Erweiterte deutsche Fassung des Artikels Colloquies,
in: The Oxford Encyclopedia of the Reformation,
ed. by Hans J. Hillerbrand,
New York - Oxford:
Oxford University Press 1996, I, 375-383.
Vorbemerkungen zum Sprachgebrauch
und zur Zielsetzung
Augsburg 1530
Entscheidung
durch Sieg in der Disputation
Erweis
der gegnerischen Theologen als Häretiker und Durchführung des
Wormser Ediktes
Das Religionsgespräch
als freundliche unvoreingenommene Unterredung mit dem Ziel des Vergleiches
Hagenau-Worms-Regensburg
Hagenau
Worms 1540/41
Das
Wormser / Regensburger Buch
Regensburg
1541
Zur Bewertung
des Regensburger Buches und des Regensburger Religionsgespräches.
Regensburg 1546
Worms 1557
Religionsgespräche
nach 1557
Abschließende
Bewertung
Vorbemerkungen zum Sprachgebrauch und zur Zielsetzung.
»So habe ich durch Gottes Gnade so Ihren Mut gebrochen, daß
sie es nicht wagen, sich in eine Disputation einzulassen, sondern nur ein
freundschaftliches Gespräch (amicum colloquium) suchen, wie in Augsburg,
Worms und Regensburg« (Johannes Eck, Replica, 46v). In
Entsprechung zu diesem Sprachgebrauch des 16. Jahrhunderts (Unterscheidung
zwischen Disputation und freundschaftlichem Gespräch; Beginn der Religionsgespräche
auf Reichsebene bereits in Augsburg <vgl. auch ARC VI 14915: In superioribus
quatuor colloquies Augustano, Wormatiensi, Ratisbonensibus priore ac posteriore)
werden im folgenden die Religionsgespräche auf Reichsebene: Augsburg
1530, Hagenau/Worms 1540/41, Regensburg 1541, Regensburg 1546, ( -> Interim
1548), Worms 1557 behandelt.
Versuche, den Glaubenszwiespalt, der den Frieden und die einheitliche Rechtsgeltung im Reich und in den Territorien gefährdete, zu überwinden:
a) Entscheidung durch Sieg in der Disputation: Kurz vor Ankunft der sächsichen Delegation veröffentlichte Johannes Eck 404 aus reformatorischen Schriften exzerpierte Artikel als Disputationsthesen der Gegner, und bot sich an, diese in einer großen Disputation vor dem Kaiser als Schiedsrichter zu widerlegen. Im Rahmen der Disputation blieb so nur die verhängnisvolle Alternative, diese überspitzten Positionen zu verteidigen oder sich davon zu distanzieren und sich damit als besiegt zu geben. Melanchthons »Gegenmittel« gegen diesen »überaus teuflischen« Versuch (vgl. MSA VII/1 149,2-8; vgl. ebd. 137,23-26) war die Darlegung dessen, was in den Kirchen gelehrt wird (-> Confessio Augustana).
b) Erweis der gegnerischen Theologen als Häretiker und Durchführung des Wormser Ediktes:
Die Arbeiten im Vorfeld der -> Confutatio suchten durch die Auflistung früherer überspitzter Äußerungen die reformatorischen Theologen als Häretiker zu erweisen. In der Confutatio selbst ist mit dem Ernstnehmen der Confessio Augustana als Ausdruck lutherisch-reformatorischer Theologie und einer nur noch bedingungsweisen Zurückweisung (nur wenn CA 2 und CA 7 in bestimmter Weise verstanden werden) bereits der Weg zu einem ernsthaften Dialog (als Alternative zum Sieg in der Disputation und zur Verurteilung von Häretikern) eröffnet.
c) Das Religionsgespräch als freundliche unvoreingenommene Unterredung mit dem Ziel des Vergleiches: In den weiteren Verhandlungen nach Verlesung der Confutatio sind schließlich »von seiner Majestät 14 Personen verordnet worden, die
freundlich und gütlich von den Sachen der Religion sich unterreden und handeln sollten, ob man dadurch zur Vergleichung kommen könnte« (Schirrmacher, S. 211; vgl. FU II 218, MSA VII/2 265,3-6), »ohne Streit und ohne Disputation im freundschaftlichen Gespräch der beiden Seiten« (Summa tractatus <ÖNB 11833, f.127r; Coelestin III 43; Schirrmacher 217f>; vgl. FU II 223 » ... disputation zuvermeiden«). Unter dieser Vorgabe führten die Verhandlungen im Vierzehnerausschuß vom 16.-21.8 (zwei Fürsten: Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, Markgraf Georg von Brandenburg / Christoph von Stadion, Herzog Heinrich von Braunschweig; zwei Juristen: Gregor Brück, Sebastian Heller / Bernhard Hagen, Hieronymus Vehus; drei Theologen: Philipp Melanchthon, Johannes Brenz, Erhard Schnepf / Johannes Eck, Johannes Cochläus, Konrad Wimpina) im Blick auf die ersten 21 Artikel der Confessio Augustana zu folgendem Ergebnis (Summarischer Auszug der gütlichen Unterhandlung <vgl. Pfnür, Die Einigung 359; Vehus <Honée 299>): Acht Artikel, nämlich der 1., 3., 9., 13., 16., 17., 18., 19. wurden, wie schon in der Confutatio, als nicht kontrovers beurteilt. Die Einhelligkeit beruht auf dem Ernstnehmen der Confessio Augustana als Gespächsbasis und im Verzicht, die Gegner auf frühere überspitzte und mißverständliche Äußerungen festzulegen.
In weiteren 7 Artikeln, nämlich im 2., 4., 5., 6., 7., 8., 10., kam es zu einer Einigung, nachdem die evangelische Seite ihr Verständnis dargelegt hatte.
Zu CA 2 (Erbsünde) erklärt die lutherische Seite unter Verweis auf den deutschen Text der CA, daß sie die Erbsünde nicht als Tatsünde sondern als grundsätzliches Unvermögen verstehe. Eck umgekehrt sieht in der »neuen Form zu reden« kein Hindernis. Hinsichtlich der nach der Taufe bleibenden Sünde kam es im Anschluß an Thomas von Aquin zur Einigung: Das Materiale der Sünde, die erbsündige Begierlichkeit, bleibt (Korrektur des nominalistischen Sündenverständnisses), das Formale der Sünde, die Sündenschuld, wird hinweggenommen.
Zu CA 4-6 (Rechtfertigung) verzichtet die lutherische Seite nach Ecks Hinweis auf das Mißverständnis im Volk auf das Wörtchen »allein« (sola). Gemeinsam wird erklärt: Die Sündenvergebung geschieht formell (formaliter) durch die vor Gott angenehm machende Gnade (gratia gratum faciens) und durch den Glauben, instrumentaliter durch Wort und Sakramente. Die Einigung beruht dabei auf der Bereitschaft von einer theologischen Sprache in die andere zu übersetzen: Die reformatorische Redeweise von der Rechtfertigung durch den Glauben entspricht der katholischen Redeweise von der Rechtfertigung durch die Gnade (vgl. Apol. 4,116: BC 123; The Condemnations of the Reformation Era p.51f).
CA 7 und 8 werden verglichen mit der Erklärung, daß die Rede von der Kirche als Versammlung der Heiligen nicht ausschließt, daß in der Kirche in diesem Leben auch Schlechte und Sünder sind.
CA 10 wird durch die Hinzufügung von »wesentlich« (realiter bzw. substantialiter) verdeutlicht.
Weitere drei Artikel, nämlich der 11., 14., 15. wurden zu den Verhandlungen über den 2.Teil der CA, die Mißbräuche, zurückgestellt.
Es blieben drei Artikel, nämlich der 12., 20., 21., in denen es nur zu einer teilweisen Einigung kam.
Zu CA 12 war man sich einig, »drei Teile (der Buße) zu setzen, nämlich (1) die Reue (contritio), die die Schrecken bezeichnet, die das Gewissen nach Erkenntnis der Sünde befallen, (2) das Bekenntnis, aber dabei muß man auf die Absolution schauen und ihr glauben. Die Sünde wird nämlich nicht nachgelassen, wenn nicht geglaubt wird, daß sie um des Verdienstes des Leidens Christi nachgelassen wird. (3) Der dritte Teil ist die Genugtuung, nämlich die würdigen Früchte der Buße. Wir sind gemeinsam der Meinung, daß die Sünden hinsichtlich der Schuld nicht wegen der Genugtuung nachgelassen werden. Aber darüber sind wir noch nicht zu einer gemeinsamen Position gekommen, ob die Genugtuungen notwendig sind zur Vergebung der Sünde hinsichtlich der Strafe.« (Vehus <Honée 218; vgl. The Condemnations of the Reformation Era 61).
Zu CA 20 blieb strittig, ob die aus Glauben und Gnade gewirkten Werke als verdienstlich zu bezeichnen sind.
Zu CA 21 war man sich einig, daß die Heiligen im Himmel bei Gott für uns bitten und daß die Feier des Gedächtnisses der Heiligen christlich sei. Nicht einig war man sich über die Anrufung der Heiligen.
In diesen verbleibenden Differenzen der drei Artikel sieht Eck jedoch mehr eine Disputation um Worte als um die Sache (FU II 292).
Bei den Verhandlungen über die sieben Artikel des zweiten Teils der CA war man sich einig über die Anerkennung und Erhaltung der Jurisdiktion der Bischöfe (insbesondere gegenüber den Pfarrern und Predigern) 292 CA 28,69f; FU I 196; MSA 7/2,164.176.246.277 CR II 282), über die Haltung der Feiertage (einschließlich des Festes Allerheiligen) und über die Erhaltung der Beichte. Die Hauptschwierigkeiten ergaben sich in folgenden Punkten, ob die Kommunion unter einer Gestalt gegen die Einsetzung und Anordung Christi sei, ob (abgesehen von der Duldung der bisher verheirateten Priester bis zum Konzil) die Priester und Ordensleute auch weiterhin heiraten können, wie mit dem Besitz der aufgelösten Klöster zu verfahren sei und bezüglich des Meßopfers. Über diese vier Artikel (Kommunion unter beiden Gestalten, Messe, Priesterehe, abgetane Klöster), an denen »<merertheils> alle handlung gelegen sein will« (308), konnte auch im anschließenden Sechserausschuß vom 24.-29.8. (Brück, Heller, Melanchthon / Hagen, Vehus, Eck) keine Einigung erzielt werden. Neben theologischen Problemen - bezüglich des Meßopfers war Eck sich klar, daß die von ihm verfochtene schultheologische Position vom ex opere operato endlichen Wert der Messe erst durch ein Konzil entschieden werden konnte - spielten zunehmend auch nichttheologische Faktoren eine Rolle, etwa bei der Frage der Gültigkeit der Meßstiftungen, insbesondere aber bei der Frage der Restituierung der Klostergüter und der Anerkennung der Jurisdiktion der Bischöfe, die bei Philipp von Hessen und den Reichsstädten auf Widerstand stieß (vgl. Schirrmacher 242, WABr 5,598,17-22; MSA VII/2 277,21f), sodaß die Einigung schließlich scheiterte und damit auch das Konzept der Duldung der bisherigen religiösen Neuerungen. Der Entwurf für den Abschied vom 22. November listet die vier strittigen Punkte ausdrücklich auf, der Reichstagsabschied vom 19.11.1530 zieht als Resüme, daß es nicht zu einer Vergleichung in allen Artikeln kam.
d) Die Zurückstellung der Lösung des Zwiespalts im Glauben auf das Konzil:
Die Entscheidung über die strittigen Religionsfragen vertagt der
Reichstagsabschied auf ein Konzil, das innerhalb von sechs Monaten nach
Beendigung des Reichstages vom Papst ausgeschrieben werden und dann innerhalb
eines Jahres zusammentreten soll. Bis dahin soll nicht nur jede weitere
Neuerung untersagt, sondern auch die alte Rechtsordnung wieder hergestellt
werden (keine Duldung der bisher verheirateten Priester, Restituierung
der Kirchen- und Klostergüter, Wiedereinsetzung der zu Unrecht abgesetzten
Stelleninhaber).
Die im Reichstagsabschied von Augsburg 1530 geforderten Maßnahmen
ließen sich nicht durchsetzen (-> Schmalkaldischer Bund; -> Nürnberger
Anstand, 23.7.1532: Sistierung der Prozesse vor dem Reichskammergericht).
Das erstrebte Konzil wurde erst am 2.6.1536 vom neuen Papst, Paul III.,
einberufen, aber dann wieder sistiert. Anderseits gefährdete der Zwiespalt
im Glauben die einheitliche Rechtsordnung des Reiches, ließ ein Bündnis
der Protestanten mit Franz I. von Frankreich befürchten und verhinderte
eine gemeinsame Abwehr der Türkengefahr (vgl. Niederlage bei Essag,
9.10.1538). So griff der Kaiser im Frankfurter Anstand vom 19.4.1539 erneut
auf das Mittel des »christlichen freundlichen Gesprächs«
(Neuser 76) zurück, das in der Zwischenzeit auch auf theologischem
Gebiet durch verschiedene Impulse Auftrieb erhielt: Erasmus, De sarcienda
Ecclesiae concordia, 1534; Julius Pflug, De concordia ecclesiae; Sächsisch-territoriales
Leipziger Religionsgespräch 29.4-3.5. 1534 (Michael Vehe, Christoph
Türk - Melanchthon, Gregor Brück vgl. CR II 722-727); Melanchthon,
Consilium Gallis scriptum 1534 (CR II 741ff <de iustificatione ... de
multis iam convenit inter doctos, de quibus initio fuerunt magna certamina>);
Verhandlungen Luthers mit den Legaten aus England: Wittenberger Artikel
der christlichen Lehre 1536 (ed. G. Mentz, Leipzig 1905); Wittenberger
Konkordie 1536; Consilium de emendanda Ecclesia 1537 (CT XII 131-145);
Georg Witzel, Typus ecclesiae prioris, 1538; Leipziger Religionsgespräch
1539 (Martin Bucer, Georg Witzel).
Im Schreiben vom 18.4.1540 lud Karl V. dazu für den 6. Juni 1540 nach Speyer ein. Da dort die Pest ausgebrochen war, wurden die Verhandlungen nach Hagenau verlegt.
Dabei ging es vor allem um den modus procedendi. Dr. Johannes Fabri,
ab 1530 Bischof von Wien und Berater König Ferdinands, versuchte diesen
in mehreren Gutachten davon zu überzeugen, daß 1. auch nach
der Wittenberger Konkordie die »Zwinglianer zu Straßburg und
anderwärts« nicht unter »die der Augsburgischen Konfession
und derselbigen Religion Mitverwandte« zu zählen seien und 2.
nicht nur über die Confessio Augustana verhandelt werden dürfe
und die katholischen Gelehrten nicht wie zuvor in Augsburg zu hindern seien,
die Häresien, Gottlosigkeiten und Irrtümer der Widersacher aufzuzählen.
Dementgegen bestimmt der Abschied von Hagenau (28.7.1540) und das Kaiserliche
Schreiben vom 15.8.1540 für das auf den 28.10.1540 in Worms einberufene
Religionsgespräch die Confessio Augustana und die Apologie als Verhandlungsgrundlage.
Die Übernahme der Ergebnisse der Augsburger Einigungsverhandlungen
lehnten die Protestanten ab.
In Worms bereitete die Festlegung, daß jede Partei elf Stimmen
habe, der katholischen Seite (Teilnehmerliste: ARC III 196f, 216) besondere
Schwierigkeiten, da drei davon (Brandenburg, Pfalz und Jülich-Kleve)
reformationsfreundlich waren. Die evangelische Seite (darunter auch Straßburg;
Verzeichnis der evang. Abgeordneten, siehe Neuser 199f; ARC III 207) suchte
ab dem 4. November in Vorgesprächen die innere Einigkeit zu festigen
(8. November Verpflichtung der Theologen, u.a. auch Calvins, auf die Confessio
Augustana Variata) und die Argumentation gegenüber der katholischen
Seite vorzubereiten. Zu CA 1 mahnte Melanchthon etwaige von den Gegnern
vorgebrachte frühere Äußerungen seinerseits nicht zu verteidigen,
da in diesen schwierigen Fragen ein Ausgleiten sehr leicht möglich
sei. Zu CA 2 erwartete er keine Schwierigkeiten. Des weiteren wurden das
Verständnis der Rechtfertigung, des Meßopfers, der Mönchsgelübde
und des päpstlichen Primates erörtert (vgl. Protokoll Musculus,
Neuser). Am 20. 11. war die erste gemeinsame Sitzung der Parteien. Am 25.
November hielt Granvella die Eröffnungsrede. Am 26.11. wurden die
Parteien aufgefordert, die 11 stimmberechtigten Vertreter (mit bis zu je
drei Räten) zu benennen. Die katholische Seite monierte die Abweichungen
und Erweiterungen der von der evangelischen Seite übergebenen Confessio
Augustana Variata, konnte sich aber auf keine gemeinsame Stellungnahme
zur Confessio Augustana einigen. Nach langwierigen Verhandlungen über
den Abstimmungsmodus - Bayern und Mainz verhinderten eine Abstimmung nach
Einzelstimmen - und das weitere Vorgehen einigte man sich schließlich
am 5. Januar 1541 auf je einen Sprecher der beiden Seiten, Eck und Melanchthon.
Im Kolloquium vom 14.- 18. Jan. 1541 zu CA 1 und CA 2 kam es dann bezüglich
der Erbsünde nach langer intensiver theologischer Erörterung
in Aufnahme und Weiterführung von Augsburg 1530 zu einer vollen Einigung,
auch hier auf der Basis des amicum colloquium mit der Bereitschaft,
die Gegenseite nicht auf Extrempositionen festzulegen, Fehler und Schwächen
auch auf der eigenen Seite einzuräumen (vgl. CR IV 49) und der eigenen
Überzeugung entgegenstehende, aber im Rahmen der christlichen Tradition
mögliche Positionen gelten zu lassen (So akzeptierte Eck Melanchthons
Deutung von Rm 7 und die Bezeichnung der nach der Taufe verbleibenden Konkupiszenz
als Sünde): »Eines Sinnes bekennen wir, daß wir alle als
Nachkommen Adams nach einer gemeinsamen Vorgegebenheit mit der Erbsünde
und so im Zorne Gottes geboren werden. Die Erbsünde besteht aber im
Fehlen der geschuldeten Ursprungsgerechtigkeit verbunden mit der Konkupiszenz.
Wir stimmen auch überein, daß in der Taufe die Schuld der Erbsünde
zusammen mit allen Sünden vergeben wird durch das Verdienst des Leidens
Christi. Belehrt aber nicht nur durch apostolische Schriften, sondern auch
durch die unmittelbare Erfahrung, sind wir der Ansicht, daß Konkupiszenz,
Verderbnis der Natur, Schwäche, Krankheit usw. zurückbleiben.
Hinsichtlich dieser Krankheit in den Wiedergeborenen besteht zwischen uns
Einigkeit, daß das `Materiale' der Erbsünde bleibt, während
das `Formale' durch die Taufe weggeschafft ist. `Materiale' der Sünde
nennen wir aber, was aus der Sünde stammt, was zur Sünde neigt,
und eben die Verderbnis der menschlichen Natur selbst, die, was den Sachverhalt
selbst betrifft, etwas dem Gesetz Gottes Widerstreitendes ist, demgemäß
Paulus es denn auch `Sünde' nennt. In diesem Sinn pflegt man in den
Schulen kurz und bündig zu lehren, es bleibe in den Getauften das
Materiale der Erbsünde, das Formale jedoch, die Schuld, werde weggenommen«
(Eck, Apologia, c iv-ijr; Eck, Replica, 33r-33v.
CR IV 32f vgl. The Condemnations of the Reformation Era 45). Trotz dieses
Erfolges ließ Granvella die Verhandlungen abbrechen und gab die Verlegung
nach Regensburg bekannt. Dort wollte er die Gespräche nicht mehr auf
der Basis der Confessio Augustana sondern auf einer von Theologen beider
Seiten gemeinsam vorbereiteten Vorlage fortführen.
Das Wormser / Regensburger Buch
Im Sinne dieses Planes erarbeiteten bereits von Mitte bis Ende Dezember
1540 Martin Bucer und Johannes Gropper unterstützt von Wolf Capito
und dem kaiserlichen Sekretär Gerhard Veltwyck in Geheimverhandlungen
(ausgehend von einem Entwurf Groppers) das sogenannte Wormser bzw. Regensburger
Buch. Am 10.1.1541 übersandte Bucer eine Abschrift an Landgraf Philipp
von Hessen, der sie ohne genauere Information über die Entstehungsgeschichte
über Joachim II. von Brandenburg an Luther weiterleitete. Der aber
verzichtete auf eine Kommentierung und Verbesserung, lediglich Melanchthon
vermerkte auf dem ersten Blatt »politia platonis«.
Am 4. April 1541 wurde der Reichstag in Regensburg eröffnet, Der Kaiser selbst behielt sich die Benennung der Collocutoren vor. Am 21. April wurden sie bekanntgegeben: Julius Pflug, Eck und Gropper sowie Melanchthon, Bucer und Johannes Pistorius. Ihre Aufgabe war »nicht sich bekämpfend Thesen zu verteidigen, sondern herauszufinden, welche Lehraussagen versöhnt werden (conciliari) könnten« (CR IV 330). Zu Präsidenten wurden Pfalzgraf Friedrich und Granvella bestellt. In Vorberatungen zusammen mit Pflug, dem päpstlichen Legaten Contarini, dem Magister sacri palatii Badia und Eck, denen das Wormser Buch als Schrift gewisser vor zwei Jahren verstorbener gelehrter Theologen aus Flandern vorgestellt wurde, stimmten Gropper und Granvella noch etwa 20, hauptsächlich von Contarini vorgetragenen Textänderungswünschen zu. In dieser redigierten Form war es - trotz des Widerwillens Ecks und Melanchthons - die Grundlage der Verhandlungen, die am 27.4. begannen.
Die Artikel 1 »Von der Erschaffung des Menschen und die Unversehrtheit seiner Natur vor dem Fall« - De conditione hominis et ante lapsum naturae integritate (Gottebenbildlichkeit des Menschen im Geiste: im Verstand wahre und lebendige Erkenntnis Gottes als seines Urbildes (archetypi) und rechtes Urteil über die Dinge, im Willen brennende Liebe gegen Gott und Gehorsam), 2 »Vom freien Willen« - De libero arbitrio (nach dem Fall Verlust der Freiheit, das Gute zu tun und das Böse zu lassen, durch Christus befreit), 3 »Von der Ursache der Sünde« - De causa peccati (nicht Gott sondern der böse Wille des Menschen und des Teufels) und 4 Von der Erbsünde - De originali peccato (Verlust der Ursprungsgerechtigkeit, d.h. der Gnade des Geistes und der Gottebenbildlichkeit - und Konkupiszenz, d.h. Verderbnis und Unordnung der menschlichen Kräfte, die auch mit Paulus Sünde genannt werden kann, nach der Taufe bleibt das Materiale der Sünde, <geändert in Aufnahme der Augsburger und Wormser Einigung in der Vorbesprechung der katholischen Seite:> das Formale aber, die Schuld wird hinweggenommen) wurden als nicht kontrovers erachtet und deshalb (trotz kritischer Bemerkungen Ecks zur Theologie Groppers) unverändert akzeptiert. Über die Rechtfertigung (De restitutione regenerationis et iustificatione hominis gratia et merito, fide et operibus), bereits am 28. April verhandelt, gefiel in seiner vorgelegten Fassung (ARC VI,30-44) Eck so wenig wie Melanchthon. Beide erreichten schließlich, daß man von der ungeliebten Vorlage abging und frei von der Sache redete (CR IV 420). Nach neuen Entwürfen von Eck und Melanchthon (Wolfenbüttel, Cod. 140 Helmst., f.127r-129v; vgl. Melanchthon, Briefwechsel, Bd 3, Regesten, Nr. 2681) sowie weiteren Beratungen auf Seiten der Protestanten (CR IV 242-246) kam man schließlich auf der Basis einer von Gropper umgearbeiteten und gegenüber der 1. Fassung auf die Hälfte gekürzten 2. Fassung (ARC VI,44-52) unter maßgeblicher Beteiligung Contarinis (vgl. F. Dittrich, Miscellanaea 18: »iustitia Christi nobis imputata«, Verteidigung des »sola fide«) zu der am 2. Mai gemeinsam akzeptierten 3. Fassung (ARC 52-54; vgl. Contarini, ebd.: »totus ille articulus non est authoris libri, sed Eckii et aliorum colloquentium«), deren Grundtendenz in der folgenden Neuformulierung zum Ausdruck kommt: »Eine sichere und gesunde Lehre ist, daß der Sünder durch den lebendigen und wirksamen Glauben gerechtfertigt wird, denn durch ihn sind wird Gott gefällig und angenommen um Christus willen«. In diesem Schlüsselsatz sind reformtorische und scholastisch-katholische Anliegen aufgenommen, wie die weitere Entfaltung zeigt: »Ein lebendiger Glaube ist also der, der sowohl die Barmherzigkeit in Christus ergreift und glaubt, daß die Gerechtigkeit, die in Christus ist, ihm umsonst angerechnet wird, als auch zugleich die Verheißung des Heiligen Geistes und die Liebe empfängt.« Damit wird einerseits ein Mißverständnis des sola fide abgewehrt und die Liebe als von Gott geschenkte und eingegossene (vgl. Rm 5,1) - nicht als menschliche Leistung aus eigner Kraft - als Element des rechtfertigenden Glaubens in die Rechtfertigung einbezogen, anderseits aber klar gestellt, daß wir insofern durch den Glauben gerechtfertigt, d.h. angenommen und versöhnt werden, als er die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit ergreift, die uns um Christus und seines Verdienstes willen angerechnet wird, nicht wegen der Würdigkeit und Vollkommenheit der uns in Christus mitgeteilten Gerechtigkeit«. Obwohl im Unterschied zur 1. Fassung (Groppers und Bucers) die ausdrückliche Redeweise von einer »doppelten Rechtfertigung«, einer »ersten Rechtfertigung« des Gottlosen und einer »zweiten« »Rechtfertigung der Werke des Glaubens« (31,8ff.16ff; 41,1ff; vgl. Confessio Augustana variata, Art.6: »placet et obedientia et reputatur esse quaedam iustitia« MSA VI,18,8f) eliminiert wurde, wird dennoch zwischen der uns geschenkten zugerechneten Gerechtigkeit Christi und der empfangenen inhärierenden Gerechtigkeit, wegen der wir nach 1 Joh 3,7 deshalb »gerechte genannt werden, weil wir tun, was gerecht ist.« (54,3ff) unterschieden. Der den guten Werken verheißene Lohn hat seinen Grund nicht in den Werken selbst, sondern darin, daß »sie im Glauben geschehen und vom Heiligen Geist sind, der in uns wohnt, wobei der freie Wille gleichsam als Teilhandelnder mitläuft« (concurrente libero arbitrio tanquam partiali agente, 54,27ff, aus dem Entwurf Ecks übernommen). »Es wird auch deren Seligkeit größer sein, die mehr und größere gute Werke getan haben« (54,31; vgl. Apol. 4,355 (BSLK 227,29: »discrimina gloriae sanctorum«).
Entgegen der Hoffnung Ecks und Melanchthons wurde den weiteren Verhandlungen ab 3. Mai wieder das Regensburger Buch zugrundegelegt, für deren weitere 18 Kapitel in Kap. 6 der Aufriß vorgegeben ist: Wort (Kap. 7-9), Sakramente (Kap. 10-17) und das Band der Liebe (Kap. 18-23) als Kennzeichen der Kirche. Die Artikel 6 »Von der Kirche und ihren Zeichen, sowie ihrer Autorität« (Die Kirche als heiliger Tempel und Haus Gottes, Leib Christi und heilige Stadt Jerusalem, die vom Himmel herabsteigt, auferbaut aus lebendigen Steinen, diese uns verborgene nur Gott bekannte Kirche der Auserwählten und Heiligen, ist nirgends anders zu suchen als in jener großen Versammlung der äußeren Gemeinschaft, jenem großen Haus, das für uns an den Zeichen der gesunden Lehre, dem rechten Gebrauch der Sakramente und dem Band der Einheit und des Friedens erkennbar wird), Artikel 7 »Über das Kennzeichen des Wortes« (Die Kirche hat die Verheißung der unfehlbaren Gegenwart Gottes und des Hl. Geistes: Immer nämlich waren, sind und werden in diesem großen Haus welche sein, die die in Glaube, Hoffnung und Liebe bestehende Lehre in Einheit in dem zur Frömmigkeit und zum Heil Notwendigen nicht zu Fall gekommen bewahren) und Artikel 8 »Über die Buße nach dem Fall« (Verwerfung der Lehre der Novatianer und Katharer) wurden generell angenommen. Dagegen erstellten die Protestanten zu Kap.9 »Über die Autorität der Kirche bei der Unterscheidung und Auslegung der Schrift« einen eigenen Artikel. Darin erkennen sie eine dreifache Autorität der wahren Kirche an, nämlich 1. die apostolischen Schriften zu bezeugen und diese von solchen, die den Aposteln unterschoben wurden, zu unterscheiden, 2. die Schrift richtig zu verstehen und auszulegen, wofür die wahrhaft übereinstimmenden Schriftzeugnisse und der katholische Konsens der alten Kirche hinsichtlich apostolischer Überlieferungen (z.B. des Origenes für die Kindertaufe) Kriterien sind, 3. Urteile über die Lehre zu fällen. Die Autorität der wahren Kirche komme aber nur den Frommen als lebendigen Gliedern der Kirche zu und sei nicht an die Mehrheit oder an bestimmte Personen und Orte gebunden, sodaß auch Konzilien irren könnten (CR IV 349-352).
Nach Zurückstellung dieser Kontroverse ging man am 4. Mai zur Behandlung der Sakramente weiter. Die nächsten Artikel 10 »Über die Sakramente« (»sichere und wirksame Zeichen des Willens und der Gnade Gottes uns gegenüber«), 11 »Über das Sakrament der Ordination« (»sakramemtales Wort, durch das Christus uns sicher macht über die Autorität der Diener und die Wirksamkeit des Dienstes«, ist der Sendungsauftrag Christi: Joh 20,21-23; Mk 16,15; Mt 28,19; Zeichen ist die bischöfliche <von Contarini eingefügt, von Melanchthon bewußt gebilligt ARC VI,65,27; CR IV 414f) Handauflegung>; ohne die vier wichtigeren Sakramente Taufe, Ordination, Eucharistie und Absolution besteht die Kirche nicht), und 12 »Über das Sakrament der Taufe« (Kindertaufe als von den Aposteln empfangener Auftrag <von Contarini eingefügt>) bereiteten keine Schwierigkeiten. Artikel 13 »Über das Sakrament der Firmung« wurde auch akzeptiert, obwohl Melanchthon mißfiel, daß die Firmung und die letzte Ölung als Sakramente »Zeichen unfehlbarer Gnade« seien (CR IV 415). Dagegen entzündete sich zu Artikel 14 »Vom Sakrament der Eucharistie«, in dem die Wormser Fassung, daß »nach der Konsekration der wahre Leib und das wahre Blut des Herrn wahrhaft und wesentlich (substantialiter) da sind und den Gläubigen unter der Gestalt (specie) von Brot und Wein ausgeteilt wird« durch den von Contarini veranlaßten Zusatz: »nachdem diese, nämlich Brot und Wein, in den Leib und das Blut des Herrn verwandelt und transsubstantiiert wurden«, ergänzt ist (ARC VI,69,5-8), eine heftige Kontroverse. Der Streit geht dabei weniger um die Frage der Transsubstantiationslehre (4. Laterankonzil) selbst (»davon doch die unseren nit ser gestritten«, Protokoll Musculus <Neuser, die Vorbereitung 218>, die kath. Seite sagt auch nur, daß dieses Wort Transsubstantiation nicht unpassend ist (non sit inconveniens aut improprium <ebd. 211>), als vielmehr um die Folgerungen, die man daraus zog: Das Umtragen und die Anbetung (Protokoll Musculus, a.a.O. 218; Landgraf Philipp von Hessen: ... toleretur, utpote transsubstantiatio, modo adoratio reiiciatur et circumgestatio, item candelarum usus ante sacrarium tollatur, ebd. 227). Neben der Verständnisschwierigkeit aufgrund des in der Spätscholastik veränderten Substanzbegriffes (Vgl. CR IV 249. 264: »non est conversio physica, aut localis inclusio«; CR IV 263: »mutari panem mutatione mystica« vgl. The Condemnations of the Reformations Era 93 n.38; 95f) geht es auch um die innerprotestantische Einheit (Bucerus: videndum esse, ne inter nos fiat dissidium, ebd. 219), die in der Wittenberger Konkordie verknüpft ist mit der Verwerfung der Transsubstantiationslehre und der Ablehnung des Umtragens in der Prozession (Martin Bucers Deutsche Schriften VI/1,122f). Von daher und auf dem Hintergrund von Berichten über Zerstörungen von Sakramentshäuschen und Angriffen auf Priester auf dem Weg zur Krankenkommunion deutet umgekehrt Contarini die Ablehnung der Transsubstantiation als Infragestellung der Realpräsenz aufgrund der mit der Wittenberger Konkordie gegebenen Vermengung zwischen Luthertum und Zwinglianismus« (vgl. Kretschmar, Realpräsenz 233; Vgl. Eck, Apologia P ivv: »postquam Schmalckhaldii in unum corpus Lutherani et Zuingliani redacti sunt, ut complacerent Zuinglianis, addiderunt illam particulam 'cum pane et vino exhibentur'«). Da nach neun Tagen noch keine Einigung erreicht wurde, wurde der Artikel am 13. Mai bis zur weiteren Beratung nach dem Durchgang der restlichen Artikel zurückgestellt. Die Position der Protestanten wurde in einem eigenen Artikel formuliert (CR IV 352-35).
Beim nächsten Artikel 15 ("Über das Sakrament der Buße oder der Absolution" war man sich einig über die Erhaltung der Privatbeichte, kontrovers war die Frage, wieweit zur Vergebung der Sünden auch ihre Nennung in der Beichte notwendig ist. Hierzu, wie auch zur Frage der Genugtuung verfaßten die Protestanten wieder Gegenartikel (CR IV 354-367).
Am 19. Mai wurden Artikel 16 "Über das Sakrament der Ehe" und 17 das "Sakrament der Krankensalbung", "heilige Symbole zur Unterstützung und Heilung menschlicher Schwachheit, nicht notwendig, aber sehr nützlich und heilsam" (ARC VI,66,16ff) akzeptiert, Artikel 17 mit der Bemerkung: »Die Protestanten verwerfen nicht den Ritus nach Abstellung der Mißbräuche)" (ARC VI,75,1f).
Die letzten Artikel werden eingeleitet von Artikel 18: »Über das Band der Liebe, das das dritte Kennzeichen der Kirche ist". Artikel 19 »Von der Ordnung des Kirchen-Regiments und der Vollmacht zur Ordnung des Kirchenwesens« (De ecclesiae hierarchico ordine et in constituenda politia autoritate) spricht, ausgehend von der Kirche als »mystischem Leib«, in dem »wenn ein Glied leidet auch die anderen leiden«, unter Verweis auf die alte Kirche (Cyprian, Tertullian, Irenäus und Augustinus) den Bischöfen eine besondere Verantwortung für die Bewahrung des Bandes der Einheit zu. In der Sicht Melanchthons will der Artikel die Kirche als Verwaltungsgebilde (politia) des Papstes hinstellen und die, die die Traditionen nicht einhalten, als von der Kirche Abgefallene, was nicht anderes bedeute als die Protestanten zu verdammen (CR IV 415). Der übergebene Gegenartikel kennt zwar grundsätzlich die geschichtlich gewachsene bischöfliche Struktur als nützliche Einrichtung zur Erhaltung der Einheit der Kirche an, d.h. Synoden einzuberufen, rechtmäßige Lehrurteile zu fällen, eingerissene Laster zu bessern, Urheber von Ärgernissen zu bestrafen, u.a. durch Exkommunikation, aber »den Päpsten und Bischöfen, die Gegner der frommen Lehre sind, können wir die Autorität nicht zuerkennen« (CR IV 368f).
Artikel 20 nennt einzelne »Lehrpunkte, die durch die Vollmacht der Kirche erklärt bzw. bestätigt wurden«, z.B. das apostolische Glaubensbekenntnis, die Lehre von der Konsubstantialität der Trinität, den zwei Naturen und der Einheit der Person in Christus, der Erbsünde, der Kindertaufe und ähnliches. Der Streit entzündete sich an den weiteren Beispielen der Heiligenverehrung und des Meßopferverständnisses. Für Gropper und Bucer ist »durch gemeinsamen Konsens der Kirche rezipiert, Gott fromm in der Weise zu bitten, daß er durch die Verdienste und Bitten der Heiligen gewähre, uns durch die Hilfe seines Schutzes in allem zu stärken, freilich nicht durch deren Verdienste in sich, sondern durch Christus unseren Herrn«. Auch sei nicht zu verdammen, sich im persönlichen Gebet namentlich an die Heiligen zu wenden, »jedoch so, daß das ganze Vertrauen allein auf Jesus Christus, den Urheber alles Guten gesetzt wird« und nicht anders wie Lebende um Unterstützung der Bitten vor Gott gebeten werden« (ARC VI 77, 14-30). Trotz dieser Absicherungen vor Mißbräuchen wird im Gegenartikel der Protestanten abgelehnt, daß »uns geholfen wird wegen der Verdienste der Heiligen und daß die Heiligen direkt persönlich anzurufen sind«. Im Unterschied zu der in der Spätscholastik und auch von Eck vertretenen These vom ex opere operato endlichen Wert der Messe ist nach dem Wormser/Regensburger Buch »heute jenes Opfer bei denen, die es in ehrfürchtigem Glauben Gott vergegenwärtigen, nicht weniger wirksam als an dem Tag, an dem Blut und Wasser aus der Seite floß« (ARC VI 80,6-10; dazu Eck: »pias aures offendit« <Dittrich, Miscellanea 15>. Da zum Leib Christi auch die Verstorbenen gehören, sind auch diese in der Feier des Meßopfers miteinbezogen. Der Meßkanon, richtig verstanden, enthalte nichts Unzuträgliches. Dagegen wird als Aberglaube die Meinung verdammt, daß die Kraft des Meßopfers aufgrund des bloßen äußeren vom Priester vollzogenen Werkes auf den überströme, der keinen lebendigen Glauben hat. Der Gegenartikel der Protestanten verwirft, daß die Messe ein Opfer sei, das anderen als den gläubig Anwesenden zugewendet werden könne oder Vergebung der Sünden verdiene.
In Artikel 21 »Vom Gebrauch und der Verwaltung der Sakramente und einigen Zeremonien im besonderen« werden unterschiedliche Positionen der einen und der anderen Seite (Sunt ex una parte - sunt ex altera) formuliert: Zur Messe gehört der Kommunionempfang der Teilnehmer - auch die rein geistliche Kommunion in der Mitfeier mit dem Priester ist möglich; Kommunion unter beiderlei Gestalt - Kommunion auch nur unter einer Gestalt ist nicht gegen die Einsetzung Christi, vielmehr habe die Kirche die Vollmacht die konkrete Ordnung den Zeiten und Orten anzupassen; Liturgie in der Sprache, die das Volk versteht - in Latein. Empfohlen wird eine vorläufige gegenseitige Duldung mit der Ziel einer Reform im Sinne der alten Kirche. Der Gegenartikel der Protestanten verwirft die Privatmesse und die Zuwendung der Messe für Lebende und Verstorbene. Hinsichtlich der Frage der Kommunion unter beiderlei Gestalt sei es der Kirche nicht erlaubt, die Einsetzung Christi zu ändern.
Der Artikel 22 De disciplina ecclesiastica verweist auf die geschichtliche Entwicklung des Zölibats. Der Artikel der Protestanten sieht darin ein zurückhaltendes Votum für die Praxis der alten Kirche und bezeichnet selbst die Zölibatsverpflichtung als ungerechtes Gesetz.
Artikel 23 De disciplina populi plädiert für die Wiederaufnahme der öffentlichen Buße der alten Kirche. Die Regelung von Fasten, Speisengeboten und Feiertagen möge frommen und gelehrten Männern übertragen werden.
Damit war am 22. Mai die erste Lesung des Regensburger Buches abgeschlossen. Am 24./25.Mai trafen sich die Kollukatoren mit Ausnahme von Eck, der noch immer krank war und an den Beratungen ab Artikel 15 nicht mehr teilnehmen konnte, zur abschließenden Redaktion des Regensburger Buches und übergaben es am 31.Mai zusammen mit den Gegenartikeln der Protestanten dem Kaiser, der das Ergebnis und am 8. Juni den Ständen vorlegte (ARC III, 374-377). Im Reichstagsabschied vom 29. Juli wird die Prüfung der Handlung der Kolloquenten auf ein allgemeines Konzil überstellt oder, wenn diese nicht zustande kommt, auf ein Nationalkonzil oder spätestens in 18 Monaten auf einen Reichstag. Bis dahin gilt wieder der Nürnbergische Friedstand und werden die schwebenden Kammergerichtsprozesse suspendiert.
Zur Bewertung des Regensburger Buches und des Regensburger Religionsgespräches.
Im Bewußtsein der Teilnehmer des Kolloquiums selbst beruhte die
Einigung in der Rechtfertigungslehre nicht auf einer die Gegensätze
verschleiernden Formel, sondern umgekehrt auf der Zuordnung der unterschiedlichen
theologischen Redeweise zur gemeinsam bekannten Sache (Vgl. Eck, Apologia
n ijv; Calvin: Nothing is to be found in it which does not stand
in our writings, Matheson 109). Luther und Bugenhagen sind mit den Aussagen
von Artikel 5 »ganz eins«, hält sie jedoch nicht für
glaubwürdig solange die Gegner nicht öffentlich die von ihm im
einzelnen aufgeführten nominalistischen Positionen widerrufen (WABr
9,461-463). Der sächsische Kurfürst lehnt die Einigung ab, weil
sie von den Gegnern benutzt werden könne der Confessio Augustana einen
Schandlappen umzuhängen, als wäre vorher nicht richtig gelehrt
worden (WABr 9,398). In Rom wird die Einigung abgelehnt, weil sie unterschiedlich
gedeutet werden könne (vgl. Historisches Jahrbuch 1,1880,478). Hinsichtlich
Ekklesiologie und Kirchenordnung beruhte die Gemeinsamkeit zwischen Bucer
und Gropper / Pflug auf dem Bezug auf die Alte Kirche. Die Ablehnung Ecks
betrifft nicht die Einigung in der Sache hinsichtlich Rechtfertigung, Sakramente,
und Kirchenverständnis, sondern beruht einerseits auf persönlicher
Animosität gegenüber Gropper, anderseits auf einer anderen theologischen
Position hinsichtlich Meßopfer, Kommunion sub utraque, lateinischer
Liturgiesprache und Zölibat. Dementsprechend lehnt die katholische
Mehrheit des Fürstenrates das Regensburger Buch aus vier Gründen
ab: 1) Einige Artikel, wie die ersten vier, sind überflüssig,
da sie nicht umstritten sind: Über die Erbsünde habe man sich
schon in Worms verglichen, 2) Die Artikel müßten in einem neuen
Kolloquium hinsichtlich des Sprachgebrauchs theologisch überarbeitet
und in eine neue Form gebracht werden. 3) Die erreichte Einigung beziehe
sich auf Artikel, die »bei den Gelehrten und auch beim gemeinen Mann
nicht so hoch strittig« seien, dagegen seien die wichtigsten Artikel
von der Eucharistie, von der Messe, von der Priesterehe, der Kommunion
unter beiderlei Gestalt etc. nicht nur nicht verglichen, sondern hier hätten
sich die katholischen Kolloquenten »zu weit eingelassen« 4)
Dem Kaiser und allen christlichen Ständen könne allerlei Verkleinerung
und Nachrede aus dem Buch entstehen (ARC III 395-409, bes.404; vgl. ebd.
380-387; für Eck vgl. Dittrich, Miscellanea 10ff; ARC III 387).
Da das in Regensburg in Aussicht gestellte Konzil nicht einberufen wurde und auf den nächsten Reichstagen die Türkenhilfe im Vordergrund stand, wurde erst im Abschied des Reichstages von Speyer vom 10. Juni 1544 zur Regelung der strittigen Religionsfrage für den kommenden Herbst oder Winter ein Reichstag angekündigt, der schließlich am 24. März 1545 in Worms eröffnet wurde. Da die Protestanten sich weigerten, die strittigen Fragen auf dem am 19.11.1544 angekündigten und auf den 15.3.1545 nach Trient einberufenen Konzil entscheiden zu lassen, wurden im Reichstagsabschied vom 4. August 1545 die Modalitäten für ein erneutes Religionsgespräch auf dem auf den 6. Januar 1546 einberufenen Reichstag bekannt gemacht: Vorgesehen waren 2 Präsidenten, vier Kolloquenten und vier Auditoren. Gropper war nicht mehr zu bewegen an dem Kolloquium teilzunehmen. Da auch Julius Pflug und Michael Helding ablehnten wurden Johannes Cochläus, Eberhard Billick, Johannes Hoffmeister und Pedro de Malvenda vom Kaiser, Melanchthon, an dessen Stelle aber dann Georg Major kam, Bucer, Schnepf und Brenz von Kurfürst Johann Friedrich und Philipp von Hessen als Kolloquenten benannt. Als Präsidenten ernannt der Kaiser den Bischof von Eichstätt Moritz von Hutten und Graf Friedrich von Fürstenberg. Die Eröffnungssitzung war am 27. Januar, Grundlage des Gesprächs sollte die Confessio Augustana sein, wobei die ersten drei Artikel als geklärt zu übergehen seien. Mit Schreiben vom 3. Februar 1546 ernannte Karl V. Julius Pflug als Mitpräsidenten. Nach vorläufiger Klärung der Frage der Protokollierung eröffnete am 5. Februar Malvenda das Kolloquium mit einer Darlegung der katholischen Sicht der Rechtfertigung. Darauf erwiderte Bucer vom 9. bis zum 11. Februar, am 13./14. nahmen Malvenda und Billick dazu Stellung, Bucer antwortete am 17. Februar und dann wieder am 23. Der Fortgang war schleppend, da (abgesehen von drei Tagen vom 20. bis 22. Februar) Malvenda und Billick ihre Ausführungen ganz, Bucer zum Großteil den Notaren diktierte, um gegen entstellte Wiedergaben der eigenen Position durch die Gegner auf das Protokoll verweisen zu können. Von den Kolloquenten der anderen Seite, die die in Regensburg 1541 erreichte Einigung in der Rechtfertigungslehre nicht akzeptierten, war in den Augen Bucers nichts zu erwarten. Inhaltlich ging es beim Kolloquium, das aber mehr die Form einer Disputation hatte, u.a. um den Glaubensbegriff, etwa bei der Frage ob Glaube und Todsünde zusammen bestehen können, und ob man so von Rechtfertigung allein durch den Glauben reden könne (vgl. Martin Bucer, Kurze Erzählung <Walch XVII,1223>. Am 24. Februar erhielten die Präsidenten die kaiserliche Weisung, nicht die Reden, sondern nur die Ergebnisse, Übereinstimmungen bzw. Abweichungen, durch von den Präsidenten zu ernennende Notare protokollieren zu lassen und die Kolloquenten durch Eid auf Geheimhaltung der Verhandlungen zu verpflichten. Nachdem die Protestanten letzteres ablehnten, wurde am 10.März das Kolloquium unterbrochen. Als Karl V. am 10.April in Regensburg eintraf, waren die protestantischen Stände bereits abgereist, sodaß das 2. Regensburger Religionsgespräch - belastet von den Vorzeichen des -> Schmalkaldischen Krieges - ohne Ergebnis zu Ende ging.
Nach dem militärischen Sieg über die Protestanten setzten
sich die theologischen Berater (-> Pflug) durch, die die Religionsfrage
nicht einfach durch Anwendung des Wormser Ediktes bzw. die Restituierung
des alten Zustandes oder durch die Unterwerfung unter das in Bologna tagende
Konzil lösen wollten, sondern durch Reform und vorläufige Anerkennung
der auf lutherischer Seite geänderten Kichengebräuche (besonders
Priesterehe, Laienkelch) auf der Basis weitgehender Gemeinsamkeit im Glauben
-> Interim.
Mit dem -> Augsburger Religionsfrieden von 1555 war die Verpflichtung
verbunden, daß bei der nächsten Reichsversammlung eine »Vergleichung
der Religion und Glaubenssachen durch passende und geziemliche Wege gesucht
werden solle«. Gegen die Alternativen Allgemeines Konzil oder Nationalkonzil
wurden auf dem Reichstag zu Regensburg (5. Juli 1556 bis 16. März
1557) in langen Verhandlungen mit den widerwilligen Ständen die Modalitäten
des von König Ferdinand angestrebten Religionsgespräches festgesetzt,
das schließlich am 11. September 1557 eröffnet wurde. Die Leitung
Lag bei den beiden Präsidenten, Bischof Julius Pflug und Georg Sigmund
Seld (von 1551-1556 Reichsvizekanzler) und je zwei Assesoren, Jakob von
Eltz, Domdekan von Trier, Vertreter des Kurfürsten von Trier (unterstützt
von Bartholomäus von der Leyen, Domscholaster von Trier, und dem Humanisten
Bartholomäus Latomus) und Martin Herkules Rettinger, Bischof von Lavant,
Abgesandter des Bischofs von Salzburg, auf katholischer Seite und Graf
Ludwig von Eberstein und Neugarten als Delegierter des Kurfürsten
August von Sachsen (unterstützt von Heinrich Graf von Einsiedel und
Dr. Georg Cracov) und als Vertreter von Herzog Christoph von Württemberg
Balthasar von Gültingen, Mitte November abgelöst von Graf Heinrich
von Castell (unterstützt von Balthasar Eißlinger, abgelöst
von Dr. Johannes Kraus) auf evangelischer Seite. Die sechs Colloquenten
auf katholischer Seite waren: Michael Helding, Johannes Delphius,
Jodokus Ravesteyn, Martin Balduin Rythovius, Petrus Canisius und Friedrich
Staphylus (Johannes Gropper war zu einer Teilnahme nicht zu bewegen); ihnen
beigeordnet waren als Adjunkten: Franz Sonnius, Georg Witzel, Nikolaas
Florisz Goudanus, Johannes Gressenicus, Matthias Sittardus und Johannes
Sylvanus. Von evangelischer Seite wurden als Colloquenten benannt: Philipp
Melanchthon, Erhard Schnepf, Johannes Brenz, Johannes Pistorius, Georg
Karg und Jakob Runge; als Adjunkten: Heinrich Stoll, Johannes Marbach,
Erasmus Sarcerius, Joachim Mörlin, Victorinus Strigel und Johannes
Stössel. Als Notare fungierten Johannes a Via und Nikolaus Driel für
die katholische Seite, Jakob Andreä und Paul Eber für die evangelische
Seite. Daneben nahmen auf beiden Seiten Vertreter der Stände als Auditoren
teil. Alle Teilnehmer wurden zur Vertraulichkeit der Verhandlungen verpflichtet.
Die Grundlage des Gespräches sollte die Confessio Augustana. In der
Vorbereitungskonferenz der Protestanten vom 4. September forderte die Fraktion
der Gnesiolutheraner, Dr. Basilius Monner als Vertreter von Johann Friedrich
von Sachsen-Weimar und die Theologen Schnepf, Strigel und Stössel,
sowie Sarcer und Mörlin, im Sinne der Forderung von Matthias Flacius
die namentliche Verdammung aller in den letzten zehn Jahren entstandenen
Abweichungen von der reinen Lehre Luthers und der Confessio Augustana invariata,
des Zwinglianismus, Osiandrismus, Adiaphorismus und Majorismus. Nach heftigen
Auseinandersetzungen kam es schließlich am 9. September doch noch
zu einer gemeinsamen Plattform zwischen den beiden lutherischen Fraktionen,
die dann am 11. September in der ersten Sitzung - nach der Begrüßung
durch Pflug, der Verlesung der königlichen Proposition (a.a. Mahnung
zum freundschaftlichen Gespräch ohne Hinterhältigkeit und Siegessucht)
durch Seld und der Versicherung des guten Willens durch Helding - von Melanchthon
vorgetragen wurde: »Wir verwerfen aber alle Irrtümer und die
diesem Bekenntnis <der Confessio Augustana> zuwiderlaufenden Sekten,
alte wie neue, namentlich die gottlosen Beschlüsse der sogenannten
Synode von Trient, das Buch mit dem Titel Interim und alle anderen Maßnahmen
(actiones), die unserem Bekenntnis widersprechen« (von Bundschuh,
S. 428). Nach Vereidigung zur Schweigepflicht und der Regelung der Verfahrensweise
(Verlesung schriftlich vorbereiteter Voten, die der Gegenpartei auszuhändigen
seien) eröffnete Helding in der 3. Sitzung, am 14. September, das
Gespräch: Er sehe keinen besseren Weg zur Einheit, als die vor vierzig
Jahren in einmütigem Konsens festgehaltene Lehre, die von allen Rechtgläubigen
immer bewahrt und schon von Anfang der Kirche bis jetzt von Hand zu Hand
(per manus) überliefert worden sei, wieder in die Mitte zu stellen.
Gleichzeitig verlangte er ein Bekenntnis der Gegenseite zur Confessio Augustana,
wie sie 1530 übergeben worden sei. Schließlich händigte
er Melanchthon ein von Canisius angefertigtes, 23 Punkte umfassendes Verzeichnis
der Kontroverspunkte (Erbsünde, freier Wille, Rechtfertigung, gute
Werke, Sakramente im allgemeinen, Taufe, Firmung, Eucharistie, Kommunion
sub utraque, Meßopfer, Buße, letzte Ölung, Ordo, Ehe,
Zölibat, Ordensgelübde, die Kirche und ihr Haupt, weltliche und
geistliche Obrigkeit, menschliche Traditionen, Heiligenverehrung, Gebrauch
der Bilder, kirchliche Zeremonien, Fegefeuer und Fürbitte für
Verstorbene) aus. Melanchthons Erwiderung wurde in der vierten Sitzung
von Karg vorgetragen: Norm für die Beurteilung der Streitfrage könne
nicht der Aberglaube der letzten Generationen sein. Verbot der Priesterehe,
Privatmesse, Anrufung Verstorbener, Anbetung des Brotes, Ablaßhandel
und Zweischwertertheorie seien Belege für das Abweichen vom apostolischen
Ursprung. Helding verwies auf die Notwendigkeit von bestimmten Prinzipien
zur Unterscheidung von Wahrheit und Irrtum, nämlich 1. die Anerkennung
des vollständigen Kanons der Hl. Schrift, 2. Anerkennung des genuinen
und rechtmäßigen Schriftsinnes, der im Konsens der Väter
deutlich werde. Melanchthon verwies einerseits auf die Klarheit der Schrift
und der altkirchlichen Symbola und anderseits auf Unstimmigkeiten zwischen
den Kirchenvätern. Die wahre Kirche sei nicht an die Herrschaft der
Päpste oder die gottlose Schar der Herrschenden gebunden. Bezüglich
des ersten Kontroverspunktes Erbsünde, den Helding bereits in der
vierten Sitzung angesprochen hatte, rechtfertigte Karg den Vorwurf des
Pelagianismus, da die scholastischen Theologen die Integrität der
natürlichen Kräfte nach dem Fall gelehrt hätten. Zum Sprengstoff
für das Kolloquium wurde die Frage von Canisius, wie die Behauptung
von der Klarheit der Schrift angesichts der großen Unterschiede in
der Auslegung der Schrift hinsichtlich des Verständnisses der Abendmahlsworte
(Zwingli, Calvin), der Rechtfertigung (Osiander), der Notwendigkeit der
guten Werke (Flacius, Gallus - Major) und der Unfreiheit des Willens (Flacius)
aufrecht zu erhalten sei. Daraufhin verlangten die Gnesiolutheraner, in
der nächsten Sitzung die vorbereiteten Anatheme gegen die Abweichungen
von der Confessio Augustana offen auszusprechen. Nach längeren Verhandlungen
drohten schließlich die beiden lutherischen Assesoren Schnepf und
seinem Anhang den Ausschluß an. Diese wiederum sahen darin einen
Verstoß gegen die Geschäftsordnung und legten beim Präsidenten
Pflug Beschwerde ein. Der konnte und wollte die Angelegenheit nicht selbst
entscheiden und legte sie deshalb dem Assesorengremium vor. In diesem bestanden
die beiden lutherischen Assesoren trotz der Bedenken von Pflug auf Ausschluß,
sodaß die Gensiolutheraner am 2. Oktober die Heimreise antraten,
nachdem sie vorher den katholischen Auditoren drei Schriften hinterließen,
die diese in der Sitzung vom 6. Oktober öffentlich verlesen ließen,
was den Auszug der verbliebenen Mehrheit der Anhänger Melanchthons
zur Folge hatte. Am folgenden Tag betonte Melanchthon nochmal die Übereinstimmung
mit der CA und bestritt das Recht, die innerlutherischen Differenzen im
Kolloquium zu erörtern. In der letzten gemeinsamen Sitzung vom 12.
Oktober beharrte die katholische Seite auf ihrer Forderung, die Abweichungen
zu verwerfen, da das Kolloquium nur mit unbestreitbaren Anhängern
der Confessio Augustana zu führen sei. Der Kompromißvorschlag
Pflugs, ausdrücklich nur den Zwinglianismus zu verwerfen, wurde von
beiden Seiten abgelehnt, wobei Helding auf Calvin verwies, der in der Schrift
gegen Westphal sich der Zustimmung Melanchthons rühme. Angesichts
der steigenden Polemik unterbrach Pflug am 27. Oktober die Verhandlungen
und erbat Weisung von König Ferdinand, die dann jedoch von beiden
Seiten unterschiedlich interpretiert wurde. Die katholische Seite bestand
auf Wiederzulassung der Gnesiolutheraner, die lutherische lehnte dies ab.
Pflug sah keine Möglichkeit mehr und stellte am 29. November die Heimreise
frei.
Nach 1557 gibt es nur noch Religionsgespräche auf territorialer
Ebene (evangelisch-katholisch: Baden und Emmendingen 1589/90, Regensburg
1601, Neuburg 1615 und Leipzig 1631 - lutherisch-reformiert: Maulbronn
1564, Mömpelgard 1586, Kassel 1661, Berlin 1662/63 - innerlutherisch:
Weimar 1560 und Altenburg 1568/69) und außerhalb des Deutschen Reiches
( -> Poissy 1561, -> Sandomir 1570 -> und -> Thorn 1645).
Die Religionsgespräche stellen eindrücklich die Vielschichtigkeit
des Konfliktprozesses Reformation vor Augen: Bei der Vermengung von theologischen
und nichttheologischen Faktoren (z.B. Sorge für die Erhaltung des
alten Glaubens aber auch Angst vor einem zu mächtigen kaiserlichen
Nachbarn als Motive der Ablehnung von Religionsgesprächen durch die
bayerischen Herzöge; Meßopfer, Mönchsgelübde, Bischofsamt
verbunden mit Fragen der Verfügung über Siftungs- und Klöstervermögen
und weltlicher Macht; persönliche Animositäten unter den Theologen,
auch innerhalb derselben Seite, etwa zwischen Eck und Gropper in Regensburg
oder zwischen Melanchthon und Schnepf in Worms 1557), bei der Belastung
durch negative Erfahrungen (Klöster- und Bilderstürme, Ausschreitungen
und Handgreiflichkeiten gegenüber katholischen Priestern, Hinrichtung
von Anhängern Luthers etwa von Käser und Clarenbach) und dem
daraus erwachsenen Mißtrauen, in dem man die Gegenseite von Randgruppen
und überspitzten Formulierungen her sah, bei der Herausbildung von
verfestigten Fronten, für die Reiz- und Kampfwörter wie das sola
fide oder bestimmte kirchliche Gebräuche zu (nicht aufgebbaren bzw.
zu bekämpfenden) Identifikationszeichen wurden, waren die Vorbedingungen
für ein wirklich freundschaftliches Gespräch selten gegeben.
Auch wenn in keinem Gespräch die endgültige Bereinigung der Glaubenstrennung
erreicht wurde, so haben sie dennoch - grundlegend schon in Augsburg 1530
- bewirkt, daß die Anhänger der Augsburger Konfession nicht
in Anwendung der Bannbulle und des Wormser Ediktes einfach als Häretiker
abzustempeln waren, sondern als Gesprächspartner akzeptiert wurden,
eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung für den Augsburger
Religionsfrieden 1555. Zugleich erwiesen die Teilergebnisse in Augsburg
1530, Worms 1540/41 und Regensburg 1541 eine weitreichende Gemeinsamkeit
in der Sache trotz unterschiedlicher Terminologie in zentralen Grundfragen
(trinitarisches und christologisches Bekenntnis, Erbsünde, Rechtfertigung,
Sakramente und Kirche), die auch im gegenwärtigen lutherisch-katholischen
Dialog (vgl. Facing Unity; The Condemnations of the Reformations Era) wieder
aufgegriffen wurden.
* Erweiterte deutsche Fassung des Artikels
Colloquies,
in: The Oxford Encyclopedia of the
Reformation, ed. by Hans J. Hillerbrand,
New
York - Oxford: Oxford University Press 1996, I, 375-383.