Das Wesen des Monotheismus besteht ... darin, daß er es wagt,
das Absolute selbst als den Absoluten anzusprechen,
als Gott, der zugleich das Absolute an sich und des Menschen Gott ist.
Anders gesagt: Das kühne Wagnis des Monotheismus ist es,
daß er das Absolute - "den Gott der Philosophen" - anspricht, es für den Gott der Menschen - "Abrahams, Isaaks und Jakobs"! - hält.
Die Stoa unterscheidet
- - = theol. mythica - civilis - naturalis (1).
In diesen genauen Zusammenhang gehört die philosophische theologia
naturalis der Griechen hinein; wer sie unabhängig davon zu verstehen
sucht, versteht sie falsch. Mit dieser stoischen Teilung, wie sie vor allem
in den 41 Büchern der Antiquitates rerum humanarum et divinarum des
M. Terentius Varro (116-27 v. Chr.) entfaltet wird, ist nämlich in
der Tat das Problem des philosophischen Monotheismus
der Griechen bzw. ihrer philosophischen Gotteslehre exakt getroffen
(2). Was ist mit dieser Teilung gemeint?
Es gilt zunächst zu beachten, daß es sich keineswegs um
drei gleichrangige Glieder handelt. Die Trennung von theologia civilis
und mythica hat wohl primär apologetischen und reformatorischen Charakter:
Die theologia civilis soll von der in Mißkredit geratenen mythischen
Theologie möglichst entlastet und geschieden werden, ihr faktisch
sehr enger Zusammenhang damit ist indessen unleugbar.
So müßte die Entgegenstellung vielleicht genauer einfach
theologia mythica civilis: theologia naturalis heißen.
Fragen wir uns aber nun, was dieser Unterschied bedeutet. Varro führt
ihn sehr sorgfältig durch nach den einzelnen Faktoren der jeweiligen
Theologien.
Die theologia mythica ist Sache
der Dichter,
die theologia civilis Sache des Volkes und
die theologia naturalis Sache der Philosophen
oder der physici; er vergißt nicht anzumerken, daß das Volk
sich in der Hauptsache den Dichtern angeschlossen habe.
Ein zweiter Unterschied betrifft den jeweiligen Ort in der Wirklichkeit,
dem die einzelnen Theologien zugeordnet sind. Danach entspricht der mythischen
Theologie das Theater, der politischen die
Polis, der "natürlichen" der Kosmos.
Hier wird der tiefe innere /21/ Gegensatz, der politische
und mythische Theologie einerseits und natürliche
Theologie andererseits trennt, bereits auf radikale Weise sichtbar.
Denn die Ortsangaben sind von der Sache her völlig disparat: Der Ort
der politischen und mythischen Theologie wird von der Kultausübung
des Menschen her bestimmt, der Ort der philosophischen Theologie
hingegen von der dem Menschen gegenüberstehenden
Wirklichkeit des Göttlichen (3).
Der Gegensatz radikalisiert sich weiter bei der dritten von Varro vorgenommenen
Unterscheidung, die sich auf den Inhalt der drei Theologien bezieht:
Die mythische Theologie hat zum Inhalt die verschiedenen Götterfabeln,
eben die "Mythen", die zusammen "der" Mythos sind, die politische Theologie
hat zum Inhalt den Staatskult, die natürliche
Theologie schließlich antwortet auf die Frage,
wer oder was die Götter sind, "ob sie - mit Heraklit - aus
Feuer oder - mit Pythagoras - aus Zahlen
oder - mit Epikur - aus Atomen sind. Und so
noch anderes, was die Ohren leichter innerhalb der Schulwände ertragen
können als draußen auf dem Marktplatz"
(4).
Gott des Glaubens und Gott der Philosophen - so ist man versucht auch
hier zu sagen; und auch hier hat es der Glaube mit lebendig-begegnenden
Personen zu tun und die Philosophie mit der apersonalen Formel... Diese
Unterscheidung im göttlichen Gegenüber der Theologie führt
zu einem letzten Gegensatz, der schließlich den eigentlichen Kern
des Problems bloßlegt: "Die theologia naturalis hat es mit der
natura deorum zu tun, die beiden andern theologiae aber mit den divina
instituta hominum. Damit aber ist letztlich der ganze Unterschied reduziert
auf den von theologischer Metaphysik einerseits
und von Kultreligion anderseits.
die ,natürliche Theologie' hat keine Religion,
sondern nur eine Gottheit" (5).
Mit dieser Trennung von philosophischer Wahrheit und religiöser
Verwirklichung hat Varro bzw. das von ihm vertretene stoische Denken scharfsichtig
die eigentliche Problematik des antiken Polytheismus, ja, man darf sagen:
das Grundproblem jedweder polytheistischer Religiosität aufgedeckt.
Dieses Wissen kann sehr verschiedenartige Gestaltungen haben, es kann
sich ausdrücken in der Idee des deus otiosus der Primitivreligionen,
in der Idee der alldurchwaltenden als der Götter und Menschen beherrschenden
Macht, in der hohen Form des philosophischen Gottesbegriffs eines Platon
oder Aristoteles (wobei nicht zu verkennen ist, daß religionsgeschichtlich
gesehen der aristotelische erste Beweger eine klassische Abwandlung des
Motivs des deus otiosus darstellt). Die Gestaltungen sind vielfältig,
aber wohl nirgendwo fehlt das Wissen um die Einheit des Absoluten ganz.
Das entscheidende Konstitutiv des Polytheismus,
das ihn als Polytheismus ausmacht, ist nicht der Mangel der /23/ Einheitsidee,
sondern die Vorstellung,
daß das Absolute in sich und als solches für
den Menschen nicht ansprechbar
ist (6).
Deshalb muß er sich entschließen, die endlichen
Spiegelungen des Absoluten anzurufen, die Götter, die gerade
nicht "Gott" sind - auch für ihn nicht (7).
Denn "Gott", d. h. das Absolute selbst, ist, um es nochmal zu sagen, nicht
ansprechbar (8).
als Gott, der zugleich das Absolute an sich und des Menschen Gott ist.
Anders gesagt: Das kühne Wagnis des Monotheismus ist es, daß
er das Absolute - "den Gott der Philosophen" - anspricht, es für den
Gott der Menschen - "Abrahams, Isaaks und Jakobs"! - hält.
Und freilich kann er solches nur wagen, weil er sich eben von diesem
Gott zuerst angesprochen weiß.
Aber es bleibt dabei, daß den Monotheismus nichts anderes ausmacht
als gerade der Bindestrich, der das Absolute - den "Gott der Philosophen"
- und den Menschgott - den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs miteinander
verbindet.
Der Bindestrich, den Augustin "zwischen neuplatonischer Ontologie und
biblischer Gotteserkenntnis" (9) gesetzt
hat, ist also von der Sache des Monotheismus her legitim, er ist die konkrete
Weise, wie sich für ihn der Bindestrich zwischen Gott der Philosophen
und Gott des Glaubens, Gott der Menschen darstellen mußte.
Ja, er hat mit der Feststellung,
in Jesus Christus zum redenden und hörenden
Gott geworden ist,
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*Bonner Antrittsvorlesung,
wieder abgedruckt in: Ratzinger, Joseph: Vom Wiederauffinden der Mitte,
Freiburg 1997, 50-53.
1. Vgl. J. Bilz, Art. Theologie LThK X 65 f; zum
Ausdruck "Theologie" P. Batiffol, Theologie, Theologi, in: Eph. theol.
lov. 5 (1928) 205-220; J. Stiglmayr, Mannigfache Bedeutung von "Theologie"
und "Theologen" in: Theol. u. Glaube 11 (1919) 296-309.
2. Mit Varro setzt sich eingehend auseinander Tertullian,
Ad nationes II 1-8 sowie Augustinus De civ. Dei VI 5 ff. Vgl. zum Folgenden
J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, München
1954, S. 265-276.
3. Siehe De civ Dei VI 5 CChr 47 S. 171; vgl. IV
32 S. 126.
6. Dieser eigentliche Gegensatz von "Monotheismus"
und "Polytheismus" wird vor allem treffend herausgearbeitet von J. A. Cuttat,
Begegnung der Religionen, Einsiedeln 1956, S. 20 ff. Statt der leicht mißdeutbaren
Gegenüberstellung Cuttats von "persönlichem" und "unpersönlichem"
Gottesbegriff spreche ich lieber von der "Ansprechbarkeit" Gottes bzw.
von deren Fehlen, denn erst die Ansprechbarkeit Gottes konstituiert religionsphilosophisch
gesehen seine Personalität. Der erste Beweger des Aristoteles trägt
zwar wesentliche Merkmale des metaphysischen Personbegriffes an sich (Selbstbewußtsein!),
kann aber religionsphilosophisch doch nicht als "Person" bezeichnet werden,
eben weil ihm die Hörfähigkeit dem Menschen gegenüber und
so die Ansprechbarkeit fehlt. - Zu der auch im Polytheismus verbleibenden
hintergründigen Einheitsidee vgl. noch A. Brunner, Die Religion, Freiburg
1956, S. 177 f, S. 86 u. ö.
7. Das ist besonders deutlich im ursprünglichen
Buddhismus und in den wichtigsten Formen des Hinduismus; vgl. H. von Glasenapp,
Die nichtchristlichen Religionen, Fischer-Lexikon Bd. 1, 1957, S. 76 ff
u. 156 ff. Nicht minder klar ist das im Neuplatonismus, der spätantiken
philosophischen Apologie des Polytheismus, vgl. die Darstellung bei E.
Zeller, Philosophie der Griechen III 2, 19034.
8. Nur so wird der eigentümliche Sachverhalt
verständlich, daß z. B. Platon und Aristoteles trotz ihres philosophischen
Monotheismus religiös Polytheisten blieben. Vgl. dazu E. Gilson, Der
Geist der mittelalterlichen Philosophie, Wien 1950, S. 50 ff; W. Pannenberg,
a. a. O. 7.