungen in der Reformationszeit.
Zwei Wege zwei Motive, Wiesbaden, 1965; C. Augustijn, De godsdienstgesprekken
tussen rooms-katholieken en protestanten van 1538 tot 1541. Haarlem 1967;
P. Fraenkel, Die Augustana im Gespräch mit Rom, 1540-1541, in: Bekenntnis
und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch, hg. v. M. Brecht u.
R. Schwarz, Stuttgart 1980, 89-103; V. Pfnür, Johannes Ecks Verständnis
der Religionsgespräche, sein theologischer Beitrag in ihnen und seine
Sicht der Konfessionsgegensätze, in: Johannes Eck (1483-1543) im Streit
der Jahrhunderte, hg. v. E. Iserloh, Münster 1988, 223-249; Th. Fuchs,
Konfession und Gespräch. Typologie und Funktion der Religionsgespräche
in der Reformationszeit, Köln, Weimar, Wien 1995; A. Lexutt, Rechtfertigung
im Gespräch. Das Rechtfertigungsverständnis in den Religionsgesprächen
von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41, Göttingen 1996.
57. CA variata
(s.o. Anm. 52).
63. CR IV 63:
rogans etiam atque etiam, ut formulam concordiae nobis tolerabilem adhuc
cum fratribus suis acceptare velit, quo pax in Ecclesiis Germaniae in aedificationem
subditorum feliciter redeat, ita precor. Das Wort concordia begegnet im
Kolloquium 15 mal, davon 14 mal im Munde Ecks und 1 mal im Eröffnungsgebet
Melanchthons.
64. CR IV 89f;
vgl. ebd. 90: »Eccius ad formulam quandam decurrit«; ebd. 89:
»ille formulam... exhibuit«.
65. Vgl. A.P.
Luttenberger, Johann Eck und die Religionsgespräche, in: Johannes
Eck (1483-1543) im Streit der Jahrhunderte, Münster 1988, 192-222.
66. M.B. Rößner,
Konrad Braun (ca. 1495-1563) - ein katholischer Jurist, Politiker, Kontroverstheologe
und Kirchenreformer im konfessionellen Zeitalter, Münster 1991, 81.
68. CR IV 71:
Quod vero petivit, ut cum meis Collegis colloquar, feci, et rogavi, ut
libere singuli dicerent quod sentiunt, et omnium una est sententia. Die
Ausführung s.u.
71. CR IV 32f;
Eck, Apologia pro reverendis et illustris. Principibus Catholicis, ac alijs
ordinibus Imperij adversus mucores et calumnias Buceri, super actis Comiciorum
Ratisponae, Köln 1542, fol. c iv-ijr; Eck, Replica
adversus scripta secunda Buceri apostatae super Actis Ratisponae, Ingolstadt
1543, 33r-33v; vgl. G. Cassander, Consultatio de
articulis religionis inter Catholicaos et protestantes controversiis (1564/65),
zu Art. II. Vgl. V. Pfnür, Johannes Ecks Verständnis der Religionsgespräche,
sein theologischer Beitrag in ihnen und seine Sicht der Konfessionsgegensätze;
in: Johannes Eck (1483-1543) im Streit der Jahrhunderte, Münster 1988,
223-249. Zur übersetzung vgl. Lehrverurteilungen kirchentrennend?
I 51f.
72. Zu Beginn
seiner Ausführungen zu CA 2 hatte Eck noch an die Position Zwinglis
erinnert (CR IV 35).
73. s.o. Anm.
41. Vgl. auch Melanchthon, Loci 1535: Recentiores sine causa rixantur peccatum
originale esse defectum, non concupiscentiam.
74. CR IV 39:
Recte autem dixit D. Doctor de definitionibus facilius conveniri posse.
Nam et nos recipimus veterem definitionem utramque. In quarum altera peccatum
originis dicitur esse carentia iustitiae originalis debitae inesse. In
altera vocatur concupiscentia; nec dissidere has definitiones, nec discrepare
eas a nostra sententia iudicamus.
76. CR 40: illa
originalis iustitia, quam (ut nos quidem existimamus) significat similitudo
vel imago Dei, qua videlicet mens humana templum erat Dei, in qua luceret
illustris notitia Dei, firma adhaesio, et perfecta dilectio. Quare et Paulus
renovari iubet imaginem.
77. Vgl. BSLK
152f; MSA II 258,13
79. CR IV, 66:
De culpa movemur ambiguitate vocabuli. Nam veteres plerunque appellatione
culpae utuntur pro reatu, id est, imputatione, qua aliquis reus est. Recentiores
simpliciter pro peccato, et distinguunt contra poenam. Quare ut obtineat
hunc morbum tantum esse poenam, non vitium pugnans cum lege Dei, postulat,
ut dicamus tolli omnem culpam. Si culpam tantum intelligeret reatum, nihil
impediret. Sed si hoc vult, reliquias morbi tantum esse poenam, et non
sua natura vitium repugnans legi Dei, nequaquam assentior.
80. CR IV 74:
Et quod addidit, reliquias peccati originalis, et ipsam concupiscentiam
vitium esse, cum Augustino et Damasceno non respuimus.
81. CR IV 74:
Porro quod peccatum originis adfirmat esse depravationem naturae etiam
in mente, citans ad hoc Augustini testimonium de Baptismo parvulorum, qui
inter alia damna etiam corruptionem mentis enumerat. Breviter respondeo:
Hoc omnes fateri in Ecclesia, alia enim est natura a Deo instituta, ut
absolutissimo artifice, alia vero natura destituta, laesa, et inordinata.
Mentem hominis vulneratam fatemur originalis peccati reliquiis, ut est
ignorantia.
82. CR IV 41:
Item, Video aliam legem in membris meis, repugnantem legi mentis meae.
Nec tantum loquitur de appetitionibus in sensu, sed de superioribus malis.
Nec peccatum aliud hic significat, quam quod ipse exponit in textu, videlicet,
malum repugnans legi Dei. Vgl. ebd. 69: Ibi diserte Paulus hunc morbum
saepe nominat peccatum, et ne quid sit ambigui in vocabulo peccati, inquit
esse quiddam repugnans legi Dei.
83. CR IV 46:
Sed eiusdem Augustini explicationem suscipiamus, ut Apostolus concupiscentiam
vocet peccatum, quia peccato facta est, addo, quia inclinat et movet ad
peccandum. Elegans est simile quod Augustinus adfert, concupiscentiam sic
dici peccatum, sicut scriptura hominis dicitur manus eius, vel elocutio
lingua dicitur. Vgl. auch Ecks Formulierungsvorschlag: At morbum remanentem,
ipsam nimirum vitiosam concupiscentiam, cum ex peccato relicta ad peccatum
semper inclinet, ob hoc peccatum dici posse, sicut scriptura dicitur manus.
Propterea tamen nec proprie et formaliter peccatum damnabile appellatur.
84. Melanchthon:
Nam Paulus diserte vocat peccatum hunc ipsum morbum, loquens de se iam
renato Rom. 7. (CR IV 41).
85. CR IV 60:
Neque ego volo eruditissimas aures auditorum prolixiore expositione septimi
capitis ad Roma. molestare, cum non existimem, nos hac positos fore, ut
lectores: quod munus nobis in Scholis domi est expediendum. Itaque ut uno
verbo me explicem, in tanta Doctorum varietate mihi heri non displicuit
Augustini senis sententia.
86. CR IV 51f:
Ideo veniamus ad locum Pauli ad Roma. 7. Dominus Doctor bene novit esse
quandam dissimilitudinem interpretationum Origenis, et illorum qui eum
secuti sunt, et alteram quam vocamus nunc Augustinianam. Nec tamen arbitror
D. Doctorem Origenicam sic amplecti, ut eam anteferat Augustinianae. Et
cum Scripturae sententia certa sit, unam esse veram et solam amplectendam
sentimus. Vgl. ebd. 69: De septimo capite ad Romanos idem facit D. Doctor,
quod quispiam pictor faciebat in pictura immolationis Iphigeniae, in qua
cum consumsisset gestuum varietatem in singulis principibus qui adstabant,
nec posset gestu prae caeteris insigni paternam moestitiam exprimere, pingit
tegentem pallio vultum.
87. CR IV 76:
Saepe adfert, peccatum dici Paulo, quod repugnat legi Dei, nec nostri aspernantur.
Sic enim caro, concupiscens adversus Spiritum, pugnat cum lege Dei. Et
est in hac vita perpetuum illud bellum civile, ut citavimus Augustinum,
et militia, sicut citavimus Iob.
88. CR IV 72:
Ac admiramur, quod tantopere contendant adversarii, homines sine peccato
esse posse, cum Augustinus hanc opinionem insaniam vocet inquiens:
90. Vgl. CR IV
53: Non potest beneficium Christi satis conspici, nisi morbo agnito. Et
cum recepta est opinio rationalis, concupiscentiam seu infirmitatem illam
in intellectu et voluntate et appetitu sensitivo, et vitiosos motus, quos
vocant primos motus etc., non esse peccata, statim obrepunt imaginationes
falsae de lege, quod homines lege iusti sint, legi satisfaciant etc.
93. CR IV 39:
Non existimabamus eo tempore cum exhiberetur Confessio, futuram altercationem
de hoc articulo cum his adversariis: sed aliorum clamores retundendi erant,
qui prorsus tollebant peccatum originis, ut semper fuerunt, qui de peccato
originis incommode senserunt.
94. CR IV 66:
Videt statum huius controversiae D. Doctor, videlicet, an recte nos sic
exaggeremus peccatum. Et an nimium extenuent recentiores. Vgl. CR IV 49:
Certe non puto eum probare, quod Occam dicit, se, si non impediretur autoritate
patrum, dicturum esse, peccatum originale tantum esse reatum; MSA II 262,30ff:
Recentes et Occam et multi alii, nomen retinent peccati originalis, sed
rem extenuant. Negant illa mala esse res pugnantes cum Lege. Vgl. ebd.
256,28ff.; 258,9ff.; 259,4f. Vgl. auch o. Anm. 17 und Anm. 79.
95. WA Br 9,463,127-130.
Vgl. ebd. 462,85: Homo viribus naturalibus implet mandata dei quo ad substantiam
facti, sed non ad intentionem incipientis; ebd. 463,125: Das der mensch
gottes gebot mit wercken erfüllet quo ad substantiam facti, und des
dings viel. Vgl. V. Pfnür, Die Einigung bei den Religionsgesprächen
von Worms und Regensburg 1540/41 eine Täuschung?, in: Die Religionsgespräche
der Reformationszeit, hg. v. G. Müller 1980, 65f.
96. vgl. V. Pfnür,
Die Einigung in der Rechtfertigungslehre bei den Religionsverhandlungen
auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, in: Confessio Augustana und Confutatio,
hg. v. E. Iserloh, Münster 1980, 357.
100. CR IV 56:
tamen indoctiores Ecclesiarum praedicatores, crude intelligentes huiusmodi
concupiscentiam, capitale adserunt esse peccatum; ebd. IV 73: Quae superiori
die dixi de capitali vitio et similibus, neque Domino Magistro hoc imposui,
neque communiter Ecclesiis eorum. Verum quod concionatores minus circumspecti
aliquando ex imperitia aggravant ultra regulam non aggravanda, et vitium
concupiscentiae in lingua nostra Germanica nominant, Haubtsunde.
101. Vgl. V.
Pfnür, Die Einigung bei den Religionsgesprächen von Worms und
Regensburg 1540/41 eine Täuschung?, in: Die Religionsgespräche
der Reformationszeit, hg. v. G. Müller 1980, 56-64.
104. CR IV 44.
Vgl. ebd.: ... olim iuvenis videbatur sacro detrahere concilio. Et Lutherus
in sancta Synodo Nicena adseruit fidem, et Evangelium defecisse; ebd. 77:
Sed hi videant, qui scripserunt Decalogum novo Testamente esse antiquatum.
108. CR IV 40.
Vgl. ebd. 65: Sentimus eos in Baptismo fieri filios Dei, accipere Spiritum
sanctum, et manere in gratia, tamdiu quoad non effundant eam peccatis actualibus
ea aetate, quae iam dicitur rationis compos.
109. CR IV 49:
Caeterum quod ait, cum applausu recipi discrimen inter originale et actualia,
vere affirmare possum, hoc discrimen in Ecclesiis nostris diligenter tradi,
ac semper traditum esse. Alius alio fortasse magis proprie loquitur, ut
fit. Imo extant nostrorum scripta, in quibus laudatur Augustinus, quod
harum appellationum discrimen diligentius tradiderit, quam superiores.
110. CR IV 66:
Crimen vocatur actuale peccatum, et quidem factum, quo lex Dei contra conscientiam
violatur, cum hoc non est gratia. Nec dicimus vitiosos motus in Sanctis,
quibus repugnant, crimina esse; vgl. ebd. 65: Morbus autem qui adest, non
est capitale, sed remissum et condonatum peccatum.
111. CR IV 53:
Nec illud obstat, quod disputant, non simul stare gratiam et peccatum.
Verum est excuti Spiritum sanctum et gratiam ac amitti fidem, qua iustificamur,
admissis peccatis contra conscientiam; ebd. 66: Rursus etiam dicimus, amitti
iustitiam et gratiam, cum violatur lex Dei contra conscientiam; ebd. 41:
et petat condonationem, qua fide excussa, rursus id malum etiam meretur
mortem aeternam.
112. Vgl. CR
IV 50: Nam cum in Baptismo datur Spiritus sanctus, is in adultis, qui non
excidunt, certe est efficax. Für weitere Belege bei Luther und Melanchthon
vgl. V. Pfnür, Einig in der Rechtfertigungslehre? Wiesbaden 1970,
163ff.
113. Melanchthon:
Discernit [Augustinus] enim naturam et depravationem (CR IV 42). Eck: alia
enim est natura a Deo instituta, ut absolutissimo artifice, alia vero natura
destituta, laesa, et inordinata (CR IV 74). Vgl. für die spätere
Zeit BSLK 774.
114. Die Nicht-Berücksichtigung
dieser Dimension ist der Hauptgrund für die Bewertung durch Athina
Lexutt (Rechtfertigung im Gespräch. Das Rechtfertigungsverständnis
in den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41,
Göttingen 1996, 231), »daß die Anthropologie der Altgläubigen
eine grundsätzlich andere ist die der Reformatoren«.
116. P. Fraenkel,
Einigungsbestrebungen in der Reformationszeit. Zwei Wege zwei Motive, Wiesbaden,
1965, 63f.
117. Vgl. V.
Pfnür, Johannes Ecks Verständnis der Religionsgespräche,
sein theologischer Beitrag in ihnen und seine Sicht der Konfessionsgegensätze,
in: Johannes Eck (1483-1543) im Streit der Jahrhunderte, Münster 1988,
241f
118. Vgl. V.
Pfnür, Excommunicatio und amicum colloquium, in: Unterwegs zum einen
Glauben. Festschrift für Lothar Ullrich zum 65. Geburtstag, hg. von
W. Beinert, K. Feiereis und H.J. Röhrig, Leipzig 1997, 448-460.
119. Calvin
an Farel, 31. 1. 1541 (Johannes Calvins Lebenswerk in seinen Briefen. Eine
Auswahl von Briefen Calvins in deutscher Übersetzung von R. Schwarz,
Neukirchen 1961, 176.
120. V. Pfnür,
Einig in der Rechtfertigungslehre, Wiesbaden 1970, 392.
123. Martin
Bucers Deutsche Schriften, Bd 9,1. Religionsgespräche (1539-1541),
bearb. v. C. Augustijn unter Mitarb. v. M. de Kroon, Gütersloh Mohn
1995, 323-483.
124. Auch das
Wormser Buch verbindet die beiden Definitionen der Erbsünde als carentia
iustitia originalis und als concupiscentia, unterscheidet formale und materiale
peccati und betont die Bedeutung eines differenzierten Sündenverständnisses.
Ähnlich wie schon in Augsburg werden die zwei unterschiedlichen
Definitionen der Erbsünde als carentia iustitiae originalis und als
concupiscentia (73) miteinander verbunden.
Ausdrücklich führte Melanchthon dazu aus: »Zu Recht aber
sagte der Herr Doktor, daß man bezüglich der Definitionen leichter
zusammenkommen könne. Denn auch wir nehmen jede der beiden alten Definitionen
auf, von denen in der einen die Erbsünde als Fehlen der geschuldeten
Ursprungsgerechtigkeit verstanden und in der anderen Konkupiszenz genannt
wird. Und diese Definitionen sind nicht gegeneinander, noch glauben wir,
daß sie mit unserer Meinung nicht übereinstimmen«.
(74)
Melanchthon deutet die Ursprungsgerechtigkeit unter
Berufung auf Gregor von Nazianz (75) als
Gottebenbildlichkeit (similitudo vel imago Dei) des Menschen, in der der
menschliche Geist Tempel Gottes war, in dem eine herrliche Erkenntnis Gottes,
eine feste Zuversicht und eine vollkommene Liebe leuchtete.
(76) Entsprechend bedeutet das Fehlen der Ursprungsgerechtigkeit
eine Verfinsterung des Geistes und eine Störung dieses Gottesverhältnisses.
Die Sätze 3-7 gehen auf die Frage der Wirkung
der Taufe und der nach der Taufe zurückbleibenden Sünde ein.
Die ersten drei Sätze der forma concordiae
stimmen fast wörtlich mit Ecks Formulierungsvorschlag zum Abschluß
seines letzten Redebeitrages beim Kolloquium überein.
Die Wormser Einigung basiert so einerseits auf der Einigung
von Augsburg 1530 - dies betrifft insbesondere die Zusammenführung
der beiden unterschiedlichen Bestimmungen der Erbsünde als carentia
iustitiae originalis und als concupiscentia und die damit verbundene Unterscheidung
von formale und materiale peccati, anderseits führt sie diese weiter
durch die genauere Bestimmung des formale als reatus und des materiale
als etwas, das dem Gesetz Gottes widerstreitet. Auch wenn diese Qualifizierung
der Konkupiszenz nicht in Ecks Formulierungsvorschlag begegnet, so sagt
Eck in seinem letzten Redebeitrag ausdrücklich: »Auch die Unsrigen
weisen das nicht zurück« (87).
»Die Wohltat Christi kann nicht ausreichend gesehen
werden, wenn die Krankheit nicht erkannt wird« und die Menschen meinen,
»sie könnten dem Gesetz Genüge leisten«
(90).
Die Gegenposition Melanchthons
sind die »Neueren« (recentiores), für die die Erbsünde
nur eine Strafverhaftung ohne Auswirkung im Menschen ist
(91), so daß die Menschen auch ohne Gnade das Gesetz quoad
substantiam actuum erfüllen können. (92)
Schon zu Beginn seiner ersten Antwort auf Eck sagte Melanchthon: »Zu
der Zeit, als die Confessio übergeben wurde, glaubten wir nicht, daß
es eine Auseinandersetzung mit diesen Gegnern hier geben werde, sondern
das Geschrei anderer war zurückzuweisen, die die Erbsünde gleichsam
abschafften, wie es immer welche gab, die unangemessen über die Erbsünde
dachten«. (93) In der rechten Gewichtung
der Sünde gegen die »Neueren« (recentiores) im Umkreis
Occams, die die Sünde ausdünnen, sieht Melanchthon den »status
controversiae«. (94)
Auch Luther verweist in der Stellungnahme zu Artikel
4 von der Erbsünde des Regensburger Buches auf diese Gegenposition.
Der Artikel sei in sich »recht gestellt«. Vor einer wirklichen
Einigung aber müßten die Gegner zuvor ihre Irrtümer widerrufen.
»Aber dabey mus abermal verdampt werden 1. Das freier wil liberum
sey in utrumque oppositorum. 2. Und müge aus natürlichen krefften
gottes gebot erfüllen.« (95)
Im Unterschied zu Luther differenziert Melanchthon schon in Augsburg 1530
(96) und nun wieder in Worms die Position seiner gegenwärtigen
Gesprächspartner von der bekämpften Position Occams und der recentiores.
(97)
Eck wendet sich gegen undifferenzierte und überspitzte
Äußerungen aus der reformatorischen Frühzeit und
unerleuchteter Prediger, die die verbleibende Konkupiszenz als Hauptsünde
bezeichneten (100).
Im Unterschied etwa zu Johannes Fabri, der 1540 in Hagenau die Lutheraner
gerade von solchen Extremsätzen her beurteilt
(101), sagt aber Eck beim Kolloquium ausdrücklich, daß
er solche Positionen weder Melanchthon noch gemeinhin deren Kirchen zuschreibt.
(102)
Melanchthon selbst hatte sich in den frühen zwanziger Jahren gegen
eine Unterscheidung von Erbsünde und Todsünde geäußert.
(103) Eck spielt darauf an: Und was das betrifft, daß er
in der Antwort die Unterscheidung von Erbsünde und Tatsünde bekannt
hat, so nehmen wir auch das mit Beifall auf, wenngleich er als junger Mann
anders zu denken schien. (104) Melanchthon
antwortet: »Auch wenn hier nicht hauptsächlich über meine
Schriften verhandelt wird, sondern über die gemeinsame Lehre unserer
Kirchen, dennoch wenn er mir etwas vorhält, worin ich geirrt habe,
so antworte ich freimütig und weiche gern denen, die besseres anmahnen.«
(105)
Melanchthon selbst schrieb am 22.6.1537 an Veit Dietrich: »Du
weißt, daß ich manches weniger grob sage, was die Prädestination,
die Zustimmung des Willens, die Notwendigkeit unseres Gehorsams und die
Todsünde betrifft. In all diesen Punkten denkt Luther, wie ich weiß,
in der Sache selbst das gleiche. Aber die Unverständigen lieben einige
seiner etwas überspitzten Aussprüche allzusehr, obwohl sie nicht
sehen, in welchen Zusammenhang sie gehören.«
(106)
Schon 1534 schrieb Melanchthon:
Ȇber die Rechtfertigung ... gibt es unter den Gelehrten
bereits in vielen Punkten Übereinstimmung, in denen anfangs große
Kämpfe waren«. (115)
Die Redaktoren der Forma Concordiae, Eck, Melanchthon, Butzer
und Mensing waren überzeugt, zu einer sachlich fundierten Einigung
gekommen zu sein. Sanzio berichtet nach Rom, »daß die Teilnehmer
des Wormser Gespräches nach vollbrachter Einigung einander umarmten
und küßten und vor Freude weinten«.
(116) Eck hat diese Formula reconciliationis, wie er sie auch
nennt, auch später immer als volle Einigung verteidigt
(117).
Die ganze Problematik der Vermittlung von Einigungen, erreicht in der
vertrauensvollen Atmosphäre des amicum colloquium
(118), in eine Atmosphäre des Mißtrauens hinein, zeigt
sich in Worms bereits im Bericht Calvins über das Zustandekommen
der Einigungs-»Resolution«: »Als aber Eck, von den Kaiserlichen
angeschmiert (denn sie mißbrauchten ihn als einen Erznarren), zugab,
was er in der ganzen Disputation geleugnet hatte, und Granvella das billigte,
legte auch dieser Mensinger seinen Trotz ab und stimmte leichthin bei.«
(119)
Neben Eck wird dieser Bericht auch Mensing nicht gerecht.
Er, der selbst in Wittenberg studiert hatte, beruft sich 1533 in seiner
Antapologie »auf Luthers Redeweise von der bleibenden Sünde,
um das katholische Verständnis von Erbsünde und Rechtfertigung
darzulegen. Den Hauptgrund für die Kontroverse in diesem Punkt sieht
Mensing nicht in der Sache selbst gegeben, sondern darin, daß die
Lutherischen es "mit unzähligen Irrsalen, Aufruhr und falscher Lehre
dahin gebracht" hätten, daß man ihnen nicht glaubt, auch wenn
ihnen "zuweilen ein wahrhaftiges Wort entfährt".«
(120)
Wenn sie »den Unterschied leiden wollten, daß wir
vor der Tauf verdammliche Sünder wären, aber nach der Taufe,
wenngleich auch Sünder - denn wir sagen immer noch, daß auch
ein Kindlein, das einen Tag alt ist, nicht ohne alle Sünde ist -,
doch solche Sünde durch die Gnade Christi nun keinen Sünde mehr
ist,, sondern die Wunden sind, die der Samaritan noch täglich verbindet
und heilt, wie droben davon geredet ist, und Wein und Öl hineingießt,
da möchten wir dieser Sachen meines Erachtens wohl eins werden.«
(121)
Ein gewisses Heilsmittel dieses Übels wäre
es, das aus den Streitfragen herauszunehmen, was übereinstimmt und
was zur Erbauung beiträgt. So bliebe nicht viel übrig, was entgegen
ist. Oft wird über Worte gestritten, oft wird böswillig aufgebauscht,
was von den anderen nicht in schlechter Absicht geschrieben wurde«,
so Melanchthon 1527 in seinem Kolosserbriefkommentar.«
(122)
In der Sache selbst besteht in der Frage der Erbsünde und der
nach der Taufe zurückbleibenden Sünde jedoch weitgehende Übereinstimmung.
(124) Beide Gruppen betrachten die Streitfrage als geklärt.
Anderseits verweist Eck darauf,
daß in Rm 7,23 der lex in membris = lex peccati die lex mentis gegenüberstellt
ist und deutet mens auf den homo interior (CR IV 75).
Eck: ... sitque a peccato facta,
a peccato relicta, et ad peccatum inclinans, propter quae sanctus Paulus
non semel ipsam appellavit peccatum, ad Roma. 7. Ubi fuit adsumtum, Paulum
de se loqui, super quo non contendo. Licet Origenes, Ambrosius, Hilarius,
Hieronymus, et si recte memini Paulinus, magnus praeco sancti Felicis,
cuius hodie memoriam agit Ecclesia, diversum sentiant. At propter Augustinum
iam senem verba ista de persona Pauli intelligentem, hoc quoque non displicet
nobis (CR IV 46).
Sine peccato autem in hac vita neminem
dixerim, quanta libet Pelagiani inflentur et rumpantur insania. Non quia
peccati aliquid remaneat, quod in Baptismo non remittatur, sed quia in
nobis, in huius vitae infirmitate manentibus, quotidie fieri non quiescant,
quae fideliter orantibus quotidie remittantur. (Augustinus, Contra duas
epistulas Pelagianorum, l.1 c.14,28 CSEL 60, 447,9ff).
Vgl. auch Melanchthon, Examen ordinandorurn
1552: »Es bleiben in Heiligen in diesem leben viel sünden. Nemlich
böse neigung, viel unordentlicher flammen im hertzen, sicherheit,
unwissenheit, verseumnis etc. Aber wenn einer wider gewissen Gottes gebot
ubertrit, der ist nicht mehr heilig, betrübt und stöst von sich
den heiligen Geist, felt widerunib in Gottes zorn und wird schuldig der
ewigen straff. Und so er nicht widerumb zu Gott bekert wird, bleibt er
im ewigen zorn.« (Schriftbelege 1 Kg 15; Mt 12,43 ff.; 2 Petr 2,
1 ff.). »Von diesem unterschied ist hochnötig die Leut zu unterrichten,
das sie rechten verstand dieser lere haben, welche sünden in den Heiligen
sind und welche sünden den menschen widerumb aus der gnad in Gottes
zorn werffen und den heiligen Geist ausstoßen.« (MSA VI 200f).
Necesse est igitur discerni peccata, quae in sanctis in hac mortali vita
manent, nec excutiunt Spiritum sanctum, ab aliis peccatis, propter quae
homo rursus fit reus irae Dei aeternarum poenarum. Et Paulus discernit
peccatum regnans et non regnans (MSA VI 117).
Luther, Schmalkaldiche Artikel:
»Darümb so ist vonnöten, zu wissen, und zu lehren, daß,
wo die heiligen Leute über das, so sie die Erbsunde noch haben und
fühlen, dawider auch täglich büßen und streiten, etwa
in offentliche Sunde fallen als David in Ehebruch, Mord und Gottslästerung,
daß alsdenn der Glaube und Geist weg ist gewest.« (BSLK 448)