R[evere]ndissimo in Christo patri, illustrissimo domino, d[omino] Alberto Magdeburgensis ac Moguntinensis Ecclesiarum Archiepiscopo Primati, Marchioni Brandenburgensi etc. domino suo & pastori in Christo venerabiliter metuendo ac gratiosissimo. Ihesus. Gratiam & misericordiam dei & quicquid potest & est.
Parce
mihi, R[everendissi]me in Christo pater
princeps illustrissime, Quod ego fex hominum
tantum habeo temeritatis, vt ad Culmen tue sublimitatis ausus fuerim
cogitare Epistolam. Testis
est mihi dominus Ihesus, Quod mee paruitatis &
turpitudinis mihi conscius diu iam distuli, quod
nunc perfricata fronte perficio, motus quam maxime officio fidelitatis
mee, quam tue p[aternitati] in Christo debere me agnosco. Dignetur
itaque tua interim celsitudo oculum ad pulverem
vnum intendere & votum meum pro tua pontificali clementia
intelligere. Circumferuntur
Indulgentie papales sub tuo
praeclarissimo titulo ad fabricam s. Petri, In quibus non adeo accuso
praedicatorum exclamationes, quas non audivi, Sed doleo falsissimas
intelligentias populi ex illis conceptas, quas vulgo
vndique iactant. Videlicet, Quod credunt infelices anime, si literas
indulgentiarum redemerint,
securi sint de salute sua, Item, Quod anime de
purgatorio statim euolent, vbi contributionem in
cistam coniecerint. Deinde tantas esse has gratias, vt nullum sit adeo
magnum peccatum, etiam
(vt aiunt) si per impossibile quis Matrem dei
violasset, quin possit solui. Item, Quod homo per
istas Indulgentias liber sit ab omni pena & culpa.
O
deus optime, sic erudiuntur anime tuis curis, optime pater, commisse ad
mortem! Et fit
atque crescit durissima ratio tibi reddenda super
omnibus istis! Idcirco tacere hec amplius non
potui. Non enim fit homo per vllum munus Episcopi securum de salute,
cum nec per gratiam
infusam dei fiat securus, sed semper in timore &
tremore iubet nos operari salutem nostram Apostolus [Phil
2,12] et iustus vix saluabitur [1 Petr
4,18]. Denique tam arta est via, que ducit ad
vitam [Mt 7,14], vt dominus, per prophetas
Amos [Am 4,11] & Zachariam [Sach 3,2] saluandos appellet torres
raptos de incendio. Et vbique dominus difficultatem salutis
denunciat.
Quomodo ergo per illas falsas veniarum fabulas & promissiones faciunt populum securum & sine timore? Cum indulgentie prorsus nihil boni conferant animabus ad salutem aut sanctitatem, sed tantummodo penam externam olim canonice imponi solitam auferant?! Denique opera pietatis & charitatis sunt in infinitum meliora indulgentiis. Et tamen hec non tanta pompa nec tanto studio praedicant, immo propter venias praedicandas illa tacent, cum tamen omnium Episcoporum hoc sit officium primum & solum ut populus Euangelium discat & Charitatem Christi. Nusquam enim Christus prae cepit Indulgentias praedicari, sed Euangelium vehementer praecepit praedicari. Quantus ergo horror est, quantum periculum Episcopi, si tacito Euangelio non nisi strepitus Indulgentiarum permittat in populum suum et has plus curet quam Euangelium! Nonne dicet illis Christus: Colantes culicem et glutientes camelum?
Dominus Ihesus custodiat t[uam] R[everendissimam] p[aternitateml in
eternum. Amen. Ex Vittenberga 1517. Vigilia omnium Sanctorum. Si t[uae] R[everendissime] p[aternitati] placet, poterit has meas disputationes videre, vt intelligat, quam dubia res sit Indulgentiarum opinio, quam illi vt certissimam seminant.
Martinus Luther, Augustin. Doctor S. Theologie vocatus. |
Dem hochwürdigen Vater in Christo und durchlauchtigsten Herrn, Albert, Erzbischof der Kirchen zu Magdeburg und Mainz, Primas, Markgraf zu Brandenburg usw., seinem Herrn und Hirten in Christo, geachtet in Ehrerbietung und Liebe! Jesus. Gnade und Barmherzigkeit Gottes und alles, was er vermag und ist!
Verzeiht
mir, ehrwürdigster Vater in Christo, durchlauchtigster
Kurfürst, daß ich, der geringste unter den Menschen, so unbesonnen und
vermessen bin und es wage, an Eure höchste Erhabenheit einen Brief zu
richten. Der Herr Jesus ist mein Zeuge,
daß ich, eingedenk meiner Niedrigkeit und Nichtswürdigkeit,
lange aufgeschoben habe, was ich jetzt mit unverschämter Stirn
vollbringe. Mich bewegt vor allem die Verpflichtung zu treuem
Dienst, den ich Euch, hochwürdigster Vater in Christo, zu
leisten mich schuldig weiß. Daher möge Eure Hoheit sich unterdessen
würdigen, ein Auge auf mich zu richten, der ich nur
Staub bin, und mein Votum entsprechend Eurer bischöflichen
Milde zur Kenntnis nehmen. Es
werden Päpstliche Ablässe im Namen Euer Kurfürstlichen Gnaden zum Bau
von St. Peter herumgetragen. Dabei
klage ich nicht so sehr das Ausschreien der Ablaßprediger an,
das ich nicht gehört habe, sondern ich bin schwerzlich besorgt
über die überaus falschen Anschauungen des Volkes, die aus
dem entstehen, was man überall und allerorts im Munde führt:
etwa, daß die unglücklichen Seelen glauben, daß sie, wenn sie
die Ablaßbriefe gekauft hätten, ihres Heiles sicher sind; desgleichen,
daß die Seelen sofort aus dem Fegefeuer herausfliegen, sobald sie ihren
Betrag in den Kasten gelegt haben; ferner,
daß diese Gnaden so stark sind, daß keine Sünde so groß sei,
als daß sie nicht erlassen werden könnte, sogar (wie sie sagen),
wenn jemand etwas Unmögliches getan und die Mutter Gottes
geschändet hätte; schließlich, daß der Mensche durch diese
Ablässe von jeder Strafe und Schuld frei sei. Ach,
lieber Gott, so werden die Eurer Sorge anvertrauten
Menschen zum Tode unterwiesen! Und es entsteht und er
wächst die härteste Rechenschaft, die Dir für all diese
abzulegen ist. Deshalb konnte ich nicht länger davon schweigen.
Der
Mensch wird nämlich nicht durch irgendein Geschenk des
Bischofs seines Heiles sicher, da er ja nicht einmal durch die
von Gott eingegossene Gnade gewiß wird; vielmehr befiehlt
uns der Apostel in Furcht und Zittern unser Heil zu wirken
[Phil 2,12] und der Gerechte wird kaum gerettet werden [1
Petr 4,18]. Schließlich, so eng ist der Weg, der zum Leben
führt, daß der Herr durch die Propheten Amos [Am 4,11] und
Sacharja [Sach 3,2] diejenigen, die gerettet werden, aus dem
Feuer gerissene Holzscheite nennt. Und überall verkündigt der
Herr die Schwierigkeiten des Heiles.
Schließlich
sind die Werke der Frömmigkeit und der Nächstenliebe
unendlich besser als Ablässe und dennoch predigt
man sie weder mit solchem Gepränge noch mit so großem
Eifer, im Gegenteil wegen der zu predigenden Ablaßgnaden
schweigt man von ihnen, wo es doch die erste und einzige
Pflicht aller Bischöfe ist, daß das Volk das Evangelium und
die
Liebe Christi lernt. Christus hat niemals aufgetragen, Ablässe
zu predigen, aber nachdrücklich hat er geboten, das Evangelium zu
predigen. Wie groß ist das Entsetzen, welche Gefahr
entsteht einem Bischof, wenn er - während das Evangelium
verstummt - nur den Lärm der Ablässe auf sein Volk
zuläßt
und sich mehr um diese kümmert als um das Evangelium. Wird
nicht Christus zu ihnen sagen: Ihr seihet Mücken aus und
verschluckt ein Kamel?
Es kommt hinzu, hochwürdigster Vater im Herrn, daß es in jener Instruktion für die Ablaßkommissare, die unter Eurem Namen ausgegangen ist, heißt (sicher ohne Euer Wissen und Eure Zustimmung), die eine der Hauptgnaden sei jenes unvergleichliche Geschenk Gottes, durch das der Mensch mit Gott wieder versöhnt wird und alle Strafen des Fegefeuers getilgt werden; desgleichen, daß eine Reue nicht nötig für die sei, die Seelen erlösen oder Beichtbriefe kaufen. Aber
was soll ich tun, bester Vorgesetzter und erlauchtetester Fürst,
außer daß ich durch den Herrn Jesu Christi Eure
ehrwürdigste Väterlichkeit bitte, auf diese Sache ein Auge
väterlicher Sorge zu werfen und jenes Büchlein ganz
wegzunehmen aufzuheben und den Ablaßpredigern eine andere Form
der Verkündigung aufzuerlegen, damit nicht vielleicht am Ende
einer auftritt, der mit veröffentlichten Schriften sowohl jene als
auch jenes Büchlein widerlegt zu höchstem Schimpf für
Eure
durchlauchtigste Hoheit. Daß dieses geschieht, verabscheue ich
entschieden, aber ich fürchte es wird geschehen, wenn nicht
schnell für Abhilfe gesorgt wird. Diese treuen Dienste meiner Wenigkeit, bitte ich, möge Eure durchlauchtigste Gnaden anzunehmen sich würdigen auf fürstliche und bischöfliche Weise, das heißt gnädigst, so wie ich diese Dienste mit treuestem und Eurer ehrwürdigsten Väterlichkeit ergebensten Herzen erbiete - auch ich nämlich bin ein Teil Eurer Herde.
Der Herr Jesus bewahre Eure ehrwürdigste Väterlichkeit in
Ewigkeit. Aus Wittenberg 1517, am Abend vor Allerheiligen. Wenn es Eurer ehrwürdigsten Väterlichkeit gefällt, könnte sie diese meine Disputationsthesen ansehen und daraus ersehen, wie zweifelhaft die Lehre vom Ablaß ist, die jene als ganz sicher ausstreuen.
Der unwürdige Sohn Martin Luther, Augustiner, berufener Doctor der hl. Theologie. |