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Weggemeinschaft des Glaubens

Vom Wiederauffinden der Mitte

Vinzenz Pfnür:
Einführung zum Gesamtthema

Einführung

Die vorliegende Auswahl soll einen ersten Einblick vermitteln in Grundpositionen des theologischen Ansatzes von Joseph Cardinal Ratzinger. Sie erhebt nicht den Anspruch, sein Werk umfassend zu würdigen.

Der Titel verweist auf das durchgehende Bemühen um die den Christen vorgegebene Mitte, die nicht jeweils neu zu erfinden, aber doch immer wieder neu aufzufinden ist. Ein Blick in das Verzeichnis der Veröffentlichungen Ratzingers zeigt, wie intensiv, breit und vielfältig dieses Bemühen ist. Da es nicht leicht zu überschauen ist und verstreut in vielen Einzelbeiträgen seinen Niederschlag gefunden hat, möchte der vorliegende Band eine erste Hinführung bieten auf wichtige Themenbereiche, für die der theologische Beitrag von Ratzinger weiterhin von großer Aktualität und Bedeutung ist.

Das Erstaunliche im Blick auf das theologische Werk von Ratzinger ist, daß die entscheidenden Weichenstellungen seines theologischen Ansatzes auf das Studienjahr 1950/51 zurückgehen, in dem an der Münchner Katholisch-Theologischen Fakultät das Thema »Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche« als Preisaufgabe gestellt war und in dem er (knapp ein Jahr nach dem theologischen Abschlußexamen) mit seiner im April 1951 vorgelegten Arbeit, die dann zugleich als Dissertation angenommen wurde, den Preis gewann. Mit der Thematik Volk Gottes waren drei Teilprobleme mitgegeben: der Bezug zum alttestamentlichen Volk Gottes, das Verhältnis von Recht und Sakrament im neutestamentlichen Volk Gottes und die Zuordnung zum heidnischen Staat hinsichtlich Religion und Ordnung des menschlichen Zusammenlebens. (1)

Die Gliederung des vorliegenden Bandes greift die hiermit angesprochenen Themen auf: Ein erster Teil ist der Frage nach dem unterscheidend Christlichen gewidmet, wie sie in Augustins Auseinandersetzung mit dem spätantiken Religionsverständnis und methodisch im Schriftverständnis impliziert ist. Der zweite Schwerpunkt ist das Kirchenverständnis. Den dritten Schwerpunkt bilden Beiträge zur Thematik des Verhältnisses von Glaube und Politik.

Alle drei Themenbereiche sind bestimmt von einem gemeinsamen Bezugspunkt, der sich Ratzinger im Studium der Vätertheologie neu erschloß: der christologisch und pneumatologisch bestimmten sakramentalen Dimension der Wirklichkeit, d. h. der Transparenz des Irdischen und Menschlichen auf das durch Christus im Hl. Geist sich als die eigentlich tragende Realität erschließende Göttliche hin. Dies besagt zugleich die Auseinandersetzung zum einen mit Positionen, die die Wirklichkeit auf das Gemachte und Machbare reduzieren - sei es in »der Verkürzung des Menschen zum homo faber, der es nicht mit den Dingen an sich zu tun hat, sondern sie nur als Funktionen der Arbeit betrachtet, deren Funktionär er selbst geworden ist« (2), oder in der Reduktion des Schriftsinnes auf eine historisch-kritische Bedeutung, die dem wahren Reichtum der Geschichte, dem »von Christus her kommenden Geschichtszusammenhang«, der den Menschen »wahrhaft leben läßt und ihn in seine wahre Eigentlichkeit führt« (3), nicht gerecht wird, oder in einer Sicht von Kirche, die diese auf das Empirische reduziert - und zum andern mit Konzeptionen, die den Menschen und die Kirche in eine bloße geschichtslose Innerlichkeit verflüchtigen. (4)

Dies ist m. E. der rote Faden, der die Theologie Ratzingers durchzieht, angefangen von seiner Dissertation bis hin zu seiner Tätigkeit als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre. Das schließt nicht aus, daß es - nicht nur bedingt durch die unterschiedlichen Anforderungen, die mit der akademischen theologischen Lehrtätigkeit und mit der Ausübung kirchlicher Ämter verbunden sind - auch eine Entwicklung in der Theologie von Ratzinger gibt. Die Texte zeigen aber, daß zwischen dem frühen und dem späten Ratzinger kein Bruch im theologischen Ansatz auszumachen ist.

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1. Vgl. J. Ratzinger, Vorwort von 1954 zur Drucklegung der Dissertation Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche (MThS.S 7), München 1954; Neudruck St. Ottilien 1992, S. VII.

2. J. Ratzinger, Die sakramentale Begründung christlicher Existenz, Meitingen 1966, S. 23.

3. Ebd., S. 19; Vorwort von 1992 zur Neuauflage der Diss., a. a. O., S. XVII; s. u. Text A1.

4. Vgl. Vorwort von 1992 zur Neuauflage der Diss., a. a. O., S. XVII.