Übersicht: Reformationsgschichte
Pfnür, Vinzenz:
Die Einigung bei den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg 1540/41 eine Täuschung?
 


Beilage 1
(Die Religionsgespräche der Reformationszeit, hg. von Gerhard Müller 1980, 77-82)
 
 
 
 

Johannes Fabri

[146
r] Kurtze Ausfuerung,
warumb sich die protestierenden stende
auf die Confession zu Augspurg im dreissigsten Jar der Rom. Kay. Mt. ubergeben,
mit gueten gewissen nit zu ziehen und zu vertrosten haben (1).



[147r] Erste Ursach

Es ist sich hoch (2) an den Herrn Churfursten zu Sachsen, ethliche andere fursten und protestierende stendt zu verwundern, das sie alhie zu Hagenau (3) understehen zu sagen, was in irer confession, so sie zu Augspurg der Rom. Kay. Mt. ubergeben, dabei wellen sie beleiben, und darvon keins weges weichen, dieweil sie wissend, das in der underhandlung, sie undt ire predicanten, selber von ethlichen iren leren und proposition gewichen und gefallen. Aus ursach das sie haben bekennen mussen, und auff heutige stund noch bekennen, das sie in derselbigen confession in ethlichen puncten geirret, undt nemlich gleich in dem anderen Artickel, bei der Erbsunde, dergleichen bei dem einigen gerechtmachen[78] den glauben, undt dergleichen Artickel (4), die si selber haben bekent, das es ein irsal sei. Mit was guten gewissen kunden sie dan auff irer confession beharren wellen, dieweil (5) sie selber bekent haben, das ethlich Artickel darin nit recht seindt, und ob sie es gleichwol nit bekenten, so mussen sie es auff heutige stund bekennen, das ethlich Artickel irrig sindt.
 

Andere Ursach

So haben sich die Lutheraner und Zwinglianer zu verinnern. Als sie zu Augspurg ires glaubens undt religion confession oder bekentnis der Rom. Kay. Mt. ubergeben wellen, das die vir stette Straspurgk, Kostnitz, Memingen, Linda, so sich under des Zwinglius lere ergeben, nit mogen sich einer gleichlautenden confession vergleichen. Sunder es haben die Lutheraner eine eigene unterschidlich confession gegeben, <volgends dy Zwinglischen stete haben auch eine sundere und underschidliche confession gegeben> (6).

[147v] So sie nun dieselbigen zwo confession gegeneinander habend, so seind sie einander nit gleich, sunder widerwertigk in wichtigen stucken unserer heiligen Religion, Als nemlich in dem hochwirdigen Sacrament des altars, in den bildern undt zeichen unsers kreutzigten herrn undt anderen lieben heiligen bilder, Wellend jtzo andere Zwispalt zwischen inen fallen lassen. Aber wan man allein dise zwen Artickel vom Sacrament und den bildern, auch ihre geschritten gegeneinander helt, so wirt sich vinden, das zwantzigk jhar aneinander die Lutheraner abgotterer bei den Zwinglianern geacht, geschriben undt gescholten worden sein. Wie kunden dan dieselbigen protestirenden auff des Luthers teil dise obgemelte beide undt widerwertige confessiones mit einander (7) vortedigen wellen, Dan wan es gleich war were, wie ethlich sagen, das die Zwinglianer zu Strasburgk, auch andern or[79] ten, zu Schmalkalden eine vorgleichung gemacht (8), so mag es wol zugesagt sein, wirt aber nit gehalten, Dan die mess so man zu Wittenberg helt, vorgleicht sich der Straßburger mess gar nit (9). So ist des kreuzigten <hern (den wir predigen) gebiltnis, kreuz oder zeichen> (10), an keinem ort auffgericht, Undt ist mit einem einigen wort keine auffrichtung der warheit des Sacraments nie angefangen, geschweig voltzogen, Es seindt auch die schmachbucher wider Christum noch nit hinwegk genummen, Dan ir Putzer gelert, das Christus nit mag mer, dan an einem ort sein undt nemlich zu der rechten des vatters (11), undt wie die virte schlußred auff der disputation zu Beren lautet, das der leib undt blut Christi, wesentlich und leiplich in dem brot der dancksagung empfangen werde, mag [148r] mit biblischer schriff nit beibracht werden (12). Die lere ist noch auffrecht bei den Zwinglianern, nie widerruft noch abgethan, Mit was guten gewissen mogen nun die protestierenden sich an die Augspurger confession verfuren lassen, so sie doch wissend, das die ander confession in den hohen stucken des heiligen glaubens von den Zwinglianer widerfochten undt uber zusag nit gehalten wirt.

Nun lest es sich nit schertzen wan man einen ein abgotter schilt, als die Zwinglianer zwanzig jhar gethan undt noch thuend, in obgemelten beiden stucken, Eucharistiae undt der bilder, des heiligen kreutzes, undt des gekreuzigten, Quae enim conventio Christi cum Belial (13).
 

Dritte Ursach

Es sollend auch wissen die protestirenden, wo man die confession der Lutheraner theilet in 28 Artickel, wi si dan dieselbig dermassen geteilt, so ist bewislich, das kein einiger Artickel nit ist, welchem Artickel nit eben das widerspil ire [80] gelerten geschriben haben, Darumb sich die protestirenden wol bedacht haben solten, da sie gesagt, wie die confession laut, also undt nit anderst haben gelert, lernen auch teglich ire doctores oder gelerten, dan wie obgemelt, nit nun allein seindt die protestirenden under inen selbs zurspalten, sunder ire eigene lerer haben in den Artickeln der confession, darauff sich die guten hern Churfursten und stende lassen, eben das widerspil geschriben, gelert, und gepredigt, und wo von nothen mag man dasselbig beibringen und turlegen (14),
 

[148v] Virte Ursach

Das die protestierenden sich fur und fur, auch hie zu Hagenau, ziehen auffdie Augspurgische confession, und vormeinen es solle darmit ausgericht sein. Aber vor gott und der weit ist noch nit genug (15), dan gleichwohl wan die 28 puncten der Lutheraner confession alle war undt gerecht weren, als sie dan nit seind, so seindt doch noch eine grosse anzal vordampter hereses undt errores noch ubrig, die hievor vordampt undt der heiligen geschrifft, undt gemeinem Christlichen glauben widerwertigk seind. Und ane zweifei, wo der Churfurst zu Sachsen undt die anderen fursten stende und stete liessen inen irer predicanten bucher tugentlich und fridlich furtragen, auch in den original zeigen, so ist bei allen frummen gutherzigen Christen gute Hoffnung, sie wurden ob irer predicanten unchristlichem auch widerwertigem schreiben ler undt predigen kein gefallen haben, sunder sich mehr wenden zu gemeiner Christlichen Kirchen. Wan aber die hern Protestanten nichts horen, auch nichts sehen wellen ausser (16) dan irer predicanten geschrei, undt vormeinen, was ire predicanten geschriben, das sollen alle menschen fur das dar lauter und ewig evangelium haben, undt ist doch war, das sie sich in Iren buchern nit allein gegeneinander sich nit vorgleichen, sunder Luther Philippus und andere seindt inen selbs auch widerwertigk, wie sol dan ein Christ seinen gewissen glauben vorlassen, undt sich zu einem solchen Ungewissen (17) unbestendigen glauben schlahen, Darumb ist es ein bloß ding, das die hern protestirenden (18) nit horen oder wissen wellen, was doch grosser und [81] <grausamer irsal irer> (19) predicanten ausserhalb der confession geschriben. Daraus aber kan nichts anders hernach volgen dan wie geschriben ignorans ignorabiliter (20) et qui sordet sordescat adhuc (21), Darumb ist es nichts, oder gar wenigk furstendig, das sie sagen, sie wellen [149r] bei der confession bleiben, dan hoc est liquare culicem et deglutire camelum (22).
 

funfte Ursach

Es findt sich in der confession, dergleichen auch in der nachvolgenden underhandlung auf den Nurenbergischen anstand (23), was sich die hern Protestanten erbotten undt begeben, ja auch zugesagt. Es befindt sich aber auch darnach, wie das widerspil von iren predicanten gepredigt, geschriben, furgenummen, undt gehandelt. Alles der confession undt nachgehender (24) handlung zuwider. Ob das nun euangelisch undt der confession gleichmessig, das mochten sie aus irem hohen verstand ermessen, undt in sich selber gehen, undt nit warten, das man es herfur ziehen undt zeigen muste, dan ie Christus die ewig warheit gelert, sit sermo vester est est, non non (25). Auß dem und vhil anderen Ursachen wirdt geachtet, das nachmals den hern Protestanten nichts besseres, undt zu gottis lob eher und preiss, der gemeinen Christenheit in Teutscher nation, ja so vhil hundert tausent seien denstlicher, dan das sie sich zu gemeiner Christenheit (26) undt Christlichen Kirch hetten gewendet, undt lenger ein gemein Christenlich concilium nit geweigert, damit man dem grausamen Turken mocht einen widerstand thuen, Liebe und einigkeit in der gemeinen Teutschen Nation erhalten, das [82] bose ausreuten, die misbreuch under geistlichen und weltlichen abstellen, und andacht auch gots forcht des gemeinen mannes wider auffrichten, Sunst durch die widerwertige seltzame leichtfertige leren, bucher undt tractathe weis der gemein einfeltig man nit, was er glauben undt tuen soll.

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1. Dieses Gutachten Fabris (siehe oben Anm. 19) ist in zwei Abschriften überliefert: A (ÖNB Cod. 11872 Fol. 146r-149v) und B (ebd. 205r-208v), die eine gemeinsame Vorlage voraussetzen (vgl. den Auslassungsfehler in A [Homoioteleuton, s.u. Anm. 6], die Auslassung [s.u. Anm. 2 und Anm. 15] und die Verschreibung [s.u. Anm. 26] in B) und bis auf die in den Anm. aufgeführten Varianten wortwörtlich übereinstimmen. (Bloße Abweichungen in der Schreibweise [z.B. B: dy, sy, vinffte] wurden dabei nicht notiert.) Grundlage des wiedergegebenen Textes ist mit Ausnahme der Korrektur des Auslassungsfehlers (s. Anm. 6) die Version A.

2. Fehlt in B.

3. S.o. Anm. 5

4. Fabri spielt hier auf die im August 1530 geführten Einigungsverhandlungen im Vierzehnerausschuß an. Fabri, selbst nicht Mitglied im Ausschuß, interpretiert die Einigung über CA 2 (vgl. den Bericht der Summa tractatus: At Lutherani suam sententiam nostrae conformantes ...: ÖNB Cod. 11824 Fol. 114v; ÖNB Cod. 11855 Fol. 127r) und CA 4 (Verzicht auf das Wörtchen »allein«) als Eingeständnis von lutherischer Seite, bisher falsch gelehrt zu haben. Vgl. dazu V. Pfnür, Die Einigung in der Rechtfertigungslehre bei den Religionsverhandlungen auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, in: Confessio Augustana und Confutatio, hrsg. von E. Iserloh, Münster 1980, 346-374.

5. B: die, am Rande ergänzt: weil (206r)

6. <> Auslassungsfehler in A. Zur Confessio Tetrapolitana vgl. M. Bucers Deutsche Schriften, hg. von R. Stupperich, Bd. 3 (Gütersloh 1969).

7. B: wider einander (206v).

8. B: vorgleichnis. Vgl. ÖNB Cod. 11817 Fol. 1r-5r: Nova de Lutheranorum et Zwinglianorum Conventu habito in Smalcald, excerpta de literis cuiusdam Doctoris, 1r: »Zwingliani coacti sunt Lutheranis multa concedere, maxime inter cetera quod attinet ad imagines. Consensere Zwingliani ut imagines crucifixi et Apostolorum denuo erigerentur.«

9. S.o. Anm. 23.

10. B: <> hern gebiltnis (den wir predigen) (206v).

11. S.u. Beilage 2 Anm. 23.

12. Vgl. M. Bucers, Deutsche Schriften, hg. von R. Stupperich, Bd. 4 (Gütersloh 1975) S. 3; und 131.

13. Vgl. 2 Kor 6,15. Fabri kommentiert den Bericht über die Verhandlungen zwischen den Lutheranern und Zwinglianern mit der Censura: stultus ut luna mutatur. Et quae participatio iusticiae cum iniquitate, aut quae societas lucis cum tenebris. Quae autem conventio Christi cum Belial, aut quae pars fidelis cum infideli... (ÖNB Cod. 11817 Fol. 1ri-1v; vgl. diese Beilage Anm. 8).

14. S.o. Anm. 35 ff.; s.u. Beilage 2.

15. B: Zwischenraum für das ausgelassene Wort genug ist freigelassen (207v).

16. Fehlt in B (207v).

17. B: unge ungewissen vorlassen. Das Wörtchen vorlassen (s. vorausgehende Zeile) ist durchgestrichen (207v-208r).

18. B: Protestanten (208r).

19. B: <> grausam irsall ire.

20. Vgl. 1 Kor 14,38.

21. Vgl. Apk 22,11.

22. Vgl. Mt 23,24.

23. Vgl. die Friedensartikel des Kaisers, 18.7.1552 (Politische Correspondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation, Bd. 2, bearb. von 0. Winckelmann 1887, 1641); Nürnberger Abschied der beiden Vermittlungskurfürsten Mainz und Pfalz über einen Anstand in Religionssachen, 23.7.1552 (Urkunden und Akten der Reformationsprozesse 1. Teil, bearb. von E. Fabian, Tübingen 1961, 59-64); Versicherung Kaiser Karls V. über den Nürnberger Anstand der Reformationsprozesse, 2.8.1532 (ebd. 76-79); Friedensmandat des Kaisers, 3.8.1532 (W1 16, 2259-2241). Vgl. auch M. Bucer, Etliche gesprech ... vom Nürnbergischen fridestand 1539 (M. Bucers Deutsche Schriften, hg. von R. Stupperich, Bd. 7, Gütersloh 1964, 395-502).

24. B: den nachgehenden (208r).

25. Vgl. Mt 5,57.

26. B: es folgt von Hand durchgestrichen: »in Teutscher Nation« (208v). (Vgl. 5 Zeilen weiter oben »gemeinen Christenheit in Teutscher Nation«, 208r.)