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Joseph Ratzinger

DER GOTT DES GLAUBENS UND DER GOTT DER PHILOSOPHEN*
Das Wesen des Monotheismus besteht ... darin, daß er es wagt,
das Absolute selbst als den Absoluten anzusprechen,
als Gott, der zugleich das Absolute an sich und des Menschen Gott ist.
Anders gesagt: Das kühne Wagnis des Monotheismus ist es,
daß er das Absolute - "den Gott der Philosophen" - anspricht, es für den Gott der Menschen - "Abrahams, Isaaks und Jakobs"! - hält.


Die Stoa unterscheidet - - = theol. mythica - civilis - naturalis (1). In diesen genauen Zusammenhang gehört die philosophische theologia naturalis der Griechen hinein; wer sie unabhängig davon zu verstehen sucht, versteht sie falsch. Mit dieser stoischen Teilung, wie sie vor allem in den 41 Büchern der Antiquitates rerum humanarum et divinarum des M. Terentius Varro (116-27 v. Chr.) entfaltet wird, ist nämlich in der Tat das Problem des philosophischen Monotheismus der Griechen bzw. ihrer philosophischen Gotteslehre exakt getroffen (2). Was ist mit dieser Teilung gemeint?
Es gilt zunächst zu beachten, daß es sich keineswegs um drei gleichrangige Glieder handelt. Die Trennung von theologia civilis und mythica hat wohl primär apologetischen und reformatorischen Charakter: Die theologia civilis soll von der in Mißkredit geratenen mythischen Theologie möglichst entlastet und geschieden werden, ihr faktisch sehr enger Zusammenhang damit ist indessen unleugbar.
So müßte die Entgegenstellung vielleicht genauer einfach theologia mythica civilis: theologia naturalis heißen.
Fragen wir uns aber nun, was dieser Unterschied bedeutet. Varro führt ihn sehr sorgfältig durch nach den einzelnen Faktoren der jeweiligen Theologien.
Die theologia mythica ist Sache der Dichter, die theologia civilis Sache des Volkes und die theologia naturalis Sache der Philosophen oder der physici; er vergißt nicht anzumerken, daß das Volk sich in der Hauptsache den Dichtern angeschlossen habe.
Ein zweiter Unterschied betrifft den jeweiligen Ort in der Wirklichkeit, dem die einzelnen Theologien zugeordnet sind. Danach entspricht der mythischen Theologie das Theater, der politischen die Polis, der "natürlichen" der Kosmos. Hier wird der tiefe innere /21/ Gegensatz, der politische und mythische Theologie einerseits und natürliche Theologie andererseits trennt, bereits auf radikale Weise sichtbar. Denn die Ortsangaben sind von der Sache her völlig disparat: Der Ort der politischen und mythischen Theologie wird von der Kultausübung des Menschen her bestimmt, der Ort der philosophischen Theologie hingegen von der dem Menschen gegenüberstehenden Wirklichkeit des Göttlichen (3).
Der Gegensatz radikalisiert sich weiter bei der dritten von Varro vorgenommenen Unterscheidung, die sich auf den Inhalt der drei Theologien bezieht: Die mythische Theologie hat zum Inhalt die verschiedenen Götterfabeln, eben die "Mythen", die zusammen "der" Mythos sind, die politische Theologie hat zum Inhalt den Staatskult, die natürliche Theologie schließlich antwortet auf die Frage, wer oder was die Götter sind, "ob sie - mit Heraklit - aus Feuer oder - mit Pythagoras - aus Zahlen oder - mit Epikur - aus Atomen sind. Und so noch anderes, was die Ohren leichter innerhalb der Schulwände ertragen können als draußen auf dem Marktplatz" (4).
Gott des Glaubens und Gott der Philosophen - so ist man versucht auch hier zu sagen; und auch hier hat es der Glaube mit lebendig-begegnenden Personen zu tun und die Philosophie mit der apersonalen Formel... Diese Unterscheidung im göttlichen Gegenüber der Theologie führt zu einem letzten Gegensatz, der schließlich den eigentlichen Kern des Problems bloßlegt: "Die theologia naturalis hat es mit der natura deorum zu tun, die beiden andern theologiae aber mit den divina instituta hominum. Damit aber ist letztlich der ganze Unterschied reduziert auf den von theologischer Metaphysik einerseits und von Kultreligion anderseits.

Die civilische Theologie hat letztlich keinen Gott, sondern nur ,Religion',
die ,natürliche Theologie' hat keine Religion, sondern nur eine Gottheit" (5).
Der Gegensatz zwischen Religion und Gott der Philosophen ist hier, in der /22/ von Varro geschilderten geistigen und religiösen Situation der Antike zu letzter Ernsthaftigkeit geführt: Die Philosophie, noch ungeschieden von der Physik, deckt die Wahrheit des Wirklichen und so auch die Seinswahrheit des Göttlichen auf; die Religion nimmt ihren Weg unabhängig davon, ihr geht es nicht darum, das zu verehren, was die Wissenschaft als den wahren Gott entdeckt, sie stellt sich vielmehr außerhalb der Wahrheitsfrage und unterstellt sich allein ihrer eigenen religiösen Gesetzlichkeit.
Mit dieser Trennung von philosophischer Wahrheit und religiöser Verwirklichung hat Varro bzw. das von ihm vertretene stoische Denken scharfsichtig die eigentliche Problematik des antiken Polytheismus, ja, man darf sagen: das Grundproblem jedweder polytheistischer Religiosität aufgedeckt.
Denn worin besteht eigentlich das Wesen des Polytheismus?
Es ist nicht erfaßt mit der Behauptung, der Polytheismus verehre viele Götter, während der Monotheismus nur einen Gott kenne. Eine derartige Aussage bleibt ganz im Vordergrund stecken. In irgendeiner, wenn auch noch so verdunkelten Form, wissen nämlich fast durchweg auch die Polytheismen, die ihrerseits wieder nicht über einen Kamm zu scheren sind, darum, daß das Absolute letzterdings nur ein einziges ist.
Dieses Wissen kann sehr verschiedenartige Gestaltungen haben, es kann sich ausdrücken in der Idee des deus otiosus der Primitivreligionen, in der Idee der alldurchwaltenden als der Götter und Menschen beherrschenden Macht, in der hohen Form des philosophischen Gottesbegriffs eines Platon oder Aristoteles (wobei nicht zu verkennen ist, daß religionsgeschichtlich gesehen der aristotelische erste Beweger eine klassische Abwandlung des Motivs des deus otiosus darstellt). Die Gestaltungen sind vielfältig, aber wohl nirgendwo fehlt das Wissen um die Einheit des Absoluten ganz. Das entscheidende Konstitutiv des Polytheismus, das ihn als Polytheismus ausmacht, ist nicht der Mangel der /23/ Einheitsidee, sondern die Vorstellung, daß das Absolute in sich und als solches für den Menschen nicht ansprechbar ist (6). Deshalb muß er sich entschließen, die endlichen Spiegelungen des Absoluten anzurufen, die Götter, die gerade nicht "Gott" sind - auch für ihn nicht (7). Denn "Gott", d. h. das Absolute selbst, ist, um es nochmal zu sagen, nicht ansprechbar (8).
Und das Wesen des Monotheismus besteht,
wie sich jetzt zeigt, eben darin, daß er es wagt, das Absolute selbst als den Absoluten anzusprechen,
als Gott, der zugleich das Absolute an sich und des Menschen Gott ist.
Anders gesagt: Das kühne Wagnis des Monotheismus ist es, daß er das Absolute - "den Gott der Philosophen" - anspricht, es für den Gott der Menschen - "Abrahams, Isaaks und Jakobs"! - hält.
Und freilich kann er solches nur wagen, weil er sich eben von diesem Gott zuerst angesprochen weiß.
Aber es bleibt dabei, daß den Monotheismus nichts anderes ausmacht als gerade der Bindestrich, der das Absolute - den "Gott der Philosophen" - und den Menschgott - den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs miteinander verbindet.
Der Bindestrich, den Augustin "zwischen neuplatonischer Ontologie und biblischer Gotteserkenntnis" (9) gesetzt hat, ist also von der Sache des Monotheismus her legitim, er ist die konkrete Weise, wie sich für ihn der Bindestrich zwischen Gott der Philosophen und Gott des Glaubens, Gott der Menschen darstellen mußte.
Ja, er hat mit der Feststellung,
daß der stumme und unaussprechbare Gott der Philosophen
in Jesus Christus zum redenden und hörenden Gott geworden ist,
gerade erst den vollen inneren Anspruch des biblischen Glaubens vollstreckt.

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*Bonner Antrittsvorlesung, wieder abgedruckt in: Ratzinger, Joseph: Vom Wiederauffinden der Mitte, Freiburg 1997, 50-53.

1. Vgl. J. Bilz, Art. Theologie LThK X 65 f; zum Ausdruck "Theologie" P. Batiffol, Theologie, Theologi, in: Eph. theol. lov. 5 (1928) 205-220; J. Stiglmayr, Mannigfache Bedeutung von "Theologie" und "Theologen" in: Theol. u. Glaube 11 (1919) 296-309.

2. Mit Varro setzt sich eingehend auseinander Tertullian, Ad nationes II 1-8 sowie Augustinus De civ. Dei VI 5 ff. Vgl. zum Folgenden J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, München 1954, S. 265-276.

3. Siehe De civ Dei VI 5 CChr 47 S. 171; vgl. IV 32 S. 126.

4. VI 5 S. 171.

5. Ratzinger, a. a. O. 270.

6. Dieser eigentliche Gegensatz von "Monotheismus" und "Polytheismus" wird vor allem treffend herausgearbeitet von J. A. Cuttat, Begegnung der Religionen, Einsiedeln 1956, S. 20 ff. Statt der leicht mißdeutbaren Gegenüberstellung Cuttats von "persönlichem" und "unpersönlichem" Gottesbegriff spreche ich lieber von der "Ansprechbarkeit" Gottes bzw. von deren Fehlen, denn erst die Ansprechbarkeit Gottes konstituiert religionsphilosophisch gesehen seine Personalität. Der erste Beweger des Aristoteles trägt zwar wesentliche Merkmale des metaphysischen Personbegriffes an sich (Selbstbewußtsein!), kann aber religionsphilosophisch doch nicht als "Person" bezeichnet werden, eben weil ihm die Hörfähigkeit dem Menschen gegenüber und so die Ansprechbarkeit fehlt. - Zu der auch im Polytheismus verbleibenden hintergründigen Einheitsidee vgl. noch A. Brunner, Die Religion, Freiburg 1956, S. 177 f, S. 86 u. ö.

7. Das ist besonders deutlich im ursprünglichen Buddhismus und in den wichtigsten Formen des Hinduismus; vgl. H. von Glasenapp, Die nichtchristlichen Religionen, Fischer-Lexikon Bd. 1, 1957, S. 76 ff u. 156 ff. Nicht minder klar ist das im Neuplatonismus, der spätantiken philosophischen Apologie des Polytheismus, vgl. die Darstellung bei E. Zeller, Philosophie der Griechen III 2, 19034.

8. Nur so wird der eigentümliche Sachverhalt verständlich, daß z. B. Platon und Aristoteles trotz ihres philosophischen Monotheismus religiös Polytheisten blieben. Vgl. dazu E. Gilson, Der Geist der mittelalterlichen Philosophie, Wien 1950, S. 50 ff; W. Pannenberg, a. a. O. 7.

9. Brunner, a. a. O. 136.