Schriftverständnis - Evangeliensymbole  - Maiestas Domini

Irenäus von Lyon
Gregor der Große
Maiestas Domini
Vierfacher Schriftsinn - Spätmittelalter
 

Lehre von vierfachen Sinn der Schrift

Littera gesta docet,
quid credas allegoria,
moralis quid agas,
quo tendas anagogia.

Der büchstäbliche Sinn lehrt, was geschehen ist
der allegorische, was man glauben soll
der moralische, was man tun soll
der anagogische (eschatologische), was man hoffen soll

 
 

NT - AT vgl. Lk 24,26f; Joh 12, 41; 2 Kor 3,12ff; 1 Kor 5,7; 1 Kor 10; Gal 4,24;
Gal 3,13 - Dtn 21,23; Joh 3,14ff - Num 21,8; Mt 12,39 Mt 16,4 - Lk 11,29 Lk 11,30
 
 
 
 

Irenäus von Lyon,
Adversus haereses III, 11,7f

11,7. Das sind nun allerdings Grundlehren des Evangeliums, die den einen Gott, den Erbauer des Weltalls, verkünden, denjenigen, der auch von den Propheten verkündet worden ist und durch Mose die Ordnung des Gesetzes eingeführt hat, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Neben ihm kennen sie (sc. die Grundlehren) keinen anderen Gott und keinen anderen Vater. Im Fall der Evangelien ist diese Zuverlässigkeit so groß, daß auch die Häretiker selbst in der Form ein Zeugnis für sie ablegen, daß sie alle von ihnen (sc. den Evangelien) ausgehen, um zu versuchen, ihre eigene Lehre dadurch zu bewahrheiten. In der Tat benutzen die Ebionäer das Evangelium nach Matthäus und nur dieses, wobei ihnen aber gerade aus diesem. Evangelium nachgewiesen wird, daß sie falsche Annahmen über Gott machen. Markion schneidet am Lukasevangelium herum; was bei ihm davon noch beibehalten wird, zeigt ihn als Lästerer gegen den allein existierenden Gott. Diejenigen aber, die Jesus von Christus trennen und sagen, Christus habe nicht leiden können, sondern Jesus sei es gewesen, der gelitten hat <vgl. Kerinth>, bevorzugen das Evangelium nach Markus, und wenn sie es mit Liebe zur Wahrheit lesen, können sie auf den rechten Weg gebracht werden. Die Valentinianer gebrauchen aber äußerst häufig das (sc. Evangelium) nach Johannes, um ihre Syzygien (paarweise Vereinigungen) zu beweisen; und gerade aus diesem läßt sich aufdecken, daß an ihren Lehren nichts richtig ist, wie ich schon im ersten Buch bewiesen habe. Wenn die, die uns widersprechen, (den Evangelien) ein (gutes) Zeugnis ausstellen, indem sie sie benutzen, dann ist unsere Beweisführung darüber doch wohl solide und wahr.
11,8 Da es in der Welt, in der wir uns befinden, vier Gegenden und vier Hauptwindrichtungen gibt und die Kirche über die ganze Erde ausgesät ist, das Evangelium aber die Säule und Grundfeste der Kirche und ihr Lebenshauch ist, so muß sie naturgemäß auch vier Säulen haben, die von allen Seiten Unsterblichkeit aushauchen und die Menschen wiederbeleben. Da leuchtet es ein, daß der Erbauer des Alls, der Logos, "der auf den Kerubim thront" (Ps 80,2: LXX Ps 79,2) und "das All zusammenhält" (Weish 1, 7), uns bei seinem Erscheinen vor den Menschen das Evangelium in vierfacher Gestalt ( ) gab, das aber von einem Geiste zusammengehalten wird. David hat ja schon mit den entsprechenden Worten um seine Ankunft gebetet und gesagt: "Der du auf den Kerubim thronst, erscheine!" (Ps 80,2: LXX Ps 79,2). Die Kerubim sind nämlich viergestaltig (vgl. Ez 1,6.10), und ihre Gestalten sind Abbilder der Heilsordnung des Sohnes Gottes. Das erste Tier«, heißt es, »ist ähnlich einem Löwen« [Offb 4,7], um seine Kraft, Herrschaft und königliche Art auszudrücken. »Das zweite ist ähnlich einem jungen Stier«, um seine Opfer- und Priesterstellung anzuzeigen. »Das dritte hat das Angesicht eines Menschen«, um seine Ankunft in Menschengestalt aufs deutlichste zu bezeichnen. »Das vierte ist ähnlich einem fliegenden Adler«, um die Gnadengabe des auf die Kirche ausströmenden Geistes kundzutun. Die Evangelien stimmen nun mit diesen Wesen überein (sc. den Kerubim mit ihren Gesichtern), auf denen Christus Jesus thront. Denn dasjenige nach Johannes erzählt ausführlich seine wirksame und herrliche Geburt aus dem Vater. Es heißt dort: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort« (Joh 1,1); und weiter: "Alles ist durch es geworden, und ohne es ist nichts geworden" (Joh 1, 3). Von daher ist dieses Evangelium voller Zuversicht (fiducia); so ist nämlich sein Aussehen (persona). Das Evangelium nach Lukas hat typisch priesterliche Merkmale und beginnt beim Priester Zacharias, wie er Gott Rauchopfer darbringt (vgl. Lk 1,9). Schon wurde nämlich das Mastkalb zubereitet, das geopfert werden sollte, weil der jüngere Sohn wiedergefunden war (vgl. Lk 15,23.30). Das Evangelium nach Matthäus verkündet seine Geburt als Mensch mit den Worten: "Buch der Abstammung Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams" (Mt 1, 1); und dann wieder, "Mit Christi Geburt verhielt es sich so" (Mt 1, 18). Dieses Evangelium hat also menschliche Gestalt; deshalb zieht sich durch das ganze Evangelium das Bild vom demütig gesinnten und sanften (vgl. Mt 11,29) Menschen. Das Evangelium nach Markus nahm beim prophetischen Geist, der aus der Höhe auf die Menschen herabkommt, seinen Anfang und sagt: "Anfang des Evangeliums. Wie beim Propheten Jesaja geschrieben steht" (Mk 1,1 f). Damit zeigt er ein Bild des Evangeliums mit Flügeln und Federn; deshalb hat er seine Verkündigung kurz und eilig gefaßt, denn das ist die Art eines Propheten. Und das Wort Gottes selbst hat es nicht anders gemacht. Mit den Patriarchen der Zeit vor Mose hat es in göttlichem und majestätischem Stil verkehrt; denen unter dem Gesetz wendete es sich in seinem priesterlichen Rang zu; als es dann für uns Mensch geworden war, da schickte es die Gabe des Heiligen Geistes auf die ganze Erde, indem es uns mit seinen Flügeln bedeckte (vgl. Ps 17,8: LXX Ps 16,8; Ps 61,5: LXX Ps 60,5). Wie sich also die Heilsordnung des Sohnes Gottes darstellt, so ist auch die Gestalt der Lebewesen; und wie die Gestalt der Lebewesen, so ist auch die Besonderheit des Evangeliums: Die Lebewesen sind nämlich viergestaltig, viergestaltig ist auch das Evangelium und viergestaltig die Heilsordnung des Herrn.
 
 

Gregor der Große,
Homilien zu Ezechiel

(Ez 1,10) Ihre Gesichter sahen so aus: rechts bei allen vieren ein Menschenkopf und ein Löwenkopf, links bei allen vieren ein Rinderkopf und oben ein Adlerkopf bei allen vieren.
Daß diese vier geflügelten Lebewesen die vier Evangelisten anzeigen, bestätigen die Anfänge eines jeden Evangelienbuches. Matthäus beginnt mit der menschlichen Herkunft: sein rechtes Sinnbild ist der Mensch;
Markus stellt den Rufer in der Wüste an den Anfang: sein treffendes Sinnbild ist der Löwe;
Lukas setzt mit einem Opfer ein: sein angemessenes Sinnbild ist das Rind;
Johannes hebt mit der Gottheit des Wortes an: sein würdiges Sinnbild ist der Adler. Indem er sagt: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort (Joh 1,1), zielt er auf das Wesen der Gottheit und richtet so gleichsam wie ein Adler seine Blicke auf die Sonne.
Da nun alle Erwählten Glieder unseres Erlösers sind, unser Erlöser aber das Haupt aller Erwählten ist, die seine Glieder bilden, so hindert nichts, daß er selbst in ihnen allen bezeichnet wird.
Denn der eingeborene Sohn Gottes ist wahrhaft Mensch geworden und hat sich gewürdigt, im Opfer unserer Erlösung wie ein Rind geschlachtet zu werden, und ist in der Macht seiner Kraft auferstanden gleich einem Löwen. Auch sagt man, der Löwe schlafe mit offenen Augen: so konnte unser Erlöser seiner Menschheit entsprechend im Tode entschlafen, während er, seiner Gottheit entsprechend unsterblich, wach geblieben ist. Nach seiner Auferstehung ist er zum Himmel auffahrendwie ein Adlerin die Höhe emporgestiegen.
Daher ist er alles zugleich für uns, indem er in der Geburt ein Mensch, im Opfertod ein Rind, in der Auferstehung ein Löwe und in der Himmelfahrt ein Adler geworden ist.
(Ez 1,16) Die Räder sahen aus und waren gearbeitet wie das Meer; und alle vier hatten die gleiche Gestalt, und sie sahen aus und waren gearbeitet, als wäre ein Rad innerhalb des anderen. Was soll es heißen, daß, nachdem von einem Rad die Rede war, gleich darauf beigefügt wird: Als wäre ein Rad innerhalb des anderen, wenn nicht dies: im Buchstaben des Alten Testamentes lag nach allegorischer Auslegung das Neue Testament verborgen. So wird auch gesagt, das Rad, das neben den Lebewesen erschien, habe vier Gesichter, denn die Heilige Schrift ist in beiden Testamenten in vier Teile unterschieden, das Alte Testament in das Gesetz und die Propheten, das Neue in die Evangelien und die Taten, beziehungsweise Worte der Apostel. Wir wissen ja, daß wir dort, nach welcher Seite wir auch den Blick wenden, alles Notwendige sehen.(Ez 1,16) Und die Räder sahen aus und waren gearbeitet wie das Meer.
Mit Recht werden die heiligen Schriften mit dem Anblick ähnlich dem des Meeres verglichen, da sich in ihnen große Schätze von Weisheit und Berge von Bedeutungen finden.
Nicht zu Unrecht wird die Heilige Schrift einem Meer verglichen, zumal der Inhalt des in ihr Gesagten durch das Sakrament der Wassertaufe bekräftigt wird.
Auch ist zu erinnern, daß wir auf Schiffen übers Meer fahren, wenn wir den ersehnten Ländern zustreben. Nach welchem Land aber weist unsere Sehnsucht, wenn nicht nach jenem, von dem geschrieben steht: Mein Anteil ist im Land der Lebendigen (Ps 141,6).
Auf hölzernen Schiffen, wie gesagt, sticht in See, wer das Meer überquert.
Und wir wissen, daß uns die Heilige Schrift das Holz des Kreuzes durch das Gesetz ankündigt:
Verflucht sei jeder, der am Holze hängt (Dt 21,23). Das bestätigt Paulus von unserem Erlöser: Er ist für uns zum Fluch gemacht worden (Gal 3,13).
Auch die Propheten sagen das Holz voraus: Der Herr ist König vom Holze aus (Ps 95,10).
Und: Laßt uns Holz in sein Brot geben (Jer 11, 19).
Im Evangelium wird das Holz des Kreuzes deutlich gezeigt, wo die prophezeite Passion des Herrn offen an den Tag gebracht wird. Von den Aposteln wird dieses selbe Kreuz in Wort und Tat vorgestellt, da Paulus sagt: Mir ist die Welt gekreuzigt und ich der Welt (Gal 6,14). Und: Ferne sei es von mir, mich zu rühmen außer im Kreuz Jesu Christi (Gal 6, 14).
Uns, die wir nach der ewigen Heimat streben, ist die Heilige Schrift in ihren vier Gesichtern ein Meer. Sie kündet uns das Kreuz, das uns auf seinem Holz zum Land der Lebendigen trägt.

 
 

Maiestas Domini

Evangeliar Mailand, Bibliotheca Ambrosiana: C 53 Sup

Hic liber est vitae
toto diffusus in orbe
quatuor vi lato sparguntur
flumina mundo
quae fons irriguus paradisi
dirivat unus
Sic et aquae semper sunt
hic sacra flumina vivae
quae vitae fons Christus
(fol 1v)
 

Est Deus in caelo
cuius hic habetur imago
Nostra salus Christus
Spes atque redemptio Jesus
De quo dogma prohetarum
canit omne priorum
Hunc monstrando Deum
voluit qui visere Mundum
Quemque suis signant
animalia sancta figuris
Nascendo quia factus homo
vitulus moriendo
et leo surgendo
sicutque aquila astra petendo
(fol 2r)

Gott ist im Himmel,
sein Bild ist hier.
Unser Heil Christus,
Hoffnung und Erlösung Jesus.
Von Ihm singt alle Lehre
der früheren Propheten
...
 den die heiligen Tiere bezeichnen mit ihren Figuren
da er
Mensch wurde durch die Geburt
Stier durch das Sterben,
und Löwe durch seine Auferstehung
und wie ein Adler durch das Eilen zu  den Sternen

(Die Ottonische Malerschule, bearb. von Peter Bloch und Hermann Schnitzler, Bd I, Düsseldorf 1967, 32.44f