Vinzenz Pfnür

Schultheologische Auseinandersetzung

Abgrenzung gegenüber dem Kontritionismus von Gabriel Biel

Luther Vorlesung über den Römerbrief


(WA 56, 273,3-274,18; 278,28-279,21)

»... non bene satis de peccato et gratia theologi scholastici sunt locuti, Qui Originale totum auferri somniant sicut et actuale, quasi sint quaedam amobilia in ictu oculi, sicut tenebrae per lucem, Cum Antiqui sancti patres Augustinus, Ambrosius multum aliter sint locuti ad modum Scripturae, illi autem ad modum Aristotelis in ethicorum, Qui peccata et Iustitiam collocavit in opera et eorum positionem et privationem similiter. Sed b. Augustinus praeclarissime dixit 'peccatum [concupiscentiam] in baptismate remitti, non ut non sit, sed ut non imputetur'. Et b. Ambrosius ait: 'Semper pecco, ideo semper communico'. Et ex hoc ego stultus non potui intelligere... Nesciens, quod remissio quidem vera sit, Sed tantum non sit ablatio peccati, nisi in spe i.e. auferenda et data gratia, que auferre incipit, ut non Imputetur ammodo pro peccato. Quocirca mera deliria sunt, que dicuntur, Quod homo ex viribus suis possit Deum diligere super omnia: Et facere opera precepti secundum substantiam facti, Sed non ad Intentionem precipientis, quia non in gratia. O stulti, Sawtheologen! Sic ergo gratia non fuerat necessaria nisi per nouam exactionem vltra legem. Siquidem lex impletur ex nostris viribus, Vt dicunt, ergo non necessaria gratia pro impletione legis, Sed solum pro impletione noue super legem exactionis a Deo impositae. Quis ferat has sacrilegas opiniones? ...



Inepta et Stulta est Iocutio: Deus obligauit nos ad gratiam habendam, ergo ad Impossibile. Excuso piissimum Deum. Innocens est ab hac impostura, non fecit hoc, non obligauit ad habendam gratiam, Sed obligauit ad legem implendam, vt nobis humiliatis et gratiam suam implorantibus eam daret. Illi autem ex gratia indignationem faciunt et Invidiosam fingunt. Quid enim aliud est dicere: Deus obligauit ad gratiam habendam, Nec vult legem impletam secundum substantiam facti acceptare, si non ad intentionem legislatoris impleatur, quam: Ecce nos sine gratia possemus implere legem? Nec satis est, quod lege nos oneravit, nisi etiam noua exactione gratiam suam habendam expostulet? O superbia, o Ignorantia peccati, Ignorantia Dei, Ignorantia Legis! Cum ideo Deus gratiam offerat miseris, quia legem suam non implere nos posse videt, vt ex ea impleamus, Nondum illi sunt humiliati, nondum sciunt, Quod lex nec secundum substantiam facti (vt ipsi dicunt) impleri potest. Nisi accipiant substantiam facti externam operationem, quod vtique non faciunt, Sed etiam quoad internam; Nam propter Deum et ex corde factam operationem et naturaliter voluntatis actu elicito, que omnia ad substantiam facti communicant, Non attendentes stulti, Quod Voluntas, si liceret, nunquam faceret, que lex precipit. Invita enim est ad bonum, prona ad malum. Quod vtique in seipsis experiuntur et tamen tam Impie et sacrilege loquuntur. Quamdiu enim Invita est ad legem, auersa est a lege ac ideo non implet. Ergo opus habet gratia, que eam faciat libentem ac hilarem ad legem.«

    »... nicht gut genug haben die scholastischen Theologen über die Sünde und die Gnade gesprochen: Sie wähnen, daß die Erbsünde ganz weggenommen wird wie auch die Tatsünde, gleichsam als ob sie etwas seien, das in einem Augenblick weggeschafft werden kann, so wie die Finsternis durch das Licht, wo doch die Alten, die heiligen Väter Augustinus und Ambrosius viel anders gesprochen haben entsprechend der Art der Schrift, jene aber entsprechend der Art des Aristoteles in seiner Ethik, der die Sünden und die Gerechtigkeit auf die Werke stellte, und deren Erstellung und deren Wegnahme in ähnlicher Weise. Aber der hl. Augustinus sagte aufs vortrefflichste, 'die Sünde [die Konkupiszenz] werde in der Taufe nachgelassen, nicht daß sie nicht mehr da sei, sondern daß sie nicht mehr angerechnet werde.' Und der hl. Ambrosius sagt: 'Immer sündige ich, also kommuniziere ich immer'. Aber von daher verstand ich Törichter nicht, inwiefern ich mich als Sünder ähnlich den übrigen halten soll und mich so niemandem vorzuziehen, wenn ich bereut und gebeichtet hätte. Damals glaubte ich nämlich, alle Sünden seien weggenommen und ausgeräumt, auch innerlich... Ich wußte nicht, daß die Vergebung zwar wahr sei, aber dennoch nicht die Wegnahme der Sünde bedeute, außer in der Hoffnung d.h. daß sie wegzunehmende sei und daß die Gnade gegeben sei, die diese wegzunehmen anfängt, sodaß sie nicht mehr als Sünde angerechnet wird. Deshalb ist es reiner Wahnsinn, wenn man behauptet, der Mensch könne aus seinen eigenen Kräften Gott über alles lieben und die gebotenen Werke tun "ihrem Tatbestand nach, aber nicht nach dem Willen des Gesetzgebers", weil er sie nicht im Stande der Gnade tue. O Toren, o Sautheologen! So war also die Gnade nur notwendig um der neuen, das Gesetz überbietenden Forderung willen. Denn wenn das Gesetz aus unseren Kräften heraus erfüllt werden kann, wie sie sagen, dann ist die Gnade nicht nötig zur Erfüllung des Gesetzes selber, sondern nur zur Erfüllung einer neuen, über das Gesetz hinausgehende Forderung, die von Gott auferlegt ist. Wer soll denn solche gotteslästerlichen Anschauungen ertragen? ...

Töricht und dumm ist jene Rede: Gott hat uns zum Haben der Gnade verpflichtet, also zu etwas Unmöglichem. Ich entschuldige den gütigsten Gott. Unschuldig ist er an dieser Auflage. Das hat er nicht getan. Er hat uns nicht zum Haben der Gnade verpflichtet, sondern zur Erfüllung des Gesetzes, damit er uns, die wir demütig wurden und seine Gnade erflehen, diese gebe. Jene aber machen aus der Gnade etwas, was Unwillen erregt, und lassen sie als widerwärtig erscheinen. Denn ist der Satz: "Gott hat uns zum Besitz der Gnade verpflichtet; er will das dem Tatbestand nach erfüllte Gesetz nicht annehmen, wenn es nicht nach dem Willen des Gesetzgebers erfüllt wird", ist dieser Satz etwas anderes als dies: Siehe da, wir könnten ohne Gnade das Gesetz erfüllen? Ist's nicht genug, daß er uns mit dem Gesetz belastet hat? Muß er uns auch noch eine neue Forderung aufbürden und verlangen, daß man die Gnade besitze? Welcher Hochmut! Wie wird die Sünde verkannt, wie wird Gott verkannt, das Gesetz verkannt! Da doch Gott deswegen den Elenden die Gnade anbietet, weil er sieht, daß wir sein Gesetz nicht erfüllen können, damit wir es nun kraft seiner Gnade erfüllen. Diese Art von Menschen hat sich noch nicht gedemütigt, sie wissen noch nicht, daß man das Gesetz auch nicht "nach seinem äußeren Tatbestand" (wie sie sich selbst ausdrücken) erfüllen kann, außer man versteht unter dem "äußeren Tatbestand" nur den äußeren Vollzug der Handlung. Aber so meinen sie's durchaus nicht, sondern sie beziehen ihn auch auf das inwendige Handeln und verstehen darunter ein Handeln, das um Gottes willen und aus dem Herzen heraus geschieht und so, daß auf natürliche Weise ein Willensakt erweckt wird; das alles rechnen sie zu jenem "Tatbestand". - Die Toren, die nicht merken, daß der Wille, wenn es ihm freistünde, niemals das täte, was das Gesetz gebietet; denn er ist widerwillig zum Guten und zum Bösen geneigt. Diese Erfahrung können sie auf jeden Fall an sich selber machen. Trotzdem reden sie so gottlos und gotteslästerlich daher. Denn solange der Wille keine Lust am Gesetze hat, hat er sich auch vom Gesetz abgewandt und erfüllt es darum nicht; er bedarf also der Gnade, die ihn willig und fröhlich zum Gesetze macht.«




Die Abgrenzung gegen die Auffassung, daß der Mensch aus natürlichen Kräften ohne die Gnade die Gebote der Substanz des Aktes, nicht aber der Intention des Gesetzgebers nach erfüllen könne, zieht sich auch durch die Auseinadersetzungen der späteren Zeit:

Confessio Augustana, Art. 18 (Editio princeps 1531):
»Sie verdammen die Pelagianer und die anderen die lehren, daß wir ohne den Hl. Geist allein durch die Kräfte der Natur Gott über alles lieben und die Gebote Gottes ihrem Tatbestand nach (quoad substantiam actuum) erfüllen können.«

Apologie der CA, Art. 2:Wir nannten sie aber nicht nur Konkupiszenz, sondern sagten daß auch Gottesfurcht und Glaube fehlten. Dies setzten wir hinzu aus folgendem Grund: Sie höhlen die Erbsünde aus« und »sprechen der menschlichen Natur unversehrte Kräfte zu, Gott über alles zu lieben und die Gebote der Substanz der Akte nach zu erfüllen« (BSLK 148f)

Melanchthon, Entwurf der Apologie der Confessio Augustana  (wie er am 22. Sept. 1530 dem Kaiser übergeben werden sollte)
»Nun sieh, wie zurückhaltend sie jetzt vom Verdienst reden. Einst, wenn sie von der Vergebung der Sünden und von der Rechtfertigung sprachen, geschah keine Erwähnung des Glaubens, nur die Werke stellten sie vor Augen. Sie fügten hinzu, die Werke ohne den Hl. Geist verdienen die Gnade nach Angemessenheit (de congruo), danach verdienen sie mit der Gnade das ewige Leben nach Gebühr (de condigno). So war die christliche Lehre nicht anderes als eine gewisse menschliche Philosophie über bürgerliches Verhalten. Denn auch das schrieben sie offen, das gute ohne Gnade getane Werk und das gute mit der Gnade getane Werk sei von derselben Art, da die Gnade lediglich den Aspekt des Verdienstes hinzufüge. Soviel teilen sie den Kräften der Natur zu, daß sie glaubten, es bedürfe dazu nicht des Hl. Geistes. Ja einige zweifelten sogar, ob die Gnade überhaupt etwas in den Gerechtfertigten bewirke. Sie lehrten desgleichen, der Mensch könne aus natürlichen Kräften die Gebote Gottes erfüllen, dem Tatbestand nach (quoad substanciam actus)... Doch haben die etwas vernünftigeren Theologen vieles in jener scholastischen Lehre allmählich korrigiert. Sie geben zu, daß mehr, als es recht war, aus der Philosophie in die christliche Lehre übertragen wurde, sie sehen, daß die menschlichen Kräfte maßlos gelobt wurde, bekennen, daß es bei den Geboten Gottes nicht nur um die bürgerlichen Pflichten geht, die die Vernunft einigermaßen zu erfüllen vermag, sondern um die geistlichen Affekte, um den Glauben, die Hoffnung, die Anrufung Gottes, die Liebe des Nächsten und die Abtötung des Fleisches. Sie weigern sich nicht, bereits den Glauben hinzuzufügen, wenn sie von der Rechtfertigung und von der Vergebung der Sünden sprechen, nämlich, daß um des Glaubens willen die Sünden denen nicht angerechnet werden, die glauben, daß diese um Christi willen vergeben werden. Sie fügen nur etwas vom Verdienst der Werke hinzu, und bekennen, daß es wenig sei. Sie sagen, die in der Gnade getanen Werke verdienen das ewige Leben, aber weniger hauptsächlich. Aus diesem ganzen Haufen schlechter Meinungen haben nur dieses kleine Teilchen zurückbehalten.« (FU II 488f / 534f)

Luther, Schmalkaldische Artikel, III,1,3-10:
Abgelehnte Gegenposition:
1. Nämlich, daß nach dem Erbfall Adae des Menschen naturlichen Kräfte sind ganz und unverderbt blieben. Und der Mensch habe von Natur eine rechte Vernunft und guten Willen, wie die Philosophi solchs lehren.
2. Item daß der Mensch habe einen freien Willen, Guts zu tun und Boses zu lassen und wiederumb Guts zu lassen und Boses zu tun.
3. Item daß der Mensch muge aus naturlichen Kräften alle Gebot Gottes tun und halten.
4. Item er muge aus naturlichen Kräftem Gott lieben uber alles und seinen Nächsten als sich selbs. (BSLK 434f; vgl. AS III,3,10 BSLK 438).

 

LUTHER, Stellungnahme zum Regensburger Buch:

»Der vierde Artickel, von der Erbsunde, ist recht gestalt. Aber dabey mus abermal verdampt werden
1. Das freier wil liberum sey in utrumque oppositorum
2. Und müge aus natürlichen krefften gottes gebot erfüllen.« (WA 9, 463)

Artikel 5: Von der Justification,
»das alle menschen in sunden geboren, kinder des zorns, nichts vermögen
und allein durch den Mittler Jhesum Christum müssen zu gnaden kommen und selig werden«
sind wir »gantz eins«.
Zu widerrufende Positionen:
»1. Der mensch hat ein freien willen zum guten, auc in geistlichen sachen.
2. Gratia gratum faciens est charitas. ...
6. Homo viribus naturalibus implet mandata dei quo ad substantiam facti, Sed non quo ad intentionem incipientis.« (WABr 9,461f)

Zu Artikel 3: »Und hierbey mus man abermal zuuerdammen beuehlen diesse proposition oder Artickel:
1. Das die liebe sey Gratia gratum faciens, welches ist ihr einiger höchster grund.

2. Das der mensch faciendo quod in se est, meretur gratiam de congruo.

3. Das der mensch gottes gebot mit wercken erfüllet quo ad substantiam facti, und des dings viel.« (WA 9, 463)