Stiftung  Ekklesiologie: Lumen gentium Theologie im Geiste von Papst Benedikt Europa - Geistige Grundlagen Schülerkreis.: Publikationen Internetlinks

Weggemeinschaft des Glaubens

Vom Wiederauffinden der Mitte

Josef Zöhrer:
Teil A:  Die Frage nach dem unterscheidend Christlichen
II. Die Konsequenzen für die Katechese

Einführung

Im gesamten Werk Joseph Ratzingers nehmen die Beiträge, die sich ausdrücklich mit Fragen der Katechese oder der Religionspädagogik befassen, einen nicht sehr breiten Raum ein. (1) Dies darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, daß das Anliegen der Verkündigung und der Katechese für Ratzingers theologisches Denken insgesamt prägend ist. Von Beginn seines theologischen Schaffens an ging es ihm darum, Theologie aus den Abstraktionen, in die sie zum Teil geraten war, herauszuführen und vor dem Hintergrund der Fragen der Zeit neu zur Sprache werden zu lassen.

In Ratzingers Schriften, die im engeren Sinne dem Anliegen der Katechese gewidmet sind, lassen sich Akzentsetzungen ausmachen, die sich wie ein roter Faden durch das weitverzweigte Argumentationsgefüge ziehen, aber weitgehend im Vorfeld der eigentlich didaktischen Fragestellung angesiedelt sind. Zum einen ist für ihn Katechese immer Einführung in das Ganze des christlichen Glaubens. Dabei meint aber »Ganzheit« nicht einfachhin inhaltliche Vollständigkeit, sondern sie bezeichnet eine organische Größe, die sich aus der Bekenntnisstruktur des Glaubens ergibt und in ihr die bindende Mitte hat. (2) Glaube ist nicht ein Für-richtig-Halten einzelner zusammenhangloser isolierter Sätze, sondern zunächst (Tauf-)Bekenntnis, das personale Geschehen des Sich-Übereignens an den trinitarischen Gott. Diesem Glauben ist die Inhaltlichkeit wesentlich, aber diese gründet in dem einen Wort Gottes, dem wir glauben. (3) Organische Ganzheit bedeutet, daß alle Inhaltlichkeit auf das personale, dialogische Element zurückbezogen sein muß. Geschieht das nicht, zerfällt der Inhalt in einzelne Fragmente, deren innerer Zusammenhang nicht mehr einsichtig ist. Ein weiterer Akzent hängt mit diesem ersten unmittelbar zusammen: Glaube ist ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch. Zugleich stiftet er aber auch eine Beziehungsstruktur unter den Menschen. Zum Glauben gehört die Gemeinschaft der Mitglaubenden, der »Erfahrungsraum Kirche, der dem Einzelnen erst Sprache und Gestalt seiner Glaubenserfahrung gibt« (4). Katechese bedeutet deshalb für Ratzinger - ganz im Sinne des Katechumenats der Alten Kirche - einen Weg, ein Sich-Einleben in die Gemeinschaft der Kirche mit all ihren Lebensvollzügen. Daraus ergibt sich schließlich ein dritter Akzent, den Ratzinger immer wieder mit der Formulierung »Kirche als Subjekt« präzisiert hat. (5) Christlicher Glaube ist von Anfang seiner Geschichte an gebunden an die Identität des Volkes Gottes, das die Offenbarung empfangen und in dem die Schrift als Zeugnis dieser Offenbarung Gestalt gewonnen hat. Damit ist er gebunden an den Weg der Erfahrung und der Entscheidungen dieses durch die Geschichte gehenden Subjekts Kirche, in dem das Bekenntnis (die Urform des Dogmas) und die Heilige Schrift leben und festgehalten sind. Für die Katechese würde das bedeuten, daß sie hineinführen soll in den Erfahrungsraum dieses gemeinsamen Subjekts der Kirche, in dem das Zeugnis der Bibel als gegenwärtige Wirklichkeit erfahren werden kann.

Diese Akzentsetzungen spielen auch im vielbeachteten Vortrag, den Ratzinger im Jahr 1983 in Frankreich zur Situation der Katechese gehaltenen hat, (6) eine zentrale Rolle, wenn dort Ratzinger etwa die Darstellung des Glaubens in seiner »organischen Ganzheit« anmahnt und zugleich vor einer »Fragmentierung der Glaubensaussage« warnt. (7) Damit will er nicht, wie vielfach unterstellt, wieder zu einem Verständnis von Katechese als Weitergabe von bloßem Glaubenswissen zurückkehren in dem Sinne, daß unabhängig von allen psychologischen und soziologischen Ausgangsbedingungen und unabhängig von den jeweiligen Lernorten immer und überall alles gelehrt werden müsse, sondern er will gerade die organische Grundstruktur des Glaubens in Erinnerung rufen. Den eigentlichen Schwerpunkt der Rede in Frankreich bildet jedoch wohl der ekklesiologische Aspekt der Katechese. Anders ausgedrückt, was Ratzinger in Bereichen der Katechese (aber auch in anderen Bereichen der Theologie) zum Teil vermißt, ist die Berücksichtigung der grundlegend kirchlichen Dimension des Glaubens, der in der Gemeinschaft der Glaubenden ein Heute hat. Speziell im Blick auf die Glaubensdidaktik bemängelt er folglich die Tendenz, Glaubenserfahrung am lebendigen Erfahrungsraum Kirche vorbei in direkter Wechselbeziehung zwischen gegenwärtiger (säkularer) Erfahrung und (rekonstruierter) biblischer Erfahrung wecken zu wollen. Damit will er nicht grundsätzlich den Wert dieses Vorgehens in Frage stellen, und er fordert auch nicht, daß in allen Stufen der Glaubensvermittlung die kirchliche Dimension ausdrücklich artikuliert werde, wohl aber, daß der Erfahrungsraum Kirche bei allen didaktischen und methodischen Überlegungen als Ort, in dem der Glaube lebt und atmet, mitveranschlagt werde. Darüber hinaus meint nun Ratzinger, daß die Struktur, die der Katechismus vorgibt, bereits auch ein didaktisches Grundmodell für die Katechese abgeben könnte, weil zum einen in ihr Glaubenlernen von vornherein in Bezogenheit auf die lebendige Mitte in Bekenntnis, Liturgie, Gebot und Gebet konzipiert sei, zum anderen auf diese Weise die Inhaltlichkeit des Glaubens in ihrer organischen Struktur sichtbar würde. Daß mit dieser grundlegenden Option für die vom Katechismus vorgegebene Struktur über eine konkrete Realisierung in den verschiedenen Lernorten des Glaubens noch nicht viel gesagt ist und daß hier die Kompetenz der Religionspädagogen und Didaktiker gefordert ist, betont Ratzinger ausdrücklich. Insbesondere im Blick auf den schulischen Religionsunterricht hat er gerade auch in jüngster Zeit wieder unterstrichen, daß man zwar immer weniger davon ausgehen werde können, in diesem Rahmen noch sehr viele Schülerinnen und Schüler wirklich zum Glauben führen zu können, daß für sie aber zumindest die Möglichkeit gegeben sein müsse zu erfahren, was das Christentum wirklich sei. (8)

Generell sieht Ratzinger in der Tatsache, daß das Christentum heute für viele bereits eine fremde Welt darstellt, zugleich auch eine Chance, daß der christliche Glaube wieder als Neuheit erlebt und erfahren werden kann. Voraussetzung dafür sei jedoch, daß wieder Orte der Erfahrbarkeit des Glaubens geschaffen würden, und gerade darauf sollten sich seiner Meinung nach künftige katechetische Bemühungen verstärkt konzentrieren.

Zu den Texten

Im Mittelpunkt der Textauswahl steht der Vortrag in Frankreich (Text A6), der hier gekürzt wiedergegeben wird. Der zweite Text aus dem Jahr 1992 (Text A7: Christus und die Kirche) bringt insofern noch einmal einen neuen Akzent, als er das Unbehagen, das vielfach gegenüber der Kirchlichkeit des Glaubens besteht, in Zusammenhang bringt mit dem Unbehagen gegenüber christologischen Aussagen, wobei er dieses wiederum in der Schwierigkeit, die der Glaube an einen lebendigen, in der Geschichte wirkenden Gott für viele darstellt, begründet sieht. Er plädiert deshalb dafür, die Gottesfrage wieder ins Zentrum der Katechese zu stellen, so daß von ihr aus Christologie und Ekklesiologie wieder in einem begründeten Kontext erscheinen würden. Der dritte Text aus dem Jahr 1993 (Text A8: Was heißt »Glauben«?) bietet ein konkretes Beispiel dafür, wie auf der Grundlage des Katechismus der katholischen Kirche der Glaube als ein personaler und zugleich ekklesial verankerter Akt entfaltet werden kann.

-----------------------------------------------------------------------

1. Die wichtigsten seiner früheren Arbeiten zum Themenbereich sind im Sammelband »Dogma und Verkündigung«, München 1973, zusammengefaßt. Zu nennen ist ferner: J. Ratzinger, Erfahrung und Glaube. Theologische Bemerkungen zur katechetischen Dimension des Themas, in: IKaZ 9 (1980), S. 58-70 (abgedruckt in: ders., Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, München 1982, S. 359-370).

2. Vgl. J. Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, München 1968, S. 59; ferner: Theologische Prinzipienlehre, a. a. O., S. 106-116; sowie: ders., Evangelium - Katechese - Katechismus. Streiflichter auf den Katechismus der katholischen Kirche, München, Zürich, Wien 1995, S. 21-30.

3. S. o. Einführung zu AI, Anm. 11.

4. Kommentar zu den Thesen I-VIII der Internationalen Theologenkommission, Die Einheit des Glaubens und der theologische Pluralismus (Sammlung Horizonte N. F. 7), Einsiedeln 1973, S. 17-51, hier S. 37; s. u. Text B4.

5. Am ausführlichsten in seinem Kommentar zu den Thesen I-VIII der Internationalen Theologenkommission, a. a. O., bes. S. 32-48; vgl. auch: Dogma und Verkündigung, a. a. O., S. 13-42; J. Ratzinger, Theologie und Kirche, in: IKaZ 15 (1986), 515-533 (unter dem Titel »Vom geistlichen Grund und vom kirchlichen Ort der Theologie« abgedruckt in: ders., Wesen und Auftrag der Theologie, Einsiedeln, Freiburg 1993, S. 39-62).

6. J. Ratzinger, Glaubensvermittlung und Glaubensquellen, in: ders., Die Krise der Katechese und ihre Überwindung. Rede in Frankreich, Einsiedeln 1983, S. 13-39; dazu auch das Interview: ders., Schwierigkeiten mit der Glaubensunterweisung heute, ebd., S. 63-79. - Die neueren Arbeiten zu Themen der Katechese beziehen sich fast ausschließlich auf Fragen im Zusammenhang mit dem 1993 erschienenen »Katechismus der katholischen Kirche«: vgl. J. Ratzinger/Ch. Schönborn, Kleine Hinführung zum Katechismus der katholischen Kirche, München, Zürich, Wien 1993; sowie: Evangelium - Katechese - Katechismus, a. a. O.

7. Ebd., S. 15 f.

8. Vgl. J. Ratzinger, Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart 1996, S. 134 f.